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BVerfG - Entscheidung vom 02.10.2020

1 BvR 2248/20

Normen:
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 6 Abs. 2 S. 1
GG Art. 20 Abs. 3
GG Art. 103 Abs. 1
BVerfGG § 23 Abs. 1 S. 2
BVerfGG § 32 Abs. 1
BVerfGG § 92
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 6 Abs. 2 S. 1
GG Art. 20 Abs. 3
GG Art. 103 Abs. 1
BVerfGG § 23 Abs. 1 S. 2
BVerfGG § 32 Abs. 1
BVerfGG § 92
BVerfGG § 32 Abs. 1
GG Art. 6 Abs. 2 S. 1

BVerfG, Beschluss vom 02.10.2020 - Aktenzeichen 1 BvR 2248/20

DRsp Nr. 2020/15887

Einstweiliger Rechtsschutz gegen eine als einstweilige Anordnung ergangene familiengerichtliche Entscheidung zum Umgangsrecht des dreijährigen Sohnes mit dem Vater

Tenor

Der Antrag vom 29. September 2020 auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Normenkette:

BVerfGG § 32 Abs. 1 ; GG Art. 6 Abs. 2 S. 1;

[Gründe]

Die Beschwerdeführerin begehrt ‒ erneut ‒ einstweiligen Rechtsschutz gegen eine als einstweilige Anordnung ergangene familiengerichtliche Entscheidung, durch die ein zweiwöchiger Umgang ihres dreijährigen Sohnes mit dem Vater des Kindes angeordnet wurde. Einen vorherigen isolierten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat die Kammer mit Beschluss vom 28. September 2020 - 1 BvQ 106/20 - als unzulässig abgelehnt. Das Schreiben vom 29. September 2020, mit dem die Beschwerdeführerin um erneute Entscheidung von Amts wegen über die einstweilige Anordnung auf der Grundlage der nunmehr mit der Verfassungsbeschwerde vorgelegten Unterlagen bittet, ist als erneuter Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auszulegen. Eine solche Auslegung entspricht dem erkennbaren Rechtsschutzbegehren der Beschwerdeführerin, auf verfassungsrechtliche Prüfung des angeordneten Umgangs vor dessen Ende am 16. Oktober 2020.

Dieser Antrag hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen des § 32 BVerfGG liegen auch unter Berücksichtigung des Vortrags in der Verfassungsbeschwerde und der dort vorgelegten Unterlagen nicht vor.

1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die der Beschwerdeführer für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts anführt, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache erweist sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 7, 367 <371>; 134, 138 <140 Rn. 6>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 27. Juni 2020 - 1 BvQ 74/20 -, Rn. 2). Bei einem offenen Ausgang der Verfassungsbeschwerde sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde jedoch der Erfolg versagt bliebe (vgl. BVerfGE 131, 47 <55>; 132, 195 <232>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 27. Juni 2020 - 1 BvQ 74/20 -, Rn. 2).

2. Danach liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht vor, weil die Verfassungsbeschwerde auf der Grundlage ihrer bisherigen Begründung und der dazu vorgelegten Unterlagen unzulässig ist.

a) Die Begründung der Verfassungsbeschwerde zeigt eine mögliche Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsähnlichen Rechten nicht in der hier nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG gebotenen Weise auf. Insoweit begründet die Beschwerdeführerin die behaupteten Grundrechtsverstöße nicht hinreichend in Auseinandersetzung mit den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Maßstäben und mit der angegriffenen Entscheidung (vgl. BVerfGE 130, 1 <21> m.w.N.).

aa) Sie legt nicht hinreichend dar, dass das Amtsgericht unter Verletzung von Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG willkürlich durch eine einstweilige Anordnung entschieden hat, obwohl es hätte in der Hauptsache entscheiden können. Es ist bei Anlegung eines objektiven Maßstabs nicht erkennbar, dass diese Vorgehensweise unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 70, 93 <97>; 96, 189 <203>; 112, 185 <215>; stRspr). Allein, weil alle Beteiligten des Verfahrens angehört worden sind, ist ein Verfahren über das Umgangsrecht noch nicht zwingend entscheidungsreif. Insbesondere ist es naheliegend, in Fällen einer Weigerungshaltung des Kindes zunächst dessen Entwicklung bei Durchführung mehrerer Umgänge zu beobachten, um die Entscheidung über weitere Umgänge darauf stützen zu können.

bb) Auch eine Verletzung ihres Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG legt die Beschwerdeführerin nicht hinreichend dar.

(1) Aus den vorgelegten Unterlagen ist erkennbar, dass das Amtsgericht für seine Entscheidung auf umfassende Erkenntnisse zurückgreifen konnte und damit grundsätzlich eine tragfähige Grundlage für eine am Kindeswohl ausgerichtete Entscheidung hatte (vgl. BVerfGE 55, 171 <182>; BVerfGK 9, 274 <278 f.>; 17, 407 <412>).

(2) Soweit die Beschwerdeführerin meint, das Amtsgericht habe eine Gefährdung für die psychische Gesundheit des Kindes nicht beachtet, die entstehe, weil das Kind eine sehr enge Bindung an sie habe und durch den Umgang von der Hauptbezugsperson getrennt würde, setzt sie sich nicht damit auseinander, dass die fachlich Beteiligten, insbesondere die gerichtlich beauftragte psychologische Sachverständige in ihrer schriftlichen Stellungnahme, eine gute Bindung des Kindes auch an den Vater feststellten und vom Amtsgericht vor Erlass der Entscheidung zu dem beabsichtigten Umgang befragt wurden, ohne Besorgnis einer entsprechenden Gefährdung zu äußern. Fachliche Fehler insbesondere im Sachverständigengutachten oder insoweit unzureichende Ermittlungen des Gerichts legt sie nicht dar.

(3) Ebenso ist die Rüge nicht hinreichend substantiiert, dass der Vortrag zu "Ausrastern" des Vaters nicht beachtet worden sei, denn hiermit hat sich die Sachverständige im vorgelegten Gutachten auseinandergesetzt. Hierzu verhält sich die Begründung der Verfassungsbeschwerde wiederum nicht.

(4) Auch im Übrigen sind auf der Grundlage des Vortrags der Beschwerdeführerin keine Verfassungsrecht verletzenden Fehler in der Ermittlung des Sachverhalts oder der Bewertung des Kindeswohls durch das Amtsgericht erkennbar.

b) Mit der Rüge, das Amtsgericht habe ihren Vortrag zu "Ausrastern" des Vaters und insoweit angebotene Beweise nicht berücksichtigt, rügt die Beschwerdeführerin der Sache nach weiterhin eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG . Insoweit ist aber ein Übergehen des genannten Vortrags nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Die Beschwerdeführerin gibt nicht an, wann und in welcher Weise sie diesen Vortrag gehalten hat. Eine pauschale Bezugnahme auf die Schriftsätze im Verfahren genügt nicht (vgl. BVerfGE 83, 216 <228>).

3. Ungeachtet dessen, dass die Begründung der Verfassungsbeschwerde in der laufenden Frist noch in zulässiger Weise ergänzt werden kann, sind die Voraussetzungen des Erlasses einer einstweiligen Anordnung jedenfalls derzeit nicht erfüllt. Aufgrund der vorliegenden Unterlagen kann auch nicht summarisch beurteilt werden, ob die Verfassungsbeschwerde bei einer solchen ergänzten Begründung weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 27. Dezember 2016 - 1 BvQ 49/16 -, Rn. 6; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 13. Februar 2019 - 1 BvQ 9/19 -, juris, Rn. 2; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 20. August 2020 - 1 BvQ 60/20 und 1 BvQ 64/20 -, Rn. 6 m.w.N.).

4. Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Vorinstanz: AG Bünde, vom 23.09.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 7 F 205/19