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BVerfG - Entscheidung vom 15.10.2020

1 BvR 2262/20

Normen:
BVerfGG § 90 Abs. 2 S. 1
FamFG § 49ff
FamFG § 49
FamFG § 54 Abs. 2
BVerfGG § 90 Abs. 2 S. 1
FamFG §§ 49 ff.
FamFG § 54 Abs. 2
BVerfGG § 90 Abs. 2 S. 1-2
GG Art. 6 Abs. 2
FamFG § 49

BVerfG, Beschluss vom 15.10.2020 - Aktenzeichen 1 BvR 2262/20

DRsp Nr. 2020/16456

Wahrung des Gebots der Rechtswegerschöpfung bzgl. Auschlusses des Rechts eines Vaters auf Umgang mit seiner Tochter im Wege der einstweiligen Anordnung ohne mündliche Verhandlung bis zur Entscheidung in der Hauptsache

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).

Normenkette:

BVerfGG § 90 Abs. 2 S. 1-2; GG Art. 6 Abs. 2 ; FamFG § 49 ;

[Gründe]

I.

Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung, durch die das Recht auf Umgang mit seiner Tochter im Wege der einstweiligen Anordnung ohne mündliche Verhandlung bis zur Entscheidung in der Hauptsache ausgeschlossen wurde. Die angegriffene Entscheidung erging auf Anregung eines Ergänzungspflegers, der das Umgangsbestimmungsrecht ausübt, nachdem es den Eltern durch eine frühere ‒ hier nicht angegriffene ‒ Entscheidung auf der Grundlage von § 1666 BGB entzogen worden war (häufig sogenannter Umgangsbestimmungspfleger; vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 6. Juli 2016 - XII ZB 47/15 -, Rn. 44 ff.; siehe aber auch BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Juni 2009 - 1 BvR 467/09 -, Rn. 34). Der Ergänzungspfleger teilte dem Beschwerdeführer im Dezember 2019 mit, den Umgang vorerst auszusetzen. Seitdem fanden keine Umgangskontakte mehr statt.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer unter anderem die Verletzung seines Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 GG und seines Anspruchs auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes geltend.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Annahmegründe (§ 93a Abs. 2 BVerfGG ) liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde ist insgesamt unzulässig, weil sie das Gebot der Rechtswegerschöpfung gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG nicht wahrt.

1. § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG ist Ausdruck des im Verfassungsrecht (Art. 94 Abs. 2 Satz 2 GG ) verankerten Grundsatzes der Subsidiarität. Es entspricht der grundgesetzlichen Zuständigkeitsverteilung und Aufgabenzuweisung, dass vorrangig die Fachgerichte Rechtsschutz gegen Verfassungsverletzungen selbst gewähren und etwaige im Instanzenzug auftretende Fehler durch Selbstkontrolle beheben. Ausnahmen vom Gebot der Rechtswegerschöpfung über die in § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG hinaus vorgesehene Möglichkeit, vorab über eine Verfassungsbeschwerde zu entscheiden, sind eng zu begrenzen; sie kommen nur in Betracht, wenn die Erschöpfung des Rechtswegs objektiv nicht geboten und dem Beschwerdeführer subjektiv nicht zuzumuten ist. Erscheint es hingegen nicht offensichtlich ausgeschlossen, Grundrechtsschutz bereits durch die Fachgerichte zu erlangen, ist es dem Beschwerdeführer regelmäßig zuzumuten, den nach einfachem Recht vorgesehenen Rechtsweg zu beschreiten und auszuschöpfen.

2. Der Beschwerdeführer hat den fachgerichtlichen Rechtsweg nicht erschöpft (a) und auch nicht ausreichend vorgetragen, dass ihm die Rechtswegerschöpfung ausnahmsweise nicht zumutbar ist (b).

a) Wird im selbstständigen Verfahren nach §§ 49 ff. FamFG eine einstweilige Anordnung - wie hier - ohne mündliche Verhandlung erlassen, ist nach § 54 Abs. 2 FamFG ein Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung statthaft (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 1. Juli 2020 - 1 BvR 1489/20 -, Rn. 4).

Der angegriffene Beschluss des Familiengerichts ist auf der Grundlage von § 54 Abs. 1 FamFG ohne vorherige mündliche Verhandlung ergangen, weshalb nach § 54 Abs. 2 FamFG die Möglichkeit besteht, eine erneute gerichtliche Entscheidung nach mündlicher Verhandlung zu beantragen. Einen solchen Antrag hat der Beschwerdeführer noch am 1. September 2020 bei dem Familiengericht gestellt. Die beantragte erneute Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung ist bislang nicht erfolgt. Daher ist der Rechtsweg nicht erschöpft.

b) Warum es unzumutbar sein sollte, die erneute fachgerichtliche Entscheidung vor der Inanspruchnahme verfassungsgerichtlichen (Eil-)Rechtsschutzes abzuwarten, legt der Beschwerdeführer nicht hinreichend dar. Trotz der mittlerweile rund zehn Monate andauernden Unterbrechung des Umgangs mit seiner Tochter liegen für die Unzumutbarkeit sprechende Gründe nicht derart auf der Hand, dass auf Vortrag dazu verzichtet werden kann. Zum einen ist nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer sich zeitnah nach der Umgangsaussetzung durch den Ergänzungspfleger um eine Änderung der zugrundeliegenden Sorgerechtsentscheidung bemüht hätte. Zum anderen dürfte es auch am Prozessverhalten des Beschwerdeführers liegen, dass bislang noch nicht mündlich verhandelt wurde. Der Beschwerdeführer hat von seinem prozessualen Recht Gebrauch gemacht, sämtliche mit dem fraglichen Umgang befassten Richterinnen und Richter des Familiengerichts wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Dies hat jedoch aufgrund des Handlungsverbots für den abgelehnten Richter nach § 6 Abs. 1 FamFG in Verbindung mit § 47 Abs. 1 ZPO notwendigerweise zur Folge, dass ein Termin zur mündlichen Erörterung noch nicht bestimmt werden konnte.

III.

Ob die ohne mündliche Verhandlung ergangene, angegriffene Entscheidung vom 1. September 2020 einer verfassungsgerichtlichen Prüfung standhalten würde, erscheint allerdings zweifelhaft, weil sich ihren Gründen nicht entnehmen lässt, dass die aus Art. 6 Abs. 2 GG folgenden Vorgaben an einen Ausschluss des Umgangsrechts beachtet wurden. Eine Einschränkung oder ein Ausschluss des Umgangsrechts ist nur veranlasst, wenn nach den Umständen des Einzelfalls der Schutz des Kindes dies erfordert, um eine Gefährdung seiner seelischen oder körperlichen Entwicklung abzuwehren (vgl. BVerfGE 31, 194 <209 f.>). Entsprechend kann nach § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB eine Einschränkung oder ein Ausschluss des Umgangs für längere Zeit angeordnet werden, wenn anderenfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre. Das Gericht hat bei der Entscheidung über die Einschränkung oder den Ausschluss des Umgangs sowohl die betroffenen Grundrechtspositionen des Elternteils als auch das Wohl des Kindes und dessen Individualität als Grundrechtsträger zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 31, 194 <205 f.>; 64, 180 <187 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 17. September 2016 - 1 BvR 1547/16 -, Rn. 19). Die Bezugnahme auf die fehlende Akzeptanz der Entscheidung des Umgangsbestimmungspflegers durch den Beschwerdeführer in der Begründung der angegriffenen Entscheidung sowie die Ausführungen zu Versuchen des Beschwerdeführers, das Kind abzuholen, genügen hierfür nicht. Auch unter Berücksichtigung der im Eilverfahren angesichts der Eilbedürftigkeit gegenüber den in der Hauptsache bestehenden Möglichkeiten praktisch zurückbleibenden Aufklärungsmöglichkeiten obliegt dem Gericht hier eine eigene Ermittlung des Sachverhalts und eigene Bewertung, ob eine Kindeswohlgefährdung vorliegt, zu deren Abwehr ein Ausschluss des Umgangsrechts erforderlich ist. Dass dies erfolgt ist, kann der Begründung des angegriffenen Beschlusses nicht entnommen werden.

Von einer Begründung im Übrigen wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Vorinstanz: AG Frankfurt/Main, vom 01.09.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 472 F 18220/20