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BSG - Entscheidung vom 07.07.2020

B 12 R 27/18 R

Normen:
SGB III § 27 Abs. 1 Nr. 5 S. 1
SGB VI § 1 S. 3
SGB VI a.F. § 1 S. 4
AktG §§ 76 ff.
AktG §§ 93
SEAG §§ 20 ff.
SEAG §§ 40 ff.
SEAG § 22 Abs. 1
SEAG § 22 Abs. 6
SEAG § 39
SEAG § 40 Abs. 1 S. 2
VO (EG) 2157/2001 Art. 3 Abs. 1
VO (EG) 2157/2001 Art. 5
VO (EG) 2157/2001 Art. 9 Abs. 1 Buchst. c) Doppelbuchst. ii)
VO (EG) 2157/2001 Art. 10
VO (EG) 2157/2001 Art. 15
VO (EG) 2157/2001 Art. 38 Buchst. b)
VO (EG) 2157/2001 Art. 43 Abs. 1 S. 1
VO (EG) 2157/2001 Art. 43 Abs. 4
VO (EG) 2157/2001 Art. 51
VO (EG) 2157/2001 Art. 62
RL 2001/86/EG

BSG, Urteil vom 07.07.2020 - Aktenzeichen B 12 R 27/18 R

DRsp Nr. 2021/997

Keine Versicherungspflicht von Mitgliedern des Verwaltungsrates einer Societas Europaea in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung Rechtliche Gleichstellung mit Vorstandsmitgliedern einer deutschen Aktiengesellschaft

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 21. November 2018 und des Sozialgerichts Stuttgart vom 20. Februar 2018 aufgehoben, soweit das Nichtbestehen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses festgestellt worden ist.

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerinnen auch im Revisionsverfahren. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGB III § 27 Abs. 1 Nr. 5 S. 1; SGB VI § 1 S. 3; SGB VI a.F. § 1 S. 4; AktG §§ 76 ff.; AktG §§ 93 ; SEAG §§ 20 ff.; SEAG §§ 40 ff.; SEAG § 22 Abs. 1 ; SEAG § 22 Abs. 6 ; SEAG § 39 ; SEAG § 40 Abs. 1 S. 2; VO (EG) 2157/2001 Art. 3 Abs. 1; VO (EG) 2157/2001 Art. 5; VO (EG) 2157/2001 Art. 9 Abs. 1 Buchst. c) Doppelbuchst. ii); VO (EG) 2157/2001 Art. 10; VO (EG) 2157/2001 Art. 15; VO (EG) 2157/2001 Art. 38 Buchst. b); VO (EG) 2157/2001 Art. 43 Abs. 1 S. 1; VO (EG) 2157/2001 Art. 43 Abs. 4; VO (EG) 2157/2001 Art. 51; VO (EG) 2157/2001 Art. 62; RL 2001/86/EG;

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten (noch) darüber, ob die Klägerin zu 2. in ihrer Tätigkeit als Verwaltungsratsmitglied der Klägerin zu 1. in der Zeit vom 18.8.2015 bis zum 21.11.2018 der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlag.

Die Klägerin zu 1. ist eine monistisch organisierte europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea [SE]) mit Sitz in Deutschland. Sie entstand durch identitätswahrende formwechselnde Umwandlung der G AG (Beschluss der Hauptversammlung vom 23.6.2015) und wurde am 18.8.2015 in das Handelsregister eingetragen. Das Grundkapital betrug 26 325 946 Euro.

Die Klägerin zu 2. war zunächst bei der G AG als Director Group Purchase beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch Aufhebungsvertrag vom 22.6.2015 am selben Tag. Am 23.6.2015 wurde sie neben sechs weiteren Personen gegen eine Vergütung von jährlich 13 000 Euro zum Mitglied des Verwaltungsrats der Klägerin zu 1. bestellt. Ein gesonderter Dienstvertrag besteht nicht. Sie hält ca 10 Prozent der Aktien der SE. Auf den Statusfeststellungsantrag der Klägerin zu 1. stellte die Beklagte fest, dass die Klägerin zu 2. ihre Tätigkeit als Mitglied des Verwaltungsrats ab dem 18.8.2015 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausübe und insoweit Versicherungspflicht in der GRV, gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung bestehe (Bescheide vom 18.3.2016; Widerspruchsbescheide vom 3.8.2016).

Im Erörterungstermin vor dem SG Stuttgart hat die Beklagte ihre Verwaltungsentscheidung insoweit aufgehoben, als die Kranken- und Pflegeversicherungspflicht festgestellt worden war. Das SG hat sodann die Bescheide vom 18.3.2016 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 3.8.2016 aufgehoben und festgestellt, dass die Tätigkeit der Klägerin zu 2. als Verwaltungsratsmitglied nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde und keine Versicherungspflicht in der GRV sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung bestehe (Urteil vom 20.2.2018).

Das LSG Baden-Württemberg hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 21.11.2018). Zur Begründung hat das LSG im Wesentlichen auf ein Urteil des SG vom 23.7.2018 (S 5 R 4999/16, vgl dazu Senatsurteil vom 7.7.2020 - B 12 R 19/18 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen) verwiesen. Verwaltungsratsmitglieder einer SE seien zwar regelmäßig abhängig beschäftigt, aufgrund einer gesetzlichen Tatbestandsgleichstellung mit Vorstandsmitgliedern einer deutschen Aktiengesellschaft (AG) aufgrund von Äquivalenzregelungen nach dem Gesetz zur Ausführung der Verordnung (EG) Nr 2157/2001 des Rates vom 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE - SE-Ausführungsgesetz [SEAG], BGBl I 2004, 3675 ) aber nicht versicherungspflichtig.

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 1 Satz 3 SGB VI und § 27 Abs 1 Nr 5 SGB III . Eine unmittelbare Anwendung der Vorschriften sei ausgeschlossen, da die Klägerin zu 2. nicht Mitglied des Vorstands einer AG deutschen Rechts sei. Auch eine entsprechende Anwendung komme aufgrund des Ausnahmecharakters der Vorschriften nicht im Betracht. Eine gesetzliche Tatbestandsgleichstellung in Form einer sog Äquivalenzregelung ergebe sich weder aus der europäischen Verordnung (EG) Nr 2157/2001 des Rates vom 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE - SE-VO , ABl EG Nr L 294, 1) noch dem nationalen SEAG . Die SE-VO regele keine Vollharmonisierung der SE, sondern schaffe nur gemeinsame, von den Mitgliedstaaten festzulegende Grundstrukturen. Soweit die Gleichbehandlung der SE mit einer deutschen AG betroffen sei, handele es sich nur um einzelne gesellschaftsrechtliche Fragestellungen. Das SEAG enthalte in §§ 22 bis 39 spezielle Regelungen für den Verwaltungsrat und erkläre das Aktiengesetz ( AktG ) nur hinsichtlich einzelner Aspekte für anwendbar.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 21. November 2018 und des Sozialgerichts Stuttgart vom 20. Februar 2018 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

Die Klägerinnen beantragen,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Sie halten die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die Beigeladene stellt keine Anträge.

II

Die zulässige Revision der Beklagten ist lediglich insoweit begründet, als die Vorinstanzen das Nichtbestehen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses festgestellt haben (dazu 1.). Im Übrigen ist die Revision unbegründet. Zu Recht hat das LSG die Berufung der Beklagten gegen das die Feststellung der Versicherungspflicht der Klägerin zu 2. in der GRV und nach dem Recht der Arbeitsförderung aufhebende Urteil des SG zurückgewiesen. Diese Feststellung in den Bescheiden vom 18.3.2016 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 3.8.2016 ist für die Zeit vom 18.8.2015 (Eintragung der SE in das Handelsregister) bis zum 21.11.2018 (mündliche Verhandlung vor dem LSG) rechtswidrig und verletzt die Klägerinnen in ihren Rechten. Dabei kann dahinstehen, ob die Tätigkeit der Klägerin zu 2. als Verwaltungsratsmitglied der Klägerin zu 1. im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt wurde. Jedenfalls unterlag sie gemäß § 1 Satz 3 SGB VI in der Fassung des Gesetzes zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in Europa und zur Änderung anderer Gesetze vom 22.6.2011 (BGBl I 1202) und § 27 Abs 1 Nr 5 SGB III nicht der Versicherungspflicht in der GRV und nach dem Recht der Arbeitsförderung. Diese Vorschriften gelten zwar nicht unmittelbar (dazu 2.). Allerdings sind Verwaltungsratsmitglieder einer SE den Vorstandsmitgliedern, einer deutschen AG gleichgestellt (dazu 3.).

1. Die Urteile des LSG und des SG waren aufzuheben, soweit das Nichtbestehen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses festgestellt worden ist. § 7a SGB IV ermächtigt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats nicht zur bloßen Elementenfeststellung einer abhängigen Beschäftigung, sondern verpflichtet zur Feststellung der Versicherungspflicht oder deren Nichtbestehen (vgl zuletzt BSG Urteil vom 26.2.2019 - B 12 R 8/18 R - SGb 2020, 192 , 193 = juris RdNr 21 ff; grundlegend BSG Urteil vom 11.3.2009 - B 12 R 11/07 R - BSGE 103, 17 = SozR 4-2400 § 7a Nr 2, Leitsatz und RdNr 11 ff). Im gerichtlichen Verfahren ist eine dahingehende Feststellung ebenfalls nicht möglich, weil § 55 Abs 1 SGG eine isolierte Feststellung von Beschäftigung nicht vorsieht ( BSG Urteil vom 26.2.2019 aaO juris RdNr 23).

2. Die Klägerin zu 2. unterfällt nicht unmittelbar dem persönlichen Anwendungsbereich des § 1 Satz 3 SGB VI und § 27 Abs 1 Nr 5 Satz 1 SGB III . Gemäß § 1 Satz 3 SGB VI sind Mitglieder des Vorstands einer AG in dem Unternehmen, dessen Vorstand sie angehören, nicht versicherungspflichtig beschäftigt. Nach § 27 Abs 1 Nr 5 Satz 1 SGB III sind Personen in einer Beschäftigung als Mitglieder des Vorstands einer AG für das Unternehmen, dessen Vorstand sie angehören, versicherungsfrei. Trotz der unterschiedlichen Formulierungen und Systematik enthalten beide Bestimmungen die wirkungsgleiche Rechtsfolge, dass Vorstandsmitglieder einer AG nicht der Versicherungspflicht unterfallen. Während § 1 Satz 3 SGB VI den Eintritt der Versicherungspflicht in der GRV von vornherein ausschließt, lässt die in § 27 Abs 1 Nr 5 Satz 1 SGB III angeordnete Versicherungsfreiheit den Versicherungstatbestand der Beschäftigung nicht wirksam werden (vgl hierzu BSG Senatsurteil vom 10.12.2019 - B 12 KR 20/18 R - SozR 4-2500 § 188 Nr 1 RdNr 19, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen). Die Klägerin zu 2. ist zwar kein Vorstandsmitglied im Sinne dieser Vorschriften. Zu diesen gehören grundsätzlich nur solche einer AG deutschen Rechts ( BSG Urteil vom 27.2.2008 - B 12 KR 23/06 R - BSGE 100, 62 = SozR 4-2600 § 1 Nr 3, RdNr 22). Selbst wenn die klagende, in Deutschland ansässige SE hiervon erfasst wäre (so Middendorf/Fahrig, BB 2011, 54 , 57), ist die Klägerin zu 2. als Mitglied des Verwaltungsrats jedenfalls kein Mitglied "des Vorstandes".

3. Gleichwohl finden § 1 Satz 3 SGB VI und § 27 Abs 1 Nr 5 Satz 1 SGB III auf die Klägerin zu 2. Anwendung. Verwaltungsratsmitglieder einer europäischen SE sind den Vorstandsmitgliedern einer nationalen AG im Wege einer substituierenden Tatbestandserfüllung (dazu a) gleichgestellt, weil die für eine SE maßgeblichen rechtlichen Grundlagen (dazu b) sogenannte Äquivalenzregelungen enthalten (dazu c).

a) Der erkennende Senat lehnt in ständiger Rechtsprechung eine erweiternde Auslegung der genannten Vorschriften grundsätzlich ab. Er hat eine Tatbestandsgleichstellung im Wege richterlicher Rechtsfortbildung durch "Substitution" der Tatbestandserfüllung allein wegen einer tatsächlichen Vergleichbarkeit von Gesellschaftsformen nicht zugelassen, weil § 1 Satz 3 SGB VI und § 27 Abs 1 Nr 5 Satz 1 SGB III nach ihrem Regelungszweck und im Hinblick auf die dort gewählte Regelungsmethode der Typisierung eine Erfassung anderer Sachverhalte zur Schließung einer Regelungslücke nicht erfordern ( BSG Urteil vom 12.1.2011 - B 12 KR 17/09 R - BSGE 107, 185 = SozR 4-2600 § 1 Nr 6, RdNr 17 [Board of Directors einer US-Kapitalgesellschaft]; BSG Urteil vom 6.10.2010 - B 12 KR 20/09 R - SozR 4-2600 § 1 Nr 5 RdNr 20 ff [Verwaltungsrat einer AG schweizerischen Rechts]; BSG Urteil vom 27.2.2008 - B 12 KR 23/06 R - BSGE 100, 62 = SozR 4-2600 § 1 Nr 3, RdNr 20 ff mwN [Board of Directors einer private limited company irischen Rechts]). Allerdings hat er eine Übertragung der für Vorstandsmitglieder einer AG geltenden Ausnahme von der Versicherungspflicht auf Vorstandsmitglieder oder Mitglieder vergleichbarer Organe anderer juristischer Personen aufgrund einer gesetzlichen Tatbestandsgleichstellung in Form einer sogenannten Äquivalenzregelung für möglich erachtet und hiervon bei Vorstandsmitgliedern von "großen" Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit ( VVaG ) Gebrauch gemacht. Er hat § 1 Satz 4 SGB VI aF (Vorläuferregelung zu § 1 Satz 3 SGB VI ) über seinen Wortlaut hinaus auf diese Personengruppe angewandt, weil Vorschriften des deutschen AktG über eine Verweisung im deutschen Versicherungsaufsichtsgesetz auch den Vorstand eines VVaG erfassen würden und deshalb dessen Mitglieder den Vorstandsmitgliedern einer AG rechtlich gleichgestellt seien ( BSG Urteil vom 27.3.1980 - 12 RAr 1/79 - SozR 2400 § 3 Nr 4; vgl auch BSG Urteil vom 6.10.2010 - B 12 KR 20/09 R - SozR 4-2600 § 1 Nr 5 RdNr 20). Äquivalenzregelungen, die jedenfalls zu einer sozialversicherungsrechtlichen Gleichstellung der Klägerin zu 2. mit einem Mitglied des Vorstands einer AG führen, enthalten auch die für eine SE einschlägigen Rechtsnormen.

b) (Gesellschafts-)Rechtliche Grundlagen einer SE bilden zunächst die in jedem Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU) unmittelbar geltende (Art 288 Abs 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU, ABl EU Nr C 202, 1, 171) SE-VO und das hierzu aufgrund dem nationalen Gesetzgeber zugewiesener Regelungsaufträge sowie Gestaltungsspielräume erlassene SEAG . Daneben regeln die Richtlinie 2001/86/EG des Rates vom 8.10.2001 zur Ergänzung des Status der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer (ABl EG Nr L 294, 22) und - in deren Umsetzung - das Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft ( SE-Beteiligungsgesetz ) vom 22.12.2004 (BGBl I 3675) die Arbeitnehmerbeteiligung in einer SE.

Die SE-VO sieht als Organe der SE neben der Hauptversammlung der Aktionäre entweder ein Aufsichts- und ein Leitungsorgan (dualistisches System) oder (nur) ein Verwaltungsorgan (monistisches System) entsprechend der in der Satzung gewählten Form vor (Art 38). In einem - wie hier - monistischen System führt das Verwaltungsorgan die Geschäfte der SE (Art 43 Abs 1 Satz 1 SE-VO ). Die nähere Ausgestaltung des monistischen Systems ergibt sich aufgrund der Ermächtigung in Art 43 Abs 4 SE-VO für Mitgliedstaaten, deren Recht in Bezug auf eine AG keine Vorschriften über ein monistisches System enthält, aus §§ 20 ff SEAG , die das Verwaltungsorgan als Verwaltungsrat bezeichnen und anstelle der §§ 76 bis 116 AktG gelten. Neben dem Verwaltungsrat sehen §§ 40 ff SEAG geschäftsführende Direktoren vor, die zugleich Mitglieder des Verwaltungsrats sein können (siehe hierzu das Senatsurteil vom 7.7.2020 - B 12 R 19/18 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen), sofern die Mehrheit des Verwaltungsrats weiterhin aus nicht geschäftsführenden Mitgliedern besteht (§ 40 Abs 1 Satz 2 SEAG ).

c) Die gesetzliche Tatbestandsgleichstellung zwischen Vorstandsmitgliedern einer nationalen AG und Verwaltungsratsmitgliedern einer monistisch organisierten europäischen SE ergibt sich aus Äquivalenzregelungen sowohl des SEAG als auch der SE-VO .

Einschlägige Äquivalenzregelungen enthalten zunächst § 39 und § 22 Abs 6 SEAG (so auch Middendorf/Fahrig, BB 2011, 54 , 57; Vor in Schlegel/Voelzke, jurisPK- SGB VI , 2. Aufl 2013, § 1 RdNr 103). Nach § 39 SEAG gilt für die Sorgfaltspflicht und die Verantwortlichkeit der Verwaltungsratsmitglieder § 93 AktG entsprechend. Damit wird auf die für den Vorstand einer AG maßgebliche Vorschrift verwiesen. Gemäß § 22 Abs 6 SEAG gelten generell Rechtsvorschriften, die außerhalb des SEAG dem Vorstand oder dem Aufsichtsrat einer AG Rechte oder Pflichten zuweisen, sinngemäß für den Verwaltungsrat, soweit nicht im SEAG für den Verwaltungsrat und für geschäftsführende Direktoren besondere Regelungen enthalten sind. Die im dualistischen System dem Vorstand und dem Aufsichtsrat zugewiesenen Berechtigungen sowie Verantwortlichkeiten sind im monistischen System grundsätzlich dem Verwaltungsrat übertragen (vgl auch die Aufgaben des Verwaltungsrats nach § 22 Abs 1 SEAG ). Hintergrund der Regelungen ist, dass das monistische System der Unternehmensleitung in Deutschland in ein aktienrechtliches Umfeld eingebettet werden musste, das durchweg vom Dualismus geprägt ist (Teichmann in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, 2. Aufl 2015, § 22 SEAG RdNr 41; Verse in Habersack/Drinhausen, SE-Recht, 2. Aufl 2016, § 22 SEAG RdNr 42 ). Denn Art 9 Abs 1 Buchst c) ii) SE-VO ordnet die Gleichstellung der Rechtsformen in dem Sinn an, dass die SE den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten unterliegt, die auf eine nach dem Recht des Sitzstaats der SE gegründete AG Anwendung finden würden. Zudem bestimmt Art 10 SE-VO , dass eine SE vorbehaltlich der Bestimmungen der SE-VO in jedem Mitgliedstaat wie eine AG behandelt wird, die nach dem Recht des Sitzstaats der SE gegründet wurde. Da danach grundsätzlich ergänzend auf alle Vorschriften des AktG zurückzugreifen ist (vgl Schürnbrand in Habersack/Drinhausen, SE-Recht, 2. Aufl 2016, Art 9 SE-VO RdNr 41), selbst wenn die SE monistisch strukturiert ist, waren besondere Regelungen erforderlich, um die speziellen Zuweisungen von Rechten und Pflichten an den Vorstand oder den Aufsichtsrat im allgemeinen deutschen Aktienrecht auf das monistische System übertragen zu können (Teichmann in Krieger/Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl 2017, Organhaftung in der SE, RdNr 5.41).

Dass nach § 20 SEAG die nachfolgenden Vorschriften für eine monistische SE anstelle der §§ 76 bis 116 AktG gelten, mithin die speziell den Vorstand einer AG betreffenden Bestimmungen des AktG ausgeschlossen sind, führt entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten zu keinem anderen Ergebnis. Die rechtliche Gleichstellung von Vorstandsmitgliedern einer nationalen AG und Verwaltungsratsmitgliedern einer europäischen SE iS von § 1 Satz 3 SGB VI , § 27 Abs 1 Nr 5 Satz 1 SGB III erfordert nicht die Bezugnahme auf sämtliche Vorschriften des AktG . Ein Gesamtverweis auf das AktG scheidet von vornherein aus, weil das deutsche Aktienrecht monistische Verwaltungsstrukturen nicht kennt. Der Ausschluss der §§ 76 bis 116 AktG ist gerade der Tatsache geschuldet, dass es an einem entsprechenden Vorbild für eine monistische Verwaltungsstruktur im deutschen Aktienrecht fehlt und aus diesem Grund der Erlass entsprechender nationaler Vorschriften für die SE notwendig war (vgl Art 43 Abs 4 SE-VO ). Erforderlich aber auch ausreichend ist die weitgehende rechtliche Gleichstellung von Vorstandsmitgliedern der AG und Verwaltungsratsmitgliedern der SE, die sich auch außerhalb des AktG auswirken soll.

Für diese Auslegung im Sinne einer Äquivalenzregelung spricht das Regelungskonzept der SE-VO , weitgehende Kongruenz zwischen SE und nationaler AG herzustellen. Die Gleichbehandlung beider Gesellschaftsformen ist ein Kernanliegen der dem SEAG zugrunde liegenden SE-VO . An verschiedenen Stellen der SE-VO finden sich Verweise auf das AktG (vgl nur Art 3 Abs 1 , Art 5 , 15 , 51 und 62 f SE-VO ), die für einen weitgehenden Gleichlauf sorgen (Hommelhoff/Teichmann in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, 2. Aufl 2015, Art 10 SE-VO RdNr 2; Schürnbrand in Habersack/Drinhausen, SE-Recht, 2. Aufl 2016, Art 10 SE-VO RdNr 1). Darüber hinaus kommt in der Gesamtschau von Art 9 Abs 1 Buchst c) ii) und Art 10 SE-VO , auch wenn das Verhältnis der Vorschriften zueinander umstritten ist (vgl Casper in Spindler/Stilz, Aktiengesetz , 4. Aufl 2019, Art 10 SE-VO RdNr 1; Hommelhoff/Teichmann in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, 2. Aufl 2015, Art 10 SE-VO RdNr 5; Schäfer in MüKoAktG, 4. Aufl 2017, Art 10 SE-VO RdNr 1; Schürnbrand in Habersack/Drinhausen, SE-Recht, 2. Aufl 2016, Art 10 SE-VO RdNr 4), das Gebot der Gleichbehandlung von SE und AG zum Ausdruck.

Art 9 Abs 1 SE-VO regelt das auf die SE anwendbare Recht. Sie unterliegt den Bestimmungen der SE-VO (Buchst a), den von der SE-VO ausdrücklich zugelassenen Satzungsregeln (Buchst b) und in den von der SE-VO (teilweise) nicht geregelten Bereichen dem mitgliedstaatlichen Recht (Buchst c). Das zur Anwendung berufene mitgliedstaatliche Recht gliedert sich in Rechtsvorschriften, die in Anwendung der speziell die SE betreffenden Gemeinschaftsmaßnahmen erlassen werden (i), auf eine nach dem Recht des Sitzstaats der SE gegründete AG Anwendung finden würden (ii) und die Bestimmungen ihrer Satzung unter den gleichen Voraussetzungen wie im Falle einer nach dem Recht des Sitzstaats der SE gegründeten AG (iii). Diese Rechtsanwendungssystematik macht den Gleichbehandlungsgedanken deutlich (Hommelhoff/Teichmann in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, 2. Aufl 2015, Art 9 SE-VO RdNr 6). Die Mitgliedstaaten haben in Bezug auf die SE nicht die Freiheit, zur Schließung einer Regelungslücke oder ergänzend die für beliebige Rechtssubjekte maßgebenden Rechtsnormen heranzuziehen. Rechtlicher Bezugspunkt für eine SE ist vielmehr das für eine AG geltende Recht der Mitgliedstaaten.

Zudem wird eine SE nach Art 10 SE-VO vorbehaltlich anderer Bestimmungen in jedem Mitgliedstaat wie eine AG behandelt, die nach dem Recht des Sitzstaats der SE gegründet wurde. Dieser übergreifende Programmsatz unterstreicht einerseits klarstellend die bezweckte Gleichbehandlung (Schürnbrand in Habersack/Drinhausen, SE-Recht, 2. Aufl 2016, Art 10 SE-VO RdNr 1). Er hat andererseits originäre Bedeutung für diejenigen Rechtsbereiche, die von der Verweisung des Art 9 Abs 1 Buchst c) ii) nicht erfasst werden (Schäfer in MüKoAktG, 4. Aufl 2017, Art 10 SE-VO RdNr 3). Auch außerhalb des Gesellschaftsrechts ist die SE vom Sitzstaat in allen tatsächlichen und rechtlichen Fragen wie eine AG zu behandeln (Casper in Spindler/Stilz, Aktiengesetz , 4. Aufl 2019, Art 10 SE-VO RdNr 2; Schürnbrand in Habersack/Drinhausen, SE-Recht, 2. Aufl 2016, Art 10 SE-VO RdNr 5; Veil in Kölner Kommentar zum Aktiengesetz , Bd 8/1, 3. Aufl 2012, Art 10 SE-VO RdNr 3; aA Schwarz, SE-VO , 2006, Art 10 RdNr 8).

Schließlich untermauert Erwägungsgrund 5 der SE-VO die Gleichstellung von SE und nationaler AG. Danach haben die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen, dass die auf eine SE aufgrund der SE-VO anwendbaren Vorschriften nicht zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung gegenüber einer AG und damit zu einer Diskriminierung führen. Rechtfertigungsbedürftig sind daher gesetzliche Vorschriften oder deren Auslegung sowie Verwaltungshandlungen, die schon ihrem Tatbestand nach an die Rechtsform anknüpfen und die SE gegenüber der AG schlechter behandeln (Schürnbrand in Habersack/Drinhausen, SE-Recht, 2. Aufl 2016, Art 10 SE-VO RdNr 6).

Das Vorbringen der Beklagten, dass das Gleichstellungsgebot unter dem Vorbehalt der in der SE-VO getroffenen Bestimmungen stehe und damit Differenzierungen zulasse, soweit diese sachlich gerechtfertigt seien, und zudem für die monistische SE mit dem SEAG ein eigenständiges Regelungswerk bestehe, führt zu keiner anderen Beurteilung. Die SE-VO bezweckt eine Gleichstellung von SE und nationaler AG unabhängig von der gewählten Binnenstruktur. Weder die dualistische noch die monistische SE dürfen ohne sachlichen Grund schlechter behandelt werden als eine AG im jeweiligen Staat (vgl LG Frankfurt Urteil vom 3.5.2018 - 3- 05 O 101/17 ua - NZG 2018, 783 , 785 f). Beide Organisationsformen stehen vielmehr gleichberechtigt nebeneinander (vgl Art 38 Buchst b SE-VO ). Dass für die monistische SE mit den sie betreffenden Vorschriften des SEAG ein eigenständiges Regelwerk geschaffen wurde, ändert nichts an ihrer Gleichstellung mit einer AG. Der Verweis auf nationale Regelungen, insbesondere das AktG , ist naturgemäß nur insoweit denkbar, als entsprechende Regelungen überhaupt vorhanden sind. Eine monistische Verwaltungsstruktur sieht das deutsche AktG aber gerade nicht vor.

Dass nach der monistischen Verwaltungsstruktur der Verwaltungsrat die Aufgaben von Vorstand und Aufsichtsrat einer AG auf sich vereinigt, stellt keinen Grund dar, die Gleichstellung mit Vorstandsmitgliedern einer AG in Bezug auf die Versicherungsfreiheit in Zweifel zu ziehen. Denn der Herausnahme von Mitgliedern des Vorstands einer AG aus der Rentenversicherungspflicht lag ursprünglich die Erwägung zugrunde, dass bei diesen Personen wegen ihrer herausragenden und starken wirtschaftlichen Stellung Schutz und Sicherheit durch die Rentenversicherung entbehrlich erscheinen ( BSG Urteil vom 27.2.2008 - B 12 KR 23/06 R - BSGE 100, 62 = SozR 4-2600 § 1 Nr 3, RdNr 19; BSG Urteil vom 22.11.1973 - 12/3 RK 20/71 - BSGE 36, 258 , 260 = SozR Nr 24 zu § 3 AVG S 26 f = juris RdNr 19; ferner BSG Urteil vom 31.5.1989 - 4 RA 22/88 - BSGE 65, 113 , 117 f = SozR 2200 § 1248 Nr 48 S 126 = juris RdNr 26). Durch die grundsätzlich umfassendere Stellung des Verwaltungsrats der monistischen SE wird dieses Konzept nicht in Frage gestellt. Der von der SE-VO verfolgte Zweck, eine Kongruenz zwischen SE und AG herzustellen, wäre nur unvollständig erreicht, würde ein Gleichklang zwar der Gesellschaftsformen, nicht aber der jeweiligen Leitungsorgane angenommen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG .

Vorinstanz: LSG Baden-Württemberg, vom 21.11.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 2 BA 1487/18
Vorinstanz: SG Stuttgart, vom 20.02.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 18 R 4795/16