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BSG - Entscheidung vom 04.09.2020

B 1 KR 36/19 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3

BSG, Beschluss vom 04.09.2020 - Aktenzeichen B 1 KR 36/19 B

DRsp Nr. 2020/14973

Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 14. Februar 2019 wird als unzulässig verworfen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 50 334,08 Euro festgesetzt.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ;

Gründe

I

Die Klägerin, Trägerin eines für die Behandlung Versicherter der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassenen Krankenhauses, nahm eine bei der beklagten Krankenkasse (KK) Versicherte (im Folgenden: Versicherte I) am 29.9.2009 wegen einer Wachstumshemmung des Fetus in der 29+1. Schwangerschaftswoche mit einem geschätzten Geburtsgewicht von 750 bis unter 1000 g stationär auf und führte am 2.10.2009 die Entbindung per Kaiserschnitt durch. Die vollstationäre Behandlung der neugeborenen, ebenfalls bei der Beklagten Versicherten (im Folgenden: Versicherte II) dauerte bis zum 2.12.2009. Die Klägerin stellte der Beklagten ausgehend von der Fallpauschale (Diagnosis Related Group 2009 <DRG>) P62D (Neugeborenes, Aufnahmegewicht 875 - 999 g ohne signifikante OR-Prozedur) einen Betrag von 50 334,08 Euro in Rechnung (Rechnung vom 14.12.2009). Die Beklagte zahlte mit der Begründung nicht, die Versicherte II hätte in einer Einrichtung der neonatologischen Versorgungsstufe "Perinatalzentren Level 1" nach der vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) am 20.9.2005 nach § 137 Abs 1 Satz 3 Nr 2 SGB V beschlossenen "Vereinbarung über Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Versorgung von Früh- und Neugeborenen vom 20.9.2005" (NICU <Neonatal Intensive Care Unit> - Vereinbarung) behandelt werden müssen, während die Klägerin lediglich die Voraussetzungen eines Perinatalzentrums Level 2 erfüllt habe. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 30.11.2016). Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen: Die Klägerin könne keine Vergütung beanspruchen, da die Behandlung nicht im Einklang mit der NICU-Vereinbarung erfolgt sei. Das zu erwartende Geburtsgewicht der Versicherten II habe deutlich unter 1250 g gelegen. Es habe auch kein begründeter Einzelfall vorgelegen. Die Versicherte I hätte nach Stabilisierung der Befundwerte und ihres subjektiven Zustands am 30.9. oder 1.10.2009 in ein Perinatalzentrum Level 1 verlegt werden können und müssen. Deshalb könne offenbleiben, ob das Krankenhaus der Klägerin die Voraussetzungen eines Perinatalzentrums Level 2 erfüllt habe. Die Frist nach § 275 Abs 1c Satz 2 SGB V stehe der Verwertung der gutachtlichen Ausführungen des MDK nicht entgegen, da es sich hier um eine Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit gehandelt habe, auf die die Vorschrift keine Anwendung finde (Urteil vom 14.2.2019).

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.

II

Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung 160 Abs 2 Nr 1 SGG ; dazu 1.) und des Verfahrensfehlers 160 Abs 2 Nr 3 SGG ; dazu 2.).

1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwieweit diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 f mwN). Dem wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.

a) Die Klägerin formuliert bereits keine hinreichend konkrete entscheidungserhebliche Rechtsfrage. Die Konkretisierung erfordert regelmäßig, dass die Rechtsfrage mit "Ja" oder "Nein" beantwortet werden kann. Das schließt nicht aus, dass eine Frage gestellt wird, die je nach den formulierten Voraussetzungen mehrere Antworten zulässt. Unzulässig ist jedoch eine Fragestellung, deren Beantwortung von den Umständen des Einzelfalles abhängt und damit auf die Antwort "kann sein" hinausläuft (stRspr; vgl zB BSG vom 27.5.2020 - B 1 KR 8/19 B - juris RdNr 5 mwN; BSG vom 11.11.2019 - B 1 KR 87/18 B - juris RdNr 6 mwN; BSG vom 27.1.2020 - B 8 SO 67/19 B - juris RdNr 10). Indem die Klägerin die Frage aufwirft,

"wann liegt ein begründeter Einzelfall gemäß § 3 Abs. 2 S. 1 nach der Vereinbarung des Gemeinsamen Bundesausschusses über Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Versorgung von Früh- und Neugeborenen vom 20.09.2005 in der zum 27.05.2009 in Kraft getretenen Fassung vor?",

stellt sie nur eine allgemein gehaltene Frage, deren Beantwortung eine kommentar- oder lehrbuchartige Aufbereitung durch den Senat verlangen würde, was gerade nicht Gegenstand eines Revisionsverfahrens sein kann (vgl hierzu auch BSG vom 1.3.2018 - B 8 SO 104/17 B - juris RdNr 8).

Soweit dem Beschwerdevorbringen sinngemäß die Rechtsfrage zu entnehmen sein sollte, ob die Zulässigkeit der Behandlung in einem Krankenhaus, das nicht den Aufnahmekriterien nach § 3 Abs 1 der NICU-Vereinbarung (Vereinbarung des GBA über Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Versorgung von Früh- und Neugeborenen vom 20.9.2005, BAnz 2005, Nr 205, S 15 684, in Kraft getreten am 1.1.2006, idF vom 19.2.2009, BAnz 2009, Nr 76, S 1794 vom 26.5.2009, in Kraft getreten am 27.5.2009) entspricht, ausschließlich aus der Zulässigkeit der (Notfall-) Aufnahme in dieses Krankenhaus folgt (unabhängig davon, ob die Verlegung der Schwangeren in ein Krankenhaus, das den Kriterien eines Perinatalzentrums Level 1 entspricht, möglich ist), legt die Klägerin jedenfalls die Klärungsbedürftigkeit dieser Rechtsfrage nicht dar. Eine Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, obwohl das BSG sie noch nicht ausdrücklich behandelt hat, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sodass eine weitere Klärung oder Fortentwicklung des Rechts nicht mehr zu erwarten ist (stRspr; vgl BSG vom 16.4.2012 - B 1 KR 25/11 B - juris RdNr 7 mwN). In Bezug auf Richtlinien des GBA erfordert dies regelmäßig, dass sich die Beschwerdebegründung mit Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Regelungssystem und -zweck auseinandersetzt und Klärungsbedarf aufzeigt. Die Klägerin setzt sich weder damit auseinander, dass die NICU-Vereinbarung selbst an mehreren Stellen eine Verlegung vorsieht (so zB in § 3 Abs 2 Satz 3 und in Anlage 1 Nr 1 B1, B3, Nr 3 A1 und Nr 4), noch mit dem Regelungszweck der NICU-Vereinbarung, die nach von ihr definierten Kriterien die Versorgung der Früh- und Neugeborenen entsprechend ihrem Gesundheitszustand in einem Krankenhaus der dafür vorgesehenen Versorgungsstufe absichern will (vgl § 1 Abs 3 NICU-Vereinbarung: "Eine Versorgung von Früh- und Neugeborenen darf nur in einer Einrichtung erfolgen, welche die Voraussetzungen der jeweils einschlägigen Versorgungsstufe nach Anlage 1 erfüllt.").

Die Klägerin legt auch nicht dar, welche Relevanz es für die Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage haben soll, welche Fassung einer Richtlinie des GBA der Sachverständige "zugrunde legt" und wie das LSG sich dazu verhält. Im Kern wendet sich die Klägerin mit ihrem Vortrag gegen die Richtigkeit der Entscheidung. Die Behauptung, die Berufungsentscheidung sei inhaltlich unrichtig, kann aber nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB BSG vom 19.6.2018 - B 1 KR 87/17 B - juris RdNr 7; BSG vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § Nr 7 S 10).

b) Ähnliches gilt, soweit die Klägerin die weitere Frage aufwirft

"Sind Schwangere nach stationärer Aufnahme mit einem Gestationsalter von 29 + 1 SSW im begründeten Einzelfall nach § 3 Abs. 2 S. 1 der Vereinbarung des Gemeinsamen Bundesausschusses über Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Versorgung von Früh- und Neugeborenen vom 20.09.2005 in der zum 27.05.2009 in Kraft getretenen Fassung in ein Perinatalzentrum Level 1 gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 der Vereinbarung zu verlegen?".

Die Klägerin macht hierzu geltend, mit dem aktendokumentierten Gestationsalter von 29+1 SSW der Versicherten I seien die Aufnahmekriterien für ein Perinatalzentrum Level 2 auch ohne begründeten Einzelfall erfüllt gewesen, denn für die Aufnahme und den Verbleib in einem Perinatalzentrum Level 2 genüge die Erfüllung eines der beiden Kriterien - hier die 29+1 SSW. Damit zieht sie unter diesem Aspekt in derartigen Fällen ebenfalls eine Verlegungspflicht in Zweifel. Sie legt jedoch die Klärungsbedürftigkeit der so verstandenen Frage, ob die Erfüllung eines der beiden Kriterien für die Aufnahme in ein Perinatalzentrum Level 2 genügt, um auch den Verbleib in diesem Zentrum zu rechtfertigen, nicht hinreichend dar. Hier gilt derselbe Darlegungsmaßstab wie bei 1.a), dem die Klägerin mit ihren Ausführungen nicht hinreichend Rechnung trägt.

Auch hier setzt die Klägerin sich - unterstellt, es handelt sich überhaupt um eine allgemein formulierte Rechtsfrage und nicht nur um die Frage, wie der vorliegende Einzelfall zu lösen ist - nicht damit auseinander, dass die NICU-Vereinbarung an mehreren Stellen die Verlegung in ein Krankenhaus vorsieht, das den Aufnahmekriterien nach § 3 Abs 1 NICU-Vereinbarung entspricht, insbesondere nicht damit, dass es in 1.B der Anlage 1 zur NICU-Vereinbarung heißt:

"Aufnahmekriterien für Perinatalzentren LEVEL 1 Die Aufnahme bzw. Zuweisung aus niedrigeren Versorgungsstufen erfolgt nach folgenden leitliniengestützten Kriterien:

B1. Pränatale Verlegung von zu erwartenden Frühgeborenen mit einem geschätzten Geburtsgewicht von <1250 g und/oder einem Gestationsalter von < 29+0 SSW."

Allein der Hinweis der Klägerin darauf, dass der Wortlaut "und/oder" anders zu verstehen sei, als das LSG dies interpretiert habe, genügt nicht. Soweit die Klägerin darauf verweist, die Wortverknüpfung "und/oder" sei vielmehr so zu verstehen, dass entweder das als Aufnahmekriterium für ein Perinatalzentrum Level 2 geschätzte Geburtsgewicht und das Gestationsalter vorlägen oder eben zumindest eines der beiden genannten Kriterien, setzt sie sich nicht damit auseinander, dass nach den nicht mit zulässigen Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des LSG das zu erwartende Geburtsgewicht der Versicherten II (deutlich) unter 1250 g gelegen hat. Die Klägerin geht selbst davon aus, dass eines der beiden genannten Kriterien (Gestationsalter, zu erwartendes Geburtsgewicht) für eine Aufnahme ausreicht, übergeht jedoch die zweite Alternative des Einleitungssatzes der Regelung, die "eine Zuweisung aus niedrigeren Versorgungsstufen" fordert, wenn entweder das Gestationsalter oder das zu erwartende Geburtsgewicht den Kriterien des Perinatalzentrums Level 1 entspricht.

2. Die Klägerin bezeichnet auch keinen Verfahrensmangel den Anforderungen an eine Beschwerdebegründung entsprechend. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (stRspr; vgl zB BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § Nr 36 mwN). Überdies ist darzulegen, dass die Entscheidung des LSG auf dem Verfahrensfehler beruhe.

Der von der Klägerin bezeichnete "erste Hilfsantrag" nennt ein "Sachverständigengutachten unter Zugrundelegung der zum Zeitpunkt der Leistungserbringung geltenden Richtlinien, Leitlinien und Standards". Zu diesem Antrag zeigt die Beschwerde schon das Beruhen der Entscheidung des LSG auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel nicht auf. Dazu hätte aber Anlass bestanden, weil das LSG ausgeführt hat, dass es auf die Frage, welche Fassung der Vereinbarung des GBA über Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Versorgung von Früh- und Neugeborenen zugrunde gelegt werde, angesichts des Gewichts des Fetus (ex ante wie ex post) gar nicht ankomme. Damit setzt sich die Beschwerde nicht auseinander.

Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass zur Darlegung eines prozessordnungsgemäßen Beweisantrags (vgl § 403 ZPO iVm § 118 Abs 1 Satz 1 SGG ) nicht nur die Stellung eines Antrags selbst, sondern auch aufgezeigt werden muss, über welche im Einzelnen bezeichneten Punkte und mit welchem Ziel Beweis erhoben werden sollte. Der Beweisantrag muss in prozessordnungsgerechter Weise formuliert sein, sich regelmäßig auf ein Beweismittel der ZPO beziehen, das Beweisthema möglichst konkret angeben und insoweit auch wenigstens umreißen, was die Beweisaufnahme ergeben soll (stRspr; vgl zB BSG vom 26.11.1981 - 4 BJ 87/81 - SozR 1500 § 160 Nr 45, juris RdNr 6; BSG vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6; BSG vom 14.10.2016 - B 1 KR 59/16 B - juris RdNr 6; vgl auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 13. Aufl 2020, § 160 RdNr 18a mwN). Der von der Klägerin bezeichnete "erste Hilfsantrag" verhält sich hingegen weder dazu, über welche einzelnen Punkte mit welchem Ziel Beweis erhoben werden sollte, noch, was die Beweisaufnahme ergeben soll. Er nennt vielmehr nur ein "Sachverständigengutachten unter Zugrundelegung der zum Zeitpunkt der Leistungserbringung geltenden Richtlinien, Leitlinien und Standards". Dies genügt den Anforderungen an einen Beweisantrag nicht.

3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO , diejenige über den Streitwert auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 3 , § 47 Abs 1 und 3 GKG .

Vorinstanz: LSG Nordrhein-Westfalen, vom 14.02.2019 - Vorinstanzaktenzeichen L 5 KR 46/17
Vorinstanz: SG Düsseldorf, vom 30.11.2016 - Vorinstanzaktenzeichen S 47 KR 196/13