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BSG - Entscheidung vom 13.10.2020

B 1 KR 41/20 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3

BSG, Beschluss vom 13.10.2020 - Aktenzeichen B 1 KR 41/20 B

DRsp Nr. 2020/17414

Erstattung von Fahrtkosten zu einer ambulanten Behandlung Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 30. April 2020 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ;

Gründe

I

Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Fahrtkosten zur ambulanten Behandlung.

Die 1951 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie leidet seit 2007 an einem Blepharospasmus in Form einer Lidapraxie (unwillkürlicher, sich wiederholender erhöhter Lidschluss mit Lidkrämpfen) an beiden Augen und nimmt dafür Behandlungen im Universitätsklinikum G in Anspruch (etwa alle zwei Monate Botoxsprechstunde). Ihre Anträge auf Übernahme bzw Erstattung von Fahrtkosten zu diesen Behandlungen lehnte die Beklagte ab. Die dagegen gerichteten Klagen sind in beiden Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben ( SG -Urteil vom 27.5.2019; LSG-Beschluss vom 30.4.2020). Das LSG hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Klägerin könne Fahrtkosten nicht beanspruchen, weil die Voraussetzungen des § 60 Abs 1 Satz 3 SGB V iVm den Vorschriften der Richtlinie über die Verordnung von Krankenfahrten, Krankentransportleistungen und Rettungsfahrten nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 12 SGB V (Krankentransport-Richtlinie, KT-RL) nicht vorlägen. Es seien weder ein besonderer Ausnahmefall nach § 8 Abs 2 KT-RL gegeben noch die durch die Vorschrift geforderte Behandlungsfrequenz. Auch die Voraussetzungen des § 8 Abs 3 KT-RL seien nicht erfüllt. Eine praktische Blindheit bzw erhebliche Einschränkung der Sehmöglichkeit bestehe ausweislich der Bescheinigung des behandelnden Arztes nur bei Nichtbehandlung. Dieser fiktive Erkrankungsverlauf sei nicht maßgeblich für die Frage erheblich eingeschränkter Mobilität.

Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Beschluss.

II

Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. In der Begründung des Rechtsmittels sind die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) und des Verfahrensmangels 160 Abs 2 Nr 3 SGG ) entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG nicht hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

1. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (stRspr; vgl zB BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § Nr 36 mwN). Dem genügt die Beschwerdebegründung nicht.

Wer sich - wie hier die Klägerin - auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG stützt, muss unter anderem einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, die Rechtsauffassung des LSG wiedergeben, aufgrund der bestimmte Tatsachen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, und die von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände darlegen, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten (stRspr; vgl zB BSG vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN; vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 12.9.1991 - 1 BvR 765/91 - juris RdNr 5). Dazu muss aufgezeigt werden, dass ein anwaltlich oder ähnlich rechtskundig vertretener Beteiligter - wie hier die Klägerin - zu Protokoll einen Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt oder bei Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 153 Abs 4 SGG nach Erhalt der Anhörungsmitteilung über diese Verfahrensweise ausdrücklich gestellt oder aufrechterhalten hat (vgl BSG vom 16.7.2019 - B 13 R 150/19 B - juris RdNr 14 mwN; vgl dazu auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 13. Aufl 2020, § 160 RdNr mwN; zu § 124 Abs 2 SGG vgl BSG vom 18.12.2000 - B 2 U 336/00 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 31 S 52). Der Tatsacheninstanz soll durch einen Beweisantrag vor Augen geführt werden, dass der Betroffene die gerichtliche Sachaufklärungspflicht noch nicht als erfüllt ansieht. Der Beweisantrag hat Warnfunktion (stRspr; vgl insgesamt dazu zB BSG vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN).

Die Klägerin trägt vor, für die von ihr "substantiiert vorgetragenen Beschwerden", namentlich eine "faktische Blindheit", sei vorsorglich Beweiserhebung beantragt worden, das LSG sei aber ihrem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt. Mit diesem Vorbringen sind die Darlegungsanforderungen nicht erfüllt. Die Klägerin formuliert damit nicht, welchen Beweisantrag zu welchem (nach der Rechtsauffassung des LSG entscheidungserheblichen) Beweisthema sie gestellt haben will. Jedenfalls aber trägt sie nicht vor, dass sie an dem behaupteten Beweisantrag sowie auch auf die erfolgte Anhörung nach § 153 Abs 4 SGG erneut und ausdrücklich festgehalten oder ihn erstmals gestellt habe.

Auch soweit die Klägerin einwendet, das LSG sei auf ihren Vortrag zur faktischen Blindheit nicht eingegangen, und sie damit die Verletzung rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG , § 62 SGG ) rügen möchte, genügt ihr Vorbringen nicht den gesetzlichen Darlegungsanforderungen. Für die Darlegung einer Gehörsrüge müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich gemacht werden, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (stRspr; vgl zB BVerfG vom 22.11.1983 - 2 BvR 399/81 - BVerfGE 65, 293 , 295 f = SozR 1100 Art 103 Nr 5; BSG vom 15.4.2019 - B 13 R 233/17 B - juris RdNr 18). Im Rahmen dieser sogenannten Erwägensrüge gilt die tatsächliche Vermutung, dass ein Gericht das Vorbringen der Beteiligten und den Akteninhalt zur Kenntnis genommen und erwogen hat, zumal es nach Art 103 Abs 1 GG nicht verpflichtet ist, auf jeden Gesichtspunkt einzugehen, der im Laufe des Verfahrens von der einen oder anderen Seite zur Sprache gebracht worden ist (vgl BVerfG vom 8.7.1997 - 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96, 205 , 216 f). Die Klägerin führt selbst aus, ihre "faktische Blindheit" sei vom LSG nur "beiläufig erwähnt" und "als inhaltsleer angesehen" worden, ohne dass dies substantiiert begründet worden sei. Dass Vorbringen gänzlich übergangen oder nicht erwogen worden sei, zeigen diese Ausführungen gerade nicht auf. Letztlich liegt auch in diesem Vortrag keine Gehörs-, sondern eine Sachaufklärungsrüge, deren Vorliegen die Klägerin nicht substantiiert dargetan hat. Die Anforderungen an die Sachaufklärungsrüge dürfen nicht durch ein Ausweichen auf die Gehörsrüge umgangen werden (vgl BSG vom 14.4.2009 - B 5 R 206/08 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 18 RdNr 6; BSG vom 18.5.2016 - B 5 RS 10/16 B - juris RdNr ), weil anderenfalls die Beschränkungen des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG im Ergebnis ins Leere liefen.

2. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24).

Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. In ihr wird schon keine Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts 162 SGG ) mit höherrangigem Recht formuliert. Soweit die Klägerin ausführt, dass der "Begriff der Vergleichbarkeit der Mobilität" iS von § 8 Abs 3 KT-RL "zu klären ist", wird damit keine Rechtsfrage zur richtigen Auslegung dieser Norm formuliert. Die Klägerin wünscht lediglich eine Formulierung allgemeiner Maßstäbe zum Normenverständnis und folglich eine kommentar- oder lehrbuchartige Aufbereitung durch den Senat, was gerade nicht Gegenstand eines Revisionsverfahrens sein kann (vgl hierzu auch BSG vom 1.3.2018 - B 8 SO 104/17 B - juris RdNr 8).

Soweit sich hinter den Ausführungen der Klägerin die Frage verbirgt, ob auch eine faktische Blindheit die Voraussetzungen des § 8 Abs 3 KT-RL erfüllt, macht die Klägerin nur die fehlerhafte Anwendung der Norm in ihrem konkreten Einzelfall geltend. Die Behauptung, die Berufungsentscheidung sei inhaltlich unrichtig, kann aber nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl BSG vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7; BSG vom 26.1.2005 - B 12 KR 62/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 18). Im Übrigen fehlt es an der Darlegung der Klärungsfähigkeit einer Frage nach den Maßstäben des § 8 Abs 3 KT-RL. Nach den nicht mit wirksamen Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des LSG ist eine faktische Blindheit der Klägerin nicht erwiesen. Welche "rechtlichen Kriterien" im Sinne von § 8 Abs 3 KT-RL dann in ihrem konkreten Einzelfall zu einer anderen Entscheidung führen sollten, zeigt die Klägerin nicht auf (vgl zur Maßgeblichkeit der Feststellungen des LSG zur Vergleichbarkeit gem § 8 Abs 3 KT-RL BSG vom 13.12.2016 - B 1 KR 2/16 R - juris).

Soweit die Klägerin darüber hinaus geltend macht, grundsätzliche Bedeutung ergebe sich auch daraus, dass in ihrem Fall ein "Behandlungszwang in einer Universitätsklinik" bestehe, der einen Anspruch sui generis auf Übernahme der Fahrtkosten unabhängig von § 8 KT-RL begründe, setzt sie sich mit der Rechtsprechung des BSG zur abschließenden Regelung von Ansprüchen auf Krankentransporte in § 60 SGB V nicht auseinander (vgl nur BSG vom 13.12.2016 - B 1 KR 2/16 R; BSG vom 28.7.2008 - B 1 KR 27/07 R - SozR 4-2500 § 60 Nr 5 RdNr 14 ff; BSG vom 2.11.2007 - B 1 KR 4/07 R - SozR 4-2500 § 60 Nr 2 RdNr 12).

3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Niedersachsen-Bremen, vom 30.04.2020 - Vorinstanzaktenzeichen L 16 KR 272/19
Vorinstanz: SG Hildesheim, vom 27.05.2019 - Vorinstanzaktenzeichen S 52 KR 474/18