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BSG - Entscheidung vom 21.04.2020

B 5 R 212/19 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3
SGG § 62
GG Art. 103 Abs. 1

BSG, Beschluss vom 21.04.2020 - Aktenzeichen B 5 R 212/19 B

DRsp Nr. 2020/6565

Weitergewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 9. Juli 2019 wird als unzulässig verworfen.

Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im vorbezeichneten Urteil Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwältin G., R., B. beizuordnen, wird abgelehnt.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ; SGG § 62 ; GG Art. 103 Abs. 1 ;

Gründe

Zwischen den Beteiligten ist streitig die Weitergewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 1.11.2013. Mit Urteil vom 9.7.2019 hat das LSG Baden-Württemberg einen solchen Anspruch der Klägerin verneint und ihre Berufung gegen den Gerichtsbescheid des SG Stuttgart vom 6.2.2017 zurückgewiesen. Gegen die Nichtzulassung der Revision hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt und einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) gestellt. Sie beruft sich auf Verfahrensfehler 160 Abs 2 Nr 3 SGG ).

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.

Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat 160 Abs 2 Nr 1 SGG ),

das Urteil von einer Entscheidung des BSG , des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder

ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).

Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG ), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels 160a Abs 2 Satz 3 SGG ) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

a) Wer sich auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG stützt, muss ua einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, die Rechtsauffassung des LSG wiedergeben, aufgrund der bestimmte Tatsachen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen und die von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände darlegen, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten (stRspr; vgl zB zuletzt BSG Beschluss vom 17.9.2019 - B 1 KR 63/18 B - juris RdNr 5 mwN). Hierzu gehört nach ständiger Rechtsprechung des BSG die Darlegung, dass ein Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt und noch zumindest hilfsweise aufrechterhalten wurde.

An der Bezeichnung eines solchen Beweisantrages fehlt es hier. Die bereits vor dem LSG anwaltlich vertretene Klägerin trägt vor, das LSG habe nicht alle Ermittlungsmöglichkeiten ausgeschöpft und einen Beweisantrag im Schriftsatz vom 26.6.2019 übergangen. Darin habe sie beantragt, ein weiteres Gutachten zu der Frage einzuholen, dass sie unter Berücksichtigung aller Erkrankungen bereits seit dem Zeitpunkt der begehrten Weiterbewilligung der Erwerbsminderungsrente, spätestens ab November 2015 nicht mehr in der Lage gewesen sei, einen Pkw zu fahren. Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin ("ein kurz vor dem Termin formulierter Beweisantrag ist ausreichend") ist ein Beweisantrag zu benennen, der bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zu Protokoll gestellt oder zumindest hilfsweise aufrechterhalten wurde oder den das Berufungsgericht in seiner Entscheidung wiedergibt (vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). Dazu enthält die Beschwerdebegründung keine Angaben. Nähere Ausführungen wären deshalb erforderlich gewesen, weil ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 9.7.2019 die Prozessbevollmächtigte der Klägerin lediglich beantragt hat, "den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 6. Februar 2017 sowie den Bescheid der Beklagten vom 7. November 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. März 2014 aufzuheben und ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 31. Oktober 2013 hinaus zu gewähren". Einen Beweisantrag hat die Klägerin danach nicht - auch nicht hilfsweise - gestellt. Daraus erklärt sich auch, dass - wie die Klägerin ebenfalls rügt - das LSG den Beweisantrag im Urteil "nicht einmal erwähnt".

b) Die Klägerin bezeichnet auch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht ausreichend. Wer die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör 62 SGG , Art 103 Abs 1 GG ) rügt, muss hierzu ausführen, welchen erheblichen Vortrag das Gericht bei seiner Entscheidung nicht zur Kenntnis genommen hat, welches Vorbringen des Rechtsuchenden dadurch verhindert worden ist und inwiefern das Urteil auf diesem Sachverhalt beruhen kann (vgl zB BSG Beschluss vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36; aus jüngster Zeit BSG Beschluss vom 27.1.2020 - B 5 RE 3/19 B - Juris RdNr 14). Daran fehlt es hier.

Die Klägerin trägt vor, sie habe mit Schriftsatz vom 4.7.2019 vorgetragen, dass ihr Ehemann für die Gemeinde arbeite und den Pkw durchgängig für seine Tätigkeit benötige. Dieser Umstand sei für die Frage erheblich gewesen, ob die Klägerin im November 2015 überhaupt noch in der Lage gewesen sei, einen Pkw zu führen. Woraus die Klägerin den Entscheidungsgründen entnimmt, das LSG habe diesen Vortrag "nicht berücksichtigt", geht aus der Beschwerdebegründung nicht hervor. Das Berufungsgericht hat sich im angefochtenen Urteil ausdrücklich mit den beiden von der Klägerin angeführten Schreiben vom 26.6.2019 und vom 4.7.2019 befasst und dazu ausgeführt, es habe sich nicht davon überzeugen können, dass der Pkw der Klägerin nicht zur Verfügung gestanden habe.

Auch mit ihrem weiteren Vorbringen, der Anspruch auf rechtliches Gehör solle verhindern, dass Beteiligte "durch eine Entscheidung überrascht werden", bezeichnet die Klägerin nicht hinreichend einen Verfahrensmangel. Sie macht dazu geltend, sie habe im August 2017 im Verfahren der PKH vorgetragen, dass ihr Ehemann nur wenig arbeite. Das LSG habe ihre Angaben "in der Urteilsbegründung erstmalig zur Bestätigung dafür herangezogen, dass der Ehemann der Klägerin den Pkw nicht benötige und somit der Pkw der Klägerin spätestens ab November 2015 tatsächlich zur Verfügung stand". Dieses Vorbringen enthält keine hinreichende Bezeichnung eines Verfahrensmangels in Form einer sog Überraschungsentscheidung. Eine solche Überraschungsentscheidung ist nicht bereits dann anzunehmen, wenn einer der Beteiligten eine andere Entscheidung des Gerichts erwartet hat. Voraussetzung ist vielmehr, dass das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wende gibt, mit der auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht (vgl BSG Beschluss vom 16.7.2019 - B 5 R 262/18 B - juris RdNr 8 mwN). Aus welchen Gründen überraschend gewesen sein könnte, dass das LSG zur Argumentation in den Entscheidungsgründen die von der Klägerin selbst im PKH-Verfahren gemachten Angaben heranzog, begründet die Klägerin nicht.

Soweit die Klägerin in diesem Kontext schließlich vorträgt, das LSG habe ohne einen vorherigen richterlichen Hinweis diese Angabe aus ihrem Antrag auf Gewährung von PKH vom August 2017 verwertet "als Beweis dafür, dass der Klägerin damals ab 2013, spätestens ab November 2015 tatsächlich ein Pkw zur Verfügung stand", und es sei erforderlich gewesen, der Prozessbevollmächtigten ausreichend Zeit einzuräumen, sich hierzu zu äußern, ist schon nicht dargetan, welcher weitere Vortrag der Klägerin - über den Inhalt der Schriftsätze vom 26.6.2019 und vom 4.7.2019 hinaus - von der Klägerin dadurch verhindert worden sein soll.

Mit ihrem Vorbringen, das LSG habe aufgrund ihrer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu einem Antrag auf Bewilligung von PKH aus dem Jahr 2017 "sachwidrig unterstellt", sie habe "in den Jahren 2013, 2014 und 2015 sowie in den weiteren Jahren tatsächlich über einen Pkw verfügt", rügt sie eine aus ihrer Sicht fehlerhafte Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht. Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann jedoch nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 Alt 1 SGG ausdrücklich nicht auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG gestützt werden.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

2. Der Antrag auf Bewilligung von PKH unter Beiordnung der Prozessbevollmächtigten ist abzulehnen. Das Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde bietet - wie bereits ausgeführt - keine hinreichende Aussicht auf Erfolg 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1, § 121 Abs 1 ZPO ).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG .

Vorinstanz: LSG Baden-Württemberg, vom 09.07.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 9 R 832/17
Vorinstanz: SG Stuttgart, vom 06.02.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 13 R 2251/14