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BVerfG - Entscheidung vom 01.10.2020

2 BvQ 63/20

Normen:
GG Art. 19 Abs. 4
BVerfGG § 23 Abs. 1 S. 2
BVerfGG § 32 Abs. 1
BVerfGG § 92
GG Art. 19 Abs. 4
BVerfGG § 23 Abs. 1 S. 2
BVerfGG § 32 Abs. 1
BVerfGG § 92
StPO § 364a
BVerfGG § 32 Abs. 1

BVerfG, Beschluss vom 01.10.2020 - Aktenzeichen 2 BvQ 63/20

DRsp Nr. 2020/15577

Wiederaufnahme eines Strafverfahrens zur Vorlage der Umsatzsteuervoranmeldungen

Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Normenkette:

StPO § 364a; BVerfGG § 32 Abs. 1 ;

[Gründe]

I.

Der Antragsteller betreibt im fachgerichtlichen Verfahren die Wiederaufnahme eines Strafverfahrens.

Das Landgericht Mannheim hat den Antragsteller am 5. April 2017 wegen Steuerhinterziehung in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegenstand der Verurteilung sind unrichtige Angaben in sechs Umsatzsteuervoranmeldungen der M. AG, die in der Zeit von Oktober 2006 bis März 2007 von der Zweigniederlassung der M. AG in ..., beim Finanzamt Konstanz monatlich abgegeben wurden. Seit Herbst 2018 verbüßt der Antragsteller die gegen ihn verhängte Strafhaft.

Der Antragsteller hat die Wiederaufnahme des Strafverfahrens sowie die Bestellung eines Verteidigers für die Vorbereitung des Wiederaufnahmeverfahrens (§ 364b StPO ) und für das Wiederaufnahmeverfahren selbst (§ 364a StPO ) beantragt. Seinen auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens gerichteten Antrag hat er insbesondere auf die Behauptung gestützt, dass im Verfahren vor dem Landgericht Mannheim keine Umsatzsteuervoranmeldungen der M. AG in ... eingeführt worden seien. Die Meldungen der M. AG Zweigniederlassung in ... seien nicht der M. AG in ... und damit nicht ihm zuzurechnen. Dies stelle eine neue Tatsache im Sinne von § 359 Nr. 5 StPO dar. Das Landgericht Stuttgart hat den Wiederaufnahmeantrag sowie die Anträge auf Bestellung eines Verteidigers mit Beschluss vom 29. April 2020 zurückgewiesen.

Die dagegen gerichtete Beschwerde hat das Oberlandesgericht Stuttgart mit Beschluss vom 23. Juli 2020 ebenfalls zurückgewiesen. Ein Wiederaufnahmegrund liege nicht vor. Die Umsatzsteuervoranmeldungen der M. AG Zweigniederlassung in ... aus dem Zeitraum von Oktober 2006 bis März 2007 seien im angegriffenen Strafurteil der M. AG in ... zugerechnet worden und daher in das Verfahren vor dem Landgericht Mannheim eingeführt worden. Die Behauptung des Antragstellers resultiere alleine daraus, dass er - entgegen der Rechtsansicht des Landgerichts Mannheim - die in das dortige Verfahren eingeführten Umsatzsteuervoranmeldungen nicht als solche der M. AG ansehe.

Ein Verteidiger sei dem Antragsteller insbesondere deswegen nicht zu bestellen, weil dem Vorbringen des Antragstellers eine hinreichende Erfolgsaussicht des Wiederaufnahmebegehrens nicht zu entnehmen sei. Soweit der Antragsteller geltend gemacht habe, er benötige zur Erreichung seiner Antragsziele Einsicht in die steuerlichen Unterlagen der M. AG, die dem Landgericht Mannheim vorgelegen hätten, habe es einer Gewährung von Akteneinsicht vor der Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag nicht bedurft. Diese steuerlichen Unterlagen der M. AG hät-ten dem Antragsteller bereits vorgelegen, denn ihm seien die Ermittlungsakten einschließlich der Umsatzsteuerakten der M. AG bereits im Ausgangsverfahren vor dem Landgericht Mannheim überlassen worden. Der Antragsteller wende zwar ein, die maßgeblichen Umsatzsteuervoranmeldungen befänden sich nicht bei den Akten und seien ihm daher auch nicht zur Verfügung gestellt worden. Diese Annahme beruhe aber wiederum alleine auf der Rechtsansicht des Antragstellers, der die bei den Akten befindlichen Umsatzsteuervoranmeldungen nicht als solche der M. AG ansehe. Das Landgericht Mannheim habe sein Urteil indessen alleine auf diese Unterlagen gestützt.

Hinsichtlich der Entscheidung des Oberlandesgerichts hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 3. August 2020 Anhörungsrüge erhoben, die er - bis zur Stellung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung - mit Schriftsätzen vom 10. August 2020 sowie vom 15. August 2020 weiter begründet hat. Eine Entscheidung ist nach dem Vortrag des Antragstellers bislang nicht ergangen.

II.

Mit seinen mit Schriftsatz vom 22. August 2020, eingegangen am 26. August 2020, gestellten Anträgen verfolgt der Antragsteller das Ziel, das Bundesverfassungsgericht möge das Oberlandesgericht Stuttgart anweisen, die Anhörungsrüge unverzüglich zu bescheiden. Außerdem ersucht er das Bundesverfassungsgericht darum, das Oberlandesgericht Stuttgart zur Vorbereitung einer Individualbeschwerde zu verpflichten, dem Antragsteller die steuerlichen Unterlagen der M. AG in ... für die Monate Oktober 2006 bis März 2007 vorzulegen, auf die sich das Urteil des Landgerichts Mannheim beziehe.

III.

Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG liegen nicht vor.

1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde wäre von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 7, 367 <371>; 103, 41 <42>; 121, 1 <15>; 134, 138 <140 Rn. 6 m.w.N.>; stRspr).

Dabei ist ein Antrag nach § 32 Abs. 1 BVerfGG nur zulässig, wenn die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung substantiiert dargelegt werden. Darzulegen ist dabei auch, dass der Antrag in der zugehörigen Hauptsache weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet ist. Das Verfahren über eine einstweilige Anordnung ist immer nur ein Nebenverfahren in einem Verfassungsrechtsstreit, für den das Bundesverfassungsgericht nach Art. 93 GG , § 13 BVerfGG zuständig ist (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Mai 2019 - 2 BvQ 46/19 -, juris, Rn. 2). Wird isoliert eine einstweilige Anordnung beantragt, muss der Antrag die Angaben enthalten, die zur Begründung der noch zu erhebenden Verfassungsbeschwerde erforderlich sind (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 20. August 2015 - 1 BvQ 28/15 -, juris, Rn. 2; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 11. November 2015 - 2 BvQ 40/15 -, juris, Rn. 2; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Mai 2019 - 2 BvQ 46/19 -, juris, Rn. 2).

2. Danach kann eine einstweilige Anordnung hier nicht ergehen. Der Antragsteller hat nicht ausreichend zur Zulässigkeit einer noch zu erhebenden Verfassungsbeschwerde vorgetragen. Ausgehend von dem hiesigen Vorbringen wäre eine Verfassungsbeschwerde unzulässig.

a) Soweit der Antragsteller mit seinem Antrag das Ziel verfolgt, eine unverzügliche Entscheidung des Oberlandesgerichts über die Anhörungsrüge herbeizuführen, zeigt er einen Verfassungsverstoß nicht auf. Die Garantie effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG beinhaltet zwar auch einen Anspruch auf einen zeitgerechten Rechtsschutz (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>; 60, 253 <269>; 88, 118 <124>; 93, 1 <13>; BVerfGK 5, 155 <158>). Allgemein gültige Zeitvorgaben lassen sich aus der Verfassung aber nicht ableiten. Wann von einer unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist, ist vielmehr eine Frage der Abwägung im Einzelfall (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>; BVerfGK 5, 155 <158>). Dass das Oberlandesgericht durch die bislang nicht erfolgte Entscheidung über die Anhörungsrüge den Anspruch auf einen zeitgerechten Rechtsschutz verletzt haben könnte, legt der Antragsteller nicht dar. Konkrete Ausführungen hierzu waren insbesondere deswegen geboten, weil zwischen Erhebung der Anhörungsrüge und Erhebung der Verfassungsbeschwerde nur knapp drei Wochen vergangen sind. Hinzu kommt, dass der Antragsteller innerhalb dieses Zeitraums weitere Eingaben an das Oberlandesgericht Stuttgart gerichtet hat, um seine Anhörungsrüge weiter zu begründen.

Darüber hinaus muss ein Antragsteller nach den Anforderungen der §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 1. Halbsatz, 92 BVerfGG eine Verfassungsbeschwerde in formaler Hinsicht dadurch substantiieren, dass er die angegriffenen Entscheidungen sowie die zugrundeliegenden Rechtsschutzanträge vorlegt oder wenigstens durch umfassende und detaillierte inhaltliche Wiedergabe zur Kenntnis bringt (vgl. BVerfGE 88, 40 <45>; 93, 266 <288>; 112, 304 <314 f.>; 129, 269 <278>; BVerfGK 20, 249 <254>; BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Dezember 2017 - 2 BvR 2019/17 -, juris, Rn. 10, und vom 4. Juli 2018 - 2 BvR 1207/18 -, juris, Rn. 15). Hier hat der Antragsteller seine an das Oberlandesgericht Stuttgart gerichtete Anhörungsrügeschrift jedoch nicht vorgelegt. Es fehlt damit an der Vorlage des Rechtsmittelschriftsatzes, hinsichtlich dessen der Antragsteller hier eine unverzügliche Entscheidung begehrt. Ohne die Kenntnis des genauen Inhalts dieses Schriftsatzes lässt sich nicht verlässlich beurteilen, binnen welcher Zeit eine Entscheidung mit Blick auf die Garantie effektiven Rechtsschutzes ergehen muss oder hätte ergehen müssen.

b) Soweit der Antragsteller die Vorlage von Unterlagen begehrt, wendet er sich mit seinem hiesigen Antrag nicht gegen die Entscheidungen der Fachgerichte über seinen Wiederaufnahmeantrag. Zwar hatte der Antragsteller auch den Wiederaufnahmeantrag darauf gestützt, dass dem Landgericht Mannheim im Ausgangsverfahren Umsatzsteuervoranmeldungen der M. AG in ... nicht vorgelegen hätten. Mit seinem hiesigen Antrag begehrt er aber allein und soweit erkennbar erstmals, dass ihm für eine Individualbeschwerde die von ihm als fehlend angesehenen Umsatzsteuervoranmeldungen - etwa im Wege der Akteneinsicht - zur Kenntnis gebracht werden.

Der Antragsteller nimmt in seinem Antrag Bezug darauf, dass ihm in der Justizvollzugsanstalt ein Datenstick des Oberlandesgerichts zur Einsicht gebracht wurde. Es lässt sich mangels differenzierten Vortrags oder Beifügung diesbezüglicher weiterer Unterlagen nicht verlässlich nachvollziehen, inwieweit dem Begehren des Antragstellers nicht abgeholfen wurde.

Soweit der Antragsteller auch mit diesem Antragsbegehren die Vorlage anderer Umsatzsteuervoranmeldungen der M. AG in ... meinen sollte als jene, die dem Strafverfahren zugrunde lagen und von der Zweigniederlassung in Zug abgegeben und vom Strafgericht der M. AG zugerechnet worden sind, ist nicht nachvollziehbar, warum sich diese bei den Verfahrensakten befinden sollten.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.