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BSG - Entscheidung vom 23.04.2020

B 9 SB 56/19 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1

BSG, Beschluss vom 23.04.2020 - Aktenzeichen B 9 SB 56/19 B

DRsp Nr. 2020/7262

Feststellung eines Grades der Behinderung Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Tenor

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 4. Juli 2019 wird als unzulässig verworfen.

Der Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe

I

Der Beklagte wendet sich in der Hauptsache gegen seine Verurteilung, bei der Klägerin ab 2.8.2012 einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 festzustellen. Das LSG hat das entsprechende Urteil des SG bestätigt. Es hat sich dabei - wie zuvor bereits das SG - auf das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. K. vom 17.9.2015 und dessen ergänzenden Stellungnahmen vom 8.3.2016 und 6.9.2016 gestützt (Urteil vom 4.7.2019).

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Beklagte Beschwerde eingelegt. Er macht ausschließlich die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.

II

Die Beschwerde des Beklagten ist unzulässig. Seine Begründung genügt nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form, weil er den geltend gemachten Zulassungsgrund nicht in der hierfür erforderlichen Weise dargelegt hat 160a Abs 2 Satz 3 SGG ).

1. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG , wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss daher, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl Senatsbeschluss vom 31.1.2018 - B 9 V 63/17 B - juris RdNr 6; Senatsbeschluss vom 30.11.2017 - B 9 V 35/17 B - juris RdNr 4). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Der Beklagte hält folgende Fragen für grundsätzlich bedeutsam:

"Werden in Teil B 3.7 der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung stärker behindernde Störungen durch eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit bzw. schwere Störungen durch mittelgradige/schwere soziale Anpassungsschwierigkeiten definiert oder handelt es sich um jeweils einzelne Tatbestandsmerkmale?"

"Führt die Feststellung der Haupt- und Zusatzsymptome im Rahmen der ärztlichen Diagnosestellung einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome (ICD-10 F 33.2) gemäß S3-Leitlinie/Nationale VersorgungsLeitlinie Unipolare Depression gleichzeitig auch zur Feststellung mittelgradiger sozialer Anpassungsschwierigkeiten oder sind zur Feststellung letzterer weitere tatrichterliche Feststellungen zu den Auswirkungen in allen Lebensbereichen erforderlich?"

"Welche Kriterien in den einzelnen Lebensbereichen (Alltag, Familie, Freunde/Bekannte, Beruf, Freizeit) und welche medizinischen Behandlungserforderlichkeiten und -führung sind für die Überschreitung der Grenze von der wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit zu den mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten nach Teil B 3.7 der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung heranzuziehen?"

"Auf welcher bzw. welchen Prüfungsebene/n des Teil B 3.7 der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung ist bei mehrjährigem schwankendem Leidensverlauf dem 'durchschnittlichen' Ausmaß gemäß Teil A 2. f) der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung Rechnung zu tragen?"

"Müssen die stärker behindernden Störungen aufgrund des Wortes 'mit' im Verordnungstext kausal für die wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit bzw. die schweren Störungen kausal für die mittelgradigen/schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten sein? Anders gefragt, muss die wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit auf die stärker behindernde Störung bzw. die mittelgradigen/schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten auf die schwere Störung zurückzuführen sein?"

Der Senat lässt dahinstehen, ob der Beklagte mit diesen Fragen überhaupt Rechtsfragen iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG bezeichnet hat (vgl hierzu zusammenfassend Karmanski in Roos/Wahrendorf, SGG , 2014, § 160a RdNr 46-49), die in einem Revisionsverfahren klärungsbedürftig wären. Denn er hat bereits deren Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) nicht aufgezeigt. Allein seine Behauptung, sie sei gegeben, "weil es auf die Beantwortung dieser Fragen für die vorliegend vorzunehmende Bemessung des GdB gemäß Teil B 3.7 der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung ankommt", reicht für die Darlegung der Klärungsfähigkeit der von ihm formulierten Fragestellungen im angestrebten Revisionsverfahren nicht aus.

Entscheidungserheblichkeit bedeutet zwar, dass es für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits auf die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage(n) ankommt und die Entscheidung bei Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Beschwerdeführers in seinem Sinn hätte ausfallen müssen. Kann mangels entsprechenden Vortrags aber nicht ausgeschlossen werden, dass ein geltend gemachter Anspruch oder eine begehrte Feststellung unabhängig vom Ergebnis der angestrebten rechtlichen Klärung womöglich am Fehlen (auch nur) einer weiteren Voraussetzung scheitern müsste, fehlt es an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit und damit der Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage(n) (vgl BSG Beschluss vom 29.6.2011 - B 5 R 134/11 B - juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 30.8.2004 - B 2 U 401/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 5 RdNr 3). Ein Beschwerdeführer hat daher den nach seiner Auffassung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg der Nachprüfung des angefochtenen Urteils und dabei insbesondere den Schritt darzustellen, der die Entscheidung der als grundsätzlich bezeichneten Rechtsfrage(n) notwendig macht ( BSG Beschluss vom 29.3.2017 - B 5 RE 15/16 B - juris RdNr 9). Hierzu enthält die Beschwerdebegründung keine substantiierten Ausführungen. Entsprechende Darlegungen hätten aber zu jeder der vom Beklagten aufgeworfenen Frage erfolgen müssen.

Ob eine Rechtsfrage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig ist, kann zudem generell nur auf der Grundlage der bereits vom LSG getroffenen Feststellungen beantwortet werden (Senatsbeschluss vom 24.6.1998 - B 9 VG 2/98 B - juris RdNr 6). Deshalb kann die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht zugelassen werden, wenn das Berufungsgericht eine Tatsache, die für die Entscheidung der mit der Nichtzulassungsbeschwerde angesprochenen Rechtsfrage erheblich sein würde, noch nicht festgestellt hat und damit nur die Möglichkeit besteht, dass sie nach Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht und nach weiterer Sachverhaltsaufklärung entscheidungserheblich werden kann (stRspr, zB BSG Beschluss vom 29.3.2017 - B 5 RE 15/16 B - juris RdNr 10; BSG Beschluss vom 10.11.2008 - B 12 R 14/08 B - juris RdNr 6). Welche Feststellungen das LSG insbesondere auch bezogen auf das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. K. vom 17.9.2015 und dessen ergänzenden Stellungnahmen vom 8.3.2016 und 6.9.2016 im Einzelnen getroffen hat, zeigt die Beschwerdebegründung jedoch nicht auf. Entsprechende Ausführungen wären aber schon deshalb notwendig gewesen, weil sich das Berufungsgericht bei seiner Entscheidungsfindung maßgeblich auf dessen gutachterliche Äußerungen gestützt hat. Auch deshalb kann der Senat nicht beurteilen, ob die von dem Beklagten gestellten Fragen - selbst wenn es sich bei ihnen, wie von ihm behauptet, um Rechtsfragen handeln würde - auf Grundlage des vom LSG festgestellten Sachverhalts in einem künftigen Revisionsverfahren überhaupt entscheidungserheblich wären.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

2. Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Thüringen, vom 04.07.2019 - Vorinstanzaktenzeichen L 5 SB 959/17
Vorinstanz: SG Altenburg, vom 09.06.2017 - Vorinstanzaktenzeichen S 19 SB 3369/13