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BSG - Entscheidung vom 04.03.2020

B 12 R 26/19 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1

BSG, Beschluss vom 04.03.2020 - Aktenzeichen B 12 R 26/19 B

DRsp Nr. 2020/6549

Voraussetzungen einer Sozialversicherungspflicht Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 26. Juni 2019 wird als unzulässig verworfen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7671,26 Euro festgesetzt.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe

I

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten um die im Rahmen eines Betriebsprüfungsverfahrens getroffene Feststellung der Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 1. in der Zeit vom 1.5.2009 bis 31.12.2011 sowie eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen inklusive Säumniszuschlägen in Höhe von insgesamt 7671,26 Euro (Bescheid vom 13.9.2013, Widerspruchsbescheid vom 16.4.2014).

Das SG Hannover hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 11.10.2016). Das LSG Niedersachsen- Bremen hat die Berufung zurückgewiesen. Einer vorherigen Ankündigung der Betriebsprüfung habe es nicht bedurft, denn Basis für die Feststellungen der Beitragsforderungen seien umfangreiche Ermittlungen durch das Hauptzollamt Hannover im Rahmen des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes gewesen. Die Beklagte habe nach § 14 Abs 2 Satz 2 SGB IV das der Klägerin gezahlte Nettoentgelt auf Brutto hochrechnen dürfen. Denn die Klägerin habe es unterlassen, die Sozialversicherungspflicht durch die Beklagte prüfen zu lassen und damit eine Fehlbeurteilung zumindest in Kauf genommen. Auch bei der Erhebung von Säumniszuschlägen sei daher von einem bedingt vorsätzlichen Verhalten der Klägerin auszugehen (Urteil vom 26.6.2019). Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde.

II

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG ). Die Klägerin hat entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) und des Verfahrensmangels 160 Abs 2 Nr 3 SGG ) nicht hinreichend dargetan oder bezeichnet.

1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine abstrakt-generelle Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - allgemeine Bedeutung hat und aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung einer Klärung durch das Revisionsgericht bedarf (Klärungsbedürftigkeit) und fähig (Klärungsfähigkeit) ist. Mit der Beschwerdebegründung ist daher aufzuzeigen, welche rechtliche Frage sich zu einer bestimmten Norm des Bundesrechts iS des § 162 SGG stellt. Hierzu ist anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums auszuführen, weshalb eine Klärung erforderlich und im angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten ist. Schließlich ist darzulegen, dass der angestrebten Entscheidung eine über den Einzelfall hinausgehende Breitenwirkung zukommt (vgl BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

a. Die Klägerin hält zunächst das Thema

"- Betriebsprüfung gegen den Gesetzeswortlaut zulässig ohne vorherige Ankündigung -" für eine grundsätzlich bedeutsame Rechtsfrage. In diesem Zusammenhang wirft sie auch die Frage auf,

"ob Prüfungshandlungen und Prüfungsfeststellungen hinsichtlich des von der Betriebsprüfung Betroffenen gewissermaßen Prüfungsfeststellungen, 'für den, den es angeht' sind."

Es kann dahinstehen, ob die Klägerin damit hinreichend bestimmte Rechtsfragen zur Auslegung und zum Anwendungsbereich einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts formuliert hat. Denn es mangelt jedenfalls an einer hinreichenden Darlegung der Klärungsbedürftigkeit dieser Fragen. An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es ua dann, wenn sich die Antwort unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist und daher praktisch außer Zweifel steht (vgl BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 und BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § Nr 8 S 17). Bei der Aufarbeitung der rechtlichen Problematik hat sich eine Beschwerde daher mit dem fraglichen Gesetz, der Rechtssystematik sowie den Gesetzesmaterialien auseinanderzusetzen (vgl BSG Beschluss vom 16.10.2018 - B 12 KR 26/18 B - juris RdNr 5 mwN). Daran fehlt es hier.

Die Beschwerdebegründung lässt eine Auseinandersetzung mit den Rechtsgrundlagen vermissen und beschäftigt sich insbesondere weder mit dem Wortlaut des § 28p Abs 1 SGB IV noch mit der zur näheren Durchführung der Betriebsprüfung (vgl § 28p Abs 9 SGB IV ) ergangenen Beitragsverfahrensverordnung ( BVV ), aus der sich ergibt, dass die Prüfung nach § 28p SGB IV "grundsätzlich" nach vorheriger Ankündigung erfolgt und in den Fällen des § 98 Abs 1 Satz 4 SGB X ohne Ankündigung durchgeführt werden kann 7 Abs 1 Satz 1 und 4 BVV , vgl § 1 Beitragsüberwachungsverordnung aF). Die Klägerin beschäftigt sich auch nicht damit, welche Fälle nach den Gesetzesmaterialien (vgl BT-Drucks 11/2221 S 29 zu § 28p) unter die in § 98 Abs 1 Satz 4 SGB X genannten "besondere Gründe" zu fassen seien (zB Fälle, in denen dem Versicherungsträger Anhaltspunkte für eine Beitragshinterziehung vorliegen). Statt dessen führt sie näher aus, dass es keine tatsächlichen Anhaltspunkte für die Annahme gegeben habe, die Klägerin hätte etwas verdunkeln wollen.

b. Die Klägerin hält des Weiteren die Frage

"ob eine BP-Feststellung rechtmäßig und bindend ist, wenn im Rahmen der BP die Geschäftsführung des Betriebes, der geprüft wird, nicht angehört wurde"

für grundsätzlich bedeutsam. Auch hier bezieht sich die Klägerin in ihrer Fragestellung auf keine konkrete Norm. Sie setzt sich in ihrer weiteren Begründung nicht mit §§ 24 , 41 , 42 SGB X und der umfangreichen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu den Voraussetzungen einer Anhörung (Erfordernis, Umfang, Zeitpunkt, Nachholung) und den Folgen ihres Unterbleibens auseinander. Außerdem fehlen in Bezug auf die Klärungsfähigkeit substantiierte Darlegungen dazu, welche Feststellungen das LSG hierzu getroffen hat.

c. Als weitere Frage von grundsätzlicher Bedeutung formuliert die Klägerin,

"ob sich der Vorsatz der Beitragshinterziehung aus der Nichtdurchführung eines Statusfeststellungsverfahrens ableiten lässt".

Auch insoweit fehlt es an der Benennung einer konkreten Norm, deren Auslegung die Klägerin begehrt. Soweit sie sich in diesem Zusammenhang auf die Beitragsberechnung nach § 14 Abs 2 Satz 1 SGB IV und ggf auch auf die Ausführungen des LSG zu § 24 Abs 2 SGB IV bezieht, legt sie jedenfalls die Klärungsbedürftigkeit nicht dar, weil sie sich nicht mit der bereits vorliegenden höchstrichterlichen Rechtsprechung zu dem einheitlichen Haftungsmaßstab in § 14 Abs 2 , § 24 Abs 2 und § 25 Abs 1 Satz 2 SGB IV (vgl zuletzt BSG Urteil vom 12.12.2018 - B 12 R 15/18 R - zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen, SozR 4-2400 § 24 Nr 8 RdNr 16) auseinandersetzt. Danach ist über das Vorliegen des bedingten Vorsatzes eine Entscheidung im Einzelfall nach individueller Überprüfung unter sorgfältiger Beweiswürdigung zu treffen; dies gilt ausdrücklich auch für den Aspekt, ob von dem Verzicht auf eine Klärung der versicherungs- und beitragsrechtlichen Beurteilung durch fachkundige Stellen auf bedingten Vorsatz geschlossen werden kann (vgl BSG Urteil vom 12.12.2018 - B 12 R 15/18 R - aaO RdNr 24 mwN; BSG Urteil vom 4.9.2018 - B 12 KR 11/17 R - BSGE 126, 235 = SozR 4-2400 § 7a Nr 10, RdNr 26).

Mit dem Vortrag, die Instanzgerichte hätten falsch und zirkelschlüssig argumentiert, wendet sich die Klägerin im Kern gegen die Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung. Dasselbe gilt für die - nach Ablauf der Begründungsfrist - eingereichte Begründung, dass das LSG den Anforderungen der (nicht divergenzfähigen) Rechtsprechung des BGH zum Verbotsirrtum nicht gerecht werde. Mit der Behauptung, das Urteil des LSG sei inhaltlich rechtsfehlerhaft, lässt sich die Zulassung der Revision aber nicht erreichen.

2. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne 160 Abs 2 Nr 3 SGG ), müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels 160a Abs 2 Satz 3 SGG ) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht.

Die Begründung der Klägerin erfüllt diese Darlegungsanforderungen nicht. Soweit sie geltend macht, ihre Argumentation in der Klage und der Berufungsschrift seien teilweise durch die Gerichte nicht zur Kenntnis genommen worden, macht sie sinngemäß einen Verstoß gegen ihren Anspruch auf rechtliches Gehör 62 SGG , Art 103 Abs 1 GG ) geltend. Die Ausführungen hierzu sind jedoch nicht hinreichend substantiiert. Hierzu hätte im Einzelnen dargelegt werden müssen, welcher konkrete und nach der Rechtsauffassung des LSG entscheidungserhebliche Vortrag nicht zur Kenntnis genommen worden sein soll.

Das Prozessgericht muss zudem nicht ausdrücklich jedes Vorbringen der Beteiligten bescheiden. Vielmehr verpflichtet das Gebot des rechtlichen Gehörs nur, deren Darlegungen zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Es ist erst dann verletzt, wenn sich im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist (BVerfG <Kammer> Beschluss vom 25.3.2010 - 1 BvR 2446/09 - juris RdNr 11 mwN; BVerfG Urteil vom 8.7.1997 - 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96, 205 , 216). Solche Umstände sind der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen.

Soweit die Klägerin geltend macht, das LSG habe ihren Vortrag nicht hinreichend berücksichtigt, wird damit eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht schlüssig dargelegt. Dieses Recht gebietet nur, dass die Gerichte die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen, es verpflichtet sie aber nicht, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen, ihn also zu "erhören" (BVerfG <Kammer> Beschluss vom 8.4.2014 - 1 BvR 2933/16 - NZS 2014, 539 RdNr 13 mwN).

Soweit die Klägerin erklärt, dass der rechtliche Aspekt, unter welchen Gesichtspunkten auf eine Prüfungsanordnung verzichtet werden könne, nicht Gegenstand des Verfahrens gewesen sei, reicht dies zur Rüge einer Überraschungsentscheidung nicht aus. Es besteht keine allgemeine Pflicht des Gerichts zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung (vgl BSG Beschluss vom 25.7.2017 - B 11 AL 23/17 B - juris RdNr 5). Eine Überraschungsentscheidung liegt nur dann vor, wenn das Urteil auf Gesichtspunkte gestützt wird, die bisher nicht erörtert worden sind, und dadurch der Rechtsstreit eine unerwartete Wendung nimmt, mit der auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht (vgl nur BSG Urteil vom 22.4.2015 - B 3 P 8/13 R - BSGE 118, 239 = SozR 4-3300 § 23 Nr 7, RdNr 37; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 12. Aufl 2017, § 62 RdNr 8b). Insoweit reicht es nicht aus, ohne Auseinandersetzung mit dem Wortlaut der Vorschriften (s oben) nur auf die eigene Rechtsauffassung zu verweisen. Im Übrigen wäre für die Rüge des rechtlichen Gehörs auch darzulegen, dass die Klägerin ihrerseits alles getan hat, um sich insoweit Gehör zu verschaffen (stRspr, vgl etwa BSG Beschluss vom 6.4.2017 - B 9 V 89/16 B - juris RdNr 10).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2 , § 162 Abs 3 VwGO .

4. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1 und Abs 3 , § 47 Abs 1 und Abs 3 GKG und entspricht der von den Beteiligten nicht beanstandeten Festsetzung durch das LSG.

Vorinstanz: LSG Niedersachsen-Bremen, vom 26.06.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 1 R 623/16
Vorinstanz: SG Hannover, vom 11.10.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 62 R 416/14