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BVerfG - Entscheidung vom 29.05.2020

1 BvR 1150/20

Normen:
BVerfGG § 90 Abs. 2 S. 1
§ 2 Abs. 1 CoronaVV HE 2 vom 07.05.2020
§ 2 Abs. 2 CoronaVV HE 2 vom 07.05.2020
VwGO § 47 Abs. 1 Nr. 2
VwGO § 47 Abs. 6
VwGOAG HE § 15
BVerfGG § 90 Abs. 2 S. 1
2. Verordnung des Landes Hessen zur Bekämpfung des Corona-Virus i.d.F. v. 07.05.2020 § 2 Abs. 1
2. Verordnung des Landes Hessen zur Bekämpfung des Corona-Virus i.d.F. v. 07.05.2020 § 2 Abs. 2
VwGO § 47 Abs. 1 Nr. 2
VwGO § 47 Abs. 6
HessAGVwGO § 15
BVerfGG § 90 Abs. 2 S. 1
2. Verordnung des Landes Hessen zur Bekämpfung des Corona-Virus i.d.F. v. 07.05.2020 § 2 Abs. 1
2. Verordnung des Landes Hessen zur Bekämpfung des Corona-Virus i.d.F. v. 07.05.2020§ 2 Abs. 2
VwGO § 47 Abs. 1 Nr. 2
VwGO § 47 Abs. 6
VwGOAG HE § 15

BVerfG, Beschluss vom 29.05.2020 - Aktenzeichen 1 BvR 1150/20

DRsp Nr. 2020/9516

Unzulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gegen Betretungsverbote in Einrichtungen der Kinderbetreuung; Anforderungen des Subsidiaritätsgrundsatzes; Anforderungen des Gebots der Erschöpfung des Rechtswegs; Anforderungen an die Begründung einer Verfassungsbeschwerde;

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).

Normenkette:

BVerfGG § 90 Abs. 2 S. 1; 2. Verordnung des Landes Hessen zur Bekämpfung des Corona-Virus i.d.F. v. 07.05.2020 § 2 Abs. 1; 2. Verordnung des Landes Hessen zur Bekämpfung des Corona-Virus i.d.F. v. 07.05.2020§ 2 Abs. 2; VwGO § 47 Abs. 1 Nr. 2 ; VwGO § 47 Abs. 6 ; VwGOAG HE § 15;

[Gründe]

I.

1. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen § 2 Abs. 1 und 2 der Zweiten Verordnung des Landes Hessen zur Bekämpfung des Corona-Virus vom 13. März 2020 in der Fassung der Zehnten Verordnung zur Anpassung der Verordnungen zur Bekämpfung des Corona-Virus vom 7. Mai 2020, verkündet am 8. Mai 2020 (GVBl S. 298). Die Regelung hat ihre aktuelle, zum 25. Mai 2020 geltende Fassung durch die Elfte Verordnung zur Anpassung der Verordnungen zur Bekämpfung des Corona-Virus vom 18. Mai 2020 (GVBl S. 334) erhalten. Die Verordnungen wurden aufgrund von § 32 Satz 1 und 2 IfSG erlassen. Der Beschwerdeführer will die Aufhebung von § 2 sowie eine verfassungskonforme Neuregelung erreichen.

2. Die angegriffene Norm der landesrechtlichen Verordnung regelt Betretungsverbote in Einrichtungen der Kinderbetreuung. Dabei gelten bestimmte Ausnahmen wie zur Sicherung des Kindeswohls, für Kinder in einem Hausstand von Personen, die aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit in Kontakt zu infizierten Personen stehen, und für Kinder, deren Erziehungsberechtigte zu einer bestimmten Berufsgruppe gehören oder berufstätige oder studierende Alleinerziehende sind. Weitere Ausnahmen gelten für Kinder mit Behinderungen und in Fällen besonderer Härte, die über den Wegfall der Betreuung hinausgehen und das Jugendamt bescheinigen muss.

II.

Der am ... geborene Beschwerdeführer besuchte bis zum 16. März 2020 eine Kindertagesstätte in Hessen.

Mit der Verfassungsbeschwerde rügt er eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 und Art. 3 Abs. 1 GG . Der Kindergarten sei ein nicht zu ersetzender Raum der sozialen und vorschulischen Bildung, aus dem er ausgeschlossen werde. Kindertagesstätten müssten umgehend für alle Kinder gleichermaßen geöffnet werden. Eine besondere Infektionsgefahr durch Kinder sei wissenschaftlich nicht belegt. Der Verordnungsgeber behandele Kinder ungleich, indem er sie in solche mit Eltern in "systemrelevanten" Berufen und solche aufteile, die dazu nicht gehörten. Die Privilegierung bestimmter Kinder greife massiv und unverhältnismäßig in die Grundrechte der übrigen Kinder ein. Das Betretungsverbot sei nicht erforderlich, denn der Verordnungsgeber könne auch durch Urlaubsverbote sicherstellen, dass Personal für "systemrelevante" Aufgaben zur Verfügung stehe, müsse aber jedenfalls im Einzelfall prüfen, ob eine Notbetreuung tatsächlich notwendig sei.

Die Verfassungsbeschwerde habe allgemeine Bedeutung für alle Kinder in Hessen, die keine Kindertagesstätte betreten dürften. Daher sei es nicht erforderlich, vor der Anrufung des Bundesverfassungsgerichts den Rechtsweg zu beschreiten. Auch wenn der Beschwerdeführer selbst zwischenzeitlich in den Genuss einer Ausnahme zum Betretungsverbot komme, erbitte er eine richterliche Entscheidung.

III.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor, weil sie unzulässig ist.

1. a) Die Verfassungsbeschwerde wird den Anforderungen des Subsidiaritätsgrundsatzes nicht gerecht (§ 90 Abs. 2 BVerfGG ). Danach muss der Beschwerdeführer vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde alle zur Verfügung stehenden und zumutbaren prozessualen Möglichkeiten ergreifen, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern.

Das hat er nicht getan. Hier war es nach § 15 HessAGVwGO möglich und zumutbar, die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Regelungen im Rahmen eines Normenkontroll- sowie Normenkontrolleilverfahrens gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 , Abs. 6 VwGO durch den Hessischen Verwaltungsgerichtshof überprüfen zu lassen. Soweit ersichtlich, hat dieser über das hier angegriffene Betretungsverbot von Einrichtungen zur Kinderbetreuung bislang nicht entschieden. Zudem kommt vor einer Anrufung des Bundesverfassungsgerichts in Betracht, bei dem zuständigen Verwaltungsgericht eine mit einem Antrag auf Eilrechtsschutz verbundene negative Feststellungsklage nach § 43 VwGO zu erheben, um sich gegen die individuelle Verbindlichkeit des Betretungsverbots zu wehren (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 31. März 2020 - 1 BvR 712/20 -, Rn. 15).

b) Die Verfassungsbeschwerde ist auch nicht wegen allgemeiner Bedeutung (vgl. § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG ) vor Ausschöpfung des fachgerichtlichen Rechtsschutzes zulässig. Dazu müsste die Verfassungsbeschwerde über den Einzelfall hinaus Klarheit über die Rechtslage in einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle schaffen (vgl. BVerfGE 108, 370 <386>). Das ist hier nicht der Fall. Der Beschwerdeführer selbst hält es schon nicht für ausgeschlossen, zwischenzeitlich von einer Ausnahmeregelung zu profitieren. Sein Fall wäre dann nicht mehr "gleichgelagert" zu den für die "allgemeine Bedeutung" vorgetragenen Fälle solcher Kinder, denen die Rückkehr in die Kindertagesstätte nicht möglich sei. Zudem bedarf die tatsächliche Entwicklung einschließlich der vom Beschwerdeführer bestrittenen Infektiosität von Kindern einer fachgerichtlichen Aufbereitung der Entscheidungsgrundlagen, bevor sich das Bundesverfassungsgericht mit den weiteren verfassungsrechtlichen Fragen befassen kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 31. März 2020 - 1 BvR 712/20 -, Rn. 17).

2. Die Verfassungsbeschwerde ist zudem unzulässig, weil sie nicht den Begründungsanforderungen nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG genügt. Soweit sich der Beschwerdeführer gegen die unterschiedliche Behandlung von gleichermaßen betreuungsbedürftigen Kindern wendet und damit eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG rügt, hätte er darlegen müssen, welche Personen hier inwiefern miteinander verglichen werden, worin konkret der individuelle Nachteil einer Ungleichbehandlung liegt und welche naheliegenden Gründe für und gegen die angegriffene Differenzierung sprechen (vgl. BVerfGE 131, 66 <82>). Daran fehlt es hier. Auch wird nicht dargelegt, inwiefern von ihm angesprochene Maßnahmen gleichermaßen geeignet wären, das vom Verordnungsgeber angestrebte Ziel zu erreichen. Schließlich setzt sich die Verfassungsbeschwerde weder mit der Befristung der Verbote noch mit den weiteren Ausnahmen auseinander (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 13. Mai 2020 - 1 BvR 1021/20 - Rn. 10 f.).

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.