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BSG - Entscheidung vom 30.09.2020

B 6 KA 8/20 B

Normen:
SGG § 153 Abs. 4 S. 2
SGG § 158 S. 2

BSG, Beschluss vom 30.09.2020 - Aktenzeichen B 6 KA 8/20 B

DRsp Nr. 2020/17432

Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren Erfordernis einer erneuten Anhörung

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 9. März 2020 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5000 Euro festgesetzt.

Normenkette:

SGG § 153 Abs. 4 S. 2; SGG § 158 S. 2;

Gründe

I

Der Kläger begehrt die Wiederaufnahme eines Berufungsverfahrens (), in dem er beantragt hatte, die beklagte Kassenzahnärztliche Vereinigung zur Auskunft darüber zu verurteilen, ob er seit dem Quartal 1/2001 vertragszahnärztliche Behandlungen durchgeführt habe, sowie bejahendenfalls diese durch Vorlage der entsprechenden Behandlungsdaten zu belegen.

Dem seit 1983 im Bezirk der Beklagten an der vertragszahnärztlichen Versorgung teilnehmenden Kläger wurde 1996 die Zulassung entzogen; die von ihm hiergegen eingelegten Rechtsmittel blieben ebenso erfolglos wie ein 2006 gestellter Antrag auf Wiederzulassung. Seit 2016 ist er wieder zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen (Beschluss des Zulassungsausschusses vom 28.9.2016).

Das zunächst im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ohne Erfolg verfolgte Auskunftsbegehren des Klägers (Beschluss des SG vom 10.2.2011; Beschluss des LSG vom 2.5.2011) blieb auch im nachfolgenden Klage- und Berufungsverfahren erfolglos (Urteil des SG vom 15.4.2013; Beschluss des LSG vom 19.2.2016). Das SG hat ausgeführt, die Klage sei wegen Fehlens eines Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Die Beklagte habe mit der Erteilung der jeweiligen Vierteljahresabrechnungen die gegenüber dem Kläger bestehenden Verpflichtungen erfüllt. Behandlungsunterlagen der Patienten müssten dem Kläger als behandelndem Zahnarzt vorliegen. Das LSG hat zur Begründung im Wesentlichen auf diese Ausführungen des SG Bezug genommen.

Die auf Verfahrensmängel gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Beschluss hatte ebenso wie die nachfolgende Anhörungsrüge keinen Erfolg ( BSG Beschluss vom 30.11.2016 - B 6 KA 18/16 B; BSG Beschluss vom 11.4.2017 - B 6 KA 4/17 C). Die Verfassungsbeschwerde des Klägers wurde nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG Beschluss vom 31.7.2017 - 1 BvR 1252/17).

Am 17.9.2018 (einem Montag) hat der Kläger beim LSG "Restitutionsklage" erhoben und beantragt, ua den Beschluss des LSG vom 19.2.2016 ( L 11 KA 57/13) aufzuheben. Er habe eine Urkunde aufgefunden, die eine ihm günstigere Entscheidung herbeigeführt hätte. Insofern hat der Kläger eine Bestätigung des Vertragszahnarztes Dr. B. vom 17.8.2018 über die Abgabe seines Notdienstes am 13.1.2019 an den Kläger vorgelegt. Hierzu hat der Kläger vorgetragen, im Rahmen des Wiederzulassungsverfahrens im Jahr 2006 habe man ihm ua vorgeworfen, seit dem Quartal 1/2001 noch in nennenswertem Umfang Patienten zu behandeln. Um sich von diesem Vorwurf zu entlasten, habe er von der Beklagten Auskunft über seine vertragszahnärztlichen Behandlungen seit dem Quartal 1/2001 begehrt. Die vorgelegten Urkunden (Wiederzulassungsbeschluss vom 28.9.2016; Übertragung des Notfalldienstes von Dr. B. auf den Kläger) bestätigten, dass keine Bedenken bestünden gegen die Integrität und Geeignetheit des Klägers sowie dessen Pflichtentreue im vertragszahnärztlichen System. Da er seine Behandlungsweise und Einstellung nicht geändert habe, stehe fest, dass die früheren Vorwürfe gegen ihn (ua Boykottierung des vertragszahnärztlichen Systems), die Gegenstand der statusrechtlichen Maßnahmen und Vorenthaltung der Wiederzulassung waren, unberechtigt gewesen seien.

Mit Schreiben vom 30.10.2019, dem Kläger zugegangen am 6.11.2019, hat das LSG den Kläger zu einer beabsichtigten Verwerfung der Wiederaufnahmeklage als unzulässig durch Beschluss 158 SGG in entsprechender Anwendung) angehört. Die Statthaftigkeit der Wiederaufnahmeklage setze die schlüssige Darlegung eines gesetzlichen Wiederaufnahmegrundes voraus. Ein solcher sei bisher nicht vorgetragen.

Mit Schreiben vom 19.11.2019 hat der Kläger zunächst um Erläuterung der Einschätzung, dass ein Restitutionsgrund nicht schlüssig dargelegt sei, gebeten. Mit weiterem Schreiben vom 31.12.2019 hat der Kläger mitgeteilt, die Restitutionsklage werde "nunmehr auch auf die neu aufgefundene Urkunde vom 5.12.2019 gestützt" und insofern aus einer Stellungnahme der Bevollmächtigten der Beklagten in einem vor dem OLG Hamm anhängigen Rechtsstreit zitiert, in der die Beklagte ausführt "… Der Kläger hat jedoch unstreitig bereits 2000, und vor allem in dem beanstandeten Zeitraum von 2014-2016, die aktive Tätigkeit in seiner Niederlassung eingestellt. …" Dieser neuerliche Vortrag stehe im Widerspruch zu dem Vortrag der Beklagten in dem wiederaufzunehmenden Verfahren. Auf der Grundlage der neuen Urkunde hätte er - der Kläger - seinerzeit ein zusprechendes Urteil erhalten.

Nachdem die Beklagte hierzu am 27.2.2020 (Eingang bei Gericht) Stellung genommen hatte, teilte die zuständige Berichterstatterin mit Schreiben vom 5.3.2020 den Beteiligten mit, dass der Senat beabsichtige, nunmehr zu entscheiden. Das Schreiben ist dem Kläger nach seinen eigenen Angaben erst am 10.3.2020 zugegangen.

Mit Beschluss vom 9.3.2020 hat das LSG die Wiederaufnahmeklage des Klägers als unzulässig verworfen. Der Kläger habe insbesondere nicht schlüssig vorgetragen iS des § 580 Nr 7 Buchst b ZPO eine Urkunde aufgefunden zu haben oder zu benutzen in den Stand versetzt worden zu sein, die eine ihm günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Eine günstigere Entscheidung könne nur durch eine Urkunde herbeigeführt werden, die zur Zeit des Vorprozesses schon vorhanden war oder die ihrer Natur nach Tatsachen beweisen, die einer zurückliegenden Zeit angehören. Urkunden, die erst nach dem Zeitpunkt errichtet worden seien, bis zu dem Beweismittel in den Vorprozess eingeführt werden konnten, schieden als Restitutionsgrund aus. Darüber hinaus müssten die Urkunden in Verbindung allein mit dem früheren Prozessstoff aufgrund ihrer urkundlichen Beweiskraft geeignet sein, im früheren Prozess eine günstigere Entscheidung für die Partei herbeizuführen. Privaturkunden seien daher dann keine Urkunden iS des § 580 Nr 7 Buchst b ZPO , wenn sie nicht für sich allein, sondern nur iVm weiteren neuen Beweismitteln zu einer für den Restitutionskläger günstigeren Entscheidung führen können; über die Urkunde könnten generell keine neuen weiteren Beweismittel in den Rechtsstreit eingeführt werden (Hinweis auf Arndt in Breitkreuz/Fichte, SGG , 2. Aufl 2014, § 179 RdNr 9). Die von dem Kläger vorgelegten Dokumente verhielten sich aber in keiner Weise zu seiner vertragszahnärztlichen Tätigkeit im Quartal 1/2001 oder einer Auskunftspflicht der Beklagten hierzu.

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG macht der Kläger Verfahrensfehler (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ) geltend.

II

Die Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg. Der vom Kläger geltend gemachte Verfahrensmangel liegt nicht vor.

1. Soweit der Kläger vorträgt, das Schreiben des LSG vom 5.3.2020, mit dem ihm mitgeteilt worden sei, das Gericht beabsichtige, "nunmehr zu entscheiden", sei ihm erst am 10.3.2020 zugegangen, das LSG habe jedoch bereits am 9.3.2020 entschieden, "ohne ihm zur Wahrung des rechtlichen Gehörs anheim zu stellen, vortragen zu können", rügt er eine Gehörsverletzung sowie einen Verstoß gegen den Grundsatz der mündlichen Verhandlung 124 Abs 1 SGG ), da das LSG seine Restitutionsklage durch Beschluss verworfen hat, ohne ihn - nach Eingang seiner Äußerungen zur ersten Anhörung sowie der Stellungnahme der Beklagten hierzu - erneut angehört zu haben.

§ 158 Satz 2 SGG (zur entsprechenden Anwendung im Rahmen der Verwerfung einer Wiederaufnahmeklage vgl BSG vom 10.7.2012 - B 13 R 53/12 B - SozR 4-1500 § 158 Nr 6 RdNr 11 ff; BSG Beschluss vom 18.9.2014 - B 14 AS 85/14 B - juris RdNr ) schreibt zwar im Unterschied zu § 153 Abs 4 Satz 2 SGG nicht ausdrücklich vor, die Beteiligten zu dem beabsichtigten Beschlussverfahren vorher zu hören. Diese Verpflichtung ergibt sich aber aus § 62 SGG , der fordert, den Beteiligten vor jeder Entscheidung rechtliches Gehör zu gewähren ( BSG Beschluss vom 24.4.2008 - B 9 SB 78/07 B - SozR 4-1500 § 158 Nr 3 RdNr 9; BSG Beschlüsse vom 12.7.2012 - B 14 AS 157/11 B und B 14 AS 158/11 B - jeweils juris RdNr 11).

Das LSG hat den Kläger mit Anhörungsschreiben vom 30.10.2019 ordnungsgemäß zum beabsichtigten Vorgehen im vereinfachten Beschlussverfahren angehört. Unschädlich ist insofern, dass dem Kläger im Rahmen der Anhörung - auch auf seine Bitte um Erläuterung - nicht mitgeteilt worden ist, aus welchem Grund das Gericht einen gesetzlichen Wiederaufnahmegrund nicht als schlüssig dargelegt erachtet hat. Ein solcher Hinweis ist nur dann erforderlich, wenn eine Überraschungsentscheidung droht, weil das Gericht auf einen Gesichtspunkt abstellen will, mit dem nach dem Prozessverlauf nicht zu rechnen war ( BSG Beschluss vom 18.2.2019 - B 14 AS 44/18 B - juris RdNr 7 mwN). Hier hat der Kläger jedoch die streitigen Aspekte - Zeitpunkt der Errichtung der Urkunde, Beschränkung auf Urkunden mit formeller Beweiskraft? - bereits selbst in seiner Klagebegründung angesprochen. Einen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern, gibt es nicht (vgl BSG Beschluss vom 13.5.2020 - B 6 KA 27/19 B - juris RdNr 24 mwN).

Entgegen der Auffassung des Klägers musste das LSG ihn weder, nachdem er mit dem Schreiben der Beklagten vom 5.12.2019 einen neuen Wiederaufnahmegrund benannt hat, noch nach Eingang der Stellungnahme des Beklagten hierzu erneut anhören.

Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist eine erneute Anhörung gemäß § 153 Abs 4 Satz 2 oder § 158 Satz 2 SGG erforderlich, wenn sich nach der ersten Anhörungsmitteilung die Prozesssituation entscheidungserheblich ändert (vgl nur BSG Beschluss vom 30.10.2019 - B 14 AS 330/18 B - juris RdNr 2; BSG Beschluss vom 20.10.2010 - B 13 R 63/10 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 11 RdNr 13 sowie BSG Urteil vom 17.9.1997 - 6 RKa 97/96 - SozR 3-1500 § 153 Nr 4 S 12; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 13. Aufl 2020, § 153 RdNr 20, 20a mwN) und das LSG gleichwohl daran festhalten möchte, die Berufung oder Wiederaufnahmeklage im Beschlusswege zurückzuweisen. Das Anhörungserfordernis nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG oder § 158 Satz 2 SGG ist aus verfassungsrechtlichen Gründen zugunsten der Beteiligten weit auszulegen, weil die Anhörungsmitteilung die ansonsten durch die mündliche Verhandlung ermöglichte umfassende Anhörung der Beteiligten adäquat kompensieren soll. Eine erneute Anhörung ist indes aus Gründen der Prozessökonomie nicht erforderlich, wenn das nach der ersten Anhörungsmitteilung erfolgte Vorbringen nicht entscheidungserheblich, ohne jegliche Substanz oder bloß wiederholend ist ( BSG Beschlüsse vom 19.10.2016 - B 14 AS 155/16 B und B 14 AS 156/16 B - jeweils juris RdNr 2 mwN; BSG Beschluss vom 30.10.2019 - B 14 AS 330/18 B - juris RdNr 2). Dabei ist für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit - ebenso wie bei der Prüfung sonstiger Verfahrensmängel - von der materiell-rechtlichen Rechtsauffassung des Berufungsgerichts auszugehen (vgl BVerwG Beschluss vom 13.8.2015 - 4 B 15/15 - juris RdNr 7 mwN).

Ausgehend von diesen Maßstäben hat die Benennung des Schreibens der Beklagten vom 5.12.2019 als neuer Wiederaufnahmegrund die Prozesssituation nicht entscheidungserheblich verändert. Ebenso wie bei der zuvor vorgelegten Bestätigung des Vertragszahnarztes Dr. B.vom 17.8.2018 über die Abgabe seines Notdienstes handelt es sich bei dem Schriftsatz der Beklagten vom 5.12.2019 in dem Verfahren vor dem OLG Hamm um eine erst nachträglich gefertigte Urkunde, deren Vorlage nicht geeignet ist, einen der in § 179 SGG iVm §§ 579 , 580 ZPO genannten Wiederaufnahmegründe schlüssig darzulegen.

Zur Zulässigkeit der Restitutionsklage gehört die Darlegung eines gesetzlichen Restitutionsgrundes (vgl etwa BGH Urteil vom 28.5.1951 - IV ZR 6/50 - BGHZ 2, 245 , 247 = NJW 1951, 964 , 965). Der Kläger stützt sich vorliegend auf einen Wiederaufnahmegrund entsprechend § 580 Nr 7 Buchst b ZPO . Nach dieser Bestimmung findet die Restitutionsklage statt, wenn die Partei eine andere Urkunde auffindet oder zu benutzen in den Stand gesetzt wird, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Schon nach seinem Wortlaut setzt § 580 Nr 7 Buchst b ZPO somit voraus, dass die Urkunde im letzten maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Tatsacheninstanz bereits errichtet gewesen ist (BGH Urteil vom 28.11.1975 - V ZR 127/74 - BGHZ 65, 300 = juris RdNr 12; stRspr vgl BSG Beschluss vom 10.7.2012 - B 13 R 53/12 B - SozR 4-1500 § 158 Nr 6 RdNr 17; BAG Urteil vom 22.1.1998 - 2 AZR 455/97 - AP Nr 3 zu § 79 ArbGG 1979 = juris RdNr 22; BAG Urteil vom 25.4.2007 - 6 AZR 436/05 - BAGE 122, 190 = juris RdNr 25 f; BAG Urteil vom 29.9.2011 - 2 AZR 674/10 - juris RdNr 20; BVerwG Beschluss vom 30.8.2016 - 9 AV 2/16, 9 PKH 1/16, 9 AV 2/16, 9 PKH 1/16 - Buchholz 310 § 153 VwGO Nr 38 = juris RdNr 5; BFH Beschluss vom 8.7.1999 - III B 22/99 - juris RdNr 8 bis 9).

Soweit - worauf der Kläger hinweist - die Rechtsprechung in Abweichung hiervon auch bestimmte nachträglich errichtete Urkunden genügen lässt, ist der Kreis dieser Urkunden eng zu ziehen, weil mit der Restitution stets die nur ausnahmsweise zulässige Durchbrechung der Rechtskraft des Urteils einhergeht und bei nachträglich errichteten Urkunden die Gefahr des Missbrauchs besteht (so bereits das - auch vom Kläger zitierte - BGH Urteil vom 28.5.1951 - IV ZR 6/50 - BGHZ 2, 245 , 246 = NJW 1951, 964 , 965; vgl auch BAG Urteil vom 22.1.1998 - 2 AZR 455/97 - AP Nr 3 zu § 79 ArbGG 1979 = juris RdNr 22). Es muss insbesondere ausgeschlossen sein, dass die Urkunden errichtet oder benutzt werden, um anstelle eines anderen, keinen Restitutionsgrund bildenden Beweismittels in den Prozess eingeführt zu werden, und so einen Restitutionsgrund zu schaffen, der allein mit einer neuen Zeugenbenennung oder einer Parteierklärung nicht zu gewinnen wäre (vgl BGH Urteil vom 14.2.1952 - IV ZR 137/51 - BGHZ 5, 157 , 166 = juris RdNr 20; vgl auch BGH Urteil vom 27.5.1981 - IVb ZR 589/80 - BGHZ 80, 389 = FamRZ 1981, 862 , 863 mwN; BGH Beschluss vom 29.2.1984 - IVb ZB 28/83 - FamRZ 1984, 572 = juris RdNr 9 mwN). Dementsprechend hat die Rechtsprechung als Restitutionsgründe trotz nachträglicher Errichtung lediglich wenige, ausgewählte Urkunden anerkannt, die ihrer Rechtsnatur nach nicht im zeitlichen Zusammenhang mit den durch sie bezeugten Tatsachen errichtet werden können und für die ihrem Wesen nach eine missbräuchliche nachträgliche Errichtung nicht in Betracht kommt (vgl BGH Urteil vom 28.5.1951 - IV ZR 6/50 - BGHZ 2, 245 , 249 = NJW 1951, 964 f - Geburtsurkunde; BGH Urteil vom 14.12.1966 - IV ZR 241/65 - BGHZ 46, 300 , 305; BGH Urteil vom 14.2.1952 - IV ZR 137/51 - BGHZ 5, 157 , 166 = juris RdNr 18 ff; BSG Urteil vom 20.12.1962 - 3 RJ 85/55 - BSGE 18, 186 , 188 = SozR Nr 6 zu § 179 SGG = juris RdNr 14; BGH Urteil vom 27.10.1976 - IV ZR 147/75 - NJW 1977, 498 = juris RdNr 11 - Einbürgerungsurkunde;

vgl auch BAG Urteil vom 15.8.1984 - 7 AZR 558/82 - AP Nr 13 zu § 12 SchwbG = NJW 1985, 1485 = juris RdNr 44 f). Entgegen der Auffassung des Klägers erkennt die Rechtsprechung aber gerade nicht allgemein alle Urkunden, die ihrer Natur nach nicht in zeitlichem Zusammenhang mit den durch sie bezeugten Tatsachen errichtet werden konnten, als Restitutionsgrund 580 Nr 7 Buchst b ZPO ) an, sondern lediglich solche, die in Bezug auf die in der Vergangenheit liegenden Tatsachen mit einer Personenstandsurkunden entsprechenden formellen Beweiskraft und Bindungswirkung ausgestattet sind (vgl BAG Urteil vom 22.1.1998 - 2 AZR 455/97 - AP Nr 3 zu § 79 ArbGG 1979 = juris RdNr 26). Dass dies weder auf die Notdienstaufträge noch auf den Schriftsatz der Beklagten im Zivilverfahren vor dem OLG Hamm zutrifft, liegt auf der Hand. Angesichts der eindeutigen, seit Jahren gefestigten - auch dem anwaltlich vertretenen Kläger bekannten - Rechtsprechung hat die Einführung eines weiteren nachträglich erstellten Schriftstücks, welches ersichtlich nicht die Anforderungen an eine Urkunde iS des § 580 Nr 7 Buchst b ZPO erfüllt, nicht zu einer geänderten Prozesssituation geführt. Eine erneute Anhörung des Klägers war daher nicht erforderlich.

Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass auch ein Bezug des vorgelegten Schriftsatzes zu dem wiederaufzunehmenden Verfahren nicht ersichtlich ist. Die Auskunftsklage des Klägers wurde wegen Fehlens eines Rechtsschutzbedürfnisses verworfen. Die Stellungnahme der Beklagten in dem zivilrechtlichen Verfahren bezieht sich aber allenfalls auf den Inhalt der begehrten Auskunft, nicht darauf, ob dem Kläger ein Auskunftsanspruch zustehen könnte.

Auch soweit die Beklagte zu dem Vortrag des Klägers Stellung genommen hat, folgt hieraus keine erneute Anhörungspflicht. Das Schreiben vom 25.2.2020 enthält keine neuen Gesichtspunkte, die es erforderlich gemacht hätten, dem Kläger erneut rechtliches Gehör zu gewähren (zu diesem Aspekt vgl Burkiczak, NVwZ 2016, 806 , 813).

2. Das LSG hat auch nicht gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs verstoßen, indem es wesentliches Vorbringen des Klägers übergangen hat.

Art 103 Abs 1 GG verpflichtet ebenso wie § 62 SGG die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Fehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Beteiligten haben könnten. Dieses Gebot verpflichtet die Gerichte allerdings nicht, der Rechtsansicht eines der Beteiligten zu folgen (vgl BVerfG <Kammer> Beschluss vom 4.9.2008 - 2 BvR 2162/07, 2 BvR 2271/07 - BVerfGK 14, 238, 241 f, unter Hinweis auf BVerfG Beschluss vom 12.4.1983 - 2 BvR 678/81 ua - BVerfGE 64, 1 , 12 und BVerfG Urteil vom 7.7.1992 - 1 BvL 51/86 ua - BVerfGE 87, 1 , 33 = SozR 3-5761 Allg Nr 1 S 4; ebenso BVerfG <Kammer> Beschluss vom 20.7.2011 - 1 BvR 3269/10 - juris RdNr 3 am Ende), worauf der Kläger in seiner Begründung selbst hinweist. Die Gerichte sind auch nicht verpflichtet, jedes Vorbringen der Beteiligten ausdrücklich zu bescheiden; sie müssen nur das wesentliche, der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dienende Vorbringen in den Entscheidungsgründen verarbeiten (stRspr des BVerfG; s zB BVerfG <Kammer> Beschluss vom 20.2.2008 - 1 BvR 2722/06 - BVerfGK 13, 303, 304 = juris, dort RdNr 9 ff mwN; BVerfG <Kammer> Beschluss vom 31.3.2006 - 1 BvR 2444/04 - BVerfGK 7, 485, 488). Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen ist dann anzunehmen, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles ergibt (vgl BVerfG Beschluss vom 19.7.1967 - 2 BvR 639/66 - BVerfGE 22, 267 , 274; BVerfG Urteil vom 8.7.1997 - 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96, 205 , 216 f), zB wenn ein Gericht das Gegenteil des Vorgebrachten annimmt, den Vortrag eines Beteiligten als nicht existent behandelt (vgl BVerfG Beschluss vom 19.7.1967 - 2 BvR 639/66 - BVerfGE 22, 267 , 274) oder wenn es auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, es sei denn, der Tatsachenvortrag ist nach der materiellen Rechtsauffassung des Gerichts unerheblich (BVerfG Beschluss vom 19.5.1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 , 146). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

a) Der Kläger rügt zunächst, das LSG habe sich nicht mit der von ihm zitierten Rechtsprechung ("BGH, Urt. v. 06.07.1979 - I ZR 135/77; BGHZ 2, 245 , 247; BGH NJW 1951, 964 ; BGHZ 5, 157 , 162; BGH NJW 1952, 666 ; so auch BAG, Urt. v. 29.09.2011 - 2 AZR 674/10"), die eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass eine Urkunde spätestens zu einem Zeitpunkt hätte errichtet sein müssen, in dem sie im Vorprozess hätte benutzt werden können, auseinandergesetzt. Dies trifft jedoch ersichtlich nicht zu. Das LSG hat vielmehr ausdrücklich ausgeführt, eine günstigere Entscheidung könne "nur durch eine Urkunde herbeigeführt werden, die zur Zeit des Vorprozesses schon vorhanden war oder die ihrer Natur nach Tatsachen beweist, die einer zurückliegenden Zeit angehören" und insofern auf "Reichold in Thomas/Putzo, ZPO , 33. Auflage 2012, § 580 Rn. 18 und 21 m.w.N." verwiesen (vgl S 6 Urteilsumdruck), der (aaO, RdNr 21) ua auch das vom Kläger angeführte BGH Urteil vom 14.2.1952 ( IV ZR 137/51 - BGHZ 5, 157 ) zitiert. Vor diesem Hintergrund fehlt jeglicher Anhaltspunkt, dass das LSG das Vorbringen des Klägers nicht zur Kenntnis genommen habe. Eine Verpflichtung des LSG, auf einzelne zitierte Fundstellen einzugehen oder gar den Ausführungen des Klägers inhaltlich zu folgen, besteht nicht.

b) Soweit der Kläger ferner vorträgt, das LSG habe sich wegen der fehlenden Auseinandersetzung mit dieser rechtlichen Frage, die in seinem Sinne hätte geklärt werden müssen, nicht mit seinem weiteren Vorbringen und der hierzu zitierten Rechtsprechung befasst, dass Schlussfolgerungen aus einer vorgelegten Urkunde im Wege freier Beweiswürdigung zulässig seien, verkennt er, dass das LSG auf den nach seiner - des LSG - materiellen Rechtsauffassung unerheblichen Vortrag zur Würdigung der Beweiskraft der Urkunde schon nicht einzugehen brauchte. Wenn das LSG dennoch ergänzend unter Hinweis auf "Arndt in Breitkreuz/Fichte, SGG , 2. Aufl 2014, § 179 RdNr 9" ausführt, die Urkunden müssten in Verbindung allein mit dem früheren Prozessstoff aufgrund ihrer urkundlichen Beweiskraft geeignet sein, im früheren Prozess eine günstigere Entscheidung herbeizuführen, mithin seien Privaturkunden dann keine Urkunden iS des § 580 Nr 7 Buchst b ZPO , wenn sie nicht für sich allein, sondern nur iVm weiteren neuen Beweismitteln (etwa weitere Zeugen- oder Sachverständigenvernehmungen) zu einer günstigeren Entscheidung führen können, über die Urkunden könnten generell keine neuen weiteren Beweismittel in den Rechtsstreit eingeführt werden, entspricht dies der auch von dem Kläger zitierten Rechtsprechung (vgl BGH Urteil vom 16.12.1959 - IV ZR 206/59 - BGHZ 31, 351 = juris RdNr 35; BGH Urteil vom 28.10.1971 - IX ZR 79/67 - BGHZ 57, 211 = juris RdNr 16; BGH Urteil vom 6.7.1979 - I ZR 135/77 - NJW 1980, 1000 , 1001 = juris RdNr 17). Dass das LSG nicht der Wertung des Klägers gefolgt ist, aus den ihm erteilten Notdienstaufträgen "hätte im Wege freier Beweiswürdigung gefolgert werden müssen, dass die vormaligen Entscheidungen, die die (Wieder-)Zulassung des Klägers verhindert hatten, materiell-rechtlich fehlerhaft gewesen" seien, stellt keine Gehörsverletzung dar. Zudem ist ein Zusammenhang mit der Wiederaufnahme des Auskunftsbegehrens des Klägers nicht erkennbar.

c) Auch soweit der Kläger geltend macht, das LSG habe sich in der angefochtenen Entscheidung nicht damit auseinandergesetzt und außer Acht gelassen, dass er sich auf den Schriftsatz der Beklagten vom 5.12.2019 im Verfahren vor dem OLG Hamm als Urkunde berufen hat, in dem die Beklagte ua ausgeführt hat, dass er - der Kläger - "unstreitig bereits 2000, und vor allem in dem beanstandeten Zeitraum von 2014-2016, die aktive Tätigkeit in seiner Niederlassung eingestellt" habe, ergibt sich hieraus keine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Klägers.

Die Ausführungen des LSG zum Urkundenbegriff iS des § 580 Nr 7 Buchst b ZPO lassen keinen Zweifel daran, dass auch diese nachträglich errichtete Urkunde nach der Rechtsauffassung des LSG keinen Restitutionsgrund darstellt. Eine ausdrückliche Erwähnung im Urteil war daher nicht erforderlich. Das Fehlen von Ausführungen hierzu lässt nicht den Schluss zu, das entsprechende Vorbringen des Klägers sei insgesamt nicht zur Kenntnis genommen worden.

Im Kern rügt der Kläger auch hier mit seinem Vortrag keine Gehörsverletzung, sondern die aus seiner Sicht sachlich unzutreffende Entscheidung des LSG hinsichtlich des Vorliegens eines Wiederaufnahmegrundes. Das vermag die Zulassung der Revision nicht zu begründen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm §§ 154 ff VwGO . Danach trägt der Kläger die Kosten des von ihm erfolglos geführten Rechtsmittels 154 Abs 2 VwGO ).

4. Die Festsetzung des Streitwerts entspricht der von den Beteiligten nicht angegriffenen Festsetzung des LSG in Höhe des Regelstreitwerts 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1 und 2 , § 47 Abs 1 und 3 GKG ).

Vorinstanz: LSG Nordrhein-Westfalen, vom 09.03.2020 - Vorinstanzaktenzeichen L 11 KA 73/18
Vorinstanz: SG Münster, vom 15.04.2013 - Vorinstanzaktenzeichen S 2 KA 22/11