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BSG - Entscheidung vom 19.08.2020

B 13 R 303/19 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3
SGG § 124 Abs. 2

BSG, Beschluss vom 19.08.2020 - Aktenzeichen B 13 R 303/19 B

DRsp Nr. 2020/13701

Rente wegen voller Erwerbsminderung Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. November 2019 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ; SGG § 124 Abs. 2 ;

Gründe

I

Im Streit steht die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung, insbesondere der Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls.

Die Klägerin war zuletzt von Februar 2008 bis November 2014 versicherungspflichtig beschäftigt. Die von ihr beim beklagten Rentenversicherungsträger gestellten Anträge auf Rente wegen Erwerbsminderung blieben erfolglos. Das SG hat die Klage gegen den letzten ablehnenden Bescheid abgewiesen (Urteil vom 11.1.2017) und das LSG hat die Berufung der Klägerin hiergegen zurückgewiesen. Es hat die Revision nicht zugelassen (Urteil vom 27.11.2019).

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde an das BSG . Sie rügt Verfahrensmängel, die dem LSG unterlaufen seien 160 Abs 2 Nr 3 SGG ), und macht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) geltend.

II

Die Beschwerde ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form. Die Klägerin hat die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht in der hierfür nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG erforderlichen Weise dargetan.

1. Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache ist in der Beschwerdebegründung eine konkrete Rechtsfrage in klarer Formulierung zu bezeichnen und schlüssig aufzuzeigen, dass diese klärungsbedürftig, in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 19, Nr 22 RdNr 5; BSG Beschluss vom 30.8.2004 - B 2 U 401/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 5 RdNr 2 ff, Nr 9 RdNr 4, jeweils mwN). Um die Klärungsbedürftigkeit aufzuzeigen, muss aus der Beschwerdebegründung ersichtlich sein, dass sich die Antwort auf die Rechtsfrage nicht ohne Weiteres aus dem Gesetz oder der bisherigen Rechtsprechung ergibt; hierzu bedarf es der Auseinandersetzung mit den vorinstanzlichen Entscheidungen und sonstiger einschlägiger Rechtsprechung. Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG substantiiert vorgetragen werden, dass das BSG zu diesem Fragenkreis noch keine Entscheidung getroffen hat bzw dass sich aus der bereits ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung auch keine Anhaltspunkte für dessen Beantwortung ergeben (vgl Senatsbeschluss vom 3.1.2011 - B 13 R 195/10 B - juris RdNr 9).

Die Klägerin formuliert als Frage von grundsätzlicher Bedeutung,

"ob bzw. inwieweit im Rahmen der Pflicht der Amtsermittlung eine Begutachtung von Leistungseinschränkungen, die zur Erwerbsminderung führen können, auch dann, wenn zunächst allein körperliche Beeinträchtigungen im Raum stehen, sich indessen bei diagnostizierten psychischen Erkrankungen aufdrängt, dass diese ihren tatsächlichen Ursprung in der Psyche des Betroffenen haben, nicht sogleich entsprechende Zusammenhangsgutachten und entsprechend umfängliche Begutachtungen zu erfolgen haben?"

Anders als erforderlich lässt sich dieser Formulierung bereits keine klare Rechtsfrage zur Auslegung oder zum Anwendungsbereich einer revisiblen Norm des Bundesrechts 162 SGG ) entnehmen. Die Klägerin setzt sich nicht ansatzweise - wie zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit mindestens erforderlich - mit den im Kontext der formulierten Frage in Betracht kommenden anwendbaren Rechtsnormen auseinander. Es erfolgt insbesondere auch keine abstrakte Auseinandersetzung mit den Grundsätzen des Beweisrechts. Im Kern handelt es sich um eine Frage, die die Würdigung des Einzelfalls betrifft; das Tatsachengericht ist insoweit jedoch grundsätzlich frei, jedes Gutachten nach seiner Überzeugungskraft bei der Beurteilung tatbestandlicher Voraussetzungen einer gesetzlichen Regelung zu bewerten 128 Abs 1 Satz 1 SGG ). Dies betrifft auch die Frage, ob es nach Würdigung des Inhalts der vorliegenden Sachverständigengutachten weitere Ermittlungen für erforderlich hält, soweit nicht auf einen Beweisantrag eines Beteiligten eine weitere Untersuchung angezeigt ist. Auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG kann eine Nichtzulassungsbeschwerde nach der ausdrücklichen Anordnung des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG nicht gestützt werden.

2. Ein Verfahrensmangel wird von der Klägerin ebenfalls nicht anforderungsgerecht bezeichnet. Wird mit der Nichtzulassungsbeschwerde ein Verfahrensmangel gerügt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne 160 Abs 2 Nr 3 SGG ), müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels 160a Abs 2 Satz 3 SGG ) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

a) Durch ausdrücklichen Verweis in der Beschwerdeschrift auf die einschlägige Seite der vorinstanzlichen Verfahrensakte wird deutlich, dass die Klägerin den folgenden Beweisantrag als vom LSG ohne hinreichende Begründung übergangen ansieht: "… beantragen wir gemäß § 109 SGG Dr. med. G. … mit der Erstellung eines Gutachtens zu beauftragen. Insbesondere soll der Sachverständige prüfen, ob bereits 2016 ein eingeschränktes Leistungsvermögen gegeben war, so wir (Anm: gemeint ist "wie") dies aus dem Bericht des Bezirksklinikums A. … vom 6.2.2019 geschlussfolgert werden kann." Sie führt weiter aus, dieses Gutachten sei vom LSG in Auftrag gegeben und vom Sachverständigen auch erstattet worden. Zwar erkennt die Klägerin selbst, dass selbst das Übergehen eines Antrags nach § 109 SGG nicht zur Zulassung der Revision führen würde. Erst recht jedoch kann die Befolgung eines solchen Antrags nicht zur Revisionszulassung führen. Der Ausschluss als Zulassungsgrund gilt aber auch für jede andere fehlerhafte Anwendung des § 109 SGG . Er kann nicht dadurch umgangen werden, dass die Klägerin wegen fehlender Erwägungen zu den aktuellen oder in der Vergangenheit manifestierten gesundheitlichen Beeinträchtigungen zugleich einen anderen Verfahrensfehler oder eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend macht (vgl BSG Beschluss vom 10.7.2018 - B 13 R 64/18 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 8.6.2015 - B 9 SB 25/15 B - juris RdNr 4 f; BSG Beschluss vom 12.7.2012 - B 13 R 463/11 B - juris RdNr 12 mwN ).

In Kenntnis dessen rügt die Klägerin weiter eine Verletzung des § 103 SGG . Der Sachverständige sei zwar zu dem Ergebnis gelangt, dass sie in rentenberechtigendem Maß erwerbsgemindert sei, allerdings erst ab Anfang 2019. Der Sachverständige habe dabei die Wechselwirkungen zwischen somatischen und psychosomatischen Beeinträchtigungen nicht hinreichend berücksichtigen können, da diese bis zu dem Zeitpunkt seiner Begutachtung nicht untersucht worden seien. Ein solches hätte jedoch alsdann von Amts wegen durch das LSG erfolgen müssen. Dazu hätte sich das LSG aufgrund des aufgezeigten Beweisantrags in Verbund mit der Übersendung medizinischer Unterlagen und Telefonanrufen der Klägerin vor der Erstattung des Gutachtens nach § 109 SGG sowie der Ausführungen des Prozessbevollmächtigten nach der Vorlage des Gutachtens, er sehe weiteren prozessfördernden Maßnahmen entgegen, gedrängt fühlen müssen.

Mit diesen Ausführungen legt die Klägerin schon nicht hinreichend dar, dass sie einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag gestellt hat. Insoweit muss nicht nur die Stellung eines Antrags selbst, sondern auch aufgezeigt werden, über welche im Einzelnen bezeichneten Punkte (vgl § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 403 bzw § 373 ZPO ) und mit welchem Ziel Beweis erhoben werden sollte und dass es sich damit seinem Inhalt nach nicht nur um eine Beweisanregung gehandelt hat (Senatsbeschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6 mwN). Denn nur ein solcher Beweisantrag hat die Warnfunktion, die es rechtfertigt, einen Revisionszulassungsgrund anzunehmen, wenn das LSG dem Antrag zu Unrecht nicht gefolgt ist (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9, ). Je mehr Aussagen von Sachverständigen oder sachverständigen Zeugen zum Beweisthema bereits vorliegen, desto genauer muss der Beweisantragsteller auf mögliche Unterschiede und Differenzierungen eingehen (vgl hierzu Fichte, SGb 2000, 653 , 656). Allein das vor dem LSG formulierte Begehren nach einem weiteren Gutachten oder - wie hier - nach Einholung eines Sachverständigengutachtens nach § 109 SGG - auch mit dem Hinweis, es gehe um die Frage des Eintritts des Versicherungsfalls - reicht nicht aus. Insoweit fehlt es schon an Darlegungen zur dokumentierten Bezugnahme auf einen berücksichtigungsfähigen Beweisantrag, der - wie erforderlich ( BSG Beschluss vom 26.11.1981 - 4 BJ 87/81 - SozR 1500 § Nr 45; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNr 210 mwN) - den Anforderungen an einen Beweisantrag im Sinne der ZPO entspricht. Mit dem zitierten Vorgehen wird nicht einmal ein nach der ZPO zulässiges Beweismittel bezeichnet, auch ein Beweisthema wird nicht angegeben, obwohl nach § 403 ZPO die zu begutachtenden Punkte zu bezeichnen sind. Es handelt sich schon nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin allenfalls um eine bloße unbestimmte Beweisanregung.

Unabhängig davon mangelt es auch an hinreichenden Ausführungen dazu, dass die Klägerin einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag bis zuletzt aufrechterhalten hat. Wer im Berufungsverfahren schriftlich einen Beweisantrag stellt, anschließend aber vorbehaltlos sein Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil 124 Abs 2 SGG ) erklärt, wird grundsätzlich so behandelt, als hätte sich der Beweisantrag erledigt (vgl BSG Beschlüsse vom 25.11.2013 - B 13 R 339/13 B - juris RdNr 10 und vom 1.9.1999 - B 9 V 42/99 B - SozR 3-1500 § 124 Nr 3). Die Klägerin macht in ihrer Beschwerdebegründung keine Ausführungen zur schriftsätzlichen Erklärung des entsprechenden Einverständnisses. Insbesondere legt sie nicht dar, dass diese nicht einschränkungslos erfolgt sei. Sie bezieht sich vielmehr auf die Formulierung eines Schriftsatzes, von dem sie vorbringt ausgeführt zu haben, dass prozessfördernden Maßnahmen entgegengesehen werde. Sie macht jedoch nicht kenntlich, dass diese Ausführungen zusammen mit der Zustimmung zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung oder zu einem späteren Zeitpunkt gemacht worden sind. Nichts anders gilt auch für die behauptete Übersendung medizinischer Unterlagen oder von Telefonanrufen der Klägerin.

b) Soweit die Klägerin ferner die Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG , § 62 SGG ) rügt, bleibt nach ihren Darlegungen bereits offen, wodurch das LSG dieses verletzt haben soll. Sie bringt zwar vor, wenn sie Gelegenheit gehabt hätte ihr Vorbringen zu vertiefen, wäre bereits seit dem Jahre 2016 die Berücksichtigung dieses Vortrags notwendig gewesen. Wann sie jedoch die Gelegenheit zur Vertiefung hätte wahrnehmen wollen und wodurch das LSG diese Gelegenheit unterbunden hat, führt sie nicht aus. Sie legt auch nicht dar, welche Ausführungen sie gegenüber dem LSG hätte machen wollen. Allein der Hinweis auf die verhinderte Möglichkeit Erläuterungen zu Befundunterlagen und ihrem Befinden abgeben zu können bezeichnet keinen Gehörsverstoß. Im Übrigen gilt, dass das Gebot des rechtlichen Gehörs nach Art 103 Abs 1 GG zwar erfordert, dass das Gericht die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis nimmt und bei seiner Entscheidung in Erwägung zieht, es verpflichtet das Gericht jedoch nicht, dem Tatsachenvortrag oder der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen (vgl zB BSG Beschluss vom 1.8.2017 - B 13 R 214/16 B - juris RdNr 18 mwN). Denn der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet nur, dass die Beteiligten "gehört", nicht jedoch "erhört" werden (vgl BSG Beschluss vom 18.12.2012 - B 13 R 305/11 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 9.5.2011 - B 13 R 112/11 B - BeckRS 2011, 73125 RdNr 9). Dass das LSG vorliegend die von der Klägerin übersandten Befundunterlagen oder ihr Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen habe, trägt sie nicht vor.

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Bayern, vom 27.11.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 19 R 112/17
Vorinstanz: SG Würzburg, vom 11.01.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 8 R 155/16