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BVerfG - Entscheidung vom 20.07.2020

2 BvR 2214/19

Normen:
GG Art. 19 Abs. 4
SichVVollzG BY Art. 96
StVollzG § 109
StVollzG § 109ff
StVollzG BY Art. 204 Abs. 1
GG Art. 19 Abs. 4
BaySvVollzG Art. 96
StVollzG § 109
StVollzG § 109ff
BaySvVollzG Art. 204 Abs. 1
BayStVollzG Art. 204 Abs. 1
StVollzG § 109

BVerfG, Beschluss vom 20.07.2020 - Aktenzeichen 2 BvR 2214/19

DRsp Nr. 2020/11884

Darstellen des Auskunftsanspruchs über die Verarbeitung personenbezogener Daten als Verwirklichung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung; Begründung der Verfassungsbeschwerde

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Normenkette:

BayStVollzG Art. 204 Abs. 1; StVollzG § 109 ;

[Gründe]

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der Beschwerdeführer nicht innerhalb der Monatsfrist ab Zustellung der Entscheidung (§ 93 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BVerfGG ) den aus §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 BVerfGG folgenden Substantiierungsanforderungen nachgekommen ist.

Es spricht allerdings viel dafür, dass der Beschluss des Landgerichts Regensburg vom 25. Juni 2019 und der Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 30. September 2019 der Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG nicht gerecht geworden sind.

Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 67, 43 <58>; stRspr). Dabei gewährleistet Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern verleiht dem Einzelnen, der behauptet, durch einen Akt öffentlicher Gewalt verletzt zu sein, einen substantiellen Anspruch auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 101, 106 <122 f.>; 103, 142 <156>; 113, 273 <310>; 129, 1 <20>). Art. 19 Abs. 4 GG verpflichtet die Gerichte bei der Auslegung und Anwendung des Prozessrechts, das Ziel der Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes zu verfolgen (vgl. BVerfGE 77, 275 <284>) und den Zugang zu den eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. BVerfGE 44, 302 <305>; 69, 381 <385>; 77, 275 <284>; 134, 106 <117 Rn. 34>). Im Bereich des Strafvollzugsrechts wird Art. 19 Abs. 4 GG durch §§ 109 ff. StVollzG auf der Ebene des einfachen Rechts konkretisiert. Die Vorschrift ist im Lichte des Art. 19 Abs. 4 GG auszulegen und anzuwenden (vgl. BVerfG, 2. Kammer des Zweiten Senats, Beschluss vom 13. April 1999 - 2 BvR 827/98 -, Rn. 24).

Bei der vom Beschwerdeführer begehrten Auskunft handelt es um eine solche nach Art. 96 BaySvVollzG in Verbindung mit Art. 204 Abs. 1 BayStVollzG. Danach teilt die Justizvollzugsanstalt einer Person auf Antrag mit, ob sie betreffende personenbezogene Daten verarbeitet werden. Ist dies der Fall, erhält die Person ihrem Antrag entsprechend unter anderem Auskunft über sie betreffende personenbezogene Daten, über die Rechtsgrundlage, und die Zwecke der Verarbeitung (Nr. 1) und verfügbare Informationen zur Herkunft der Daten oder, falls dies im Einzelfall nicht möglich ist, zu den Kategorien personenbezogener Daten, die verarbeitet werden (Nr. 2).

Der Auskunftsanspruch aus Art. 204 BayStVollzG stellt eine Verwirklichung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung dar (vgl. Arloth/Krä, Strafvollzugsgesetz , 4. Aufl. 2017, § 185 StVollzG , Rn. 1) und ist, da er personenbezogene Daten des Beschwerdeführers betrifft, von einer Auskunft allgemeiner Art zu unterscheiden.

Da es sich um einen individuellen Anspruch handelt, kommt durch die Nichterfüllung auch eine Rechtsverletzung in Betracht, so dass eine Maßnahme nach § 109 StVollzG vorliegt.

Indem das Landgericht eine Differenzierung zwischen einer allgemeinen Auskunft und dem konkreten Auskunftsanspruch nicht vorgenommen und das Vorliegen einer Maßnahme nach § 109 StVollzG verneint hat, dürfte es in Verkennung der dargestellten Grundsätze dem Beschwerdeführer die Möglichkeit effektiver gerichtlicher Kontrolle nach Art. 19 Abs. 4 GG verwehrt haben.

Auch der Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts dürfte den Anforderungen aus Art. 19 Abs. 4 GG nicht genügen.

Zwar fordert Art. 19 Abs. 4 GG keinen Instanzenzug. Eröffnet das Prozessrecht aber eine weitere Instanz, so gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG dem Bürger auch insoweit eine wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 40, 272 <274 f.>; 54, 94 <96 f.>; 122, 248 <271>; stRspr). Die Rechtsmittelgerichte dürfen ein von der jeweiligen Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht durch die Art und Weise, in der sie die gesetzlichen Voraussetzungen für den Zugang zu einer Sachentscheidung auslegen und anwenden, ineffektiv machen und für den Rechtssuchenden "leer laufen" lassen; der Zugang zu den in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanzen darf nicht in einer durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 96, 27 <39>; 117, 244 <268>; 122, 248 <271>; stRspr).

Mit der Annahme, die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung sei weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten, weil das Vorliegen einer Maßnahme nach § 109 StVollzG vom Landgericht zu Recht abgelehnt worden sei, dürfte das Oberlandesgericht die Anforderungen an die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde überspannt und dem Beschwerdeführer keine wirksame gerichtliche Kontrolle ermöglicht haben. Bei Vorliegen einer mit der Rechtsschutzgarantie nach Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbaren Rechtsauslegung ist die Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Vorinstanz: LG Regensburg, vom 25.06.2019 - Vorinstanzaktenzeichen StVK 341/19
Vorinstanz: BayObLG, vom 30.09.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 204 StObWs 1509/19