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BSG - Entscheidung vom 21.12.2020

B 13 R 253/19 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3
SGG § 75 Abs. 1

BSG, Beschluss vom 21.12.2020 - Aktenzeichen B 13 R 253/19 B

DRsp Nr. 2021/2731

Rente wegen Erwerbsunfähigkeit Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren Rüge der Verwertung verfahrensfehlerhaft erhobener Beweise

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 18. September 2019 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ; SGG § 75 Abs. 1 ;

Gründe

I

Mit Urteil vom 18.9.2019 hat das LSG Berlin-Brandenburg einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit verneint, den dieser im Wege eines Überprüfungsverfahrens geltend gemacht hat.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er beruft sich auf Divergenz sowie auf Verfahrensmängel (Zulassungsgründe nach § 160 Abs 2 Nr 2 bzw 3 SGG ).

II

Die Beschwerde des Klägers ist als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt bzw bezeichnet.

1. Der Zulassungsgrund der Divergenz wird vom Kläger nicht formgerecht dargelegt.

Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, nämlich das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Urteilen zugrunde gelegt sind. Zur ordnungsgemäßen Darlegung einer Divergenz sind ein oder mehrere entscheidungstragende Rechtssätze aus dem Berufungsurteil und zu demselben Gegenstand gemachte und fortbestehende aktuelle abstrakte Aussagen aus einer Entscheidung des BSG , des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG einander gegenüberzustellen; zudem ist näher zu begründen, weshalb diese nicht miteinander vereinbar sind und inwiefern die Entscheidung des LSG auf der Abweichung beruht (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 17; BSG Beschluss vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 21). Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn die fehlerhafte Anwendung eines als solchen nicht infrage gestellten höchstrichterlichen Rechtssatzes durch das Berufungsgericht geltend gemacht wird (bloße Subsumtionsrüge), denn nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz (vgl BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 f; BSG Beschluss vom 24.4.2015 - B 13 R 37/15 B - juris RdNr 6).

Diese Anforderungen verfehlt die Beschwerdebegründung vom 20.12.2019 bereits deshalb, weil der Kläger keinen Rechtssatz der angegriffenen Entscheidung des LSG benennt, mit dem dieses von einem Rechtssatz des Beschlusses des BSG vom 16.5.2017 ( B 9 V 66/16 B - juris) abgewichen sein könnte. Vielmehr macht er geltend, dass LSG habe sich den vom BSG aufgestellten Grundsätzen zu einem eingeschränkten Ermessen bei der Gutachterauswahl "widersetzt", indem es ohne weitere Erläuterungen weder zur Qualifikation des Gutachters H noch zu den Einwendungen des Klägers gegen diesen Gutachter dessen Ausführungen gefolgt sei. Damit rügt der Kläger aber allenfalls einen Verstoß des LSG gegen den im genannten BSG -Beschluss erkannten Rechtssatz. Dagegen wird nicht erkennbar, dass durch das LSG ein eigener entgegenstehender Rechtssatz aufgestellt worden wäre.

2. Ein Verfahrensmangel wird ebenfalls nicht formgerecht bezeichnet.

Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (vgl zB BSG Urteil vom 29.11.1955 - 1 RA 15/54 - BSGE 2, 81 - juris RdNr 4; BSG Beschluss vom 30.10.2018 - B 13 R 59/18 B - juris RdNr 7). Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Zugrunde zu legen ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des LSG( BSG Urteil vom 28.5.1957 - 3 RJ 219/56 - SozR Nr 79 zu § 162 SGG ; BSG Beschluss vom 31.1.1979 - 11 BA 166/78 - SozR 1500 § 160 Nr 33; BSG Beschluss vom 16.11.2000 - B 4 RA 122/99 B - SozR 3-1500 § 160 Nr - juris RdNr ). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht (vgl zB BSG Beschluss vom 16.11.2000 - B 4 RA 122/99 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 33 - juris RdNr 16 mwN; BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 16 mwN).

a) Die Rüge einer Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes 103 SGG ) durch den Kläger genügt nicht diesen Anforderungen.

Der Kläger sieht die Amtsermittlungspflicht durch das LSG verletzt, weil dieses seinen Anträgen auf Anhörung verschiedener Sachverständiger in der mündlichen Verhandlung und auf Einholung eines Obergutachtens möglichst durch W übergangen habe. Zudem habe das Gericht die Akten bereits abgeschlossener sozialgerichtlicher Verfahren und die Akten der Beklagten - anders als geschehen - vollständig beiziehen müssen. Die Geltendmachung eines Verfahrensmangels wegen Verletzung des § 103 SGG kann jedoch - wie bereits dargelegt - gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG nur darauf gestützt werden, dass das LSG einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Zudem kann ein - wie hier - in der Berufungsinstanz rechtsanwaltlich vertretener Beteiligter nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags gehört werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten hat oder das Gericht den Beweisantrag in seiner Entscheidung wiedergibt (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN; ferner Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 13. Aufl 2020, § 160 RdNr 18c mwN). Dies hat der Kläger - anders als erforderlich - mit der Beschwerdebegründung nicht vorgetragen.

b) Soweit der Kläger in Bezug auf die unterbliebene Anhörung von Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung sinngemäß auch eine Missachtung des Fragerechts nach § 116 SGG , §§ 402 , 397 ZPO rügt, wird ein solcher Verfahrensmangel ebenfalls nicht hinreichend bezeichnet.

Eine Missachtung des Fragerechts bedeutet eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach § 62 SGG , Art 103 Abs 1 GG , wenn ein Beteiligter die nach seiner Ansicht erläuterungsbedürftigen Punkte dem Gericht rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung schriftlich mitgeteilt hat, die aufgeworfenen Fragen objektiv sachdienlich sind und er das Begehren bis zuletzt aufrechterhalten hat. Dabei müssen die erläuterungsbedürftigen Punkte, zB Lücken oder Widersprüche, hinreichend konkret bezeichnet werden (vgl BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 355/11 B - juris RdNr 15; BSG Beschluss vom 11.12.2019 - B 13 R 164/18 B - juris RdNr 9). Einen solchen "sachdienlichen" Klärungsbedarf, der über die erläuternde Wiederholung des Gutachtens und der dort bereits enthaltenen Gründe hinausgeht, hat der Kläger hier aber nicht dargelegt. Er trägt lediglich vor, dass er schriftsätzlich beantragt habe, mehrere Sachverständige anzuhören. Darüber hinaus besteht das Fragerecht grundsätzlich nur hinsichtlich Gutachten, die in derselben Instanz erstattet wurden; dies ist nur ausnahmsweise nicht der Fall, wenn das SG einem bereits in der ersten Instanz rechtzeitig gestellten Antrag auf konkrete Befragung verfahrensfehlerhaft nicht nachgekommen ist (vgl BSG Beschluss vom 5.5.1998 - B 2 U 305/97 B - juris RdNr 3; BSG Beschluss vom 12.4.2005 - B 2 U 222/04 B - SozR 4-1500 § 62 Nr 4 - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 11.12.2019 - B 13 R 164/18 B - juris RdNr 9). Aus dem Vortrag des Klägers ergibt sich weder, dass ein solcher Ausnahmefall vorliegt, noch wird mitgeteilt, welche Gutachten überhaupt durch das LSG eingeholt worden sind.

c) Ein Verfahrensmangel wird zudem nicht formgerecht bezeichnet, soweit der Kläger der Auffassung ist, das Land Berlin sei "im Hinblick auf möglicherweise divergierende Ansprüche des Klägers, die im Rahmen der Opferentschädigung geltend gemacht wurden" zum Verfahren beizuladen gewesen. Damit hat er bereits nicht aufgezeigt, dass und warum seines Erachtens ein Fall der notwendigen Beiladung iS des § 75 Abs 2 SGG vorliegt. Entsprechende substantiierte Ausführungen wären aber schon deshalb geboten gewesen, weil nur eine unterbliebene notwendige Beiladung einen Verfahrensmangel darstellt, der die Revision nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG eröffnet und auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachten ist. Das Unterlassen einer einfachen Beiladung nach § 75 Abs 1 SGG stellt grundsätzlich keinen Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG dar ( BSG Beschluss vom 18.7.2017 - B 13 R 110/17 B - juris RdNr 9 mwN).

d) Ein Verfahrensmangel wird schließlich auch nicht bezeichnet, soweit der Kläger einen Verstoß gegen "§ 128 Abs. 2 Satz 1 SGG " rügt, weil das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft erhobene Beweise verwertet habe. Nach § 128 Abs 2 SGG , der nur aus einem einzigen Satz besteht, darf das Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern können. Einen Sachverhalt, der geeignet sein könnte, einen Verstoß des LSG gegen dieses Gebot auch nur nahezulegen, hat der Kläger in der Beschwerdebegründung nicht vorgetragen.

Sollte der Kläger jedoch mit seinem Vortrag unter Ziffer 6 der Beschwerdebegründung - wie auch unter Ziffer 7 - eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG durch das LSG rügen wollen, so kann auch dies nicht zur Zulässigkeit der Beschwerde führen. Vielmehr kann gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG - wie bereits dargelegt - der geltend gemachte Verfahrensmangel ausdrücklich nicht auf eine solche Verletzung gestützt werden.

3. Dass der Kläger das Berufungsurteil inhaltlich für unrichtig hält, kann nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; BVerfG Beschluss vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Berlin-Brandenburg, vom 18.09.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 16 R 56/18
Vorinstanz: SG Frankfurt/Oder, vom 22.12.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 1 R 198/15