Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BSG - Entscheidung vom 17.08.2020

B 14 AS 387/19 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3
SGG § 60 Abs. 1

BSG, Beschluss vom 17.08.2020 - Aktenzeichen B 14 AS 387/19 B

DRsp Nr. 2020/14729

Parallelentscheidung zu BSG v. 17.08.2020 B 14 AS 242/19 B

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 25. Juli 2019 - L 19 AS 2033/18 - wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ; SGG § 60 Abs. 1 ;

Gründe

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung ist als unzulässig zu verwerfen 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG ), weil die zu ihrer Begründung angeführten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) sowie des Verfahrensmangels 160 Abs 2 Nr 3 SGG ) nicht gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 SGG schlüssig dargelegt sind.

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Nach den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG sich ergebenden Anforderungen muss ein Beschwerdeführer dazu anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzeigen, welche Frage sich stellt, dass diese Rechtsfrage noch nicht geklärt ist, weshalb deren Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung dieser Rechtsfragen erwarten lässt (vgl Krasney/ Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, IX RdNr 56 ff).

Diesen Darlegungsanforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht. Als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnet sie es, ob (a) "§§ 153 Abs. 1 , 96 SGG in Verbindung mit § 78 Abs. 1 Nr 1 SGG verfassungskonform so auszulegen [sind], dass jedermann gleichermaßen Zugang zu dem Vorverfahren und dem anschließenden 3stufigen Instanzenzug hat" und (b), ob "ein gleicher Zugang zu dem Vorverfahren und dem anschließenden 3stufigen Instanzenzug [erfordert], dass die §§ 153 Abs. 1 , 96 SGG in Verbindung mit § 78 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGG verfassungskonform so auszulegen sind, dass einem Kläger nach der durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Dispositionsfreiheit in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG ein Wahlrecht zustehen muss, ob er als Rechtsbehelf gegen einen nach Berufungserhebung erlassenen abändernden oder ersetzenden Verwaltungsakt das Vorverfahren und die erste Instanz oder alternativ unter Verzicht auf das Vorverfahren und die erste Instanz die Einbeziehung nach §§ 153 Abs. 1 , 96 SGG in das anhängige Berufungsverfahren wählt".

Damit sind schon keine hinreichend konkreten Rechtsfragen bezeichnet. Die Konkretisierung erfordert regelmäßig, dass die Rechtsfrage mit "Ja" oder "Nein" beantwortet werden kann; das schließt nicht aus, dass eine Frage gestellt wird, die je nach den formulierten Voraussetzungen mehrere Antworten zulässt. Unzulässig ist jedoch eine Fragestellung, deren Beantwortung von den Umständen des Einzelfalles abhängt und damit auf die Antwort "kann sein" hinausläuft (stRspr; vgl zB BSG vom 11.11.2019 - B 1 KR 87/18 B - juris RdNr 6 mwN; BSG vom 27.1.2020 - B 8 SO 67/19 B - juris RdNr 10). Hier stellt der Kläger allgemein gehaltene Fragen, deren Beantwortung eine kommentar- oder lehrbuchartige Aufbereitung durch den Senat verlangen würde, was gerade nicht Gegenstand eines Revisionsverfahrens sein kann (vgl hierzu auch BSG vom 1.3.2018 - B 8 SO 104/17 B - juris RdNr 8).

Jedenfalls fehlt es an Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit und -fähigkeit dessen, weil die Beschwerde weder ausführt, was ihrer Ansicht nach in der umfangreichen Rechtsprechung zur Einbeziehung von neuen Verwaltungsakten nach Erlass eines Widerspruchsbescheids (vgl § 96 SGG ) ungeklärt geblieben ist, noch Angaben dazu enthält, inwiefern dies in dem angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sein könnte. Ihr ist dazu nur zu entnehmen, dass das SG die Klage als unzulässig abgewiesen und das LSG wegen der Unzulässigkeit der Klage die Berufung zurückgewiesen habe, da anderweitige Rechtshängigkeit bestanden habe. Der Streitgegenstand der Verfahren und der Regelungsgegenstand des nach dem Beschwerdevortrag vom LSG nach § 96 SGG einbezogenen Verwaltungsakts erschließt sich daraus nicht. Formgerecht ist die Beschwerde indes nur, wenn sich die Schlüssigkeit der Rüge(n) allein auf Grundlage des Beschwerdevorbringens beurteilen lässt; dass das BSG den maßgeblichen Sachverhalt anhand der Akten selbst ermittelt, kann der Beschwerdeführer nicht erwarten (vgl nur Leitherer in Meyer- Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 13e mwN).

Einen Verfahrensmangel macht die Beschwerde insbesondere nicht schlüssig geltend, soweit sie die Garantie des gesetzlichen Richters und in Zusammenhang damit den Anspruch auf rechtliches Gehör, den Grundsatz des Fair Trial und das Gebot effektiven Rechtsschutzes als verletzt ansieht, weil das LSG einem nachträglich erfahrenen Grund für die Ablehnung des erstinstanzlichen Richters nicht Rechnung getragen habe.

Dabei kann dahinstehen, ob das LSG von einer Zurückverweisung in die 1. Instanz im Hinblick auf die beschränkten Zurückverweisungsgründe nach § 159 Abs 1 Nr 2 SGG auch bei einem wesentlichen Verfahrensmangel absehen kann, solange eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme nicht notwendig ist (vgl nur BSG vom 18.10.1995 - 6 RKa 31/94 - SozR 3-2500 § Nr 8 S 27) oder ob etwas anderes in Betracht zu ziehen sein kann, wenn die Voraussetzungen gegeben sind, unter denen nach der Rechtsprechung des BSG ausnahmsweise eine Zurückverweisung in die Berufungsinstanz in Betracht kommt und die Zurückverweisung im Berufungsverfahren ausdrücklich beantragt (vgl nur BSG vom 9.9.1998 - B 6 KA 34/98 B - juris RdNr 6) worden war (vgl hierzu letztens BVerfG <Kammer> vom 21.11.2018 - 1 BvR 436/17 - NJW 2019, 505 RdNr 15).

Denn ungeachtet der Frage, ob die von der Beschwerde gerügte Mitteilung des Kammervorsitzenden an die Rechtsanwaltskammer, der Kläger - der freiberuflicher Rechtsanwalt ist - prozessiere "in einer Vielzahl von Fällen" in eigener Sache gegen den Beklagten, geeignet war, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen 60 Abs 1 SGG iVm § 42 Abs 2 ZPO ), war der Kammervorsitzende mangels Ablehnung bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens nicht deswegen von der Ausübung des Amtes als Richter ausgeschlossen. Letzter Zeitpunkt für die Geltendmachung von Ablehnungsgründen ist nach der Rechtsprechung des BVerfG und der Obersten Bundesgerichte der vollständige Abschluss der Instanz, weil die getroffene Entscheidung von dem Gericht, dem die im Anschluss abgelehnten Richter angehören, nicht mehr geändert werden kann (BGH vom 11.7.2007 - IV ZB 38/06 - NJW-RR 2007, 1653 RdNr 5 mwN; darauf Bezug nehmend BVerfG vom 28.4.2011 - 1 BvR 2411/10 - NJW 2011, 2191 , 2192; ebenso etwa BSG vom 2.8.2001 - B 7 AL 28/01 B - juris; BAG vom 18.3.1964 - 4 AZR 63/63 - DB 1964, 1123 ; BFH vom 17.5.1995 - X R 55/94 - BFHE 177, 344 ; BGH vom 17.5.2018 - I ZR 195/15 - NJW-RR 2018, 1461 RdNr 4; BVerwG vom 29.6.2016 - 2 B 18/15 - Buchholz 310 § 132 Abs 2 Ziff 3 VwGO Nr 77 RdNr ). Das anders zu sehen gibt die Beschwerde keinen Anlass. Mindestens deshalb war das LSG wegen erst im Nachhinein geltend gemachter Ablehnungsgründe an einer Sachentscheidung über die Berufung des Klägers nicht gehindert. Dass ein Mangel an Unvoreingenommenheit des Kammervorsitzenden - lag er vor - durch das Berufungsverfahren nicht geheilt worden sein könnte (vgl BVerwG vom 20.5.2015 - 2 B 4/15 - NVwZ 2015, 1299 RdNr 8 f: Kein Absehen von mündlicher Verhandlung in der Berufungsinstanz bei erstinstanzlicher mündlicher Verhandlung vor befangenem Richter), zeigt die Beschwerde nicht auf.

Dass das LSG schließlich durch die von der Beschwerde beanstandete Bestätigung der Prozessentscheidung des SG gegen §§ 153 Abs 1 , 96 SGG iVm § 94 SGG , gegen § 202 SGG iVm § 322 Abs 1 ZPO sowie gegen Art 19 Abs 4 GG verstoßen haben könnte, lässt sich mangels näherer Angaben zum Streitgegenstand des Verfahrens hier und des - wie die Beschwerde vorbringt nach Auffassung des LSG vorgreiflichen Verfahrens nicht beurteilen; insoweit gelten die Ausführungen zu den Grundsatzrügen entsprechend.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183 , 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Nordrhein-Westfalen, vom 25.07.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 19 AS 2033/18
Vorinstanz: SG Köln, vom 01.10.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 4 AS 1894/17