Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BSG - Entscheidung vom 02.09.2020

B 12 KR 19/20 B

Normen:
SGB V § 188 Abs. 4
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1
SGG § 162

BSG, Beschluss vom 02.09.2020 - Aktenzeichen B 12 KR 19/20 B

DRsp Nr. 2020/14716

Freiwillige Mitgliedschaft in der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 26. Februar 2020 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGB V § 188 Abs. 4 ; SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ; SGG § 162 ;

Gründe

I

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten darüber, ob der Kläger in der Zeit vom 23.3.2015 bis 6.12.2015 freiwillig versichertes Mitglied der Beklagten gewesen ist sowie um die Bemessung der gegebenenfalls vom Kläger zu tragenden Beiträge.

Der Kläger war bis zum 22.3.2015 abhängig beschäftigt und Pflichtmitglied bei der Beklagten. Er ist kroatischer Staatsangehöriger und hielt sich nach eigenen Angaben in der Folgezeit in seinem Heimatland auf. Ab 7.12.2015 war er bei einem anderen Arbeitgeber wiederum abhängig beschäftigt.

Die Beklagte stufte den Kläger für die Zwischenzeit als freiwilliges Mitglied ein und setzte die Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung auf der Grundlage der Beitragsbemessungsgrenze fest, da der Kläger keinen Nachweis zur Versicherungspflicht eingereicht und keine Angaben zum Einkommen gemacht habe (Bescheid vom 7.12.2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.5.2017).

Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Urteil des SG vom 6.3.2019, Beschluss des LSG vom 26.2.2020). Das LSG hat zur Begründung ausgeführt, die Beklagte habe den Kläger in der Zeit vom 23.3.2015 bis 6.12.2015 zu Recht nach Maßgabe der Beitragsbemessungsgrenze eingestuft. Nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht habe die Beklagte mangels Nachweises eines anderweitigen Anspruchs auf Absicherung im Krankheitsfall seine Mitgliedschaft als freiwillige Versicherung fortsetzen müssen 188 Abs 4 Satz 1 SGB V ). Dies gelte für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuchs hätten 3 Nr 2 SGB IV ), sofern nicht nach den Vorschriften eines anderen Mitgliedstaates Versicherungspflicht eintrete (Art 14 Abs 2 EGV 883/04). Mangels Nachweises über die beitragspflichtigen Einnahmen sei auch die Beitragsbemessung auf der Grundlage der Beitragsbemessungsgrenze rechtmäßig.

Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde.

II

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG ). Der Kläger hat die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) und des Verfahrensmangels 160 Abs 2 Nr 3 SGG ) nicht hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine abstrakt-generelle Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - allgemeine Bedeutung hat und aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung einer Klärung durch das Revisionsgericht bedarf (Klärungsbedürftigkeit) und fähig (Klärungsfähigkeit) ist. Mit der Beschwerdebegründung ist daher zunächst aufzuzeigen, welche rechtliche Frage sich zu einer bestimmten Norm des Bundesrechts iS des § 162 SGG stellt. Sodann ist anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums darzutun, weshalb deren Klärung erforderlich und im angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten ist. Schließlich ist aufzuzeigen, dass der angestrebten Entscheidung eine über den Einzelfall hinausgehende Breitenwirkung zukommt ( BSG vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

Der Kläger misst folgenden Fragen eine grundsätzliche Bedeutung bei:

"ob überhaupt die Anschlussversicherung nach § 188 Abs. 4 SGB V greifen kann, wenn sie einer Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V folgt, der freizügigkeitsberechtigte Arbeitnehmer jedoch nach Beendigung der Beschäftigung in sein Heimatland ausgereist ist,

ob freizügigkeitsberechtigte Arbeitnehmer sich nach Ende der Beschäftigung ausdrücklich bei der Krankenversicherung und der Pflegeversicherung abmelden müssen,

ob bei einem Wirksamwerden der Anschlussversicherung nach § 188 Abs. 4 SGB V sich diese als ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot aus den Artikeln 18 und 45 Abs. 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union ( AEUV ) in Verbindung mit Art. 4 VO EG 883/04 darstellt, weil ein Arbeitnehmer insoweit diskriminiert wird, als dass er ohne Berücksichtigung seines tatsächlichen Aufenthaltes in seinem Heimatland einer Person gleichgestellt wird, die sich im fraglichen Zeitraum zwischen den beiden Beschäftigungszeiträumen in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hat und hier zu seinem Lasten die Regelung über die nahtlose Anschlussversicherung nach deutschem Recht auch auf ihm übertragen wird, obwohl er eine wesentliche Voraussetzung (tatsächlicher Aufenthalt im gleichen Geltungsbereich des Sozialgesetzbuches) nicht erfüllte,

ob sich die Anschlussversicherung nach § 188 Abs. 4 SGB V als ein Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV darstellt, weil sowohl einem freizügigkeitsberechtigten Arbeitnehmer als auch einem Arbeitgeber in der Bundesrepublik Deutschland die Ausübung einer Tätigkeit erschwert würde, wenn ein freizügigkeitsberechtigte Arbeitnehmer für die Zwischenzeiten Beiträge bezahlen müsste und ein Versicherungsträger gegebenenfalls diese Beiträge beim Arbeitgeber durch Lohnabzug vollstreckt,

ob sich aus den beiden vorher aufgeworfenen Fragen die Notwendigkeit ergibt, voraussichtlich eine Vorabentscheidung des EuGHs einzuholen,

ob und inwieweit für einen freizügigkeitsberechtigten Arbeitnehmer im Falle einer wirksamen Anschlussversicherer nach § 188 Abs. 4 SGB V Mitwirkungspflichten nach dem Sozialgesetzbuch, wie z.B. nach § 60 ff. SGB I oder nach § 240 SGB V , bestehen."

Es kann dahinstehen, ob eine dieser Fragen die Anforderungen an eine konkret formulierte Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer revisiblen Norm des Bundesrechts 162 SGG ) mit höherrangigem Recht erfüllt (vgl allgemein BSG Beschluss vom 6.4.2010 - B 5 R 8/10 B - juris = BeckRS 2010, 68786, RdNr 10; BSG Beschluss vom 5.11.2008 - B 6 KA 24/07 B - juris = BeckRS 2009, 50073, RdNr 7; BSG Beschluss vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11 S 14). Die Bezeichnung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (Becker, SGb 2007, 261 , 265; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, Kap IX RdNr 181).

Unabhängig davon sind jedenfalls deren notwendige Klärungsbedürftigkeit und Entscheidungserheblichkeit nicht hinreichend dargetan. Zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit muss die Begründung substantiierte Ausführungen dazu enthalten, dass die aufgeworfene Rechtsfrage nicht geklärt ist. Insoweit ist deutlich zu machen, ob die Frage höchstrichterlich nicht entschieden oder ob sie unabhängig davon nicht außer Zweifel steht oder ob sie für den Fall vorliegender Rechtsprechung noch weiter oder erneut klärungsbedürftig ist. Unabhängig von einer höchstrichterlichen Klärung ist eine Rechtsfrage dann nicht als klärungsbedürftig anzusehen, wenn ihre Beantwortung so gut wie unbestritten ist bzw sich ihre Antwort ohne weiteres aus den Rechtsvorschriften ergibt und von vornherein praktisch außer Zweifel steht (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 13. Aufl 2020, § 160 RdNr 8, 8a sowie § RdNr 14c, 14d jeweils mwN aus der Rspr).

Soweit der Kläger ausführt, das BSG habe zu dem Problemkreis noch nicht Stellung genommen, fehlt es insbesondere an der Darlegung, dass die aufgeführten Rechtsvorschriften überhaupt eine für den Kläger positive Entscheidung zulassen könnten. Es mangelt insoweit an einer substantiierten Auseinandersetzung mit den anzuwendenden Normen, deren Auslegung und deren Sinn und Zweck. Hierzu ist in der Beschwerdebegründung lediglich die Regelung über die Saisonarbeitnehmer erwähnt und ausgeführt, § 188 Abs 4 Satz 4 SGB V scheine eher Fälle zu erfassen, bei denen an sich von einem gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuches auszugehen sei. Es wird aber nicht dargelegt, dass der Kläger zu den Saisonarbeitnehmern gehören könnte.

Darüber hinaus ist in der Beschwerdebegründung nicht dargelegt, dass der Kläger entweder einen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall nachgewiesen oder seinen Wohnsitz einschließlich seines gewöhnlichen Aufenthalts aus dem Geltungsbereich des Sozialgesetzbuches hinaus verlegt habe. Ohne wenigstens eine dieser beiden Voraussetzungen wird die Entscheidungserheblichkeit der aufgeführten Fragen nicht deutlich. Vor diesem Hintergrund wird auch eine grundsätzliche Bedeutung im Hinblick auf europäisches Recht nicht hinreichend dargelegt.

2. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensmangels iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zuzulassen. Verfahrensmangel in diesem Sinne ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangegangenen Rechtszug (vgl zB BSGE 2, 81 , 82; 15, 169, 172 = SozR Nr 3 zu § 52 SGG ).

a) Weshalb die AOK wegen "einer neuen Mitgliedschaft" hätte beigeladen werden müssen, obwohl der Zeitraum der erneuten Beschäftigung ab 7.12.2015 nicht vom Streitgegenstand umfasst ist, geht aus der Beschwerdebegründung nicht hervor.

b) Auch im Hinblick darauf, dass das LSG den Rechtsstreit nicht dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt hat, ist ein Verfahrensmangel nicht hinreichend bezeichnet. Mangels hinreichender Anhaltspunkte für eine Wohnsitzabmeldung des Klägers in Deutschland oder für das Bestehen einer kroatischen Krankenversicherung - insoweit rügt der Kläger auch keine mangelhafte Aufklärung des Sachverhalts - fehlt es auch an einer hinreichenden Darlegung der Entscheidungserheblichkeit einer Vorabentscheidung des EuGH.

c) Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist ebenfalls nicht hinreichend dargelegt. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Prozessgericht nicht, jedes Vorbringen der Beteiligten ausdrücklich zu bescheiden. Es hat (lediglich) die Darlegungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist erst dann verletzt, wenn sich im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist (BVerfG <Kammer> Beschluss vom 25.3.2010 - 1 BvR 2446/09 - juris RdNr 11 mwN; BVerfG Urteil vom 8.7.1997 - 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96, 205 , 216). In der Beschwerdebegründung sind jedoch keine Umstände dargelegt, aus denen sich ergeben könnte, dass das LSG Darlegungen des Klägers insbesondere zum Europarecht nicht zur Kenntnis genommen oder in Erwägung gezogen haben könnte. Vielmehr hat das LSG keinerlei Anhaltspunkte für eine Europarechtswidrigkeit erkennen können, sich also sogar ausdrücklich damit befasst. Eine andere Rechtsauffassung des Klägers begründet keinen Verfahrensfehler.

d) Nicht nachvollziehbar ist die Behauptung des Klägers, das LSG habe es verkannt, dass es dem Kläger vorrangig um die Frage der Versicherungspflicht auf Grundlage des § 188 Abs 4 SGB V als wesentliche Vorfrage für die Beitragserhebung gegangen sei. Das LSG hat diesbezüglich die Vorschrift und deren Voraussetzungen ausdrücklich benannt und dazu ausgeführt, danach sei die Mitgliedschaft des Klägers nach dem Ende der Beschäftigung ab dem 20.3.2015 als freiwillige Mitgliedschaft fortzusetzen gewesen. Unabhängig davon genügen auch hier die Darlegungen nicht zur Bezeichnung eines Verfahrensmangels wegen eines Verstoßes gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör.

e) Ebenso wenig nachvollziehbar ist die Rüge nicht ausreichender Entscheidungsgründe, zumal der Kläger selbst ausführt, diese seien ausgehend vom Rechtsstandpunkt des LSG nachvollziehbar.

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Niedersachsen-Bremen, vom 26.02.2020 - Vorinstanzaktenzeichen L 16 KR 184/19
Vorinstanz: SG Stade, vom 06.03.2019 - Vorinstanzaktenzeichen S 15 KR 143/17