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BSG - Entscheidung vom 03.09.2020

B 14 AS 351/19 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 2

BSG, Beschluss vom 03.09.2020 - Aktenzeichen B 14 AS 351/19 B

DRsp Nr. 2020/14969

Erstattung vorläufig bewilligter Leistungen Divergenzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 25. Juli 2019 - L 19 AS 701/19 - wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 2 ;

Gründe

I

Im Streit steht die Erstattung vorläufig bewilligter Leistungen.

Nach vorläufiger Leistungsbewilligung entschied das beklagte Jobcenter abschließend über den Leistungsanspruch des Klägers für November 2014 bis April 2015 und setzte eine Erstattung wegen Überzahlung in Höhe von 733,68 Euro fest (Bescheide vom 14.9.2015; Widerspruchsbescheide vom 20. und 5.5.2017). Das SG hat die Klage gegen den Erstattungsbescheid zurückgewiesen (Urteil vom 1.10.2018), das LSG hat die Berufung nach deren Zulassung zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen (Urteil vom 25.7.2019).

Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG richtet sich die mit Schriftsatz vom 14.11.2019 auf alle Zulassungsgründe - grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache 160 Abs 2 Nr 1 SGG ), Divergenz der Entscheidung des LSG von der Rechtsprechung des BSG , des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) und Vorliegen von Verfahrensmängeln 160 Abs 2 Nr 3 SGG ) - und mit Schriftsatz vom 18.11.2019 auf Grundsatz- und Verfahrensrügen gestützte Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers.

II

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung ist jedenfalls unbegründet und deshalb zurückzuweisen.

1. Bezogen auf die Grundsatzrügen ist die Beschwerde mit den im Schriftsatz vom 14.11.2019 angeführten Rügen jedenfalls unbegründet und im Übrigen unzulässig.

a) Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Nach den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG sich ergebenden Anforderungen muss ein Beschwerdeführer dazu anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzeigen, welche klar formulierte Frage sich stellt, dass diese Rechtsfrage noch nicht geklärt ist, weshalb deren Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung dieser Rechtsfragen erwarten lässt (vgl Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, IX, RdNr 56 ff).

b) Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde mindestens mangels hinreichender Darlegung der Klärungsbedürftigkeit nicht, soweit sie es in den Schriftsätzen vom 14. und 18.11.2019 als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnet, ob "der gleichzeitig erlassene Bewilligungs- und Erstattungsbescheid materiell im Sinne einer sogenannten rechtlichen Einheit so aufeinander bezogen [sind], dass die rechtzeitige Anfechtung eines dieser Bescheide ein Aufhebungsbegehren mit Inzidentprüfung der materiellen Rechtmäßigkeit im Hinblick auf den anderen Verwaltungsakt einschließt, weil im Lichte des Art 19 Abs. 4 Grundgesetz ( GG ) nur so einer effektiven Rechtsschutzgewährung Rechnung getragen werden kann". Dazu hat der erkennende Senat bereits entschieden, dass es bei - wie hier - gesonderten Bescheiden über die Höhe der abschließend zu beanspruchenden Leistungen und den ggf zu erstattenden Betrag für die Prüfung von dessen Rechtmäßigkeit allein darauf ankommt, dass der Rechtsgrund für die Leistung weggefallen ist und nur die Wirksamkeit, nicht die Rechtmäßigkeit des den Leistungsanspruch abschließend regelnden Bescheids entscheidend ist ( BSG vom 28.11.2018 - B 14 AS 34/17 R - SozR 4-4200 § 38 Nr 5 RdNr 13). Inwieweit die von der Beschwerde bezeichnete Frage hierdurch nicht beantwortet oder erneut klärungsbedürftig geworden ist, zeigt sie nicht auf. Dass sie die Entscheidung als Missachtung einer Rangordnung erachtet, die das BSG zuvor noch "beachtet hatte", reicht dafür nicht aus (zu den Darlegungsanforderungen insoweit vgl nur Leitherer in Meyer- Ladewig/Keller/ Leitherer/Schmidt, SGG , 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 14g mwN).

c) Jedenfalls mangels Entscheidungserheblichkeit in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht klärungsfähig ist es, ob - wie mit Schriftsatz vom 14.11.2019 geltend gemacht - (b) "Ausgaben eines selbständig tätigen Hilfebedürftigen im sogenannten ersten Schritt zur Bestimmung des Brutto-Einkommens nach steuerrechtlichen Grundsätzen (§ 6 EStG ) bewertet und deren Abzugsfähigkeit dann dementsprechend prozentual begrenzt werden" dürfen, wie (c) "jahresbezogenen Ausgaben abzuziehen" sind, ob (d) "gesetzlich vorgeschriebene Ausgaben eines selbständig erwerbstätigen Hilfebedürftigen als Betriebsausgaben im sogenannten ersten Schritt zur Bestimmung des Brutto-Einkommens abzuziehen" sind, ob (e) "Ausgaben eines selbständig erwerbstätigen Hilfebedürftigen, die zum Zeitpunkt der Ausgabe objektiv einen Nutzen für dessen selbständige Erwerbstätigkeit erwarten lassen, als Betriebsausgaben im sogenannten ersten Schritt zur Bestimmung des Brutto-Einkommens abzuziehen" sind, ob (f) "§ 3 Abs. 7 S. 1 ALG -II VO gegen § 11 Abs. 1 S. 1 SGB-II in Verbindung mit § 11b SGB-II (höherrangiges Recht)" verstößt, ob (g) "bei Freiberuflern des freiberufliche Leitbild dem selbständig erwerbstätigen Hilfebedürftigen zum Nachteil gereichen" darf und ob (h) ein selbständig erwerbstätiger Hilfebedürftiger berechtigt ist, "die Geschäftsjahrmethode (für die Behörde verbindlich) anzuwenden". Diese Fragen zielen jeweils auf die Rechtmäßigkeit der abschließenden Leistungsbewilligung, worüber im Verfahren über den Erstattungsbescheid nicht zu befinden ist ( BSG vom 28.11.2018 - B 14 AS 34/17 R - SozR 4-4200 § 38 Nr 5 RdNr 13); dass Grundsatzrügen insoweit auch nicht formgerecht bezeichnet sind (vgl Beschluss des Senats vom 3.9.2020 - B 14 AS 189/19 B), kann deshalb dahinstehen.

2. Unzulässig ist die erhobene Divergenzrüge.

Jedenfalls nicht entscheidungserheblich ist es, soweit mit Schriftsatz vom 14.11.2019 ein Widerspruch zwischen der Aussage "Der Verordnungsgeber will die Anwendung einkommensteuerrechtlichen Besonderheiten im Sozialrecht ausschließen" (Verweis auf BSG vom 17.2.2016 - B 4 AS 17/15 R - BSGE 120, 242 = SozR 4-4200 § 11 Nr 75, RdNr 24) und dem der Entscheidung des LSG entnommenen Rechtssatz "Der betriebliche Anteil von Betriebsausgaben darf unter Anwendung der steuerrechtlichen Schätzbefugnis prozentual bewertet und begrenzt werden (vgl. zur Zulässigkeit einer Schätzung BSG , Urteil vom 05.06.2014 - B 4 AS 31/13 R)" angeführt wird. Dies betrifft nur die abschließende Entscheidung, weshalb in einem Revisionsverfahren zu dem daraus resultierenden Erstattungsanspruch darüber nicht zu befinden wäre (vgl dazu nur Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 13. Aufl 2020, § 160 RdNr 5 mwN); dass eine Divergenz insoweit auch nicht formgerecht bezeichnet ist (vgl Beschluss des Senats vom 3.9.2020 - B 14 AS 189/19 B), kann deshalb dahinstehen.

3. Verfahrensfehler sind nicht schlüssig bezeichnet.

a) Das gilt insbesondere für die Rüge, die Garantie des gesetzlichen Richters und in Zusammenhang damit der Anspruch auf rechtliches Gehör, der Grundsatz des Fair Trial und das Gebot effektiven Rechtsschutzes seien verletzt, weil das LSG den nachträglich angebrachten Gründen für die Ablehnung des erstinstanzlichen Richters nicht Rechnung getragen habe.

Dabei kann dahinstehen, ob das LSG von einer Zurückverweisung in die 1. Instanz im Hinblick auf die beschränkten Zurückverweisungsgründe nach § 159 Abs 1 Nr 2 SGG auch bei einem wesentlichen Verfahrensmangel absehen kann, solange - wie hier - eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme nicht notwendig ist (vgl nur BSG vom 18.10.1995 - 6 RKa 31/94 - SozR 3-2500 § Nr 8 S 27) oder ob ausnahmsweise etwas anderes gelten kann, wenn die Voraussetzungen gegeben sind, unter denen nach der Rechtsprechung des BSG im Verhältnis zwischen Revisions- und Berufungsinstanz ausnahmsweise eine Zurückverweisung an das LSG in Betracht kommt und die Zurückverweisung im Berufungsverfahren ausdrücklich beantragt (vgl nur BSG vom 9.9.1998 - B 6 KA 34/98 B - RdNr 6) worden war (vgl hierzu letztens BVerfG <Kammer> vom 21.11.2018 - 1 BvR 436/17 - NJW 2019, 505 RdNr 15).

Denn ungeachtet der Frage, ob die Mitteilung des Kammervorsitzenden an die Rechtsanwaltskammer, der Kläger prozessiere "in einer Vielzahl von Fällen" in eigener Sache gegen den Beklagten, geeignet war, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen 60 Abs 1 SGG iVm § 42 Abs 2 ZPO ), war er mangels einer hierauf gestützten Ablehnung bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens nicht deswegen von der Ausübung des Amtes als Richter ausgeschlossen. Letzter Zeitpunkt für die Geltendmachung von Ablehnungsgründen ist nach gefestigter Rechtsprechung des BVerfG und der Obersten Bundesgerichte der vollständige Abschluss der Instanz, weil die getroffene Entscheidung von dem Gericht, dem die im Anschluss abgelehnten Richter angehören, nicht mehr geändert werden kann (vgl nur BGH vom 11.7.2007 - IV ZB 38/06 - NJW-RR 2007, 1653 RdNr 5 mwN; darauf Bezug nehmend nur BVerfG vom 28.4.2011 - 1 BvR 2411/10 - NJW 2011, 2191 , 2192; ebenso etwa BSG vom 2.8.2001 - B 7 AL 28/01 B; BAG vom 18.3.1964 - 4 AZR 63/63; BFH vom 17.5.1995 - X R 55/94 - BFHE 177, 344 ; BGH vom 17.5.2018 - I ZR 195/15 - NJW-RR 2018, 1461 RdNr 4; BVerwG vom 29.6.2016 - 2 B 18.15 - Buchholz 310 § 132 Abs 2 Ziff 3 VwGO Nr 77 RdNr ). Das anders zu sehen gibt die Beschwerde keinen Anlass. Mindestens deshalb war das LSG auf die insoweit erst im Berufungsverfahren erklärte Ablehnung des Kammervorsitzenden an einer Sachentscheidung über die Berufung des Klägers nicht gehindert. Dass ein Mangel an Unvoreingenommenheit des Kammervorsitzenden - lag er vor - durch das Berufungsverfahren nicht geheilt worden sein könnte (vgl BVerwG vom 20.5.2015 - 2 B 4.15 - NVwZ 2015, 1299 RdNr 8 f: Kein Absehen von mündlicher Verhandlung in der Berufungsinstanz bei erstinstanzlicher mündlicher Verhandlung vor befangenem Richter), zeigt die Beschwerde nicht auf.

b) Soweit die Beschwerde die unterbliebene Verbindung des Streits um die Erstattung mit dem Verfahren über die abschließende Entscheidung als verfahrensfehlerhaft rügt, kann ihr jedenfalls für eine willlkürliche Verfahrenshandhabung des LSG nichts entnommen werden (vgl nur BSG vom 25.2.2010 - B 11 AL 114/09 B - RdNr 4 mwN).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183 , 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Nordrhein-Westfalen, vom 25.07.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 19 AS 701/19
Vorinstanz: SG Köln, vom 01.10.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 4 AS 1893/17