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BVerfG - Entscheidung vom 22.10.2020

1 BvQ 116/20

Normen:
BVerfGG § 32 Abs. 1
§ 17 Abs. 2 CoronaVV SH 11
BVerfGG § 32 Abs. 1
Corona-BekämpfVO § 17 Abs. 2
CoronaBekämpfVO SH (i.d.F.v. 08.10.2020) § 17 Abs. 2 S. 3-4

Fundstellen:
NVwZ 2020, 1749

BVerfG, Beschluss vom 22.10.2020 - Aktenzeichen 1 BvQ 116/20

DRsp Nr. 2020/15890

Außervollzugsetzung eines landesrechtlichen Beherbergungsverbots als Maßnahme zur Bekämpfung der Corona-Pandemie

Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Normenkette:

CoronaBekämpfVO SH (i.d.F.v. 08.10.2020) § 17 Abs. 2 S. 3-4;

[Gründe]

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, ein landesrechtliches Beherbergungsverbot als Maßnahme zur Bekämpfung der Corona-Pandemie außer Vollzug zu setzen, hat keinen Erfolg. Er genügt nicht den an die Begründung eines solchen Antrags zu stellenden Anforderungen. Insbesondere haben die Antragsteller jenseits eines pauschalen Verweises auf Medienberichterstattung nicht dargelegt, warum es ihnen nicht möglich wäre, vor ihrer Abreise am Heimatort oder im zumutbaren Umkreis einen Test in Bezug auf eine Infektion mit dem Coronavirus zu erlangen.

I.

Die Antragsteller leben in Tübingen und wollen in den Herbstferien vom 26. Oktober bis 1. November 2020 Urlaub in einer dazu für diesen Zeitraum angemieteten Ferienwohnung auf Sylt machen. Sie wenden sich mit ihrem Eilantrag gegen das in § 17 Abs. 2 der Landesverordnung zur Bekämpfung des Coronavirus SARS-Cov-2 Schleswig-Holstein vom 1. Oktober 2020 in der Fassung vom 8. Oktober 2020 (CoronaBekämpfVO) geregelte Beherbergungsverbot. Das Land hat diese Regelung mit Art. 2 der Landesverordnung zur Änderung der Corona-Quarantäneverordnung und der Corona-Bekämpfungsverordnung vom 8. Oktober 2020 eingeführt. Sie lautet:

"(2) 1Das für Gesundheit zuständige Ministerium des Landes Schleswig-Holstein kann einen Kreis oder eine kreisfreie Stadt innerhalb der Bundesrepublik Deutschland, in welchem oder in welcher innerhalb eines Zeitraums von sieben Tagen die Rate der Neuinfektionen mit dem Coronavirus laut der Veröffentlichungen des Robert Koch-Instituts höher als 50 von 100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern ist, als inländische Hochinzidenzgebiete ausweisen. 2Die Entscheidungen werden auf der Internetseite https://schleswig-holstein.de/DE/Landesregierung /VIII/_startseite/Artikel_2020/_Informationen_Urlauber/teaser_informationen_urlauber.html veröffentlicht. 3Personen, die sich innerhalb der letzten 14 Tage in Gebieten, die am Tag der Ankunft als Gebiete nach Satz 1 ausgewiesen sind, aufgehalten haben, dürfen nicht zu touristischen Zwecken in Betrieben nach Absatz 1 beherbergt werden. 4Abweichend von Satz 3 dürfen Personen beherbergt werden, wenn sie bei Ankunft dem Betrieb gegenüber schriftlich bestätigen, dass sie über ein negatives Testergebnis in Bezug auf eine Infektion mit dem Coronavirus auf Papier oder in einem elektronischen Dokument in deutscher, englischer oder französischer Sprache verfügen und das Testergebnis nicht mehr als 48 Stunden vor Ankunft festgestellt worden ist. 5Der zu Grunde liegende Test muss die jeweils aktuellen und veröffentlichten Anforderungen des Robert Koch-Instituts oder der Verordnung zur Testpflicht von Einreisenden aus Risikogebieten vom 6. August 2020 (BAnz AT 07.08.2020 V1) erfüllen."

Die geänderte Verordnung trat am 9. Oktober 2020 in Kraft. Nach ihrem § 22 tritt die Verordnung insgesamt am 1. November 2020 außer Kraft.

II.

1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei gelten, selbst wenn eine Verfassungsbeschwerde in der Sache Aussicht auf Erfolg haben sollte, für den Erlass einer einstweiligen Anordnung durch das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der insoweit grundsätzlich maßgeblichen Folgenabwägung strenge Maßstäbe (vgl. BVerfGE 71, 158 <161>; 88, 185 <186>; 91, 252 <257 f.>; 111, 147 <152 f.>; stRspr). Ein zulässiger Antrag nach § 32 Abs. 1 BVerfGG erfordert zudem zu allen Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung hinreichend substantiierte Darlegungen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 23. August 2017 - 1 BvR 1783/17 -, Rn. 9; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. März 2019 - 1 BvQ 90/18 -, Rn. 6 f.; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 28. September 2020 - 1 BvQ 106/20 -, Rn. 3). Dazu gehört eine Antragsbegründung, auf deren Grundlage das Bundesverfassungsgericht wenigstens summarisch verantwortbar beurteilen kann, ob eine noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde nicht von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 20. August 2020 - 1 BvQ 60/20 und 64/20 -, Rn. 6 m.w.N.).

2. Diesen Anforderungen wird der vorliegende Antrag nicht gerecht.

a) Die Antragsteller sind allerdings nicht darauf verwiesen, in Bezug auf § 17 Abs. 2 CoronaBekämpfVO zunächst verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Das Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein hat mit Beschluss vom 15. Oktober 2020 - 3 MR 45/20 - im verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutzverfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO entschieden, dass die hier angegriffene Norm nicht außer Vollzug gesetzt wird. Damit erscheint es gegenwärtig unzumutbar, den Antragstellern abzuverlangen, dort zwar nun in eigener Sache, aber zu identischen Rechtsfragen um verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz nachzusuchen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 7. April 2020 - 1 BvR 755/20 -, Rn. 2 ff.).

b) Ihr Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist aber nicht hinreichend substantiiert.

aa) Die Antragsteller setzen sich mit der angegriffenen Regelung und den Zielen des hier handelnden Verordnungsgebers auf der einen Seite und den allerdings nicht unerheblichen rechtlichen Zweifeln an einem Beherbergungsverbot in vergleichbaren Regelungen auch anderer Länder nicht weiter auseinander. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein vom 15. Oktober 2020 - 3 MR 45/20 - nehmen sie nur insoweit in den Blick, als sie deshalb in eigener Sache den Rechtsweg nicht beschreiten müssten. Auf andere fachgerichtliche Entscheidungen (OVG Lüneburg, Beschluss vom 15. Oktober 2020 - 13 MN 371/20 -; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 15. Oktober 2020 - 1 S. 3156/20 -) wird schlicht verwiesen. Zu Fragen der Ermächtigungsgrundlage, des Zitiergebots und der Bestimmtheit, die in den Ländern von den befassten Fachgerichten unterschiedlich beurteilt wurden (dazu VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 15. Oktober 2020 - 1 S. 3156/20 -, Rn. 32 ff.; OVG Lüneburg, Beschluss vom 15. Oktober 2020 - 13 MN 371/20 -, Rn. 49 ff.; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 20. Oktober 2020 - 2 KM 702/20 -, Pressemitteilung Nr. 12/2020; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. Oktober 2020 - 11 S. 87/20 und 11 S. 88/20 -, Pressemitteilung; anders dagegen OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 15. Oktober 2020 - 3 MR 45/20 -, Rn. 15 ff.), die auch für eine im Eilverfahren vorzunehmende summarische Prüfung der Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde erforderlich wären, wird nicht vorgetragen. Ob und warum gerade im hier zu entscheidenden Fall ernsthafte Zweifel an der formellen oder materiellen Rechtmäßigkeit der Verordnung bestehen und ob darüber hinaus schwerwiegende Gründe vorliegen, diese vorläufig außer Vollzug zu setzen, wird nicht substantiiert. So bleibt unberücksichtigt, inwiefern nicht die Infektionsrisiken in Beherbergungsbetrieben, sondern erhöhte Mobilität und neue soziale Kontakte derartige Regelungen tragen, ob unterschiedliche Regionen hier unterschiedliche Maßnahmen in Kraft setzen können und was auch insoweit für oder gegen die hier konkret angegriffene Regelung in Schleswig-Holstein spricht. Für Länder, die ohnehin Ziel von Tagesausflügen sind, können andere Gesichtspunkte eine Rolle spielen als für Orte, die vorrangig für längere Urlaube besucht werden, ebenso wie das Infektionsgeschehen, die Bevölkerungsdichte oder die medizinische Infrastruktur einen Unterschied machen können.

bb) Die Antragsteller haben eigene schwere Nachteile nicht hinreichend dargelegt.

Tatsächlich bewirkt ein Beherbergungsverbot schwerwiegende Eingriffe in Grundrechte, die insbesondere nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit zu rechtfertigen sein müssen. Eine solche Rechtfertigung lässt sich aber nicht von vornherein ausschließen. Die Antragsteller setzen sich damit nicht weiter auseinander. Ihr Bezug auf Art. 8 GG erscheint fernliegend. Ob mit dem Verbot in die von Art. 11 Abs. 1 GG garantierte Freizügigkeit eingegriffen wird, bedarf hier keiner Entscheidung (dafür VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 15. Oktober 2020 - 1 S. 3156/20 -, Rn. 21; dagegen OVG Lüneburg, Beschluss vom 15. Oktober 2020 - 13 MN 371/20 -, Rn. 69). Mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 GG wäre jedenfalls zu berücksichtigen, dass der Verordnungsgeber die Möglichkeit eines Tests einräumt, es sich also hier nicht um ein generelles Einreise- oder Urlaubsverbot handelt. Nach § 17 Abs. 2 Satz 3 und 4 CoronaBekämpfVO gilt das Beherbergungsverbot auch bei touristischen Reisen nicht für Personen, die bei Ankunft dem Betrieb gegenüber schriftlich bestätigen, dass sie über ein dokumentiertes negatives Testergebnis in Bezug auf eine Infektion mit dem Coronavirus verfügen und das Testergebnis nicht mehr als 48 Stunden vor Ankunft nach den aktuell geltenden Regeln festgestellt worden ist. Dem Argument, dass nur mit einem Test das Infektionsrisiko belastbar eingeschätzt werden kann und die Länder daher auf die Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger angewiesen sind, setzen sie nichts entgegen. Es ist jedenfalls nicht hinreichend dargelegt, dass für sie ein solcher Negativtest in Tübingen oder in einem zumutbaren Umkreis nicht rechtzeitig oder nicht zumutbar zu erlangen wäre. Jenseits eines allgemeinen Verweises auf Medienberichterstattung haben die Antragsteller dazu nichts vorgetragen.

cc) Bei einer Entscheidung über eine einstweilige Anordnung wären im Rahmen der Folgenabwägung insbesondere auch Folgen der angegriffenen Norm für die Beherbergungsbetriebe in den Blick zu nehmen. Gerade deren Belastungen wiegen schwer (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 15. Oktober 2020 - 1 S. 3156/20 -, Rn. 32 ff.; OVG Lüneburg, Beschluss vom 15. Oktober 2020 - 13 MN 371/20 -, Rn. 49 ff., 63; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 20. Oktober 2020 - 2 KM 702/20 OVG -, Pressemitteilung Nr. 12/2020; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. Oktober 2020 - 11 S. 87/20 und 11 S. 88/20 -, Pressemitteilung). Diese Belastungen kann das Bundesverfassungsgericht aber nur einbeziehen, wenn die Antragsteller auch eigene schwere Nachteile hinreichend substantiiert vortragen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 5. Juli 2013 - 1 BvR 1014/13 -, Rn. 2; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 8. April 2020 - 1 BvR 623/20 -, Rn. 2). Daran fehlt es. Ob zu rechtfertigen wäre, eine auf drei Wochen befristete Landesverordnung außer Kraft zu setzen, nicht nur weil der geplante Urlaub ohne Virustest nicht angetreten werden darf, sondern weil die Belastungen für die Betriebe das Interesse an einer Fortgeltung der Regel überwiegen könnten, war hier deshalb nicht zu entscheiden.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Fundstellen
NVwZ 2020, 1749