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BVerwG - Entscheidung vom 10.06.2020

1 C 35.19

Normen:
AsylG § 26a
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 3
AsylG § 29 Abs. 2
AsylG § 34 a
AsylG § 35
AsylG § 37 Abs. 1
AsylG § 77 Abs. 1 S. 1
AufenthG § 60 Abs. 1
AufenthG § 60a Abs. 2c
VwVfG § 28
VwVfG § 47
VwGO § 108
Richtlinie 2013/32/EU Art. 33
Richtlinie 2013/32/EU Art. 34
Richtlinie 2011/95/EU Art. 20 ff.
GRC Art. 4
AsylG § 26a
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2-3
AsylG § 29 Abs. 2
AsylG § 34a
AsylG § 35
AsylG § 37 Abs. 1
AsylG § 77 Abs. 1 S. 1
AufenthG § 60 Abs. 1
AufenthG § 60a Abs. 2c
VwVfG § 28
VwVfG § 47
VwGO § 108
RL 2013/32/EU Art. 33
RL 2013/32/EU Art. 34
RL 2011/95/EU Art. 20 ff.
GRC Art. 4
VwVfG § 28
VwVfG § 47
AsylG § 26a
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2-3
AsylG § 29 Abs. 2
AsylG § 34a
AsylG § 35
AsylG § 37 Abs. 1
AsylG § 77 Abs. 1 S. 1
GRCh Art. 4

BVerwG, Urteil vom 10.06.2020 - Aktenzeichen 1 C 35.19

DRsp Nr. 2020/11741

Abgrenzung zwischen Ablehnungen von Asylanträgen im Hinblick auf einen sicheren Drittstaat einerseits und solchen im Wege einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG ; Unzulässigkeit eines Asylantrags wegen Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Bulgarien; Umdeutung einer rechtswidrigen Drittstaatenentscheidung in eine Unzulässigkeitsentscheidung im gerichtlichen Verfahren; Anforderungen an die Vermutung systemischer Mängel des Asylsystems in Bulgarien

1. Sicherer Drittstaat im Sinne des § 29 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 26a AsylG kann bei der gebotenen unionsrechtskonformen Auslegung dieser Regelung nur ein Staat sein, der nicht Mitgliedstaat der Europäischen Union ist (wie BVerwG, Vorlagebeschluss vom 23. März 2017 - 1 C 17.16 - BVerwGE 158, 271 und Urteil vom 21. April 2020 - 1 C 4.19 -).2. Die Rechtmäßigkeit einer Unzulässigkeitsentscheidung wegen bereits erfolgter Gewährung internationalen Schutzes in einem anderen Mitgliedstaat setzt in unionsrechtskonformer Einschränkung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG voraus, dass den Antragsteller in dem Mitgliedstaat, der den Schutz gewährt hat, keine Lebensumstände erwarten, die einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRC gleichkommen (wie BVerwG, Urteil vom 21. April 2020 - 1 C 4.19 - im Anschluss an EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-297/17 u.a. [ECLI: EU: C: 2019: 219], Ibrahim u.a. - und Beschluss vom 13. November 2019 - C-540/17 u.a. [ECLI: EU: C: 2019: 964], Hamed u.a.).3. Systemische Mängel des Asylverfahrens im Mitgliedstaat der (Erst-)Anerkennung und der Umstand, dass die Lebensverhältnisse für anerkannte Schutzberechtigte dort nicht den Bestimmungen der Art. 20 ff. der (Anerkennungs-)Richtlinie 2011/95/EU gerecht werden, ohne dass dies zu einer Verletzung von Art. 4 GRC führt, stehen einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nicht entgegen (wie BVerwG, Urteil vom 20. Mai 2020 - 1 C 34.19 -).

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 4. November 2016 aufgehoben, soweit es Ziffer 1 des angegriffenen Bescheides vom 24. November 2014 betrifft.

Insoweit wird die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Normenkette:

VwVfG § 28 ; VwVfG § 47 ; AsylG § 26a; AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2 -3; AsylG § 29 Abs. 2 ; AsylG § 34a; AsylG § 35 ; AsylG § 37 Abs. 1 ; AsylG § 77 Abs. 1 S. 1; GRCh Art. 4;

Gründe

I

Der Kläger, ein 1978 geborener syrischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen die Feststellung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt), dass ihm aufgrund seiner Einreise aus einem sicheren Drittstaat kein Asylrecht zusteht.

Dem Kläger wurde im April 2014 in Bulgarien die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Mitte 2014 reiste er nach Deutschland weiter und stellte hier im Juli 2014 beim Bundesamt erneut einen Asylantrag. Ein Wiederaufnahmegesuch lehnte die bulgarische Flüchtlingsbehörde im Oktober 2014 unter Hinweis auf die dem Kläger in Bulgarien zuerkannte Flüchtlingseigenschaft ab. Mit Bescheid vom 24. November 2014 stellte das Bundesamt ohne inhaltliche Prüfung des Asylantrags fest, dass dem Kläger aufgrund seiner Einreise aus Bulgarien als einem sicheren Drittstaat kein Asylrecht zusteht (Ziffer 1), und ordnete dessen Abschiebung nach Bulgarien an (Ziffer 2).

Ein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hatte beim Verwaltungsgericht keinen Erfolg. Im Mai 2015 wurde der Kläger nach Bulgarien abgeschoben. Die gegen den Bescheid erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 21. Juli 2015 ab. Nach Wiedereinreise des Klägers ordnete der Verwaltungsgerichtshof Kassel mit Beschluss vom 10. März 2016 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung an und begründete dies u.a. mit Zugangsschwierigkeiten im Hinblick auf eine erforderliche medizinische Behandlung des Klägers in Bulgarien. Mit Urteil vom 4. November 2016 hob es den Bescheid der Beklagten vom 24. November 2014 auf. Zur Begründung wurde ausgeführt, bei unions- und menschenrechtskonformer Auslegung stünden § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG und die Unzulässigkeitsregelungen in § 29 Abs. 1 AsylG der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens im Bundesgebiet nicht entgegen, wenn im Mitgliedstaat der (Erst-)Anerkennung aufgrund systemischer Mängel im Asylsystem elementare Rechte der Schutzberechtigten nicht gewährleistet würden, die sich insbesondere aus Kapitel VII der (Anerkennungs-)Richtlinie 2011/95/EU ergäben. Könne ein Flüchtling nicht in den eigentlich zuständigen Mitgliedstaat zurückkehren, weil dort die Lebensbedingungen für Flüchtlinge gegen die Mindeststandards des gemeinsamen europäischen Asylsystems sowie von Art. 4 GRC verstießen, müsse ihm die erneute Durchführung eines Verfahrens auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Bundesgebiet ermöglicht werden, da er nur so die ihm als Flüchtling zustehenden Aufenthalts- und Teilhaberechte erhalten könne. Bulgarien verletze in fundamentaler Weise seine Verpflichtungen aus Art. 20 ff. Richtlinie 2011/95/EU. Es fehle nach wie vor an einem funktionierenden und ausreichend finanzierten Integrationsprogramm für anerkannte Schutzberechtigte. Da der Kläger weder nach Syrien noch nach Bulgarien abgeschoben werden könne, sei ihm die Durchführung eines Asylverfahrens in Deutschland zu ermöglichen. Die prekäre Situation anerkannter Flüchtlinge in Bulgarien werde durch den Vortrag des Klägers bestätigt, der nach seiner Abschiebung in Bulgarien keinerlei humanitäre Hilfe erhalten habe. Auch die Abschiebungsanordnung sei rechtswidrig, weil eine (nochmalige) Abschiebung sowohl wegen der ungeklärten Übernahmebereitschaft Bulgariens als auch wegen der dargelegten systemischen Mängel unmöglich sei. Letzteres gelte im Falle des Klägers insbesondere im Hinblick auf den fehlenden Zugang zu erforderlicher medizinischer Behandlung. In diesem Zusammenhang wurde auf die Ausführungen im Eilverfahren verwiesen.

Die Beklagte wendet sich mit der Revision gegen die Aufhebung der Entscheidung in Ziffer 1 ihres Bescheids.

Mit Beschlüssen vom 2. August 2017 und 17. April 2019 - BVerwG 1 C 2.17 - hat der Senat das Verfahren ausgesetzt und eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zur Auslegung der Ermächtigung in Art. 33 Abs. 2 Buchst. a Richtlinie 2013/32/EU bzw. der Vorgängerregelung in Art. 25 Abs. 2 Buchst. a Richtlinie 2005/85/EG und zu Art. 4 GRC eingeholt. Der EuGH hat zu diesen Fragen mit Urteil vom 19. März 2019 - C-297/17 u.a. [ECLI: EU: C: 2019: 219], Ibrahim u.a. - sowie dem im vorliegenden Verfahren ergangenen Beschluss vom 13. November 2019 - C-540/17 u.a. [ECLI: EU: C: 2019: 964], Hamed u.a. - entschieden.

Die Beklagte trägt im fortgesetzten Revisionsverfahren im Wesentlichen vor: Nach Klärung durch den EuGH begründe allein das Fehlen eines Integrationsprogramms in dem Mitgliedstaat, der internationalen Schutz zuerkannt habe, keine mit Art. 4 GRC unvereinbare Lage für Schutzberechtigte. Schwachstellen verstießen nur dann gegen das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, wenn sie eine "besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit" erreichten. Dies hänge von sämtlichen Umständen des Falles ab einschließlich der persönlichen Möglichkeiten des Schutzberechtigten. Da das Berufungsgericht hierzu keine konkreten Feststellungen getroffen habe, sei der Rechtsstreit an dieses zurückzuverweisen. Soweit das Berufungsgericht ergänzend anmerke, dass die prekäre Situation in Bulgarien durch den klägerischen Vortrag bestätigt werde, leite es hieraus nicht entscheidungstragend ab, dass der Kläger aufgrund in seiner Person liegender Gründe gehindert wäre, durch eigene Bemühungen einer drohenden Obdachlosigkeit zu entgehen. Die Eilrechtsschutzgewährung beruhe auf einer summarischen Prüfung, und die vom Kläger im Berufungsverfahren vorgelegte psychologische Bescheinigung genüge nicht zum Nachweis einer relevanten Gesundheitsbeeinträchtigung.

Der Kläger verteidigt die Entscheidung des Berufungsgerichts.

II

Die Revision der Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO ), hat Erfolg. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur (noch) die - eine inhaltliche Prüfung des Asylantrags ablehnende - Feststellung des Bundesamts, dass dem Kläger in Deutschland kein Asylrecht zusteht (Ziffer 1 des Bescheids vom 24. November 2014). Von dieser Entscheidung gehen trotz Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes weiterhin Rechtswirkungen aus (1.). Die vom Bundesamt mit der nationalen Drittstaatenregelung begründete Entscheidung ist rechtswidrig (2.). In Betracht kommt aber eine Umdeutung in eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG . Nicht im Einklang mit Bundesrecht steht die Annahme des Berufungsgerichts, die Nichtdurchführung eines Asylverfahrens wegen des dem Kläger in Bulgarien gewährten Flüchtlingsschutzes sei schon deshalb (unions-)rechtswidrig, weil das Asylsystem in Bulgarien hinsichtlich anerkannter Flüchtlinge unter systemischen Mängeln leide und Bulgarien in fundamentaler Weise nicht seinen Verpflichtungen aus Art. 20 ff. Richtlinie 2011/95/EU nachkomme und nach wie vor kein funktionierendes und ausreichend finanziertes Integrationsprogramm für anerkannte Schutzberechtigte aufgestellt habe und praktiziere. Ob sich das Berufungsurteil insoweit aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig darstellt (§ 144 Abs. 4 VwGO ), kann der Senat nicht abschließend entscheiden (3.). Das Verfahren ist daher zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO ).

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens ist das Asylgesetz ( AsylG ) in seiner aktuellen Fassung (derzeit: in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 <BGBl. I S. 1798>, zuletzt geändert durch das am 26. November 2019 in Kraft getretene Zweite Gesetz zur Anpassung des Datenschutzrechts an die Verordnung (EU) 2016/679 und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 vom 20. November 2019 <BGBl. I S. 1626>). Rechtsänderungen, die nach der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz eintreten, sind im Revisionsverfahren zu berücksichtigen, wenn das Tatsachengericht - entschiede es anstelle des Revisionsgerichts - sie seinerseits zu berücksichtigen hätte (BVerwG, Urteil vom 11. September 2007 - 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 Rn. 19). Da es sich vorliegend um eine asylrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Tatsachengericht nach § 77 Abs. 1 AsylG regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung abzustellen hat, müsste es seiner Entscheidung, wenn es diese nunmehr träfe, die aktuelle Fassung zugrunde legen, soweit nicht hiervon eine Abweichung aus Gründen des materiellen Rechts oder vorrangigen Unionsrechts geboten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 Rn. 12). Damit kommt hier auch die während des Berufungsverfahrens durch das Integrationsgesetz vom 31. Juli 2016 (BGBl. I S. 1939 ) mit Wirkung vom 6. August 2016 geschaffene Neufassung des § 29 AsylG zur Anwendung.

1. Der Rechtsstreit hat sich nicht dadurch erledigt, dass dem Kläger - nach Wiedereinreise in das Bundesgebiet - vorläufiger Rechtsschutz gewährt worden ist. Hierdurch ist die Entscheidung des Bundesamts in Ziffer 1 des Bescheids vom 24. November 2014 schon deshalb nicht nach § 37 Abs. 1 AsylG unwirksam geworden, weil die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen eine vom Bundesamt mit der Drittstaatenregelung des § 26a AsylG begründete Abschiebungsanordnung ergangen ist, während sich die Unwirksamkeitsregelung des § 37 Abs. 1 AsylG auf Unzulässigkeitsentscheidungen nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AsylG und damit einhergehende Abschiebungsandrohungen bezieht (BVerwG, EuGH-Vorlage vom 27. Juni 2017 - 1 C 26.16 - Buchholz 451.902 Europ. Ausländer- und Asylrecht Nr. 91 Rn. 28).

2. Die vom Bundesamt auf die (nationale) Drittstaatenregelung in § 26a AsylG gestützte Entscheidung ist rechtswidrig. Sie ist nach aktuellem Recht an der während des Berufungsverfahrens in Kraft getretenen Regelung des § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG zu messen. Denn jedenfalls seit der Einfügung dieser Vorschrift kann ein Asylantrag im Hinblick auf einen sicheren Drittstaat nicht mehr "nur nach § 26a AsylG " abgelehnt werden, sondern nur noch im Wege einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 (i.V.m. § 26a) AsylG unter Beachtung der dort genannten Voraussetzungen. Die im Asylgesetz zuvor vorgesehene Möglichkeit, einen Asylantrag "nur nach § 26a" Asyl(Vf)G abzulehnen, indem (lediglich) festgestellt wurde, dass dem Antragsteller aufgrund seiner Einreise aus einem sicheren Drittstaat kein Asylrecht (i.S.v. Art. 16a Abs. 1 GG ) zusteht, und sodann ohne inhaltliche Prüfung des internationalen Schutzes eine Abschiebungsanordnung nach § 34a Asyl(Vf)G erlassen wurde, ist durch die nunmehr in § 29 Abs. 1 Nr. 3 (i.V.m. § 26a) AsylG vorgesehene, den gesamten Asylantrag im Sinne von § 13 Abs. 2 Satz 1 AsylG erfassende Unzulässigkeitsentscheidung ersetzt worden (BVerwG, Urteil vom 21. April 2020 - 1 C 4.19 - juris Rn. 16).

Nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein Staat, der bereit ist, den Ausländer wiederaufzunehmen, als für den Ausländer sicherer Drittstaat gemäß § 26a AsylG betrachtet wird. Diese Voraussetzungen liegen hier schon deshalb nicht vor, weil sicherer Drittstaat in diesem Sinne bei der gebotenen unionsrechtskonformen Auslegung nur ein Staat sein kann, der nicht Mitgliedstaat der Europäischen Union ist (BVerwG, Vorlagebeschlüsse vom 23. März 2017 - 1 C 17.16 - BVerwGE 158, 271 und - 1 C 20.16 - juris jeweils Rn. 12 ff.; Urteil vom 21. April 2020 - 1 C 4.19 - juris Rn. 18 ff.).

3. Eine rechtswidrige Unzulässigkeitsentscheidung unterliegt im gerichtlichen Verfahren nicht der Aufhebung, wenn sie im Wege der Umdeutung nach § 47 VwVfG durch eine andere - rechtmäßige - Regelung ersetzt werden kann (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. Januar 2019 - 1 C 15.18 - BVerwGE 164, 179 Rn. 40 und vom 21. April 2020 - 1 C 4.19 - juris Rn. 25 ff.).

3.1 Als Rechtsgrundlage für eine Unzulässigkeitsentscheidung kommt hier nur § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG in Betracht. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz gewährt hat. Damit findet - wie bei der Drittstaatenregelung - keine inhaltliche Prüfung des Asylantrags statt. Vielmehr ist der Asylantrag - auch in diesem Fall - als unzulässig abzulehnen und der Antragsteller - auf der Grundlage einer eigenständigen Abschiebungsentscheidung - in den Staat abzuschieben, in dem er Schutz gefunden hat. Mit dieser - ebenfalls während des Berufungsverfahrens in Kraft getretenen - Regelung hat der nationale Gesetzgeber von der (erweiterten) Ermächtigung in Art. 33 Abs. 2 Buchst. a Richtlinie 2013/32/EU Gebrauch gemacht. Schon zuvor konnte nach Art. 25 Abs. 2 Buchst. a Richtlinie 2005/85/EG ein Mitgliedstaat einen Asylantrag als unzulässig ablehnen, wenn ein anderer Mitgliedstaat - wie hier - die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hatte.

3.2 Ob die Voraussetzungen für eine Umdeutung der angefochtenen Regelung in eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG vorliegen, kann der Senat auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen der Vorinstanz nicht abschließend entscheiden.

Bei der Umdeutung (Konversion) wird die im Verwaltungsakt getroffene Regelung nicht lediglich auf eine andere Rechtsgrundlage gestützt, sondern durch eine andere (rechtmäßige) Regelung ersetzt. Hierzu sind - bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 47 VwVfG - nicht nur die Behörden, sondern auch die Verwaltungsgerichte ermächtigt. Eine Verletzung des Gebots effektiven Rechtsschutzes ist damit nicht verbunden. Eine Umdeutung ist auch noch im Revisionsverfahren möglich, sofern die das Revisionsgericht bindenden tatrichterlichen Feststellungen ausreichen, den Beteiligten rechtliches Gehör gewährt worden ist und sie in ihrer Rechtsverteidigung nicht beeinträchtigt sind (BVerwG, Urteile vom 16. November 2015 - 1 C 4.15 - BVerwGE 153, 234 Rn. 30 m.w.N. und vom 21. April 2020 - 1 C 4.19 - juris Rn. 26).

Nach § 47 Abs. 1 VwVfG kann ein fehlerhafter und damit rechtswidriger Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Dies gilt nach § 47 Abs. 2 VwVfG nicht, wenn der Verwaltungsakt, in den der fehlerhafte Verwaltungsakt umzudeuten wäre, der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widerspräche oder seine Rechtsfolgen für den Betroffenen ungünstiger wären als die des fehlerhaften Verwaltungsaktes (Satz 1). Eine Umdeutung ist ferner unzulässig, wenn der fehlerhafte Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden dürfte (Satz 2). Eine Entscheidung, die nur als gesetzlich gebundene Entscheidung ergehen kann, kann nach § 47 Abs. 3 VwVfG nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden. Nach § 47 Abs. 4 VwVfG ist § 28 VwVfG entsprechend anzuwenden.

Grundsätzliche Bedenken gegen die Umdeutung einer Drittstaatenentscheidung in eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG bestehen danach nicht (a). Eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG hätte von der erlassenden Behörde in der geschehenen Form und Verfahrensweise rechtmäßig erlassen werden können (b). Die formellen Voraussetzungen für den Erlass einer Unzulässigkeitsentscheidung sind erfüllt (c). Hingegen fehlt es an hinreichenden Feststellungen zur Beurteilung der Frage, ob die - in Anwendung der Rechtsprechung des EuGH unionsrechtskonform zu ergänzenden - materiellen Voraussetzungen für eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG vorliegen (d).

a) Grundsätzliche Bedenken gegen die Umdeutung einer Drittstaatenentscheidung in eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG bestehen nicht. Beide sind grundsätzlich auf das gleiche Ziel gerichtet, nämlich auf die Ablehnung einer sachlichen Prüfung des Asylantrags und auf die Abschiebung des Klägers nach Bulgarien (§ 34a Abs. 1 Satz 1 bzw. § 35 AsylG ). Die Rechtsfolgen einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG wären für den Kläger jedenfalls nicht ungünstiger. Die Umdeutung widerspräche auch nicht der erkennbaren Absicht des Bundesamts, ohne sachliche Prüfung des Asylantrags den Aufenthalt des Klägers (falls möglich) zu beenden. Beide Unzulässigkeitsentscheidungen sind gesetzlich gebundene Entscheidungen. Die Beteiligten mussten mit einer derartigen Umdeutung jedenfalls seit dem Vorabentscheidungsersuchen des Senats an den EuGH mit Beschluss vom 2. August 2017 - 1 C 2.17 - rechnen, so dass sie ihre Rechtsverteidigung darauf einstellen konnten.

b) Eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG hätte von der erlassenden Behörde - dem Bundesamt - in der geschehenen Form und Verfahrensweise rechtmäßig erlassen werden können. § 29 Abs. 2 Satz 1 AsylG verpflichtet das Bundesamt in verfahrensrechtlicher Hinsicht dazu, den Ausländer zu den Gründen nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b bis Nr. 4 AsylG persönlich anzuhören, bevor es über die Zulässigkeit eines Asylantrags entscheidet. Diese Vorschrift setzt Art. 34 Abs. 1 Richtlinie 2013/32/EU um, der die Mitgliedstaaten verpflichtet, den Antragstellern Gelegenheit zu geben, sich zu der Anwendung der Gründe nach Art. 33 der Richtlinie in ihrem besonderen Fall zu äußern, bevor die Asylbehörde über die Zulässigkeit eines Antrags auf internationalen Schutz entscheidet. Hierzu führen die Mitgliedstaaten im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung eine persönliche Anhörung durch. In einem solchen Verfahren mit persönlicher Anhörung wurde auch der hier angefochtene Drittstaatenbescheid erlassen (vgl. die bei den Akten befindlichen Niederschriften vom 31. Juli 2014 über das persönliche Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens und über die Befragung zur Vorbereitung der Anhörung gemäß § 25 AsylVfG ).

c) Die formellen Voraussetzungen für den Erlass einer Unzulässigkeitsentscheidung sind erfüllt (§ 47 Abs. 1 VwVfG a.E.). Den Anforderungen des § 29 Abs. 2 Satz 1 AsylG wurde hier im Ergebnis entsprochen, ungeachtet dessen, dass der fragliche Unzulässigkeitsgrund zum Zeitpunkt der Anhörung noch nicht galt. Zwar hat das Berufungsgericht hierzu keine Feststellungen getroffen. Der Senat kann die im Verwaltungsvorgang befindlichen Niederschriften über die Anhörung, deren protokollierter Verlauf von keinem Beteiligten bestritten wird, aber eigenständig auswerten. Eine gegenteilige, für das Revisionsgericht nach § 137 Abs. 2 VwGO grundsätzlich bindende Tatsachenfeststellung hat das Berufungsgericht nicht getroffen (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. November 2017 - 1 C 39.16 - BVerwGE 161, 1 Rn. 35). Ausweislich dieser Niederschriften ist der Kläger anlässlich des persönlichen Gesprächs zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats der Sache nach noch in dem erforderlichen Umfang zu einer Unzulässigkeitsentscheidung angehört worden.

d) Ob auch die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG vorliegen, lässt sich auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen, für den Senat bindenden Tatsachenfeststellungen nicht abschließend beurteilen. Dem Kläger ist nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und daher für den Senat nach § 137 Abs. 2 VwGO bindenden Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz vor seiner Weiterreise nach Deutschland in Bulgarien Flüchtlingsschutz und damit internationaler Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt worden. Nicht im Einklang mit Bundesrecht steht hingegen die Annahme des Berufungsgerichts, der in Bulgarien gewährte Flüchtlingsschutz stehe der Durchführung eines (weiteren) Asylverfahrens im Bundesgebiet schon deshalb nicht entgegen, weil das Asylsystem in Bulgarien hinsichtlich anerkannter Flüchtlinge an systemischen Mängeln leide und Bulgarien gegenüber international Schutzberechtigten nicht seinen Verpflichtungen aus Art. 20 ff. Richtlinie 2011/95/EU nachkomme. Mit dieser Begründung verfehlt das Berufungsgericht die hohe Schwelle des Art. 4 GRC, bei deren Überschreitung eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG (unions-)rechtswidrig ist.

Liegen die geschriebenen Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG vor, kann eine Unzulässigkeitsentscheidung nach der Rechtsprechung des EuGH aus Gründen vorrangigen Unionsrechts gleichwohl ausnahmsweise ausgeschlossen sein. Das ist der Fall, wenn die Lebensverhältnisse, die den Antragsteller bzw. Kläger als anerkannten Schutzberechtigten in dem anderen Mitgliedstaat erwarten würden, ihn der ernsthaften Gefahr aussetzen würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GRC zu erfahren. Unter diesen Voraussetzungen ist es den Mitgliedstaaten untersagt, von der durch Art. 33 Abs. 2 Buchst. a Richtlinie 2013/32/EU eingeräumten Befugnis Gebrauch zu machen, einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen (vgl. ausdrücklich EuGH, Beschluss vom 13. November 2019 - C-540/17 u.a., Hamed u.a. - Rn. 35; s.a. Urteil vom 19. März 2019 - C-297/17 u.a., Ibrahim u.a. - Rn. 88). Damit ist geklärt, dass Verstöße gegen Art. 4 GRC im Mitgliedstaat der anderweitigen Schutzgewährung nicht nur bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Abschiebungsandrohung zu berücksichtigen sind, sondern bereits zur Rechtswidrigkeit der Unzulässigkeitsentscheidung führen.

Art. 33 Abs. 2 Buchst. a Richtlinie 2013/32/EU verbietet einem Mitgliedstaat hingegen nicht, die durch diese Bestimmung eingeräumte Befugnis zur Ablehnung eines Asylantrags als unzulässig auszuüben, wenn der Antragsteller in dem Mitgliedstaat, der ihm internationalen Schutz gewährt hat, keiner ernsthaften Gefahr ausgesetzt wäre, aufgrund der Lebensumstände, die ihn dort als international Schutzberechtigten erwarten würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GRC zu erfahren. Allein der Umstand, dass die Lebensverhältnisse in diesem Mitgliedstaat nicht den Bestimmungen der Art. 20 ff. im Kapitel VII der Anerkennungsrichtlinie gerecht werden, führt angesichts der fundamentalen Bedeutung des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten nicht zu einer Einschränkung der Ausübung der in Art. 33 Abs. 2 Buchst. a Richtlinie 2013/32/EU vorgesehenen Befugnis, solange die Schwelle der Erheblichkeit des Art. 4 GRC nicht erreicht ist. Vielmehr darf jeder Mitgliedstaat - vorbehaltlich außergewöhnlicher Umstände - davon ausgehen, dass alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die dort anerkannten Grundrechte beachten. Diese Vermutung gilt im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems auch bei der Anwendung des Art. 33 Abs. 2 Buchst. a Richtlinie 2013/32/EU. Verstöße gegen Bestimmungen des Kapitels VII der Anerkennungsrichtlinie, die nicht zu einer Verletzung von Art. 4 GRC führen, hindern die Mitgliedstaaten daher nicht, ihre durch Art. 33 Abs. 2 Buchst. a Richtlinie 2013/32/EU eingeräumte Befugnis auszuüben. Gleiches gilt, wenn der Schutzberechtigte in dem Mitgliedstaat, der ihm internationalen Schutz gewährt hat, keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten nur in deutlich eingeschränktem Umfang existenzsichernde Leistungen erhält, ohne jedoch anders als die Angehörigen dieses Mitgliedstaats behandelt zu werden und der ernsthaften Gefahr einer gegen Art. 4 GRC verstoßenden Behandlung ausgesetzt zu sein (EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-297/17 u.a., Ibrahim u.a. - Rn. 83 ff. und Beschluss vom 13. November 2019 - C-540/17 u.a., Hamed u.a. - Rn. 34). Systemische Mängel des Asylverfahrens selbst mögen zwar ein Vertragsverletzungsverfahren gegen den betreffenden Mitgliedstaat rechtfertigen, schränken aber die Befugnis der übrigen Mitgliedstaaten nicht ein, einen neuen Antrag als unzulässig abzulehnen (EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-297/17 u.a., Ibrahim u.a. - Rn. 95 - 100).

Anders verhält es sich nur dann, wenn das Gemeinsame Europäische Asylsystem in der Praxis in dem Mitgliedstaat, der internationalen Schutz gewährt hat, auf größere Funktionsstörungen stößt und dadurch eine Person tatsächlich der ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRC ausgesetzt wäre. In diesen Fällen darf sich ein anderer Mitgliedstaat nicht auf Art. 33 Abs. 2 Buchst. a Richtlinie 2013/32/EU berufen, um einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen. Begründet hat der Gerichtshof diese Einschränkung der in Art. 33 Abs. 2 Buchst. a Richtlinie 2013/32/EU enthaltenen Ermächtigung zur Ablehnung eines Asylantrags als unzulässig mit dem allgemeinen und absoluten Charakter des Verbots in Art. 4 GRC, das eng mit der Achtung der Würde des Menschen verbunden ist und ausnahmslos jede Form unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung verbietet, ohne dass es darauf ankommt, ob eine solche Behandlung zum Zeitpunkt der Überstellung, während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss droht (EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-297/17 u.a., Ibrahim u.a. - Rn. 86 ff.). Allein der Umstand, dass der Betroffene in diesen Fällen nach nationalem Recht ohnehin nicht abgeschoben werden darf, verbunden mit der Möglichkeit einer humanitären Aufenthaltserlaubnis und der Gewährung von Rechten und Vorteilen zur Deckung seiner Grundbedürfnisse, rechtfertigt keine andere Auslegung des Art. 33 Abs. 2 Buchst. a Richtlinie 2013/32/EU (EuGH, Beschluss vom 13. November 2019 - C-540/17 u.a., Hamed u.a. - Rn. 40).

Ob danach Ziffer 1 des Bescheids als Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG aufrechtzuerhalten ist oder sich das den Bescheid aufhebende Berufungsurteil insoweit im Ergebnis aus anderen Gründen als richtig erweist (§ 144 Abs. 4 VwGO ), kann der Senat nicht abschließend entscheiden. Zwar ist dem Kläger vor seiner Weiterreise nach Deutschland in Bulgarien Flüchtlingsschutz und damit internationaler Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt worden ist. Der Senat kann auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts aber nicht abschließend entscheiden, ob die Anwendung dieses Unzulässigkeitsgrundes daran scheitert, dass dem Kläger als anerkanntem Flüchtling bei Rückkehr nach Bulgarien wegen systemischer, allgemeiner oder aber bestimmte Personengruppen betreffender Schwachstellen eine Verletzung des Art. 4 GRC droht.

aa) Auf eine Vorlage des Senats hat der EuGH im Urteil "Ibrahim" - in Anlehnung an das Urteil "Jawo" vom gleichen Tag - den Maßstab für eine Verletzung von Art. 4 GRC durch die Lebensbedingungen im Staat der Schutzgewährung näher konkretisiert. Danach fallen systemische, allgemeine oder bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen nur dann unter Art. 4 GRC, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falles abhängt und die dann erreicht wäre, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. Diese Schwelle ist selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren sich die betroffene Person in einer solch schwerwiegenden Lage befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (vgl. EuGH, Urteile vom 19. März 2019 - C-297/17 u.a., Ibrahim u.a. - Rn. 89 - 91 sowie - C-163/17 [ECLI: EU: C: 2019: 218], Jawo - Rn. 91 - 93 und Beschluss vom 13. November 2019 - C-540/17 u.a., Hamed u.a. - Rn. 39). Dabei stellt der EuGH bei der Gefahrenprognose auf das Bestehen einer ernsthaften Gefahr ("serious risk") ab (vgl. EuGH, Urteile vom 19. März 2019 - C-297/17 u.a., Ibrahim u.a. - Rn. 86 sowie - C-163/17, Jawo - Rn. 83, Beschluss vom 13. November 2019 - C-540/17 u.a., Hamed u.a. - Rn. 36). Dies entspricht dem Maßstab der tatsächlichen Gefahr ("real risk") in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ( EGMR ) zu Art. 3 EMRK (vgl. EGMR , Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - NVwZ 2008, 1330 <Rn. 125 ff.>) bzw. der beachtlichen Wahrscheinlichkeit im nationalen Recht (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2011 - 10 C 13.10 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 58 Rn. 20 zu § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 2 Buchst. e und Art. 15 Buchst. b RL 2004/83/EG ).

bb) Dass dem Kläger in Anwendung dieser Grundsätze als anerkanntem Flüchtling in Bulgarien eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GRC droht, ist dem Berufungsurteil nicht zu entnehmen. Insoweit fehlt es bereits an einer - grundsätzlich den Tatsachengerichten vorbehaltenen - abschließenden tatrichterlichen Würdigung der Lebensverhältnisse für anerkannte Schutzberechtigte in Bulgarien unter Zugrundelegung der vom EuGH geforderten besonders hohen Schwelle der Erheblichkeit. Zwar hat das Berufungsgericht dargelegt, wie sich die Verhältnisse in Bulgarien für anerkannte Flüchtlinge nach den ihm vorliegenden Erkenntnisquellen darstellen (UA S. 13 ff.). Aus den inhaltlich wiedergegebenen Erkenntnisquellen hat es tatrichterlich aber nur die Schlussfolgerung gezogen, dass Bulgarien in fundamentaler Weise seine Verpflichtungen aus Art. 20 ff. Richtlinie 2013/32/EU verletze und nach wie vor kein funktionierendes und ausreichend finanziertes Integrationsprogramm für anerkannte Schutzberechtigte aufgestellt habe und praktiziere (UA S. 17). Es fehlt hingegen eine abschließende tatrichterliche Würdigung anhand der vom EuGH aufgestellten hohen Schwelle der Erheblichkeit für eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GRC. Gleiches gilt in Bezug auf die ergänzenden Ausführungen des Berufungsgerichts zur Situation des Klägers nach seiner Abschiebung nach Bulgarien (UA S. 18). Insoweit kann auch nicht auf die Feststellungen des Berufungsgerichts bei seinen Ausführungen zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungsanordnung zurückgegriffen werden. Soweit es diese (u.a.) mit dem fehlenden Zugang des Klägers zu erforderlicher medizinischer Behandlung begründet (UA S. 22), verweist es hinsichtlich der dabei angenommenen besonderen Vulnerabilität des Klägers pauschal auf seine im einstweiligen Rechtsschutzverfahren - auf der Grundlage einer summarischen Prüfung - ergangene Entscheidung. Mit dieser Begründung unterschreitet das Berufungsgericht - ungeachtet des Umstands, dass ihm seinerzeit nach Aktenlage entgegen der Ausführungen im Beschluss vom 10. März 2016 keine "ärztliche Stellungnahme", sondern nur eine von einem Diplompsychologen zur Vorlage bei Behörden ausgestellte Bescheinigung vorlag - das nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO gebotene Maß an Überzeugungsgewissheit. Danach hat sich der Tatrichter in einem Hauptsacheverfahren die volle Überzeugungsgewissheit von der Richtigkeit sowohl der Prognosebasis als auch der anhand des Maßstabs der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu treffenden Prognose zu verschaffen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. Februar 2011 - 10 B 1.11 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 43 Rn. 7 und Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 33.18 - juris Rn. 19 ff.).

4. Die gebotene abschließende tatrichterliche Würdigung wird das Berufungsgericht nach Zurückverweisung auf der Grundlage der dann aktuellen Erkenntnislage nachzuholen haben. Hierbei handelt es sich um eine tatrichterliche Aufgabe, bei der auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen ist, ob in Bulgarien entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen, die gerade den Kläger als anerkannten Flüchtling der Art. 4 GRC verletzenden Gefahr extremer materieller Not aussetzen würden (vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-297/17, Ibrahim u.a. - Rn. 88 f., Beschluss vom 13. November 2019 - C-540/17 u.a., Hamed u.a. - Rn. 38). Dabei ist mit Blick auf die Lebensverhältnisse für anerkannte Flüchtlinge zu berücksichtigen, dass Bulgarien zu den Mitgliedstaaten gehört, in denen die Frage einer gegen Art. 4 GRC verstoßenden Situation extremer materieller Not in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung in aller Regel zumindest näher problematisiert wird, wenngleich das Erreichen der erforderlichen hohen Erheblichkeitsschwelle seit dem Bekanntwerden der Urteile "Ibrahim" und "Jawo" des EuGH im Ergebnis regelmäßig verneint wird (vgl. zuletzt etwa OVG Schleswig, Urteil vom 25. Juli 2019 - 4 LB 12/17 - juris; OVG Bautzen, Urteil vom 13. November 2019 - 4 A 947/17.A - juris; OVG Münster, Beschluss vom 16. Dezember 2019 - 11 A 228/15.A - juris; s.a. OVG Hamburg, Urteil vom 18. Dezember 2019 - 1 Bf 132/17.A - juris). Hinsichtlich der vom Kläger geltend gemachten Vulnerabilität aus gesundheitlichen Gründen und der von ihm hierzu vorgelegten Bescheinigungen eines Diplompsychologen wird das Berufungsgericht auch zu beachten haben, dass schon zur Substantiierung - und erst Recht zum Nachweis - einer Erkrankung an PTBS angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes sowie seiner vielfältigen Symptomatik regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attests erforderlich ist (vgl. hierzu und zu den inhaltlichen Anforderungen BVerwG, Urteil vom 11. September 2007 - 10 C 17.07 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 31 Rn. 15; in diesem Sinne inzwischen auch § 60 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. § 60a Abs. 2 Buchst. c Satz 2 und 3 AufenthG hinsichtlich der Anforderungen an die Glaubhaftmachung einer die Abschiebung beeinträchtigenden Erkrankung).

5. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG . Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.

Vorinstanz: VG Wiesbaden, vom 21.07.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 2 K 1757/14
Vorinstanz: VGH Hessen, vom 04.11.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 3 A 1322/16