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BSG - Entscheidung vom 21.10.2020

B 5 R 206/20 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1
Zusatzprotokoll zum deutsch-türkischen Sozialversicherungsabkommen Art. 38
GRC Art. 34
GG Art. 3
GG Art. 14

BSG, Beschluss vom 21.10.2020 - Aktenzeichen B 5 R 206/20 B

DRsp Nr. 2020/18506

Höhere Regelaltersrente unter Einbeziehung von Beitragszeiten in der Türkei Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. Juli 2020 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ; Zusatzprotokoll zum deutsch-türkischen Sozialversicherungsabkommen Art. 38; GRC Art. 34; GG Art. 3 ; GG Art. 14 ;

Gründe

I

Die Klägerin begehrt eine höhere Regelaltersrente unter Einbeziehung von Beitragszeiten, die sie vor einer im Jahr 2000 anlässlich ihrer damaligen Rückkehr in die Türkei erfolgten Beitragserstattung zurückgelegt hat. Das SG hat ihre Klage gegen den Rentenbescheid vom 16.7.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.12.2018 abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 25.6.2019). Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und die im Berufungsverfahren erweiterte Klage abgewiesen (Urteil vom 16.7.2020). Zulässiger Gegenstand des Rechtsstreits sei die Ablehnung eines höheren Rentenanspruchs in den angefochtenen Bescheiden nur insoweit, als eine Berücksichtigung der nicht erstatteten Arbeitgeberanteile im Zeitraum vom 21.8.1978 bis zum 30.11.1981 bei der Rentenberechnung begehrt worden sei; im Übrigen sei der Rentenbescheid bestandskräftig geworden. Soweit die Klägerin nunmehr auch rentenrechtliche Zeiten vom 9.10.1972 bis zum 20.8.1978 und somit vor dem Erstattungszeitraum berücksichtigt haben wolle, handele es sich um eine Klageerweiterung, die nicht sachdienlich sei, weil die Klage insoweit unzulässig sei. Hierüber habe der Senat auf Klage zu entscheiden. Ungeachtet dessen sei die Berufung aber auch insoweit unbegründet.

Die Klägerin hat gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie rügt einen Verfahrensmangel und macht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (Revisionszulassungsgründe gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 und 3 SGG ).

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig, weil sie nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG formgerecht begründet wurde. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

1. Die Klägerin hat einen Verfahrensmangel nicht in der erforderlichen Weise bezeichnet.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne 160 Abs 2 Nr 3 SGG ), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels 160a Abs 2 Satz 3 SGG ) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht.

Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung der Klägerin nicht gerecht. Sie rügt als Verfahrensmangel eine Verletzung des § 123 SGG . Das LSG habe ihren Klageantrag fehlerhaft so ausgelegt, dass es sich mit einem Teil des Streitgegenstands - der Berücksichtigung der Beiträge vor 1978 - nicht habe befassen müssen. Nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz hätte das Berufungsgericht ihre Klage dahingehend auslegen müssen, dass sie die Berechnung der Altersente unter Berücksichtigung sämtlicher vor dem 14.12.2020 (wohl gemeint: 14.12.2000) zurückgelegter rentenrechtlicher Zeiten begehrt habe, also auch des Zeitraums vom 9.10.1972 bis zum 20.8.1978.

Diesem Vorbringen lässt sich nicht in nachvollziehbarer Weise entnehmen, dass das LSG den Streitgegenstand iS des § 123 SGG verkannt hat. Die Klägerin legt nicht dar, weshalb das LSG über einen anderen Streitgegenstand als den von ihr geltend gemachten entschieden habe. Insofern fehlt es an einer substantiierten Auseinandersetzung mit den Ausführungen des LSG. Insbesondere wird nicht deutlich, aus welchen Umständen geschlossen werden kann, dass das LSG seine Entscheidung auf den Zeitraum vom 21.8.1978 bis 30.11.1981 beschränkt habe. Die bloße Behauptung, dass das so sei, genügt schon deshalb nicht, weil sich das Urteil des LSG ausdrücklich auch mit dem Zeitraum vom 9.10.1972 bis zum 20.8.1978 befasst. Es enthält insoweit Ausführungen sowohl zur Unzulässigkeit der Einbeziehung dieses Zeitraums in das Verfahren als auch zur Unbegründetheit des Klagebegehrens. Die Klägerin rügt mit ihrem Vortrag letztlich nicht eine Verkennung von § 123 SGG , sondern die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung des LSG. Auf eine vermeintliche Unrichtigkeit einer Entscheidung kann eine Nichtzulassungsbeschwerde jedoch nicht gestützt werden (stRspr; zB BSG Beschluss vom 22.9.2020 - B 13 R 30/20 B - juris RdNr 6 mwN).

Soweit die Ausführungen in der Beschwerdebegründung so zu verstehen sein sollten, dass das LSG fälschlich im Berufungsverfahren das Vorliegen einer Klageänderung angenommen habe, über die durch Prozessurteil statt durch Sachurteil entschieden worden sei, ist das Vorliegen eines solchen Verfahrensmangels (vgl dazu BSG Beschluss vom 17.6.2020 - B 5 R 302/19 B - juris RdNr 5 mwN) ebenfalls nicht ausreichend bezeichnet. Der Beschwerdebegründung kann nicht entnommen werden, aufgrund welcher objektiven Umstände bzw Hinweise ("trotz entsprechender Hinweis") das LSG gehalten gewesen sein könnte, den von der Klägerin im Berufungsverfahren zur Entscheidung gestellten Antrag vollumfänglich für zulässig zu halten. Das Vorbringen der Klägerin, sie sei bis zur Vorlage einer Kopie des ursprünglichen Beitragserstattungsbescheids vom 14.12.2000 durch die Beklagte im April 2020 subjektiv davon ausgegangen, dass "die Arbeitnehmeranteile für den gesamten Zeitraum ab 1972 erstattet worden waren", und der Zusammenhang zwischen ihrer Reha-Maßnahme und dem Ausschluss der Erstattung bis dahin gezahlter Beiträge sei ihr nicht bewusst gewesen, ist zur Begründung eines Verfahrensfehlers des LSG nicht geeignet.

2. Auch eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist nicht formgerecht dargelegt.

Eine Rechtssache hat nur dann iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Zur ordnungsgemäßen Bezeichnung des Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung muss der Beschwerdeführer daher eine Rechtsfrage benennen und zudem deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr, zB BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 4 mwN). Daran fehlt es hier.

Die Klägerin hat keine Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer Norm des Bundesrechts mit höherrangigem Recht benannt. Ihr Vorbringen, es gehe im vorliegenden Fall "um die Berücksichtigung von Arbeitgeberbeiträgen im Erstattungszeitraum bei der Berechnung der Altersrente" und hinzu komme die "Besonderheit, dass auch die Berücksichtigung von Arbeitnehmer und Arbeitgeberbeiträge im Zeitraum vor der Beitragserstattung, die jedoch nicht Gegenstand des Erstattungsverfahrens waren im Streit stehen", kann nicht entnommen werden, zu welcher Norm des Bundesrechts sich welche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellen könnte. Ebenso wenig genügt die pauschale Behauptung, es liege ein Verstoß gegen Art 38 des Zusatzprotokolls zum deutsch-türkischen Sozialversicherungsabkommen aus dem Jahr 1973, gegen das im Assoziierungsabkommen verankerte Diskriminierungsverbot, gegen Art 34 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und schließlich auch gegen Art 3 und Art 14 GG vor. Dass eine konkrete Rechtsfrage im Lichte der bereits vorhandenen höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl BSG Urteil vom 29.6.2000 - B 4 RA 57/98 R - BSGE 86, 262 = SozR 3-2600 § 210 Nr 2; BSG Beschluss vom 31.7.2007 - B 5a/4 R 199/07 B - juris RdNr 7, jeweils mwN) noch weiter klärungsbedürftig sein könnte, ergibt sich daraus nicht.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Baden-Württemberg, vom 16.07.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 10 R 2411/19
Vorinstanz: SG Reutlingen, vom 25.06.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 3 R 158/19