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BSG - Entscheidung vom 12.05.2020

B 12 KR 39/19 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1

BSG, Beschluss vom 12.05.2020 - Aktenzeichen B 12 KR 39/19 B

DRsp Nr. 2020/9645

Feststellung einer Sozialversicherungsbeitragspflicht Tätigkeit als Minderheitsgesellschafterin-Geschäftsführerin in einer GmbH Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 18. April 2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe

I

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten darüber, ob die Klägerin in ihrer Tätigkeit als Minderheitsgesellschafterin-Geschäftsführerin der zu 1. beigeladenen GmbH vom 20.2.2009 bis 30.11.2013 aufgrund Beschäftigung der Versicherungspflicht in allen Sozialversicherungszweigen unterlag.

Ende 2008 gründeten die Klägerin und ihr Sohn die zu 1. beigeladene GmbH. Vom Stammkapital iHv 25 000 Euro hielt die Klägerin im streitigen Zeitraum 10 000 Euro, ihr Sohn 15 000 Euro. Am 20.2.2009 schlossen die Klägerin und die Beigeladene zu 1. einen Geschäftsführervertrag und die Klägerin mit ihrem Sohn einen Stimmrechtsbindungsvertrag. Im Rahmen eines von der Klägerin initiierten Statusfeststellungsverfahrens stellte die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund fest, dass sie in ihrer Tätigkeit für die Beigeladene zu 1. aufgrund Beschäftigung der Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung unterliege (Bescheid vom 20.3.2013; Widerspruchsbescheid vom 20.8.2013). Das SG Dresden hat die Bescheide der Beklagten abgeändert und sie verpflichtet festzustellen, dass die Klägerin nicht der Versicherungspflicht unterliegt (Urteil vom 17.8.2016). Das Sächsische LSG hat das SG -Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe nur 40 % am Stammkapital der GmbH gehalten. Aus deren Satzung ergebe sich keine umfassende Sperrminorität der Klägerin. Geregelt sei nur, dass ihre Abberufung als Geschäftsführerin ihrer Zustimmung bedürfe. Der Stimmrechtsbindungsvertrag sei nicht Bestandteil des Gesellschaftsvertrags geworden (Urteil vom 18.4.2019). Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.

II

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Sächsischen LSG vom 18.4.2019 bleibt ohne Erfolg, weil sie zum Teil unzulässig und im Übrigen unbegründet ist.

Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn

die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder

das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder

bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).

Die Klägerin beruft sich in der Begründung ihrer Nichtzulassungsbeschwerde vom 27.6.2019 auf alle drei Zulassungsgründe.

1. Die Klägerin rügt als verfahrensfehlerhaft bzw als Abweichung von einer Entscheidung des BSG (Beschluss vom 6.10.2016 - B 5 R 45/16 B - juris), dass das LSG in der Sache entschieden habe, anstelle die Berufung der Beklagten als unzulässig zu verwerfen. Der Berufungsschriftsatz sei nicht unterschrieben. Der Schriftzug auf Seite 2 stelle keine Unterschrift dar. Möglicherweise sei hinsichtlich des Vornamens ein Schriftzug erkennbar. Hinsichtlich des Nachnamens sei lediglich möglicherweise eine Hälfte des Buchstabens M zu erahnen. Auch sei weder ersichtlich, wer das Schreiben verfasst habe, noch wer "R. M." sei.

Es ist zweifelhaft, ob die Klägerin dadurch in einer den Zulässigkeitsanforderungen entsprechenden Weise eine entscheidungserhebliche Divergenz dargelegt oder einen Verfahrensfehler bezeichnet hat. Dies kann offenbleiben, weil weder eine Divergenz noch ein Verfahrensfehler vorliegt. Die Berufung ist schriftlich iS des § 151 Abs 1 SGG erhoben worden. Der per Telefax eingegangene Berufungsschriftsatz der Beklagten vom 14.9.2016 ist eigenhändig unterschrieben. Auf die Lesbarkeit einer Unterschrift kommt es insoweit nicht an. Zum Nachweis der Identität des Unterschreibenden ist vielmehr ein individueller Schriftzug erforderlich, der charakteristische Merkmale aufweisen muss (vgl Leitherer in Meyer- Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 12. Aufl 2017, § 151 RdNr 4b mwN). Dies genügt auch den Anforderungen der von der Klägerin angeführten Entscheidung des BSG (Beschluss vom 6.10.2016 - B 5 R 45/16 B - juris). Diesen Anforderungen wird der Schriftzug gerecht.

2. Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass das angefochtene Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG , des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine solche Abweichung ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage zum Bundesrecht die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen Aussage des BSG , des GmSOGB oder des BVerfG abweicht. Insoweit genügt es nicht darauf hinzuweisen, dass das LSG seiner Entscheidung nicht die höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde gelegt hätte. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Divergenz. Sie liegt daher nicht schon dann vor, wenn das angefochtene Urteil nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG , der GmSOGB oder das BVerfG entwickelt hat, sondern erst dann, wenn das LSG diesen Kriterien auch widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe bei seiner Entscheidung herangezogen hat (vgl BSG Beschluss vom 12.5.2005 - B 3 P 13/04 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 6 RdNr 5 und BSG Beschluss vom 16.7.2004 - B 2 U 41/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 4 RdNr 6, jeweils mwN).

Die Klägerin macht geltend, die angefochtene Entscheidung weiche von der Entscheidung des BSG (Urteil vom 14.3.2018 - B 12 KR 13/17 R - BSGE 125, 183 = SozR 4-2400 § 7 Nr 35) ab und beruhe auf dieser Abweichung. Nach der Rechtsprechung des BSG gebiete hier der Vertrauensschutz gemäß Art 20 Abs 3 GG die Anwendung der Grundsätze der Kopf-und-Seele- Rechtsprechung oder jedenfalls die Feststellung einer selbstständigen Tätigkeit "aus Billigkeitsgründen", weil sich die gefestigte und langjährige Rechtsprechung des BSG geändert habe.

Hierdurch legt die Klägerin eine entscheidungserhebliche Divergenz nicht in einer den Zulässigkeitsanforderungen nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG entsprechenden Weise dar. Sie entnimmt weder der angefochtenen noch der in Bezug genommenen Entscheidung des BSG sie jeweils tragende Rechtssätze, die zum Nachweis einer Abweichung im Grundsätzlichen gegenüber zu stellen wären. Vielmehr macht die Klägerin geltend, dass das LSG abweichend im Sinne von falsch entschieden habe. Die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann jedoch nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG Beschluss vom 26.1.2005 - B 12 KR 62/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 9). Letzteres gilt auch, soweit die Klägerin geltend macht, in ihrem Fall sei aus Billigkeitsgründen die ihrer Meinung nach bestehende frühere "Kopfund-Seele"-Rechtsprechung anzuwenden.

3. Schließlich macht die Klägerin eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Hierzu muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (stRspr; vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl BSG Beschluss vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § Nr 31 S 48).

Die Klägerin formuliert auf Seite 8 der Beschwerdebegründung folgende Fragen:

"Ist § 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV aufgrund des Vertrauensschutzgebotes und des Verbotes der Rückwirkung gemäß Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG für die Beurteilung der Versicherungspflicht für Zeiträume vor dem 29.07.2015 dahingehend auszulegen, dass ein Gesellschafter-Geschäftsführer einer Familiengesellschaft ohne Mehrheitsbeteiligung dann nicht abhängig beschäftigt ist, wenn er mit den Gesellschaftern familiär verbunden ist, faktisch 'Kopf und Seele' des Unternehmens und die Geschäfte der Gesellschaft nach eigenem Gutdünken führen konnte und führte, ohne dass ihn die Gesellschafter daran hindern konnten?

Ist die sog. 'Kopf und Seele'-Rechtsprechung für die Beurteilung des sozialversicherungsrechtlichen Status nach § 7 Abs. 1 SGB IV für Zeiträume vor dem 29.07.2015 heranzuziehen?

Ist die Abkehr von der 'Kopf und Seele'-Rechtsprechung für die Beurteilung des sozialversicherungsrechtlichen Status nach § 7 Abs. 1 SGB IV für Zeiträume vor dem 29.07.2015 mit dem Vertrauensschutzgebot und dem Verbot der Rückwirkung gemäß Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG vereinbar?"

a) Es kann offenbleiben, ob die Klägerin Rechtsfragen in einer den Zulässigkeitsanforderungen entsprechenden Weise formuliert und den Darlegungsanforderungen gerecht wird. Wird die Beschwerde mit einem Grundrechtsverstoß begründet, hat sie unter Einbeziehung der einschlägigen Literatur und Rechtsprechung - insbesondere des BVerfG, aber auch des BSG - im Einzelnen aufzuzeigen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll ( BSG Beschluss vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11 S 14; ferner zB BSG Beschluss vom 2.6.2009 - B 12 KR 65/08 B - juris RdNr 9 mwN). Dazu müssen der Bedeutungsgehalt der in Frage stehenden einfachgesetzlichen Normen aufgezeigt, die Sachgründe ihrer jeweiligen Ausgestaltung erörtert und die Verfassungsverletzung dargelegt werden. Die Beschwerdebegründung darf sich im Fall einer aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Frage nicht darauf beschränken, die Verfassungswidrigkeit zu behaupten und die als verletzt angesehenen Normen des Grundgesetzes zu benennen ( BSG Beschluss vom 30.4.2015 - B 10 EG 17/14 B - juris RdNr 5 mwN).

b) Hinsichtlich der von der Klägerin in den Raum gestellten Fragen - ihre Qualität als Rechtsfragen unterstellt - besteht jedenfalls keine Klärungsbedürftigkeit (mehr). Für die Beurteilung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache ist hinsichtlich der Klärungsbedürftigkeit auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Beschwerdegerichts abzustellen (vgl BSG Beschluss vom 16.5.2007 - B 11b AS 61/06 B - juris RdNr 7 mwN). Zum Zeitpunkt der Entscheidung ist jedoch eine Klärungsbedürftigkeit nicht mehr gegeben. Denn der erkennende Senat hat mit Urteilen vom 19.9.2019 (B 12 R 25/18 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 43, zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; B 12 KR 21/19 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4 vorgesehen; B 12 R 7/19 R - juris;

B R - juris) entschieden, dass im Hinblick auf die Versicherungspflicht der Geschäftsführer von Familiengesellschaften kein Vertrauensschutz in die sogenannte "Kopf-und- Seele"-Rechtsprechung besteht. Vertrauensschutz nach Art 20 Abs 3 GG kann danach aufgrund einer Änderung der Rechtsprechung nicht beansprucht werden. Eine verfassungsrechtlich relevante "Abkehr" von früheren Rechtsprechungsmaßstäben zur Versicherungspflicht von GmbH-Geschäftsführern in Familiengesellschaften gibt es danach nicht.

4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Sachsen, vom 18.04.2019 - Vorinstanzaktenzeichen L 2 KR 237/16
Vorinstanz: SG Dresden, vom 17.08.2016 - Vorinstanzaktenzeichen S 18 KR 824/13