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BSG - Entscheidung vom 17.06.2020

B 8 SO 23/20 B

Normen:
SGG § 63 Abs. 2 S. 1
ZPO § 182 Abs. 1

BSG, Beschluss vom 17.06.2020 - Aktenzeichen B 8 SO 23/20 B

DRsp Nr. 2020/10416

Übernahme der Kosten für eine Assistenz Trägerübergreifendes persönliches Budget Zeitpunkt der Zustellung

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 10. April 2019 wird als unzulässig verworfen.

Der Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im bezeichneten Urteil wird abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 63 Abs. 2 S. 1; ZPO § 182 Abs. 1 ;

Gründe

I

Im Streit ist die Übernahme der Kosten für eine Assistenz im Rahmen eines trägerübergreifenden persönlichen Budgets, die der Beklagte zu 1) abgelehnt hatte (Bescheid vom 20.10.2011; Widerspruchsbescheid vom 15.1.2013). Während das Sozialgericht ( SG ) München die Klage abgewiesen hat (Urteil vom 24.2.2015), hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) das SG -Urteil aufgehoben, den Beklagten zu 2) zur Neubescheidung des Antrags der Klägerin verurteilt und die Berufung im Übrigen zurückgewiesen (Urteil vom 10.4.2019). Das LSG-Urteil ist der Klägerin ausweislich der beim LSG am 13.5.2019 eingegangenen Postzustellungsurkunde durch Einlegen in den Briefkasten am 9.5.2019 zugestellt worden. Die Klägerin hat mit am 31.3.2020 beim Bundessozialgericht ( BSG ) eingegangenem Schreiben Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision erhoben. Das LSG-Urteil sei ihr erst auf Nachfrage am 6.3.2020 zugestellt worden. Der Inhalt der Postzustellungsurkunde sei falsch. Das "gewissenlose Fehlverhalten" eines "ungeschulten" Postzustellers, der "der deutschen Sprache nicht mächtig" sei und eine "objektive Falschbeurkundung" vorgenommen habe, dürfe ihr keinen Rechtsnachteil bewirken, sondern ihr sei Wiedereinsetzung zu gewähren.

II

Die von der Klägerin ohne zugelassenen Prozessbevollmächtigten und ohne Beantragung von Prozesskostenhilfe (PKH) und Beiordnung eines Rechtsanwalts eingelegte Beschwerde ist unzulässig. Sie entspricht nicht den zwingenden gesetzlichen Vorschriften. Die Klägerin muss sich vor dem BSG gemäß § 73 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz ( SGG ) durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Sie kann eine Prozesshandlung rechtswirksam nicht vornehmen, folglich auch nicht selbst Beschwerde einlegen. Schon die Beschwerdeschrift muss von einem nach § 73 Abs 4 Satz 2 SGG zugelassenen Prozessbevollmächtigten unterzeichnet sein. Die nicht formgerecht eingelegte Beschwerde ist deshalb nach § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen.

Die Beschwerde ist ungeachtet der fehlenden Postulationsfähigkeit auch nicht innerhalb der Monatsfrist, die am Montag, 10.6.2019, endete, erhoben worden und damit verfristet. Nach § 160a Abs 1 Satz 2 SGG ist die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision beim BSG innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils - hier: 9.5.2019 - einzulegen. Die Zustellungsurkunde vom 9.5.2019 erbringt vorliegend den vollen Beweis 63 Abs 2 Satz 1 SGG iVm § 182 Abs 1 Zivilprozessordnung <ZPO>; vgl BSG vom 5.7.2018 - B 13 R 294/15 B - juris RdNr 5), dass der Klägerin das LSG-Urteil vom 10.4.2019 - L 8 SO 67/15 - im Wege der Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten zugestellt worden ist (zur Beweiskraft der Postzustellungsurkunde vgl auch Bundesgerichtshof <BGH> vom 11.7.2018 - XII ZB 138/18 - NJW 2018, 2802 ; BSG vom 11.12.2019 - B 6 KA 49/18 B - juris RdNr 10). Die am 9.5.2019 erfolgte Zustellung des LSG- Urteils ist wirksam. Die Zustellungsurkunde ist ordnungsgemäß erstellt worden. Sie enthält die erforderlichen Angaben über den Zustellungsvorgang und das Zustellungsdatum 63 Abs 2 Satz 1 SGG iVm § 182 Abs 2 ZPO ). Insbesondere ist der Grund angegeben, der die Ersatzzustellung nach § 180 ZPO rechtfertigte 182 Abs 2 Nr 4 ZPO ). Der Zeitpunkt der Zustellung hängt nicht davon ab, wann der Empfänger des Schreibens von dessen Inhalt Kenntnis nimmt (vgl BSG vom 5.7.2018 - B 13 R 294/15 B - juris RdNr 5; Keller in Meyer- Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 12. Aufl 2017, § 63 RdNr 14). Die Klägerin hat ihre Behauptung, eine Zustellung sei nicht erfolgt, dagegen nicht weiter glaubhaft gemacht und dadurch den zur Entkräftigung des Urkundsbeweises erforderlichen Gegenbeweis 418 Abs 2 ZPO ) nicht geführt. Der Gegenbeweis wird nicht schon durch die bloße Behauptung, das betreffende Schriftstück nicht erhalten zu haben, erbracht, weil es für die Wirksamkeit der Zustellung nicht darauf ankommt, ob und wann der Adressat das Schriftstück seinem Briefkasten entnommen und ob er es tatsächlich zur Kenntnis genommen hat (vgl BSG vom 27.1.2005 - B 7a/7 AL 194/04 B - juris RdNr 5; BSG vom 13.11.2008 - B 13 R 138/07 B - juris RdNr 6, jeweils mwN). Vielmehr erfordert der Gegenbeweis der Unrichtigkeit den Beweis eines anderen als in der Zustellungsurkunde bezeugten Geschehensablaufs; nur so wird ein Fehlverhalten des Zustellers und eine Falschbeurkundung in der Zustellungsurkunde belegt (vgl Bundesfinanzhof <BFH> vom 10.11.2003 - VII B 366/02 - BFH/NV 2004, 509 und BSG vom 27.1.2005 - B 7a/7 AL 194/04 B - juris RdNr 5). Soweit die Klägerin eine Formunwirksamkeit des LSG-Urteils ("Scheinurteil") geltend macht, fehlende Original-Unterschriften des Spruchkörpers auf der ihr vorliegenden Abschrift rügt und eine "Urkundenfälschung" durch das LSG behauptet, übersieht sie, dass Urteile an die Beteiligten nur in Abschrift - ohne eigenhändige Original- Unterschriften des Spruchkörpers - zugestellt werden, während die Urschrift des Urteils, auf der sich die Original-Unterschriften des Spruchkörpers befinden, bei den Gerichtsakten verbleibt (vgl §§ 135 , 202 SGG iVm § 317 Abs 1 Satz 1 ZPO ).

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist der Klägerin auf ihren Antrag nicht zu gewähren. Mangels Postulationsfähigkeit kann sie auch diese Prozesshandlung nicht rechtswirksam vornehmen. Im Übrigen sind die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 67 SGG ) wegen Versäumung der nachzuholenden Rechtshandlung nicht erfüllt. Zwar kann bei Ablauf der Beschwerdefrist des § 160a Abs 1 SGG eine spätere Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch dann in Betracht kommen, wenn ein Beteiligter infolge seiner Mittellosigkeit gehindert war, eine Beschwerde fristgerecht durch einen beim BSG zugelassenen Rechtsanwalt einzulegen, und die Beschwerde dann von einem zugelassenen Bevollmächtigten nachgeholt wird. Dies gilt aber nur dann, wenn - was hier nicht geschehen ist - innerhalb der Beschwerdefrist sowohl ein PKH-Antrag als auch eine Erklärung iS des § 117 Abs 2 ZPO über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf dem gemäß § 117 Abs 4 ZPO vorgeschriebenen Formular eingereicht werden, es sei denn, der Beteiligte war auch hieran ohne Verschulden gehindert (vgl BSG vom 13.4.1981 - 11 BA 46/81 - SozR 1750 § Nr 1 und vom 30.4.1982 - 7 BH 10/82 - SozR 1750 § 117 Nr 3), wofür vorliegend jedoch nichts ersichtlich ist. Dass die Klägerin an der rechtzeitigen Einreichung der Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ohne Verschulden gehindert gewesen sein könnte, ist - auch auf Hinweis des Gerichts - nicht glaubhaft gemacht. Die vorgebrachten haltlosen Unterstellungen gegenüber dem Zusteller ergeben keine Wiedereinsetzungsgründe.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Bayern, vom 10.04.2019 - Vorinstanzaktenzeichen L 8 SO 67/15
Vorinstanz: SG München, vom 24.02.2015 - Vorinstanzaktenzeichen S 22 SO 101/13