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BSG - Entscheidung vom 11.08.2020

B 3 KR 66/19 B

Normen:
SGB V § 33 Abs. 1 S. 1
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 2

BSG, Beschluss vom 11.08.2020 - Aktenzeichen B 3 KR 66/19 B

DRsp Nr. 2020/13922

Versorgung mit einem elektrischen Rollstuhlzuggerät im Wege der Sachleistung Divergenzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 29. Oktober 2019 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGB V § 33 Abs. 1 S. 1; SGG § 160 Abs. 2 Nr. 2 ;

Gründe

I

Das LSG hat mit Urteil vom 29.10.2019 die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des SG vom 13.11.2015 zurückgewiesen und unter Bezugnahme auch auf die Entscheidungsgründe des SG einen Anspruch des Klägers gegen die beklagte Krankenkasse (KK) auf Versorgung mit einem elektrischen Rollstuhlzuggerät im Wege der Sachleistung verneint.

Ein Anspruch auf das begehrte Hilfsmittel nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V bestehe weder zur Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung noch nach den Grundsätzen zum mittelbaren Behinderungsausgleich. Insbesondere übersteige es das Maß des Notwendigen, denn mit dem Elektromotor des Hilfsmittels werde bauartbedingt eine Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h erreicht. Unabhängig von der medizinischen Indikation und den Umständen des Einzelfalls sei kein Grundbedürfnis erkennbar, zu dessen Befriedigung es erforderlich sein könnte, sich den Nahbereich mit einer Geschwindigkeit zu erschließen, die höher sei als die übliche Schrittgeschwindigkeit. Die vom Kläger eingewandte Möglichkeit der Begrenzung der erreichbaren Höchstgeschwindigkeit durch eine entsprechende Programmierung des Rollstuhlzuggeräts auf eine Restkraftunterstützung von maximal 6 km/h beseitige jedenfalls nicht die grundsätzliche Leistungsfähigkeit des Motors, die über das Maß des Notwendigen hinausgehe. Entscheidend sei die technische Bauart und Ausstattung des Hilfsmittels mit einem Motor, dessen Leistungsfähigkeit bereits so angelegt sei, dass er von vornherein über das Maß des Erforderlichen hinausgehe und deshalb nicht mehr vom Versorgungsanspruch in der GKV umfasst sei (Hinweis auf BSG Urteil vom 30.11.2017 - B 3 KR 3/16 R - SozR 4-2500 § 139 Nr 9 RdNr 28 f).

Gegen die Nichtzulassung der Revision durch das LSG im vorgenannten Urteil hat der Kläger Beschwerde eingelegt und beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, eine Abweichung des LSG vom BSG und auf Verfahrensmängel 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG ).

II

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG ist als unzulässig zu verwerfen 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 SGG ).

Nach § 160 Abs 2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), die Entscheidung des LSG von einer Entscheidung des BSG , des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Eine allgemeine Überprüfung des Rechtsstreits in dem Sinne, ob das LSG in der Sache "richtig" entschieden hat, erfolgt im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht. Keinen der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe hat der Kläger in der Begründung der Beschwerde schlüssig dargelegt oder bezeichnet 160a Abs 2 Satz 3 SGG ).

1. Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) erfordert die Formulierung einer bestimmten abstrakten Rechtsfrage, der in dem Rechtsstreit eine grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung beigemessen wird (vgl BSG vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11). Die abstrakte Rechtsfrage ist klar zu formulieren, um an ihr die weiteren Voraussetzungen für die Revisionszulassung prüfen zu können (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, IX. Kap, RdNr 181). Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist gegeben, wenn zu erwarten ist, dass die Revisionsentscheidung die Rechtseinheit in ihrem Bestand erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts fördern wird. Daher ist aufzuzeigen, ob und inwieweit zu der aufgeworfenen Frage bereits Rechtsgrundsätze herausgearbeitet worden sind und in welchem Rahmen noch eine weitere Ausgestaltung, Erweiterung oder Änderung derselben durch das Revisionsgericht zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits erforderlich erscheint (vgl Krasney/Udsching, aaO, IX. Kap, RdNr 65 f). Es ist aufzuzeigen, dass die Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und die Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (vgl BSG vom 16.12.1993 - 7 BAr 126/93 - SozR 3-1500 § Nr 16).

Diesen Darlegungsanforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Als grundsätzlich klärungsbedürftig erachtet der Kläger die Frage:

"Hat die gesetzliche Krankenversicherung einen gehunfähigen Versicherten mit Erkrankungen im Bereich der oberen Extremitäten mit einem auf 6 km/h begrenzten, restkraftunterstützenden Handbike im Rahmen der Hilfsmittelbereitstellung zu versorgen?"

Diese Frage ist ganz auf den vorliegend vom LSG entschiedenen Einzelfall zugeschnitten. Sie enthält konkrete Sachverhaltselemente dieses Einzelfalls, die einer abstrakten Antwort mit Klärungswirkung für eine Vielzahl von Fällen entgegenstehen. Die Frage lässt sich auch nicht schlicht mit "ja" oder "nein" beantworten, sondern wegen ihrer Einzelfallabhängigkeit nur mit "kann sein" oder "kommt darauf an"; sie ist damit keine klärungsbedürftige Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung (vgl hierzu zuletzt BSG vom 27.5.2020 - B 1 KR 8/19 B - juris RdNr 5 mwN, zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen). Hieran ändert nichts das Vorbringen des Klägers, er habe sich für die Formulierung seiner Frage an den Formulierungen in der Rechtsfragendatenbank des BSG orientiert. Die im Internetauftritt des BSG recherchierbaren, beim BSG anhängigen Rechtsfragen sind Informationen des Gerichts für die Öffentlichkeit und setzen keinen Standard für die Formulierung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde.

Soweit mit der Beschwerdebegründung nach einer Darstellung von zwei Urteilen des erkennenden Senats ( BSG vom 18.5.2011 - B 3 KR 7/10 R - BSGE 108, 206 = SozR 4-2500 § 33 Nr 34; BSG SozR 4-2500 § 139 Nr 9) zudem geltend gemacht wird, höchstrichterlich sei somit noch nicht entschieden, ob ein Handbike, welches über eine Restkraftunterstützung von maximal 6 km/h verfüge, von der gesetzlichen KK im Rahmen der Hilfsmittelversorgung zu gewährleisten sei, folgt nicht bereits hieraus eine grundsätzliche Klärungsbedürftigkeit. Dass über ein im konkreten Einzelfall begehrtes Hilfsmittel noch nicht vom BSG entschieden worden ist, macht aus dem mit der Nichtzulassungsbeschwerde erstrebten Revisionsverfahren ebenso wenig eine Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG wie die Frage danach, ob das LSG den konkreten Einzelfall in der Sache "richtig" entschieden hat. Da das LSG sein Urteil maßgeblich auf die vorgenannten Urteile des BSG gestützt hat, hätte es substantiierter Darlegung bedurft, aus welchen Gründen neuer Klärungsbedarf entstanden sei. Daran fehlt es aber.

2. Für die Bezeichnung einer Abweichung (Divergenz) ist aufzuzeigen, mit welchem genau bezeichneten entscheidungserheblichen abstrakten Rechtssatz die angefochtene Entscheidung des LSG von welchem ebenfalls genau bezeichneten entscheidungserheblichen abstrakten Rechtssatz des BSG im Grundsätzlichen abweicht. Eine Abweichung liegt nicht schon vor, wenn die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG aufgestellt hat, weil die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall nicht die Zulassung einer Revision wegen Abweichung rechtfertigt. Erforderlich ist vielmehr, dass das LSG diesen Kriterien widersprochen und über den Einzelfall hinausgehende andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die - behauptete - Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die fehlende Übereinstimmung im Grundsätzlichen vermag die Zulassung der Revision wegen Abweichung zu begründen. Die Beschwerdebegründung muss deshalb erkennen lassen, dass das LSG dem BSG im Grundsätzlichen widersprochen und von den bezeichneten rechtlichen Aussagen des BSG abweichende, dh mit diesen unvereinbare eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat (vgl zB BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34; Krasney/Udsching, aaO, IX. Kap, RdNr 196 mwN).

Diese Voraussetzungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht, weil sich aus ihr nicht ergibt, dass das LSG dem BSG widersprochen und von den bezeichneten Rechtssätzen des BSG ( BSG SozR 4-2500 § 139 Nr 9 RdNr 28) abweichende, dh mit diesen unvereinbare eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Vielmehr hat das LSG sich auf die bezeichnete Entscheidung des BSG in seinem Urteil gestützt und ausweislich der Sachverhaltsdarstellung in der Beschwerdebegründung die Beteiligten zuvor auf dieses Urteil hingewiesen. Ob die Entscheidung des LSG dem Urteil des BSG entspricht, ist keine Frage einer Abweichung des LSG vom BSG iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG .

3. Auch die Geltendmachung eines Verfahrensmangels, auf dem iS des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG die angefochtene Entscheidung des LSG beruhen kann, ist der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen.

a) Soweit der Kläger eine nicht vorschriftsmäßige Besetzung des LSG-Senats in der mündlichen Verhandlung als Verletzung seines Rechts auf den gesetzlichen Richter rügt (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG ), ist dem mit der Beschwerdebegründung vorgelegten Geschäftsverteilungsplan des LSG zu entnehmen, dass die Besetzung des Senats mit seinen Berufsrichtern in der mündlichen Verhandlung am 29.10.2019, aufgrund der durch Urteil in dem Rechtsstreit entschieden worden ist, der geschäftsverteilungsplanmäßigen Besetzung des Senats entsprochen hat. Soweit sich die Besetzungsrüge auf die vorangegangene mündliche Verhandlung vom 26.8.2019 bezieht, ist nicht aufgrund dieser die mit der Nichtzulassungsbeschwerde angegriffene Entscheidung des LSG ergangen. Dass und warum die Besetzung im Termin am 26.8.2019 gleichwohl einen Verfahrensmangel begründen kann, auf dem die Entscheidung des LSG aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 29.10.2019 beruhen kann, lässt die Beschwerdebegründung nicht erkennen. Sie setzt sich zudem nicht mit der nahe liegenden Frage auseinander, ob im Termin am 26.8.2019 lediglich ein vom Geschäftsverteilungsplan erfasster Vertretungsfall vorgelegen haben könnte.

b) Soweit der Kläger auch eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör rügt (Art 103 Abs 1 GG , § 62 SGG ), weil das LSG-Urteil auf näher bezeichnetes Vorbringen des Klägers nicht eingegangen sei, lässt sich der Beschwerdebegründung nicht entnehmen, dass und warum es nach der hierfür maßgeblichen Rechtsauffassung des LSG - das begehrte Hilfsmittel übersteige bauartbedingt von vornherein das Maß des Notwendigen - auf dieses Vorbringen entscheidungserheblich angekommen sein soll (vgl zu diesem Maßstab nur Leitherer in Meyer-Ladewig ua, SGG , 13. Aufl 2020, § 160 RdNr 16b, 23 und § RdNr 16c). Darauf, ob der Kläger die insoweit maßgebliche Rechtsauffassung des LSG teilt, kommt es für die Gehörsrüge nicht an. Im Übrigen hat das LSG den Gesundheitszustand des Klägers anhand der medizinischen Unterlagen gewürdigt und entschieden, dass das Hilfsmittel auch nicht zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung erforderlich sei.

4. Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt in entsprechender Anwendung des § 169 Satz 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

5. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

6. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Thüringen, vom 29.10.2019 - Vorinstanzaktenzeichen L 6 KR 29/16
Vorinstanz: SG Gotha, vom 13.11.2015 - Vorinstanzaktenzeichen S 50 KR 1404/13