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BSG - Entscheidung vom 26.10.2020

B 13 R 153/20 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1
SGG § 67

BSG, Beschluss vom 26.10.2020 - Aktenzeichen B 13 R 153/20 B

DRsp Nr. 2021/1922

Rücknahme von Rentenbescheiden und Geltendmachung einer Erstattungsforderung Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 26. Mai 2020 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ; SGG § 67 ;

Gründe

I

Die Klägerin wendet sich im zugrundeliegenden Rechtsstreit gegen die noch gegenüber ihrem inzwischen verstorbenen Ehemann verfügte teilweise Rücknahme von Rentenbescheiden und Geltendmachung einer Erstattungsforderung in Höhe von 11 207,14 Euro. Das SG Trier hat ihre Klage als unzulässig abgewiesen, weil sie die Klagefrist versäumt habe und Wiedereinsetzung in diese nicht zu gewähren sei; ihren Bevollmächtigten treffe im Zusammenhang mit der Postausgangskontrolle ein Organisationsverschulden. Das LSG Rheinland-Pfalz hat die dagegen gerichtete Berufung mit Urteil vom 26.5.2020 zurückgewiesen und ist der Begründung des SG gefolgt. Mit ihrer Beschwerde, die sie mit Schriftsatz vom 3.9.2020 begründet hat, wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung.

II

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen. Die Beschwerdebegründung vom 3.9.2020 genügt nicht der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form. Die Klägerin hat darin weder den geltend gemachten Zulassungsgrund der Divergenz 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) noch den ergänzend geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung160 Abs 2 Nr 1 SGG ) in der gesetzlich vorgesehenen Weise dargelegt.

a) Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, nämlich das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Urteilen zugrunde gelegt sind. Zur ordnungsgemäßen Darlegung einer Divergenz sind ein oder mehrere entscheidungstragende Rechtssätze aus dem Berufungsurteil und zu demselben Gegenstand gemachte und fortbestehende aktuelle abstrakte Aussagen aus einer Entscheidung des BSG , des GmSOGB oder des BVerfG einander gegenüberzustellen; zudem ist näher zu begründen, weshalb diese nicht miteinander vereinbar sind und inwiefern die angegriffene Entscheidung auf der Abweichung beruht(stRspr; vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 17; BSG Beschluss vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 21). Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn die fehlerhafte Anwendung eines als solchen nicht in Frage gestellten höchstrichterlichen Rechtssatzes durch das Berufungsgericht geltend gemacht wird (bloße Subsumtionsrüge), denn nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz (vgl BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 f; Senatsbeschluss vom 24.4.2015 - B 13 R 37/15 B - juris RdNr 6). Diesen Darlegungsanforderungen wird die Beschwerdebegründung vom 3.9.2020 nicht gerecht.

Die Klägerin bringt vor, das LSG habe hinsichtlich des für die Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist geltenden Maßstabs zutreffend auf die Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 18.3.1987 - 9b RU 8/86) und des BGH (Beschluss vom 9.1.2020 - I ZB 41/19) abgestellt, wonach eine eingetragene Frist erst dann gestrichen werden dürfe, wenn der fristwahrende Schriftsatz tatsächlich abgesandt oder wenigstens postfertig gemacht worden sei. "Abweichend von dieser Rechtsprechung" habe das LSG die durch den Bevollmächtigten der Klägerin erfolgte Fristenkontrolle als unzureichend angesehen. Dieser habe, so das LSG, nicht vorgetragen, dass die Klagschrift abgesandt oder postfertig gemacht worden sei, sondern nur, dass er die Klagschrift diktiert, unterzeichnet und in die Unterschriftenmappe gelegt habe. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus seinem Vortrag zu der von ihm - zusätzlich zum Fristenkalender - geführten eigenen Liste; der Bevollmächtigte der Klägerin habe eingeräumt, auch darin lediglich die Fertigstellung und Unterzeichnung des Schriftstücks vermerkt zu haben. Mit diesem Vorbringen benennt die Klägerin keinen tragenden abstrakten Rechtssatz, den das LSG nach ihrem Dafürhalten aufgestellt hat und mit dem es von einem abstrakten Rechtssatz in der Entscheidung des BSG vom 18.3.1987 oder einer anderen Entscheidung des BSG , des GmSOGB oder des BVerfG abweiche. Sie macht lediglich eine ihres Erachtens falsche Rechtsanwendung durch das LSG geltend. Eine Abweichung von der Entscheidung des BGH vom 9.1.2020, die die Klägerin damit ebenso wenig dargelegt hat, vermöchte schon keine Divergenz zu begründen. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG kann eine Divergenz im sozialgerichtlichen Verfahren nicht auf die Abweichung von einer Entscheidung des BGH gestützt werden, sondern lediglich auf die Abweichung von einer Entscheidung der in dieser Vorschrift abschließend genannten Gerichte(Senatsbeschluss vom 22.4.2013 - B 13 R 21/13 B - juris RdNr 10). Insoweit kommt allenfalls der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung in Betracht (vgl etwa Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, 13. Aufl 2020, § 160 RdNr 11 mwN).

Die Klägerin schildert zudem ausführlich die organisatorischen Vorkehrungen, die ihr Bevollmächtigter zur Einhaltung der Klagfrist getroffen habe. Dieser habe die nach seinem Diktat gefertigte Klagschrift bereits drei Wochen vor Fristablauf unterschrieben und das unterschriebene Schriftstück in der Unterschriftenmappe an seine ihm als sehr zuverlässig bekannte Mitarbeiterin weitergeleitet. Dies habe er auf der von ihm geführten Liste vermerkt. Zusätzlich habe er seine Mitarbeiterin am Abend des Tages des Fristablaufs ausdrücklich nach der Versendung der Klagschrift gefragt und zweimal eine bestätigende Antwort erhalten. Die Klägerin meint, ihr Bevollmächtigter habe auf diese Weise der in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geforderten "doppelten Kontrolle" des Ausgangs fristgebundener Schriftsätze genügt. Damit stellt die Klägerin in den Raum, das LSG sei von einem Rechtssatz des Inhalts abgewichen, ein Rechtsanwalt genüge seiner Obliegenheit zur Einrichtung einer Ausgangskontrolle, wenn er bei fristgebundenen Schriftsätzen jeweils die Übergabe des unterzeichneten Schriftsatzes an eine Bürokraft notiere und sich am Abend des Tages des Fristablaufes "auf Zuruf" bestätigen lasse, dass der Schriftsatz tatsächlich abgesandt worden sei. Die Klägerin versäumt es jedoch darzulegen, welcher Entscheidung des BSG , des GmSOGB oder des BVerfG sich ihrer Ansicht nach ein derartiger Rechtssatz entnehmen lasse. Gleiches gilt, soweit die Klägerin vorbringen wollte, nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung habe ein Rechtsanwalt bereits mit jeder Form der zweistufigen Ausgangskontrolle ausreichende organisatorische Vorkehrungen für den rechtzeitigen Eingang fristgebundener Schriftsätze beim zuständigen Gericht getroffen, ungeachtet ihrer konkreten Ausgestaltung.

b) Ebenso wenig genügt die Beschwerdebegründung der Klägerin den Anforderungen an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache. Wird mit der Nichtzulassungsbeschwerde die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG geltend gemacht, muss der Beschwerdeführer in der Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten ist (Klärungsfähigkeit). In der Beschwerdebegründung ist deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und der Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (stRspr; vgl zuletzt etwa Senatsbeschluss vom 8.8.2019 - B 13 R 289/18 B - juris RdNr 9 mwN; vgl auch BVerfG <Kammer> Beschluss vom 18.12.1991 - 1 BvR 1411/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 7 RdNr 8; ferner Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 14 ff mwN). Die Klägerin formuliert die Frage:

"Genügt die Kennzeichnung als erledigt auf einer Fristenliste des Rechtsanwalts, die erfolgt, nachdem das Schriftstück abdiktiert, ihm vorgelegt und von ihm unterzeichnet in der Unterschriftenmappe an die Mitarbeiter übergeben wird, und die nochmalige Kontrolle des Postversands durch Nachfrage beim Kanzleipersonal, das für den Versand verantwortlich war, aufgrund einer zweiten Fristenliste im Kanzleikalender am Tag des Fristablaufs selbst bei entsprechender Zusicherung der Erledigung durch die zuständige Mitarbeiterin, einer wirksamen Fristen- und Postausgangskontrolle?"

Es sei dahingestellt, ob die Klägerin damit trotz des starken Einzelfallbezugs und trotz des fehlenden Bezugs zu einer bestimmten Norm eine Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts(vgl § 162 SGG ) mit höherrangigem Recht formuliert hat. Sie hat jedenfalls die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage nicht in der gebotenen Weise dargelegt.

Das BSG hat ua in der von der Klägerin erwähnten Entscheidung vom 18.3.1987 entschieden, dass eine Verfahrensfrist schuldhaft versäumt worden ist, sodass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 67 SGG ) ausscheidet, wenn die von einem gewissenhaften Prozessführenden im prozessualen Verkehr erforderliche Sorgfalt außeracht gelassen wird (stRspr; vgl etwa BSG Urteil vom 18.3.1987 - 9b RU 8/86 - BSGE 61, 213 , 214 = SozR 1500 § 67 Nr 18, S 42; Senatsbeschluss vom 29.4.2005 - B 13 RJ 50/04 R - juris RdNr 4; BSG Beschluss vom 1.8.2018 - B 1 KR 98/17 B - juris RdNr 8; jeweils mwN). Nach der übereinstimmenden Rechtsprechung aller obersten Gerichtshöfe des Bundes hat ein Rechtsanwalt durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig hergestellt wird und innerhalb der Frist beim zuständigen Gericht eingeht (stRspr; vgl zuletzt etwa Senatsbeschluss vom 29.12.2015 - B 13 R 392/15 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 1.8.2018 - B 1 KR 98/17 B - juris RdNr 8; BVerwG Beschluss vom 8.3.2019 - 5 PB 15/18 - juris RdNr 16; BFH Beschluss vom 21.5.2019 - IX R 43/17 - juris RdNr 17; BGH Beschluss vom 9.1.2020 - I ZB 41/19 - juris RdNr 9; BAG Beschluss vom 7.8.2019 - 5 AZB 16/19 - BAGE 167, 221 RdNr 17; jeweils mwN). Es ist geklärt, dass dies eine wirksame Ausgangskontrolle umfasst, durch die gewährleistet wird, dass fristwahrende Schriftsätze auch tatsächlich rechtzeitig hinausgehen(vgl BSG Beschluss vom 24.9.2014 - B 9 SB 27/14 B - juris RdNr 7; Senatsbeschluss vom 29.12.2015 - B 13 R 392/15 B - juris RdNr 8; jeweils mwN). Der BGH hat in der von der Klägerin erwähnten Entscheidung vom 9.1.2020 den gestuften Schutz betont, den die Ausgangskontrolle bieten müsse; diese zusätzliche - in den Worten der Klägerin: doppelte - Kontrolle sei notwendig, weil selbst bei sachgerechten Organisationsabläufen individuelle Bearbeitungsfehler auftreten könnten, die es nach Möglichkeit aufzufinden und zu beheben gelte (BGH Beschluss vom 9.1.2020 - I ZB 41/19 - juris RdNr 9 ff; auch zum Folgenden). Danach dürfen im Fristenkalender vermerkte Fristen erst gestrichen werden, wenn der Schriftsatz tatsächlich gefertigt und abgesandt oder zumindest postfertig gemacht worden ist; hierfür sind die für die Kontrolle zuständigen Mitarbeiter anzuweisen, Fristen im Kalender grundsätzlich erst zu streichen, nachdem sie sich anhand der Akte vergewissert haben, dass zweifelsfrei nichts mehr zu veranlassen ist. Zusätzlich ist die Erledigung fristgebundener Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders zu überprüfen; diese nochmalige, selbstständige und abschließende Kontrolle muss gewährleisten, dass geprüft wird, welche fristwahrenden Schriftsätze hergestellt, abgesandt oder zumindest versandfertig gemacht worden sind und ob insoweit eine Übereinstimmung mit den im Fristenkalender vermerkten Sachen besteht.

Der Klägerin hätte daher die Darlegung oblegen, dass und aus welchem Gründen die bereits ergangene Rechtsprechung die von ihr in den Raum gestellte Frage nicht ausreichend beantwortet. Insbesondere hätte es nahe gelegen, sich mit der - von ihr selbst angeführten - Entscheidung des BGH vom 9.1.2020 auseinanderzusetzen und zumindest zu skizzieren, warum nach ihrem Dafürhalten weiterhin offen ist, ob die von ihr beschriebene Ausgangskontrolle - bei der auf der ersten Stufe lediglich die Rückgabe des unterzeichneten Schriftsatzes an die Bürokraft vermerkt wird - den Anforderungen an die Organisation einer mehrstufigen Ausgangskontrolle genügt, obgleich der BGH betont hat, auf der ersten Stufe sei eine Frist erst zu streichen, wenn der fristgebundene Schriftsatz tatsächlich abgesandt oder zumindest postfertig gemacht worden ist. Dahingehende Ausführungen zur Rechtsprechung des BSG , des BGH oder der anderen obersten Gerichtshöfe des Bundes fehlen in der Beschwerdebegründung aber vollständig.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 Abs 1 und 4 SGG .

Vorinstanz: LSG Rheinland-Pfalz, vom 26.05.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 6 R 44/20
Vorinstanz: SG Trier, vom 20.12.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 4 R 108/18