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BSG - Entscheidung vom 19.08.2020

B 13 R 157/19 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3

BSG, Beschluss vom 19.08.2020 - Aktenzeichen B 13 R 157/19 B

DRsp Nr. 2020/13700

Erledigung eines Rechtsstreits durch Berufungsrücknahme Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Tenor

Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 29. Mai 2019 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten zu gewähren, wird abgelehnt.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ;

Gründe

I

Mit Urteil vom 29.5.2019 hat das Sächsische LSG festgestellt, dass das vorangegangene Berufungsverfahren L 6 R 96/18 durch Berufungsrücknahme erledigt ist. Gegenstand dieses Rechtsstreits war die Überprüfung des Bescheids vom 18.3.1994 mit dem Ziel eines früheren Beginns der ihr darin zuerkannten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Hierüber hat das LSG am 6.3.2019 in der Besetzung mit einer Berufsrichterin und zwei ehrenamtlichen Richtern mündlich verhandelt. In dieser Verhandlung hat die Klägerin die Rücknahme ihrer Berufung gegen den ihre Klage abweisenden Gerichtsbescheid des SG erklärt. Auf ihren Widerruf der Rücknahmeerklärung hin hat das LSG den Rechtsstreit unter dem Az L 6 R 180/19 WA fortgesetzt und darüber durch das nunmehr angefochtene Urteil in der Besetzung nach § 155 Abs 3 und Abs 4 SGG (Berichterstatterin als konsentierte Einzelrichterin) entschieden.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil vom 29.5.2019 hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie beruft sich ausschließlich auf einen Verfahrensmangel (Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ). Sie hat zudem die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten beantragt.

II

1. Der Antrag der Klägerin auf Gewährung von PKH zur Durchführung des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des LSG vom 29.5.2019 ist abzulehnen.

Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 114 , 121 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG ua nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, weil die von der Klägerin eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG nicht erfolgreich sein kann. Die Klägerin hat PKH für eine von einem beim BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten bereits eingelegte und bis zum Ablauf der Begründungsfrist am 5.9.2019 schon begründete Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision beantragt. Die Revision wäre daher nur zuzulassen, wenn mit dieser Beschwerde einer der in § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG genannten Zulassungsgründe in der gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 SGG vorgeschriebenen Form dargelegt wäre. Solche Erfolgsaussicht besteht hier nicht, weil die Beschwerde unzulässig ist (dazu unten 2.).

Mit der Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von PKH entfällt zugleich die Möglichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH 73a Abs 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO ).

2. Die unabhängig vom Antrag auf Bewilligung von PKH eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist in entsprechender Anwendung von § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen. Die Klägerin hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

In der Beschwerdebegründung macht die Klägerin ausschließlich geltend, das angegriffene Urteil beruhe auf einem Verfahrensmangel (Revisionszulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ).

Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (vgl zB BSG Urteil vom 29.11.1955 - 1 RA 15/54 - BSGE 2, 81 - juris RdNr 4; BSG Beschluss vom 30.10.2018 - B 13 R 59/18 B - juris RdNr 7). Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Zugrunde zu legen ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des LSG ( BSG Urteil vom 28.5.1957 - 3 RJ 219/56 - SozR Nr 79 zu § 162 SGG ; BSG Beschluss vom 31.1.1979 - 11 BA 166/78 - SozR 1500 § 160 Nr 33; BSG Beschluss vom 16.11.2000 - B 4 RA 122/99 B - SozR 3-1500 § 160 Nr - juris RdNr ). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht (vgl zB BSG Beschluss vom 16.11.2000 - B 4 RA 122/99 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 33 - juris RdNr 16 mwN; BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 16 mwN).

Diese Voraussetzungen erfüllt die Beschwerdebegründung der Klägerin nicht. Ausdrücklich rügt sie nur eine Verletzung des § 129 SGG iVm einem Verstoß gegen das gemäß Art 101 Abs 1 Satz 2 GG gewährleistete Recht auf den gesetzlichen Richter. Nach § 129 SGG könne das Urteil nur von den Richtern gefällt werden, die an der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung teilgenommen haben. Dies sei hier nicht der Fall gewesen, weil an dem Urteil des Wiederaufnahmeverfahrens nur die in der mündlichen Verhandlung des Ausgangsverfahrens anwesende Berufsrichterin, nicht aber die damals ebenfalls anwesenden ehrenamtlichen Richter mitgewirkt hätten. Nach ihrer Auffassung sei dies erforderlich gewesen, weil es auch auf den seitens dieser Richter von ihr gewonnenen persönlichen Eindruck während des Wiederaufnahmeverfahrens angekommen sei. Die von ihr während des Wiederaufnahmeverfahrens erteilte Zustimmung zur Entscheidung durch den konsentierten Einzelrichter gemäß § 155 Abs 3 und 4 SGG könne die Entscheidung ohne die ehrenamtlichen Richter nicht rechtfertigen, da Beteiligte auf die vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts nicht wirksam verzichten könnten.

Der gerügte Verfahrensmangel - Entscheidung durch Richter, die an der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung nicht teilgenommen haben - wird damit nicht schlüssig bezeichnet. Gegenstand der Beschwerde ist allein die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG vom 29.5.2019. Die Beschwerdebegründung lässt jedoch nicht erkennen, dass dieses Urteil entgegen dem Grundsatz des § 124 Abs 1 SGG nicht aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, die nach der Regel des § 132 Abs 1 Satz 2 SGG der Verkündung unmittelbar vorausgegangen ist. Schon deshalb wird anhand der Beschwerdebegründung nicht erkennbar, ob das Urteil vom 29.5.2019 durch andere Richter gefällt wurde, als in der Verhandlung über den Fortsetzungsantrag der Klägerin anwesend waren.

Soweit die Klägerin geltend macht, "eine Übertragung der Angelegenheit auf den Einzelrichter" sei unzulässig gewesen und damit zumindest sinngemäß eine Verletzung von § 155 Abs 3 und 4 SGG rügt, wird auch dieser vermeintliche Mangel nicht anforderungsgerecht bezeichnet. Zu Konstellationen, in denen eine Entscheidung durch den Berichterstatter an Stelle des Senats trotz erteilter Zustimmung der Beteiligten ausnahmsweise rechtsfehlerhaft sein könnte, verweist die Klägerin auf das Urteil des BSG vom 29.1.2019 ( B 2 U 5/18 R - juris). Danach ist eine Entscheidung gemäß § 155 Abs 3 und 4 SGG auch dann unzulässig, wenn über eine Rechtssache zu befinden ist, die objektiv betrachtet besondere rechtliche Schwierigkeiten aufweist, weil eine Entscheidung in Abweichung von einer Entscheidung eines der in § 160 Abs 2 Nr 2 SGG genannten Gerichte getroffen wird (Divergenz) oder weil sie nach den zu § 160 Abs 2 Nr 1 SGG entwickelten Kriterien eine bislang höchstrichterlich noch nicht hinreichend geklärte, entscheidungserhebliche Rechtsfrage aufwirft und deshalb grundsätzliche Bedeutung hat ( BSG Urteil vom 29.1.2019 - B 2 U 5/18 R - juris RdNr 15). Dass das LSG bei seinem Urteil über den Fortsetzungsantrag der Klägerin von einem der angesprochenen Gerichte abgewichen sei oder über eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung entschieden habe, hat die Klägerin nicht dargelegt. Auch den mit der Einzelrichterentscheidung vermeintlich einhergehenden Verstoß gegen § 129 SGG hat die Klägerin - wie bereits ausgeführt - nicht schlüssig bezeichnet.

Ein Verfahrensmangel wird schließlich ebenfalls nicht anforderungsgerecht bezeichnet, wenn die Klägerin ausführt, dass es ihrer Auffassung nach auch auf den seitens der (ehrenamtlichen) Richter von ihr gewonnenen persönlichen Eindruck während des Wiederaufnahmeverfahrens angekommen sei. Da diese - der Beschwerdebegründung zufolge - mit Zustimmung der Klägerin an der Entscheidung über das Wiederaufnahmeverfahren nicht beteiligt waren, ist nicht erkennbar, aus welchen Rechtsgründen es auf deren Eindrücke während dieses Verfahrens ankommen könnte. Falls die Klägerin darauf abzielt, dass die Eindrücke der ehrenamtlichen Richter aus der mündlichen Verhandlung des Ausgangsverfahrens keinen Eingang in das Wiederaufnahmeverfahren gefunden hätten, kann dies entweder als nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG unzulässige Rüge eines Verstoßes gegen § 128 Abs 1 Satz 1 SGG oder aber als Rüge eines Verstoßes gegen § 103 SGG gedeutet werden. Ein solcher kann - wie oben bereits ausgeführt - jedoch nur darauf gestützt werden, dass das LSG einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Einen solchen Beweisantrag hat die Klägerin nicht benannt.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Sachsen, vom 29.05.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 6 R 180/19
Vorinstanz: SG Chemnitz, vom 31.01.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 19 R 498/15