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BVerwG - Entscheidung vom 03.12.2020

6 A 14.19

Normen:
GG Art. 1 Abs. 1
GG Art. 2 Abs. 1
BArchG § 13 Abs. 1 S. 1 Nr. 1

BVerwG, Beschluss vom 03.12.2020 - Aktenzeichen 6 A 14.19

DRsp Nr. 2021/1016

Anspruch eines Nachrichtenmagazins auf Nutzung von Archivgut des Bundesnachrichtendienstes zu "sämtlichen konspirativen Linien vor, während und nach der Spiegel-Affäre" im Jahr 1962

Dem Großen Senat wird die Frage zu Vorabentscheidung vorgelegt, ob es Gründe des Staatswohls rechtfertigen, den Schutz der Identität nachrichtendienstlicher Informanten bei vor Jahrzehnten abgeschlossenen Vorgängen regelhaft auf einen Zeitraum von etwa 30 Jahren über deren Tod hinaus zu erstrecken, wenn solche Personen nicht zum Kreis von NS-Tätern gehören oder selbst keine schweren, insbesondere terroristischen Straftaten begangen haben.

Tenor

Dem Großen Senat wird folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:

Rechtfertigen Gründe des Staatswohls, den Schutz der Identität nachrichtendienstlicher Informanten bei vor Jahrzehnten abgeschlossenen Vorgängen regelhaft auf einen Zeitraum von etwa 30 Jahren über deren Tod hinaus zu erstrecken, wenn solche Personen nicht zum Kreis von NS-Tätern gehören oder selbst keine schweren, insbesondere terroristischen Straftaten begangen haben?

Normenkette:

GG Art. 1 Abs. 1 ; GG Art. 2 Abs. 1 ; BArchG § 13 Abs. 1 S. 1 Nr. 1;

Gründe

I

Die Klägerin, Herausgeberin des Nachrichtenmagazins "DER SPIEGEL", begehrt die Nutzung von Archivgut des Bundesnachrichtendienstes zu "sämtlichen konspirativen Linien vor, während und nach der Spiegel-Affäre" im Jahr 1962.

Der Bundesnachrichtendienst lehnte den Antrag mit Bescheid vom 15. Juli 2014 ab. Bei "konspirativen Linien" handele es sich um Personen, die für den Bundesnachrichtendienst nachrichtendienstlich tätig gewesen seien und zugleich in einer Vertragsbeziehung zur SPIEGEL-Redaktion gestanden hätten. Zudem müssten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese Personen entweder dem Bundesnachrichtendienst Informationen über den SPIEGEL übermittelt hätten oder die Behörde diese Personen genutzt habe, um auf die Berichterstattung des SPIEGEL im nachrichtendienstlichen Sinne ohne Billigung der Redaktion Einfluss zu nehmen. Auf der Grundlage dieser Definition seien Unterlagen zu zwei Personen festgestellt worden, zu denen eine Akteneinsicht unter Berufung auf das Staatswohl und den Schutz personenbezogener Daten abgelehnt werde.

Auf die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage hat der Senat der Beklagten mit aufgrund mündlicher Verhandlung ergangenem Beschluss vom 17. November 2016 - neugefasst durch Beschluss vom 12. September 2017 - aufgegeben, im Einzelnen bezeichnete Unterlagen vollständig und ungeschwärzt vorzulegen, soweit diese älter als 30 Jahre sind.

Mit Sperrerklärung vom 16. Mai 2017 und 1. Juni 2017 hat die Beklagte nur Teile der angeforderten Dokumente vorgelegt, die vollständige und ungeschwärzte Vorlage der angeforderten Dokumente aber verweigert. Daraufhin hat die Klägerin nach § 99 Abs. 2 VwGO beantragt festzustellen, dass die Verweigerung der Vorlage der Unterlagen in vollständiger und ungeschwärzter Form durch die Sperrerklärungen vom 16. Mai 2017 bzw. 1. Juni 2017 rechtswidrig sei.

Der Fachsenat nach § 189 VwGO (Fachsenat) hat mit Beschluss vom 20. September 2019 - 20 F 12.17 - festgestellt, dass die Sperrerklärung vom 16. Mai 2017 in der Fassung der Änderungen vom 1. Juni 2017 und 17. April 2019 hinsichtlich im Einzelnen näher bezeichneter Unterlagen rechtswidrig ist; im Übrigen hat er den Antrag abgelehnt. In den Gründen des Beschlusses hat der Fachsenat zum (mittelbaren) Schutz (mutmaßlich) verstorbener Informanten ausgeführt, dass das Wohl des Bundes im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO nach dem Tod eines Informanten eine weitere Geheimhaltung seiner Daten rechtfertigen könne, wenn deren Bekanntgabe die künftige effektive Erfüllung der Aufgaben einer Sicherheitsbehörde des Bundes erschweren würde. Denn das für die Gewinnung von Informanten notwendige Vertrauen in die Verlässlichkeit von nachrichtendienstlichen Vertraulichkeitszusagen rechtfertige grundsätzlich den Schutz von Informanten über deren Tod hinaus und begründe damit einen Weigerungsgrund im öffentlichen Interesse. Liege der (mutmaßliche) Tod eines Informanten länger als etwa 30 Jahre zurück, bedürfe die Notwendigkeit einer weiteren Geheimhaltung bei weit zurückliegenden, abgeschlossenen Vorgängen aber zusätzlicher Erläuterungen.

Allerdings sei durch die Bekanntgabe der Identität eines verstorbenen Informanten nicht stets eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit eines Nachrichtendienstes ernsthaft zu befürchten. Bei der Einschätzung, ob das Bekanntwerden dem Wohl des Bundes im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO Nachteile bereiten würde, sei den jeweiligen Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen. Bei der Interessenabwägung sei der Zeitlauf ein bedeutsamer - wenn auch nicht allein ausschlaggebender - Faktor. Gehe es - wie hier - um vor Jahrzehnten geschlossene Akten und sei der Informant bereits (mutmaßlich) verstorben, komme es zum einen darauf an, ob sich ein durchschnittlicher Informant bei seiner Entscheidung für eine Zusammenarbeit mit einem Nachrichtendienst durch eine Information der Öffentlichkeit über die frühere Zusammenarbeit von Nachrichtendiensten mit einzelnen Personen beeinflussen lasse. Es sei nicht plausibel, dass die Veröffentlichung der Informantentätigkeit etwa von NS-Tätern oder Personen, die selbst schwere, insbesondere terroristische Straftaten begangen hätten, auf diese Entscheidungen Einfluss haben könne.

Zum anderen sei das Erfordernis der Verlässlichkeit von Vertraulichkeitszusagen über den Tod hinaus auch im Hinblick auf den Zeitablauf seit dem Tod des Informanten differenziert zu prüfen. Es könne nämlich nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass die Bereitschaft aktueller oder potenzieller Informanten zur Zusammenarbeit mit den Behörden entscheidend davon abhänge, ob die Vertraulichkeit auch Jahrzehnte nach ihrem Ableben noch gesichert erscheine. Liege der Tod der Quelle mehrere Jahrzehnte zurück, müsse die Sperrerklärung erkennen lassen, dass die Behörde differenziert nach dem Umfeld, in dem der konkrete Informant tätig gewesen sei, geprüft habe, ob Auswirkungen auf die Bereitschaft anderer Personen dieses Umfeldes zur Aufnahme oder Fortführung einer Informantentätigkeit nicht nur theoretisch möglich, sondern mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ernsthaft zu befürchten seien. Es sei zwar nachvollziehbar, dass aus diesen Gründen auf Vertraulichkeit für einen etwa eine Generation, also ca. 30 Jahre, umfassenden Zeitraum nach dem Tod Wert gelegt werde. Denn in diesem Zeitraum sei die Erinnerung an einen Verstorbenen typischerweise in dessen Umfeld noch präsent und lebendig. Dass für die Gewinnung und Aufrechterhaltung aktueller nachrichtendienstlicher Verbindungen eine längere posthume Vertraulichkeit erforderlich sei, bedürfe dagegen zusätzlicher Erläuterungen. Lebe jedoch niemand mehr, der noch eine aus dem unmittelbaren Kontakt gewonnene persönliche Erinnerung an den oder emotionale Nähe zu dem Informanten habe, sei bereits der reine Zeitablauf grundsätzlich ein ausreichender Grund für das Entfallen von Geheimhaltungsgründen. Denn es sei nicht nachvollziehbar, dass die Verlässlichkeit einer Vertraulichkeitszusage auch noch nach so großem Zeitablauf potenzielle Informanten in ihrer Entscheidung für diese Tätigkeit beeinflussen könne.

Der 6. Senat hat mit Beschluss vom 13. Mai 2020 beim Fachsenat angefragt, ob dieser an seiner Rechtsauffassung festhält. Mit Beschluss vom 4. November 2020 - 20 AV 1.20 - hat der Fachsenat verlautbart, an seiner Rechtsauffassung festzuhalten, dass die Verpflichtung zur alsbaldigen Offenlegung der Namen verstorbener Informanten die Funktionsfähigkeit der Geheimdienste des Bundes gefährden und damit dem Wohl des Bundes im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO Nachteile bereiten würde. Da die Geheimdienste des Bundes Vertraulichkeitszusagen über den Tod hinaus gewährten, liege deren zeitlich begrenzte Einhaltung im öffentlichen Interesse. Daher könne eine Offenlegung der Namen verstorbener Informanten nur im Rahmen einer strukturierten Einzelfallprüfung erfolgen, bei der der Zeitablauf von 30 Jahren ein bedeutsamer, aber nicht der allein entscheidende Umstand sei.

II

Der 6. Senat möchte bei dem im vorliegenden Fall zu prüfenden archivrechtlichen Versagungsgrund des § 11 Abs. 6 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BArchG seine Rechtsprechung fortführen, die postmortalen nachrichtendienstlichen Quellenschutz bei vor Jahrzehnten abgeschlossenen Vorgängen aufgrund einer Prüfung der Umstände des Einzelfalles nur dann als gerechtfertigt erachtet, wenn die Bekanntgabe die künftige Aufgabenerfüllung der Sicherheitsbehörden erschweren würde. Das ist nur dann der Fall, wenn sich aus einer vollständigen Offenlegung von Unterlagen in einer Zusammenschau die Gefahr einer Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit und Aufgabenerfüllung der Sicherheitsbehörden ableiten lässt (1.). Da § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BArchG und § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO im Hinblick auf das Staatswohl nach bisheriger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dieselben Anforderungen beinhalten (2.), würde der 6. Senat dabei in entscheidungserheblicher Weise von der neueren Rechtsprechung des Fachsenats zu § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO (erstmals: BVerwG, Beschluss vom 24. Oktober 2018 - 20 F 15.16 [ECLI: DE: BVerwG: 2018: 241018B20F15.16.0] - BVerwGE 163, 271 Rn. 26 ff.) abweichen, in der eine Regelvermutung von etwa 30 Jahren nach dem Tod des Informanten zugunsten der Annahme berechtigten Geheimhaltungsschutzes aufgestellt wird (3.). Der 6. Senat vermag sich dieser neuen Rechtsprechungslinie für den archivrechtlichen Versagungsgrund des § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BArchG nicht anzuschließen (4.). Da der Fachsenat auf Anfrage mitgeteilt hat, an seiner gegenteiligen Rechtsauffassung festzuhalten (Beschluss vom 4. November 2020 - 20 AV 1.20 [ECLI: DE: BVerwG: 2020: 041120B20AV1.20.0] -), legt der 6. Senat die Frage gemäß § 11 Abs. 2 VwGO dem Großen Senat zur Entscheidung vor (5.). Für den Fall, dass eine Abweichung im Sinne des § 11 Abs. 2 VwGO nur bei Anwendung ein und derselben Norm in Betracht kommt (so BVerwG, Beschluss vom 14. September 2006 - 9 B 2.06 - Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 44 Rn. 14 zu § 12 i.V.m. § 11 Abs. 2 VwGO ), wird die aufgeworfene Rechtsfrage als Frage grundsätzlicher Bedeutung gestellt, da das nach Auffassung des vorlegenden Senats zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 11 Abs. 4 VwGO erforderlich ist (6.).

1. Gemäß § 11 Abs. 6 BArchG steht in entsprechender Anwendung des § 10 Abs. 1 Satz 1 BArchG jeder Person auf Antrag das Recht zu, Unterlagen zu nutzen, die älter als 30 Jahre sind und noch der Verfügungsgewalt der öffentlichen Stellen des Bundes unterliegen. Die Norm soll dem Informationsinteresse und dem Interesse an der wissenschaftlichen Aufarbeitung historischer Vorgänge auch dann Rechnung tragen, wenn die aktenführende Behörde Unterlagen dem Bundesarchiv nicht angeboten hat, obwohl die Voraussetzungen hierfür vorliegen (BVerwG, Beschluss vom 12. September 2017 - 6 A 1.15 [ECLI: DE: BVerwG: 2017: 120917B6A1.15.0] - Buchholz 421.9 BArchG Nr. 1 Rn. 3, 5 m.w.N.).

Nach der ebenfalls von § 11 Abs. 6 BArchG in Bezug genommenen Vorschrift des § 13 Abs. 1 BArchG ist die Nutzung nach den §§ 10 bis 12 BArchG einzuschränken oder zu versagen, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass durch die Nutzung das Wohl der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährdet würde (Nr. 1) oder der Nutzung schutzwürdige Interessen Betroffener oder ihrer Angehörigen entgegenstehen (Nr. 2) oder durch die Nutzung Rechtsvorschriften des Bundes über die Geheimhaltung verletzt würden (Nr. 3).

Nachrichtendienstlicher Quellenschutz speist sich sowohl aus § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 als auch aus Nr. 2 BArchG: Schutzwürdige Interessen Betroffener im Sinne der Nr. 2 können als individuelle subjektivrechtliche Interessen jedoch prinzipiell nur bei noch lebenden Informanten anerkannt werden. Denn der postmortale Persönlichkeitsschutz aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG erfasst zum einen nur den allgemeinen Achtungsanspruch, der dem Menschen kraft seines Personseins zusteht und den Verstorbenen insbesondere davor bewahrt, herabgewürdigt oder erniedrigt zu werden. Zum anderen erstreckt er sich auf den sittlichen, personalen und sozialen Geltungswert, den die Person durch ihre eigene Lebensleistung erworben hat, und schützt vor einer "Verfälschung" des Lebensbildes. Beide Ausprägungen des postmortalen Persönlichkeitsschutzes werden nicht durch die Offenlegung wahrer Tatsachen berührt, da hiermit weder eine herabwürdigende Behandlung noch eine Verfälschung des Lebensbildes verbunden ist. Damit scheidet das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Grundlage postmortalen nachrichtendienstlichen Quellenschutzes aus (BVerwG, Beschluss vom 17. November 2016 - 6 A 1.15 [ECLI: DE: BVerwG: 2016: 171116B6A1.15.0] - Rn. 29; ebenso BVerwG, Beschluss vom 20. September 2019 - 20 F 12.17 [ECLI: DE: BVerwG: 2019: 200919B20F12.17.0] - Rn. 22 zu § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO ).

Prae- wie postmortaler Quellenschutz stützen sich zudem als öffentliches Interesse auf § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BArchG in der Variante einer Gefährdung des Wohls der Bundesrepublik Deutschland. Denn Behörden wie der Bundesnachrichtendienst sind bei der Erfüllung ihrer Aufgaben auf Angaben Dritter angewiesen und dürfen zum Schutz von Informanten grundsätzlich deren Identität geheim halten. Das Wohl des Bundes würde gefährdet bzw. diesem Wohl würden Nachteile bereitet, wenn diese Daten unter Missachtung einer zugesagten oder vorausgesetzten Vertraulichkeit bekanntgegeben würden. In Bezug auf noch lebende Informanten gilt dies grundsätzlich ohne zeitliche Einschränkungen. Denn der Bruch einer zugesagten lebenslangen Vertraulichkeit gegenüber Informanten wäre generell geeignet, die Aufgabenwahrnehmung des Bundesnachrichtendienstes zu beeinträchtigen, indem die künftige Anwerbung von Informanten erschwert würde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. November 2016 - 6 A 1.15 - Rn. 22; ebenso BVerwG, Beschluss vom 19. April 2010 - 20 F 13.09 - BVerwGE, 136, 345 Rn. 17 zu § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO ). Aber auch in Bezug auf bereits verstorbene Informanten kann grundsätzlich ein Geheimhaltungsbedürfnis bestehen, das einen Ausschluss der Aktennutzung nach § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BArchG rechtfertigen kann (BVerwG, Beschluss vom 17. November 2016 - 6 A 1.15 - Rn. 22; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2017 - 2 BvE 1/15 [ECLI: DE: BVerfG: 2017: es20170613.2bve000115] - BVerfGE 146, 1 Rn. 123).

Dazu muss die betreffende Person tatsächlich zur Informationsgewinnung eingesetzt worden sein. Bei verstorbenen Informanten im Zusammenhang mit lange zurückliegenden, abgeschlossenen Vorgängen - wie hier der sog. "Spiegel-Affäre" im Jahr 1962 - muss ferner die Prognose getroffen werden, ob die Offenlegung zu einer aktuellen Beeinträchtigung der Aufgabenerfüllung des Bundesnachrichtendienstes führt (BVerwG, Beschluss vom 28. Februar 2018 - 6 A 3.18 [ECLI: DE: BVerwG: 2018: 280218B6A3.18.0] - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 73 Rn. 4). Denn Quellenschutz ist kein Selbstzweck, sondern rechtfertigt sich nur im Hinblick auf die Sicherung der gegenwärtigen und zukünftigen Arbeitsfähigkeit und Aufgabenerfüllung der Nachrichtendienste (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 2016 - 20 F 10.15 [ECLI: DE: BVerwG: 2016: 201216B20F10.15.0] - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 70 Rn. 23). Dabei genießt die Einhaltung von Vertraulichkeitszusagen als Voraussetzung für die Nutzung aktiver und die Gewinnung neuer Informationsquellen hohes Gewicht. Denn zur Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit von Nachrichtendiensten kann bereits der (subjektive) Eindruck ausreichen, die Vertraulichkeit sei nicht gesichert (BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2019 - 6 A 1.17 [ECLI: DE: BVerwG: 2019: 300119U6A1.17.0] - BVerwGE 164, 269 Rn. 51). Allerdings kann die Verweigerung der Aktenvorlage nicht schematisch auf eine - ausdrückliche oder konkludente - Vertraulichkeitszusage auch über den Tod hinaus gestützt werden. Vielmehr bedarf es auch insoweit jeweils einer Einzelfallprüfung (BVerwG, Beschluss vom 12. September 2017 - 6 A 1.15 - Buchholz 421.9 BArchG Nr. 1 Rn. 12 ff. mit Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2017 - 2 BvE 1/15 - BVerfGE 146, 1 Rn. 112 ff. zum parlamentarischen Informationsanspruch gegenüber der Regierung).

Ob die Berufung auf Quellenschutz zur Begründung der Staatswohlgefährdung berechtigt ist, lässt sich danach insbesondere bei lange zurückliegenden Vorgängen nicht losgelöst von den Umständen des Einzelfalles beantworten. Auch wenn sich dabei der Zeitablauf nicht allein als ausschlaggebend erweist, ist er doch ein bedeutsamer Faktor (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2017 - 2 BvE 1/15 - BVerfGE 146, 1 Rn. 124). Deshalb ist es im Einzelfall begründungsbedürftig und bedarf der Feststellung, dass auch in Ansehung der verstrichenen Zeit nach Abschluss des operativen Vorgangs eine Nennung verstorbener Informanten die Erfüllung nachrichtendienstlicher Aufgaben noch ernstlich gefährden oder erheblich erschweren würde (BVerwG, Beschluss vom 17. November 2016 - 6 A 1.15 - Rn. 24). Als Grundlage dafür müssen Anhaltspunkte für konkret befürchtete Nachteile, soweit nach den Umständen und unter Wahrung des in Anspruch genommenen Geheimhaltungsinteresses möglich, vorliegen, aus denen sich ergibt, dass die Bekanntgabe des Inhalts der persönlichen Daten unter Berücksichtigung des Umfelds, in dem der Informant eingesetzt war, auch heute noch zu einer Erschwerung der Aufgabenerfüllung führt (BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2019 - 6 A 1.17 - BVerwGE 164, 269 Rn. 52). Die bloße Geltendmachung von Quellenschutz reicht als Versagungsgrund jedenfalls dann nicht aus, wenn es sich um verstorbene Informanten handelt, die bei lange zurückliegenden, abgeschlossenen Vorgängen eingesetzt worden sind, sodass eine aktuelle Beeinträchtigung der Aufgabenerfüllung der Behörde nicht gleichsam von selbst auf der Hand liegt (BVerwG, Beschluss vom 21. September 2016 - 6 A 10.14 [ECLI: DE: BVerwG: 2016: 210916B6A10.14.0] - Rn. 16).

2. Nach Auffassung des 6. Senats ist eine einheitliche Auslegung der Gefährdung des Wohls der Bundesrepublik Deutschland und der Nachteilsbereitung für das Wohl des Bundes beim postmortalen nachrichtendienstlichen Quellenschutz geboten. Demzufolge stellt § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO dieselben Anforderungen an den postmortalen nachrichtendienstlichen Quellenschutz wie § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BArchG, hat aber jedenfalls keine strengeren Voraussetzungen. Beide Vorschriften bezwecken den Schutz des Staatswohls. Zwar deutet die Formulierung "Grund zu der Annahme besteht" in § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BArchG für die Tatsachenfeststellung auf ein abgesenktes Beweismaß, aber die materielle Schwelle der Staatswohlgefährdung in § 13 Abs. 1 Satz 1 BArchG und der Nachteilsbereitung in § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist dieselbe. Wortlaut und Gesetzesmaterialien lassen kein unterschiedliches Schutzniveau erkennen (2.1). Vielmehr gebieten die Funktion des In-camera-Verfahrens (2.2) und die bisherige Rechtsprechung zu Auskunfts- und archivrechtlichen Nutzungsansprüchen einen einheitlichen Maßstab für beide Vorschriften (2.3).

2.1 Die Gesetzesmaterialien deuten auf eine Maßstabskongruenz:

2.1.1 Der archivrechtliche Verweigerungsgrund des § 5 Abs. 6 Nr. 1 BArchG a.F., dem die Neufassung des § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BArchG entspricht (BR-Drs. 234/16 S. 64), soll dem Wohl der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Länder dienen, insbesondere dem Schutz öffentlicher Sicherheitsinteressen und den Belangen Dritter in Fällen, in denen die archivrechtlichen Schutzfristen aus unterschiedlichen Gründen ausnahmsweise nicht ausreichen (BT Drs. 11/498 S. 12).

2.1.2 Der Prozessgesetzgeber hat die behördliche Verweigerung der Aktenvorlage im Entwurf der Verwaltungsgerichtsordnung davon abhängig gemacht, dass "das Bekanntwerden des Inhalts dieser Urkunden oder Akten und dieser Auskünfte dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes nachteilig sein würde ..." (BT-Drs. 3/55 S. 14 zu § 100 des Regierungsentwurfs). Der Rechtsausschuss des Bundestags ist bei der endgültigen Formulierung ("... Nachteile bereiten ...") davon ausgegangen, dass die gesetzlich vorgesehenen Weigerungsgründe eng auszulegen seien und z.B. fiskalische Bedenken oder prozessuale Nachteile nicht entscheidend sein dürften (BT-Drs. 3/1094 S. 10, 48). Bei der Neufassung des § 99 VwGO durch Gesetz vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3987 ), mit der als Reaktion auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 27. Oktober 1999 - 1 BvR 385/90 [ECLI: DE: BVerfG: 1999: rs19991027.1bvr038590] - BVerfGE 101, 106 ) das In-camera-Verfahren eingeführt wurde, sind Schutzgut und -maßstab unverändert geblieben. Die Bundesregierung hat eine nähere Definition des Staatswohls nicht für erforderlich erachtet (BT-Drs. 14/6393 S. 10):

Eine Ergänzung von § 99 Abs. 1 VwGO mit dem Ziel, den Begriff "Wohl des Bundes oder eines Landes" näher zu definieren und den Prüfungsumfang der Gerichte zu konkretisieren, war im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Oktober 1999 nicht geboten. Dass ein Nachteil für das Wohl des Bundes oder eines Landes insbesondere dann gegeben ist, wenn eine konkrete Gefährdung der inneren oder der äußeren Sicherheit des Bundes oder eines Landes, der Beziehungen zu anderen Staaten, zu internationalen Organisationen oder eine massive Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch das Bekannt werden von Einzelheiten aus den Akten eintreten kann, entspricht herrschender Meinung und bedarf deshalb keiner besonderen Erwähnung, zumal damit nur ein Teilbereich des Begriffs "Wohl des Bundes oder eines Landes" gesetzlich festgelegt würde. Ebenso bedarf es keiner ausdrücklichen Klarstellung, dass die Würdigung eines möglichen Schadens für die Pflege der Beziehungen zu anderen Staaten und zu internationalen Organisationen zunächst Aufgabe des hierfür besonders sachkundigen und sachnahen Auswärtigen Amts ist. Das Ergebnis dieser Würdigung ist ihrer Natur nach von den Gerichten nicht ohne entgegenstehende greifbare Anhaltspunkte in Zweifel zu ziehen.

Der Stellungnahme des Bundestags-Rechtsausschusses zum Entwurf der Neufassung des § 99 VwGO lässt sich entnehmen, dass zu den Angelegenheiten, in denen eine Oberste Bundesbehörde die Auskunft oder Einsichtnahme verweigert habe, weil sie befürchte, das Bekanntwerden des Inhalts der Akten etc. würde dem Wohl des Bundes Nachteile bereiten, insbesondere die Fälle zählten, in denen es um Auskünfte aus dem Bereich des Bundesnachrichtendienstes, des Bundesamts für Verfassungsschutz und des Militärischen Abschirmdienstes gehe (BT-Drs. 14/7474 S. 15).

2.2 Die Funktion des In-camera-Verfahrens legt einen Gleichlauf der Maßstäbe bei der Handhabung der Verweigerungsgründe im Verhältnis von Fach- und Prozessrecht nahe. Denn dieses Zwischenverfahren ist kein Selbstzweck, sondern hat dem Prozess in der Hauptsache und der dort anstehenden gerichtlichen Entscheidung zu dienen. Dabei genießt der gerichtliche Kontrollauftrag des Gerichts der Hauptsache hohes verfassungsrechtliches Gewicht. Soweit die Effektivität des Rechtsschutzes von der Offenlegung von Verwaltungsvorgängen abhängt, die zu der angegriffenen Ablehnungsentscheidung der Behörde geführt haben, wird auch die Kenntnisnahme der Akten durch das Gericht von dem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG umschlossen (BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1999 - 1 BvR 385/90 - BVerfGE 101, 106 <123>). Die Zwischenentscheidung des Fachsenats nach § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO balanciert für die gerichtliche Prüfung im Hauptsacheverfahren die widerstreitenden Interessen des effektiven Rechtsschutzes einerseits und legitimer Geheimhaltungsbelange des Staates oder Dritter andererseits aus. Sie bestimmt im konkreten Fall, inwieweit die durch Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährleistete Kontrollfunktion des Gerichts der Hauptsache eingeschränkt wird, weil dieses für eine wirksame Überprüfung auf die ungeschwärzten Akten angewiesen ist (BVerfG a.a.O. S. 125).

Die dem Hauptsacheverfahren dienende Funktion des Zwischenverfahrens nach § 99 Abs. 2 VwGO spricht aus systematischen und teleologischen Gründen bei Auskunfts- und archivrechtlichen Nutzungsklagen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass die von der Behörde für die Antragsablehnung und Klageabweisung vorgebrachten Gründe zugleich auch die Verweigerung der Aktenvorlage gegenüber dem Gericht als Beweismittel im Prozess stützen sollen, für ein akzessorisches Verhältnis von Fach- und Prozessrecht und gegen die Annahme autonomer Maßstäbe in § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO (anders BVerwG, Beschlüsse vom 7. April 2020 - 20 F 2.19 [ECLI: DE: BVerwG: 2020: 070420B20F2.19.0] - Rn. 31 und vom 5. Februar 2009 - 20 F 24.08 - Rn. 8; vgl. aber BVerwG, Beschluss vom 9. Januar 2007 - 20 F 1.06 - BVerwGE 127, 282 Rn. 10 f. - Einwirken des unionsrechtlich geprägten Fachrechts auf § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO ). So ließen sich die für die Hauptsacheentscheidung jeweils maßgeblichen fachgesetzlichen Vorgaben - hier des § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BArchG - über die offene Verweisung in § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO "... oder wenn die Vorgänge nach einem Gesetz ... geheim gehalten werden müssen ..." für das In-camera-Verfahren fruchtbar machen. Dann würden die letztendlich für die Hauptsacheentscheidung relevanten Maßstäbe auch das Zwischenverfahren steuern; das entspräche dem dienenden Charakter des In-camera-Verfahrens. Ein Rückgriff auf die äußerst abstrakt formulierten Weigerungsgründe des § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO (so BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1999 - 1 BvR 385/90 - BVerfGE 101, 106 <128>) wäre dann nur notwendig, wenn das Fachrecht keine eigenen Versagungsgründe enthielte. Diese grundsätzliche Koppelung materiellrechtlicher und prozessrechtlicher Verweigerungsmaßstäbe würde die Friktionen abmildern, die in der Praxis durch das vom Gesetzgeber mit § 99 Abs. 2 VwGO gewählte Modell des selbständigen In-camera-Verfahrens unter Einschaltung eines gesonderten Spruchkörpers an den Schnittstellen auftreten. Aber selbst wenn man dieser Lesart des § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 VwGO als dynamischer Verweisung des Prozessgesetzgebers auf die materiellen Maßstäbe des für den jeweiligen Hauptsacheprozess maßgeblichen Fachrechts nicht folgen will, sind die Maßstäbe normativ miteinander gekoppelt. Es sind keine tragfähigen Gründe dafür ersichtlich, von einem unterschiedlichen Verständnis des Staatswohls in § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BArchG und § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO auszugehen.

2.3 Es fehlt jede Rechtfertigung dafür, die Reichweite des postmortalen nachrichtendienstlichen Quellenschutzes im Anwendungsbereich der genannten Vorschriften auseinanderlaufen zu lassen. Dementsprechend ist auch die bisherige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Grundsatz davon ausgegangen, dass sich der hier maßgebliche archivrechtliche Versagungsgrund in der Sache nicht von den Gründen unterscheidet, die eine Sperrerklärung rechtfertigen können. Der 7. Senat hat dazu ausgeführt, § 5 Abs. 6 Nr. 1 BArchG a.F. greife - wie auch die anderen Versagungsgründe - nicht weiter als das Nachteilbereiten für das Wohl des Bundes im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO . Damit stimme das Prüfprogramm für die prozessuale Entscheidung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO mit den fachgesetzlichen Vorgaben des Bundesarchivgesetzes faktisch überein (BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2013 - 7 A 15.10 [ECLI: DE: BVerwG: 2013: 270613U7A15.10.0] - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 78 Rn. 24 mit Hinweis auf BVerwG, Beschlüsse vom 19. April 2010 - 20 F 13.09 - BVerwGE 136, 345 Rn. 24 und vom 21. Februar 2008 - 20 F 2.07 - BVerwGE 130, 236 Rn. 19).

Über diesen tatsächlichen Gleichlauf hinaus sind symmetrische Maßstäbe im Fach- und Prozessrecht bei der Anwendung von dem Staatswohl dienenden Verweigerungsgründen gerade in Fallkonstellationen wie der hier vorliegenden geboten, in denen ein Auskunfts-, Informations- oder ein archivrechtliches Nutzungsbegehren den Streitgegenstand der Hauptsache bildet. Geht es im Hauptsacheverfahren um die Vorlage ungeschwärzter Unterlagen, kann das Gericht die Rechtmäßigkeit der auf § 13 BArchG beruhenden Weigerung grundsätzlich nicht ohne Kenntnis des Inhalts der Akten beurteilen. Es hat im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO ) zur Prüfung der Rechtmäßigkeit der streitbefangenen Behördenentscheidung die für entscheidungserheblich erachteten ungeschwärzten Unterlagen als Beweismittel anzufordern und, falls die Vorlage unter Verweis auf § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO verweigert wird, auf Antrag eines Beteiligten ein In-camera-Verfahren einzuleiten. Gelangt der im Zwischenverfahren zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Sperrerklärung berufene Fachsenat in Kenntnis des Inhalts der Unterlagen zu der Einschätzung, dass die mit der Sperrerklärung geltend gemachten Geheimhaltungsgründe nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO vorliegen, ist dem Ergebnis des Zwischenverfahrens nach § 99 Abs. 2 VwGO präjudizielle Wirkung beizumessen, wenn die fachgesetzlichen Versagungsgründe mit den Geheimhaltungsgründen nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO inhaltlich übereinstimmen. Im Verhältnis zum Archivrecht sind der vorlegende Senat und der 7. Senat von einem solchen Gleichklang ausgegangen. Deshalb entsprach es der bisherigen Judikatur, dass die Entscheidung des Fachsenats für das Gericht der Hauptsache den Schluss rechtfertigt, damit lägen auch die archivrechtlichen Versagungsgründe vor (BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2013 - 7 A 15.10 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 78 Rn. 24). In Auskunfts-, Informations- oder archivrechtlichen Nutzungsstreitigkeiten, in denen dieselben Gründe des Staatswohls sowohl der behördlichen Antragsablehnung als auch der Verweigerung der Aktenvorlage im Prozess zugrunde liegen, erscheint eine Synchronisierung der materiellrechtlichen und prozessrechtlichen Maßstäbe geboten, damit keine Rechtsschutzlücken auftreten, die mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht zu rechtfertigen sind.

Eine mit dem Beschluss des Fachsenats verbundene präjudizielle Wirkung hat der 6. Senat nur in einem Einzelfall verneint, in dem der Fachsenat bei der Anwendung von § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO einen materiellrechtlichen Maßstab zugrunde gelegt hatte, der mit der fachgesetzlichen Vorschrift gerade nicht inhaltsgleich war (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2019 - 6 A 1.17 - BVerwGE 164, 269 Rn. 54 unter Bezug auf den Beschluss des Fachsenats vom 20. Dezember 2016 - 20 F 10.15 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 70 Rn. 24, der der Schutzwürdigkeit nachrichtendienstlicher Belange nach dem Tod des Informanten eine eigenständige Bedeutung noch gänzlich abgesprochen hatte). Von diesem Ausnahmefall abgesehen ist die Maßstabskongruenz aber rechtlich geboten, um der dienenden Funktion des In-camera-Verfahrens mit Blick auf die Hauptsacheentscheidung gerecht werden zu können. Da keine sachlichen Gründe für ein autonomes Verständnis des Staatswohls in § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO erkennbar sind, wäre ein Auseinanderfallen der Maßstäbe mit Blick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht zu rechtfertigen.

3. Nach dem Verständnis des 6. Senats ist auch der Fachsenat in seiner bisherigen Rechtsprechung zu § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO - in dem Bemühen der beteiligten Spruchkörper um Maßstabskongruenz - von den oben (zu 1.) geschilderten Grundsätzen ausgegangen.

Erstmals mit dem Beschluss vom 24. Oktober 2018 (20 F 15.16 - BVerwGE 163, 271 Leitsatz 2 und Rn. 26 ff.; ferner: Beschlüsse vom 8. Februar 2019 - 20 F 2.17 [ECLI: DE: BVerwG: 2019: 080219B20F2.17.0] - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 76; vom 18. September 2019 - 20 F 4.18 [ECLI: DE: BVerwG: 2019: 180919B20F4.18.0] -; vom 20. September 2019 - 20 F 12.17 -; vom 22. November 2019 - 20 F 14.17 [ECLI: DE: BVerwG: 2019: 221119B20F14.17.0] - und vom 3. Januar 2020 - 20 F 13.17 [ECLI: DE: BVerwG: 2020: 030120B20F13.17.0] -) hat der Fachsenat - unter expliziter Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung - den Quellenschutz im öffentlichen Interesse zur Sicherung nachrichtendienstlicher Aufgabenerfüllung mit Blick auf das notwendige Vertrauen in die Verlässlichkeit von Vertraulichkeitszusagen erweitert: Danach rechtfertigt selbst eine stillschweigend vorausgesetzte Vertraulichkeit grundsätzlich den Schutz von Informanten über deren Tod hinaus. Von diesem radikalen Neuansatz ausgehend hat der Fachsenat eine Regelvermutung für postmortalen Quellenschutz von etwa 30 Jahren nach dem (mutmaßlichen) Tod des Informanten aufgestellt. Selbst dann, wenn weder die Enttarnung aktiver Informanten drohe noch der Erfolg eines konkret laufenden Vorganges durch die Offenlegung von Informantendaten gefährdet sei, lasse der Tod eines Informanten das Interesse an der Geheimhaltung von dessen persönlichen Daten aus Gründen des Staatswohls grundsätzlich nicht entfallen. Denn das Vertrauen aktiver Informanten in die allgemeine Verlässlichkeit von Vertraulichkeitszusagen könne auch dadurch erschüttert werden, dass unmittelbar nach dem Tode eines Informanten ohne Vorliegen besonderer Umstände dessen Identität preisgegeben würde.

Für eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Nachrichtendienste kommt es nach der neueren Rechtsprechung des Fachsenats zum einen darauf an, ob sich ein durchschnittlicher Informant bei seiner Entscheidung für eine Zusammenarbeit mit einem Nachrichtendienst durch eine Information der Öffentlichkeit über die frühere Zusammenarbeit von Nachrichtendiensten mit einzelnen Personen beeinflussen lasse. Es sei nicht plausibel, dass die Veröffentlichung der Informantentätigkeit etwa von NS-Tätern oder Personen, die selbst schwere, insbesondere terroristische Straftaten begangen hätten, auf diese Entscheidungen Einfluss haben könne (BVerwG, Beschluss vom 20. September 2019 - 20 F 12.17 - Rn. 28). Zum anderen sei das Erfordernis der Verlässlichkeit von Vertraulichkeitszusagen über den Tod hinaus auch im Hinblick auf den Zeitablauf seit dem Tod des Informanten differenziert zu prüfen, da nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden könne, dass die Bereitschaft aktueller oder potenzieller Informanten zur Zusammenarbeit mit den Behörden entscheidend davon abhänge, ob die Vertraulichkeit auch Jahrzehnte nach ihrem Ableben noch gesichert erscheine (BVerwG, Beschluss vom 20. September 2019 - 20 F 12.17 - Rn. 29).

Liege der Tod einer nachrichtendienstlichen Verbindung bereits mehrere Jahrzehnte zurück, müsse die Sperrerklärung erkennen lassen, dass die Behörde differenziert nach dem Umfeld, in dem der konkrete Informant tätig gewesen sei, geprüft habe, ob Auswirkungen auf die Bereitschaft anderer Personen dieses Umfeldes zur Aufnahme oder Fortführung einer Informantentätigkeit nicht nur theoretisch möglich, sondern mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ernsthaft zu befürchten seien. Der Fachsenat erachtet es dabei als nachvollziehbar, dass aus diesen Gründen auf Vertraulichkeit für einen etwa eine Generation, also ca. 30 Jahre, umfassenden Zeitraum nach dem Tod Wert gelegt wird. Zur Begründung stellt er darauf ab, dass in diesem Zeitraum die Erinnerung an einen Verstorbenen typischerweise in dessen Umfeld noch präsent und lebendig sei. Sei dagegen so viel Zeit nach dem Abschluss des Vorganges und dem Tod eines Informanten verstrichen, dass in aller Regel niemand mehr lebe, der noch eine aus dem unmittelbaren Kontakt gewonnene persönliche Erinnerung an oder emotionale Nähe zu dem Informanten habe, sei bereits der reine Zeitablauf grundsätzlich ein ausreichender Grund für das Entfallen von Geheimhaltungsgründen. Denn es sei nicht nachvollziehbar, dass die Verlässlichkeit einer Vertraulichkeitszusage auch noch nach so großem Zeitablauf potenzielle Informanten in ihrer Entscheidung für diese Tätigkeit beeinflussen könne (BVerwG, Beschluss vom 20. September 2019 - 20 F 12.17 - Rn. 29).

4. Der 6. Senat vermag sich der neuen Rechtsprechung des Fachsenats zum postmortalen Quellenschutz im Hinblick auf den archivrechtlichen Versagungsgrund der Gefährdung des Wohls der Bundesrepublik Deutschland in § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BArchG nicht anzuschließen. Denn es ist kein Bedarf für eine temporale Regelvermutung ersichtlich (4.1). Zudem erscheint die Typusbildung des "durchschnittlichen Informanten" wirklichkeitsfremd und nicht problemangemessen; die vom Fachsenat konstruierte Ableitung des 30-Jahres-Zeitraums vermengt grundrechtlich und objektivrechtlich gespeiste Kriterien miteinander (4.2). Schließlich lässt das Prüfprogramm des Fachsenats keinen Raum für eine konkrete rechtliche Bewertung, ob Quellenschutz in dem jeweils zu entscheidenden Einzelfall anhand der kollidierenden Interessen berechtigt ist (4.3).

4.1 Für eine dreißigjährige Regelvermutung legitimen Quellenschutzes nach dem Tod des Informanten besteht methodisch kein Bedarf. Der Fachsenat hat auf der Grundlage der ihm vorliegenden ungeschwärzten Akten den vollen Zugriff für eine eigene tatrichterliche Feststellung und Würdigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles. Für die prognostische Beurteilung, ob das Bekanntwerden der Informationen oder des Inhalts der Akten dem Wohl des Bundes Nachteile bereiten würde, liegt ihm damit eine ausreichende tatsächliche Entscheidungsgrundlage vor. Es leuchtet nicht ein, dass die dem Fachsenat obliegende Bewertung, ob das Bekanntwerden der ungeschwärzten Akten dem Wohl des Bundes in der Ausprägung der Wahrung notwendigen Quellenschutzes Nachteile bereiten würde, den Rückgriff auf eine temporale Regelvermutung notwendig macht. Die Konkretisierung der vom Gesetzgeber äußerst abstrakt formulierten Weigerungsgründe ist differenzierend nach Fallgruppen - hier: Quellenschutz - möglich. Innerhalb dieser Fallgruppe erweist sich hinsichtlich des postmortalen Informantenschutzes auch nach Auffassung des Fachsenats der Zeitablauf als ein bedeutsamer, wenn auch nicht allein ausschlaggebender Faktor. Aus welchen Gründen das mit der Zeit abnehmende Gewicht legitimen Quellenschutzes nicht anhand der Umstände des jeweiligen Einzelfalles beurteilt werden kann, sondern ein Bedürfnis für eine abstrahierende Regelvermutung besteht, ist nicht erkennbar.

Wenn der Fachsenat in seinem Beschluss vom 4. November 2020 - 20 AV 1.20 - seine neue Vorgehensweise nunmehr als im Wege typisierender Rechtsfortbildung (a.a.O. Rn. 19) entwickeltes "Modell einer strukturierten und typisierenden Einzelfallprüfung" (a.a.O. Rn. 22) charakterisiert, vermag der 6. Senat dieser Einordnung nicht zu folgen. Vielmehr trifft der Fachsenat bei seinen Entscheidungen mit Blick auf den Quellenschutz bereits verstorbener Informanten eine regelhafte Gewichtung der abstrakten Interessen ohne Raum für eine konkrete Schutzwürdigkeitsbeurteilung im jeweiligen Einzelfall (a.a.O. Rn. 19 a.E., 21 a.E., 29). Die dafür u.a. angeführten Gründe der Rechtssicherheit, Belastungsklarheit, Vorhersehbarkeit (a.a.O. Rn. 24) sowie der Verwaltungspraktikabilität (a.a.O. Rn. 26 f.) vermögen diese Methodik nach Auffassung des 6. Senats vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Gebots der Gewährung effektiven Rechtsschutzes nicht zu rechtfertigen. Gleiches gilt für die Erwägungen des Fachsenats, die Einlösung des gegebenen Wortes habe unter dem Aspekt des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes einen eigenen Stellenwert und von der verlässlichen Erfüllung solcher Versprechen hänge die Glaubwürdigkeit eines Nachrichtendienstes ab (a.a.O. Rn. 28 ff.).

4.2 Die Bildung des Typus eines "durchschnittlichen Informanten", der seine Entscheidung für die Zusammenarbeit mit einem Nachrichtendienst grundsätzlich von der Einhaltung von Vertraulichkeit für eine Frist von ca. 30 Jahren nach seinem Tod abhängig macht, gleichzeitig aber eine Ausnahme für den Fall von NS-Tätern oder schweren, insbesondere terroristischen Straftätern akzeptiert (BVerwG, Beschlüsse vom 24. Oktober 2018 - 20 F 15.16 - BVerwGE 163, 271 Rn. 29 ff. und vom 20. September 2019 - 20 F 12.17 - Rn. 28 f.), erscheint wirklichkeitsfremd, weder in sich konsistent noch problemangemessen.

Die Begründung des Fachsenats setzt an dem personellen Umfeld des jeweiligen verstorbenen Informanten an und fokussiert auf diesen Personenkreis. Sie stellt auf die ernsthafte Befürchtung ab, ob wegen der Preisgabe der Identität des Verstorbenen als nachrichtendienstlicher Quelle bei diesen Personen Auswirkungen auf deren Bereitschaft zur Aufnahme oder Fortführung einer Informantentätigkeit mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ernsthaft zu befürchten seien. Im Hinblick auf das persönliche Umfeld des jeweils verstorbenen Informanten leitet der Fachsenat anhand der Kriterien der präsenten und lebendigen Erinnerung an den Verstorbenen sowie der aus unmittelbarem Kontakt gewonnenen persönlichen Erinnerung und emotionalen Nähe ab, dass in diesem Personenkreis auf Vertraulichkeit für einen etwa eine Generation, also einen ca. 30 Jahre umfassenden Zeitraum nach dem Tod des Informanten Wert gelegt werde (BVerwG, Beschlüsse vom 24. Oktober 2018 - 20 F 15.16 - BVerwGE 163, 271 Rn. 33 f. und vom 20. September 2019 - 20 F 12.17 - Rn. 29).

Diese Annahme des Fachsenats entbehrt einer empirischen Grundlage. Zudem vermag der vorlegende Senat nicht nachzuvollziehen, aus welchen Gründen den Erwartungen des Umfelds eines verstorbenen Informanten eine so weitreichende maßstabsbildende Bedeutung für die Möglichkeit der Gewinnung anderer Informanten zugemessen wird. Denn das jeweilige persönliche Umfeld eines verstorbenen Informanten taugt nicht als repräsentative Basis für die Ableitung einer generellen Regelvermutung in Bezug auf die Bereitschaft aktueller oder potentieller Informanten zur Zusammenarbeit mit einem Nachrichtendienst, so dass diese Regelvermutung einer tragfähigen tatsächlichen Grundlage entbehrt.

Ferner passen die gewählten Kriterien persönlicher Erinnerung und emotionaler Nähe zu dem verstorbenen Informanten nicht zu einem aus dem öffentlichen Interesse abgeleiteten postmortalen Quellenschutz. Sie entspringen dem aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht als Individualrecht gespeisten, in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG wurzelnden Quellenschutz, den auch der Fachsenat nach dem Tod des Informanten zutreffend ablehnt (BVerwG, Beschlüsse vom 24. Oktober 2018 - 20 F 15.16 - BVerwGE 163, 271 Rn. 20 ff. und vom 20. September 2019 - 20 F 12.17 - Rn. 22). Die anhand dieser Kriterien entwickelte 30-Jahres-Frist ist damit für den postmortalen Quellenschutz im öffentlichen Interesse nicht zu rechtfertigen. Sie lässt sich auch nicht auf Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in seiner Entscheidung vom 13. Juni 2017 zum Auskunftsanspruch im Verhältnis Parlament - Regierung stützen (BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2017 - 2 BvE 1/15 - BVerfGE 146, 1 Rn. 134 f.):

134 ... Zum anderen läge eine etwaige V-Mann-Tätigkeit Lembkes bereits so lange zurück, dass sich keine konkreten Rückschlüsse auf die heutige Vorgehensweise der Behörden ziehen lassen dürften. Dies gilt auch, soweit die Antragsgegnerin vorträgt, eine Antwort müsse wegen drohender Konsequenzen für die Arbeit der betreffenden Landesbehörden unterbleiben. Auch insoweit hat die Antragsgegnerin nicht dargetan, welche negativen Auswirkungen auf die Arbeit der Landesbehörden sie vor dem Hintergrund des erheblichen Zeitablaufs von über 30 Jahren befürchtet.

135 Zudem ist nicht hinreichend dargelegt, warum die ausnahmsweise Nichteinhaltung der gegebenen Vertraulichkeitszusage gegenüber Lembke Rückwirkungen auf die Funktionsfähigkeit der Nachrichtendienste haben könnte. Angesichts der besonderen Umstände des vorliegenden Falles, nämlich der durch Lembke mutmaßlich begangenen erheblichen Straftaten und seines Todes vor über 30 Jahren, hätte es konkreter Ausführungen bedurft, warum sich aktuelle oder potentielle V-Leute hiervon bei ihrer Entscheidung, als V-Person tätig zu werden, maßgeblich beeinflussen lassen könnten. Es kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die Bereitschaft aktueller oder potentieller V-Leute zur Zusammenarbeit mit den Behörden entscheidend davon abhängt, ob die Vertraulichkeit auch Jahrzehnte nach ihrem Ableben noch gesichert erscheint. Dies gilt umso mehr, als die Vertraulichkeit grundsätzlich auch nach einem derart langen Zeitablauf gewahrt und nur ausnahmsweise bei Vorliegen gewichtiger Gründe aufgehoben werden kann, die das Geheimhaltungsinteresse im Einzelfall überwiegen.

Aus diesen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts, die sich auf den zu entscheidenden Einzelfall und dessen Besonderheiten beziehen, lässt sich keine - insbesondere auf das jeweilige persönliche Umfeld gestützte - generelle Regelvermutung eines objektivrechtlichen postmortalen nachrichtendienstlichen Quellenschutzes für einen Zeitraum von 30 Jahren ableiten.

Des Weiteren erscheint die vom Fachsenat postulierte Ausnahme in Bezug auf NS-Täter oder Schwerkriminelle, insbesondere terroristische Straftäter, nicht konsistent. Die Annahme, potentielle Informanten ließen sich bei ihrer Entscheidung zur Zusammenarbeit mit einem Nachrichtendienst von der Veröffentlichung solcher Personen als nachrichtendienstlicher Quellen nicht beeindrucken, sondern zeigten dafür Verständnis, ist alles andere als plausibel (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2019 - 6 A 1.17 - BVerwGE 164, 269 Rn. 57). Wenn der Fachsenat nunmehr anführt, diese Ausnahmen belegten gerade die getroffene Abwägung mit gegenläufigen Belangen im Einzelfall (BVerwG, Beschluss vom 4. November 2020 - 20 AV 1.20 - Rn. 33), vermag das methodisch nicht zu überzeugen. Denn wiederum werden individuelle subjektive Elemente (Schutzwürdigkeit des Vertrauens auf zugesagte Geheimhaltung, Vertrauensbruch) im Kontext des objektivrechtlich gebotenen postmortalen Informantenschutzes herangezogen.

4.3 Schließlich lässt die 30-Jahres-Vermutung keinen Raum für die normative Frage nach der Berechtigung des von der Behörde geforderten Quellenschutzes. Da der Gesetzgeber im Bundesarchivgesetz de lege lata - anders als in § 3 Nr. 8 IFG - keine Bereichsausnahme zu Gunsten des Bundesnachrichtendienstes vorgesehen hat, ist diese Bewertung anhand einer Abwägung der im jeweiligen Einzelfall kollidierenden Interessen vorzunehmen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass hinter archivrechtlichen Nutzungsansprüchen unterschiedlich hoch zu gewichtende, im Einzelfall auch grundrechtlich fundierte Interessen (z.B. Art. 5 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG ) stehen können. Ihnen gegenüber erscheint die Berufung der Behörde auf postmortalen Quellenschutz nicht in jedem Fall gerechtfertigt; zur Herstellung praktischer Konkordanz zwischen den kollidierenden Interessen bedarf es auch mit Blick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ) einer offenen, nicht durch eine Regelbeurteilung in Form eines 30-Jahres-Zeitraums vorgeprägten Abwägung im Einzelfall.

5. Folgt man der Annahme des vorlegenden Senats, die Maßstäbe des Staatswohls von § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BArchG und § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO seien kongruent (oben 2.), droht der 6. Senat von der neueren Rechtsprechung des Fachsenats abzuweichen, wenn er an seiner bisherigen Rechtsprechung festhält. Denn die neuere Rechtsprechungslinie des Fachsenats zum postmortalen Quellenschutz war für diesen im vorliegenden Fall entscheidungserheblich, da er sie in den Gründen seines Beschlusses vom 20. September 2019 - 20 F 12.17 - Rn. 23 ff. anführt und die Sperrerklärung daran überprüft hat (Rn. 30 - 37).

Damit erweist sie sich auch für das von dem vorlegenden Senat zu treffende Endurteil über den archivrechtlichen Nutzungsanspruch als entscheidungserheblich. Detailliertere Angaben zu den im Einzelnen betroffenen Dokumenten sind dem vorlegenden Senat nicht möglich, da der Fachsenat seine Entscheidung nach § 99 Abs. 2 Satz 10 Halbs. 2 VwGO insoweit nicht detailliert begründet hat. Der Sperrerklärung des Bundeskanzleramtes ist in Bezug auf den überwiegenden Teil derjenigen Dokumente, deren vollständige und ungeschwärzte Vorlage der Senat der Beklagten aufgegeben hat, zu entnehmen, dass die Geheimhaltung jeweils dem Schutz der Identität einer bereits verstorbenen oder vor mehr als 90 Jahren geborenen nachrichtendienstlichen Verbindung dienen soll. Die Beklagte hat sich insoweit jeweils darauf berufen, der Bundesnachrichtendienst habe die Zusammenarbeit mit der im Regelfall ausdrücklichen, jedenfalls konkludenten gegenseitigen Geschäftsgrundlage begründet, dass die Zusammenarbeit unbedingt und unbefristet geheim gehalten werde. Dieses Interesse an einer grundsätzlich unbefristeten Geheimhaltung der Informantentätigkeit ohne Rücksicht auf den zeitlichen Abstand oder sonstige Umstände des Einzelfalls hat der Fachsenat letztlich anerkannt.

Die Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage für das vom 6. Senat zu treffende Endurteil wird auch nicht dadurch infrage gestellt, dass das rechtskräftig abgeschlossene In-camera-Verfahren in dem hier vorliegenden Verwaltungsprozess nicht wiederaufgenommen werden kann (so im Ergebnis aber der Fachsenat im Beschluss vom 4. November 2020 - 20 AV 1.20 - Rn. 49, 53 und 57 f.). Es geht - anders als der Fachsenat im Beschluss vom 4. November 2020 - 20 AV 1.20 - Rn. 57 f. und 62 meint - nicht um eine Überprüfung und Korrektur der vom Fachsenat in seinem Beschluss vom 20. September 2019 - 20 F 12.17 - getroffenen Entscheidung, sondern um die Klärung einer generellen Maßstabsfrage zum Verständnis des Staatswohls als Geheimhaltungsgrund. Denn wenn man die bisherige Rechtsprechung dahin weiterentwickelt, das Wohl des Bundes sei bei dem materiellrechtlichen Versagungsgrund des Archivrechts (§ 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BArchG) und dem prozessrechtlichen Weigerungsrecht zur Aktenvorlage (§ 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO ) gleich auszulegen und beide Vorschriften führten deshalb beim postmortalen Informantenschutz zwingend auf kongruente Maßstäbe, droht der 6. Senat von der neueren Rechtsprechung des Fachsenats abzuweichen.

Der vorlegende Senat vermag seine Endentscheidung - anders als der Fachsenat in seinem Beschluss vom 4. November 2020 - 20 AV 1.20 - Rn. 59 meint - auch aufgrund der hier vertretenen Rechtsauffassung zu treffen, wenn diese vom Großen Senat bestätigt wird. Denn dann wäre es Sache der Beklagten, ihre Darlegungen zu dem archivrechtlichen Verweigerungsgrund des § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BArchG im Hinblick auf den dann vom Großen Senat vorgegebenen rechtlichen Maßstab des Staatswohls zu substantiieren. Vermag der 6. Senat nach Ausschöpfung aller Beweismittel in tatsächlicher Hinsicht vor diesem rechtlichen Maßstab weder in positiver noch in negativer Hinsicht die Überzeugungsgewissheit zu gewinnen, es bestehe Grund zu der Annahme, dass durch die Nutzung das Staatswohl gefährdet werde, hat er eine Beweislastentscheidung zu treffen.

Da der Fachsenat in seinem Beschluss vom 4. November 2020 - 20 AV 1.20 - bekundet hat, an seiner neueren Rechtsprechung festzuhalten, legt der 6. Senat die im Tenor bezeichnete Rechtsfrage dem Großen Senat nach § 11 Abs. 2 VwGO zur Entscheidung vor.

6. Geht der Große Senat davon aus, dass eine Abweichung im Sinne des § 11 Abs. 2 VwGO nur bei Anwendung ein und derselben Norm in Betracht kommt (BVerwG, Beschluss vom 14. September 2006 - 9 B 2.06 - Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 44 Rn. 14 zu § 12 i.V.m. § 11 Abs. 2 VwGO ), wird die aufgeworfene Rechtsfrage als Frage grundsätzlicher Bedeutung gestellt. Das ist nach Auffassung des vorlegenden Senats zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 11 Abs. 4 VwGO erforderlich.

Die von dem Fachsenat im Beschluss vom 4. November 2020 - 20 AV 1.20 - Rn. 35 ff. vorgebrachten Zweifel an der Statthaftigkeit einer Vorlage an den Großen Senat vermögen nicht zu überzeugen. Weder erweist sich die Vorschrift des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO als nicht revisibel (so aber der Fachsenat a.a.O. Rn. 41 a.E.) noch leuchtet ein, aus welchen Gründen die Charakterisierung des gerichtlichen Verfahrens nach § 99 VwGO als Zwischenverfahren vor einem speziell dafür geschaffenen Spruchkörper dem Bemühen um Rechtsprechungseinheit und Rechtsprechungskontinuität innerhalb des Bundesverwaltungsgerichts durch das dafür geschaffene Rechtsprechungsorgan des Großen Senats (vgl. Pietzner/Bier, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO , § 11 Rn. 9 f.) entgegenstehen sollte.