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BSG - Entscheidung vom 17.06.2020

B 5 RS 1/20 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3
SGG § 160a Abs. 2 S. 3

BSG, Beschluss vom 17.06.2020 - Aktenzeichen B 5 RS 1/20 B

DRsp Nr. 2020/10815

Rentenrechtliche Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 7. August 2019 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ; SGG § 160a Abs. 2 S. 3;

Gründe

I

Der Kläger begehrt in einem (weiteren) Überprüfungsverfahren die Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) sowie der in diesen Zeiträumen erzielten Arbeitsentgelte. Er war seit 1978 im VEB E. beschäftigt; dieser Betrieb wurde aufgrund einer Umwandlungserklärung vom 12.6.1990 ua in die E.-GmbH umgewandelt, deren Eintragung in das Register am 27.6.1990 erfolgte. Das LSG hat der Klage gegen die ablehnenden Entscheidungen der Beklagten (Bescheid vom 4.12.2014, Widerspruchsbescheid vom 16.4.2015) teilweise stattgegeben und die Beklagte verurteilt, unter Änderung der entgegenstehenden Bescheide den Zeitraum vom 1.10.1972 bis zum 30.6.1990 als Zeit der Zugehörigkeit des Klägers zur AVItech anzuerkennen sowie die währenddessen erzielten Arbeitsentgelte festzustellen. Arbeitgeber des Klägers am Stichtag 30.6.1990, der für eine fiktive Einbeziehung in das Zusatzversorgungssystem hinsichtlich der Sachlage maßgeblich ist, sei noch der VEB E. gewesen; zu einem Arbeitgeberwechsel sei es bis dahin nicht gekommen. Im Übrigen - hinsichtlich des Zeitraums vom 1.7.1969 bis zum 30.9.1972 - hat das LSG die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des SG zurückgewiesen (Urteil vom 7.8.2019).

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Beklagte beim BSG Beschwerde eingelegt. Sie rügt als Verfahrensmangel eine unzureichende Sachaufklärung durch das Berufungsgericht 160 Abs 2 Nr 3 iVm § 103 SGG ).

II

Die Beschwerde der Beklagten hat keinen Erfolg. Dabei kann offenbleiben, ob sie den gerügten Verfahrensmangel in jeder Hinsicht ordnungsgemäß bezeichnet hat (zu den bei einer Sachaufklärungsrüge maßgeblichen Darlegungsanforderungen gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 SGG s zB BSG Beschluss vom 14.4.2020 - B 5 RS 13/19 B - juris RdNr 11 mwN). Der Verfahrensmangel liegt jedenfalls nicht vor. Das LSG ist dem Antrag auf Vernehmung des Herrn K. B. als Zeuge zu dem Beweisthema, ob der Kläger am 30.6.1990 in einem Arbeitsverhältnis mit dem VEB E. gestanden habe, zu Recht nicht nachgegangen.

a) Für die Frage, ob das Berufungsgericht einem bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung aufrechterhaltenen Beweisantrag iS des § 160 Abs 2 Nr 3 Teilsatz 3 SGG "ohne hinreichende Begründung" nicht gefolgt ist, kommt es entscheidend darauf an, ob das LSG aufgrund seiner Amtsermittlungspflicht 103 SGG ) objektiv zu weiterer Sachaufklärung verpflichtet war und sich deshalb zu der beantragten Beweiserhebung hätte gedrängt fühlen müssen (stRspr, vgl zB BSG Beschluss vom 19.10.2011 - B 13 R 290/11 B - juris RdNr 12; BSG Beschluss vom 13.2.2019 - B 6 KA 14/18 B - juris RdNr 8). Soweit entscheidungserhebliche tatsächliche Umstände noch nicht hinreichend geklärt sind, muss das Gericht von allen Ermittlungsmöglichkeiten Gebrauch machen, die vernünftigerweise zur Verfügung stehen. Einen darauf bezogenen Beweisantrag eines Beteiligten darf es in diesem Fall nur ablehnen, wenn es aus seiner rechtlichen Sicht auf die ungeklärte Tatsache nicht ankommt, wenn diese Tatsache als wahr unterstellt werden kann, wenn das Beweismittel völlig ungeeignet oder unerreichbar ist, wenn die behauptete Tatsache oder ihr Fehlen bereits erwiesen oder wenn die Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist (vgl BSG Beschluss vom 6.2.2007 - B 8 KN 16/05 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 12 RdNr 10; BSG Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 33/11 R - NZS 2012, 230 RdNr 24 mwN).

b) Das LSG hat im Anschluss an das Urteil des Senats vom 7.12.2017 (B 5 RS 1/16 R - BSGE 125, 1 = SozR 4-8570 § 1 Nr 21, RdNr 16, 28) zutreffend für entscheidungserheblich erachtet, ob das seit 1.1.1978 bestehende Arbeitsverhältnis des Klägers beim VEB E. am 30.6.1990 nach den Beendigungstatbeständen des zu diesem Zeitpunkt maßgeblichen Arbeitsrechts der DDR aufgelöst war (s auch BSG Urteil vom 9.10.2012 - B 5 RS 9/11 R - juris RdNr 27 f). Es hat die als "Änderungsvertrag" bezeichnete Vereinbarung vom 1.6.1990, die zwischen dem in der Vertragsurkunde lediglich als "E." (ohne den Zusatz "VEB") benannten Betrieb und dem Kläger abgeschlossen worden war, nach dessen Auslegung nicht als Überleitungsvertrag iS der §§ 51 ff AGB DDR bewertet, welcher zur Überleitung des Werktätigen in einen anderen Betrieb und ein anderes Arbeitsrechtsverhältnis geführt hätte. Da auch für eine "Abberufung" des Klägers durch seinen bisherigen Betrieb nichts ersichtlich war, hat das LSG die Schlussfolgerung gezogen, dass der Kläger am 30.6.1990 noch in einem Arbeitsverhältnis zum VEB E. gestanden habe und somit auch die betriebliche Voraussetzung für eine fiktive Einbeziehung in die AVItech erfüllt war.

c) Dem auch im Urteil des LSG wiedergegebenen Beweisantrag der Beklagten musste das Berufungsgericht nicht nachkommen. Dieser Beweisantrag zielte auf die Feststellung, dass der Kläger am 30.6.1990 nicht mehr in einem Arbeitsverhältnis zum VEB E. stand, sondern "der Übergang des Arbeitsverhältnisses zur Nachfolgegesellschaft bereits durch den Änderungsvertrag vom 01.06.1990 vollzogen worden ist". Damit erstrebte die Beklagte im Ergebnis eine abweichende Auslegung des Änderungsvertrags vom 1.6.1990, und zwar iS eines Überleitungsvertrags nach §§ 51 ff AGB DDR. Dazu hätte die Beklagte allerdings konkrete tatsächliche Umstände benennen müssen, über die nach ihrer Ansicht Beweis zu erheben war 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 373 ZPO : "Tatsachen, über welche die Vernehmung der Zeugen stattfinden soll"; zur hinreichenden Substantiierung der zu beweisenden Tatsachen im Beweisantrag s auch BSG Beschluss vom 14.3.2019 - B 5 R 22/18 B - juris RdNr 8 f). Solche tatsächlichen Umstände können im Fall einer erforderlichen Vertragsauslegung (zu den Grundsätzen der Auslegung vertraglicher Vereinbarungen vgl BSG Urteil vom 29.6.2017 - B 3 KR 31/15 R - BSGE 123, 254 = SozR 4-2500 § 132a Nr 11, RdNr 34 mit Hinweis auf die Rspr des BGH) auch bestimmte Begleitumstände sein, die bei Abschluss einer Vereinbarung vorlagen. Aus solchen Umständen können sich gegebenenfalls Hinweise darauf ergeben, dass die Vertragsparteien in Wirklichkeit einen anderen rechtsgeschäftlichen Regelungswillen hatten als er im bloßen Wortlaut der vertraglichen Regelungen zum Ausdruck gekommen ist (vgl BSG Urteil vom 18.12.2003 - B 4 RA 20/03 R - SozR 4-8570 § 1 Nr 2 RdNr 20; zur Berücksichtigung von Begleitumständen bei der Auslegung von Willenserklärungen s auch Ellenberger in Palandt, BGB , 79. Aufl 2020, § 133 RdNr 15 ff mwN).

Entsprechende tatsächliche Umstände hat die Beklagte in ihrem zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem LSG gestellten Beweisantrag nicht benannt. Ihre Angabe, der Zeuge werde bekunden, "dass der Übergang des Arbeitsverhältnisses des Klägers zur Nachfolgegesellschaft durch den mit dem Kläger geschlossenen Änderungsvertrag vom 01.06.1990 vollzogen worden ist", betrifft lediglich die Einschätzung des Zeugen zum Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Rechtsfolge; dies ist jedoch Aufgabe des Gerichts und nicht des Zeugen. Somit handelte es sich um einen unbestimmten Beweisantrag, der das LSG nicht zu weiterer Sachaufklärung verpflichtete (vgl BSG Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 33/11 R - NZS 2012, 230 RdNr 24 mwN; BSG Beschluss vom 11.9.2019 - B 6 KA 1/19 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 12.3.2020 - B 3 KR 17/19 B - juris RdNr 6; s auch BFH Beschluss vom 9.1.2019 - I B 138/17 - BFH/NV 2019, 681 = juris RdNr 19). Die Angabe, der Zeuge hätte bekundet, dass gerade der Wegfall des Zusatzes "VEB" in dem Änderungsvertrag Ausdruck des Willens der Vertragsparteien gewesen sei, dass der VEB E. nicht mehr Arbeitgeber des Klägers sein sollte und das Arbeitsverhältnis zu diesem Betrieb mit dem Änderungsvertrag vom 1.6.1990 habe beendet werden sollen, war nicht Inhalt des von der Beklagten vor dem LSG angebrachten Beweisantrags. Sie findet sich erstmals in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde und konnte schon deshalb nicht bewirken, dass sich das LSG zu der Zeugenvernehmung hätte gedrängt fühlen müssen.

d) Allein der Umstand, dass die Beklagte die Entscheidung des LSG für falsch hält (s aber auch BayLSG Urteil vom 12.12.2018 - L 1 RS 3/13 - juris RdNr 98 ff) und noch viele gleich gelagerte Sachverhalte zu bearbeiten hat, kann nach der gesetzlichen Regelung in § 160 Abs 2 SGG nicht zur Revisionszulassung führen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Thüringen, vom 07.08.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 3 R 242/17
Vorinstanz: SG Altenburg, vom 19.12.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 18 R 1338/15