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BSG - Entscheidung vom 29.04.2020

B 5 RE 18/19 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 2

BSG, Beschluss vom 29.04.2020 - Aktenzeichen B 5 RE 18/19 B

DRsp Nr. 2020/8316

Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für eine angestellte Rechtssekretärin Divergenzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 24. Oktober 2019 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 2 ;

Gründe

I

Die seit dem Jahr 2000 als Rechtsanwältin zugelassene Klägerin begehrt für ihre ab dem 5.4.2013 ausgeübte Beschäftigung als angestellte Rechtssekretärin bei der Gewerkschaft G. die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Ihren darauf gerichteten Antrag hat die Beklagte abgelehnt, weil die genannte Beschäftigung keine berufsspezifische anwaltliche Tätigkeit darstelle (Bescheid vom 27.5.2013, Widerspruchsbescheid vom 17.10.2013). Das SG hat die Klage unter Bezugnahme auf das Urteil des Senats vom 3.4.2014 (B 5 RE 13/14 R - BSGE 115, 267 = SozR 4-2600 § 6 Nr 12, RdNr 31) abgewiesen; eine anwaltliche Berufsausübung sei in der äußeren Form einer Beschäftigung nicht möglich (Urteil vom 11.11.2015). Während des Berufungsverfahrens erhielt die Klägerin im Juli 2016 auch eine Zulassung als Syndikusrechtsanwältin. Daraufhin befreite die Beklagte die Klägerin für ihre Tätigkeit als Syndikusrechtsanwältin bei der Gewerkschaft G. ab dem Zeitpunkt dieser Zulassung von der Rentenversicherungspflicht und erstreckte die Befreiung entsprechend dem Antrag der Klägerin rückwirkend auch auf den Zeitraum dieser Beschäftigung ab 1.4.2014. Das LSG hat die auf den Zeitraum vom 5.4.2013 bis 31.3.2014 beschränkte Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Sie habe in dem streitbefangenen Zeitraum keine befreiungsfähige Beschäftigung iS von § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI ausgeübt, da sie bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber beschäftigt gewesen sei. Die nach dem Urteil des BSG vom 15.12.2016 (B 5 RE 7/16 R - BSGE 122, 204 = SozR 4-2600 § 6 Nr 13, RdNr 42 f) in einem solchen Fall erforderliche Unabhängigkeit sei im Fall der Klägerin nach dem konkreten Inhalt des Arbeitsvertrags nicht festzustellen (Urteil vom 24.10.2019).

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt. Sie macht Rechtsprechungsabweichungen geltend 160 Abs 2 Nr 2 SGG ).

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig, weil sie nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG formgerecht begründet wurde. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn das angefochtene Urteil seiner Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz zugrunde legt, der von einem zu derselben Rechtsfrage entwickelten abstrakten Rechtssatz in einer Entscheidung des BSG , des GmSOGB oder des BVerfG abweicht. Darüber hinaus erfordert der Zulassungsgrund der Divergenz, dass die angefochtene Entscheidung auf dieser Abweichung beruht. Dass diese Voraussetzungen vorliegen, ist in der Beschwerdebegründung im Einzelnen darzulegen 160a Abs 2 Satz 3 SGG ). Hierzu sind die betreffenden Rechtssätze einander gegenüberzustellen; zudem ist näher zu begründen, weshalb diese nicht miteinander vereinbar sind und inwiefern die Entscheidung des LSG auf der Abweichung beruht (stRspr, vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 17; BSG Beschluss vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 21). Nicht ausreichend ist hingegen, wenn die fehlerhafte Anwendung eines als solchen nicht in Frage gestellten höchstrichterlichen Rechtssatzes durch das Berufungsgericht geltend gemacht wird (bloße Subsumtionsrüge), denn nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz (stRspr, zB BSG Beschluss vom 8.8.2019 - B 5 R 282/18 B - juris RdNr 16 mwN).

Diesen Anforderungen wird das Vorbringen der Klägerin nicht gerecht. Sie entnimmt dem letzten Absatz auf Seite 7 des angefochtenen Urteils den vom LSG unter Bezugnahme auf die Entscheidungen des Senats vom 3.4.2014 (zB B 5 RE 13/14 R - BSGE 115, 267 = SozR 4-2600 § 6 Nr 12) zugrunde gelegten Rechtssatz, dass die Erteilung einer Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI für die Beschäftigung eines zugelassenen Rechtsanwalts bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber generell nicht möglich sei. Dem stellt sie den Rechtssatz aus der neueren Entscheidung des Senats vom 15.12.2016 (B 5 RE 7/16 R - BSGE 122, 204 = SozR 4-2600 § 6 Nr 13, RdNr 21, 25) gegenüber, dass für Beschäftigungen bei einem konkreten nichtanwaltlichen Arbeitgeber geprüft werden müsse, ob die Erwerbstätigkeit ihrer äußeren Form nach dem Bereich der anwaltlichen Tätigkeit zugeordnet werden könne. Auch wenn damit zwei sich zumindest partiell widersprechende Rechtssätze bezeichnet sind, fehlt es doch an hinreichenden Darlegungen dazu, dass das Entscheidungsergebnis des LSG auf dieser Abweichung beruht. Die am Schluss der Beschwerdebegründung erhobene pauschale Behauptung eines Beruhens genügt nicht. Nähere Ausführungen hierzu wären schon deshalb geboten gewesen, weil das LSG, wie auch die Klägerin referiert, sich ausdrücklich mit den im Senatsurteil vom 15.12.2016 (B 5 RE 7/16 R - aaO RdNr 39, 42, 71) für vergleichbare Fälle aufgezeigten Prüfungsschritten befasst hat. Das Berufungsgericht hat damit seine Entscheidung auf einen weiteren Argumentationsstrang gestützt und dabei auch die in dem neueren BSG -Urteil enthaltenen Rechtssätze nachvollzogen. Das hätte jedenfalls Anlass sein müssen, zur Frage des Beruhens der Entscheidung auf der geltend gemachten Divergenz nähere Angaben zu machen (vgl dazu BSG Beschluss vom 15.5.2019 - B 6 KA 27/18 B - SozR 4-2500 § 299 Nr 1 RdNr 21).

Eine weitere Divergenz sieht die Klägerin darin begründet, dass das LSG ausgeführt hat, allein der am 5.4.2013 vereinbarte Zusatz zum Arbeitsvertrag, wonach die Klägerin in näher bezeichneten Bereichen selbstständig und unabhängig arbeite, erlaube nicht die Feststellung, dass die Tätigkeit als die eines unabhängigen Organs der Rechtspflege zu qualifizieren sei, da der Arbeitsvertrag vom 20.3.2009 die Verpflichtung der Klägerin enthalten habe, ihre ganze Arbeitskraft in den Dienst der Gewerkschaft G. zu stellen und die Anweisungen des Geschäftsführenden Vorstands der Gewerkschaft G. zu befolgen. Das LSG gehe damit von dem Rechtssatz aus, dass die zuletzt genannte allgemeine arbeitsvertragliche Verpflichtung "in jedem Fall" auch die juristische Tätigkeit des angestellten Rechtsanwalts erfasse und dem Arbeitgeber eine richtunggebende Einflussnahme auf den Inhalt der anwaltlichen Tätigkeit ermögliche. Das widerspreche jedoch Rechtssätzen, die in dem BSG -Urteil vom 15.12.2016 (B 5 RE 7/16 R) sowie im Beschluss des BVerfG vom 5.11.2001 ( 1 BvR 1523/00 - NJW 2002, 503 ) enthalten seien.

Auch insoweit hat die Klägerin eine Divergenz nicht ausreichend bezeichnet. Zum einen hat sie nicht aufgezeigt, inwiefern das LSG überhaupt einen fallübergreifenden Rechtssatz aufgestellt hat. Die Klägerin leitet den von ihr wiedergegebenen Rechtssatz nicht aus den in der angefochtenen Entscheidung formulierten Obersätzen, sondern aus der vom LSG vorgenommenen Rechtsanwendung im Einzelfall ab. Weshalb sich die abstrakte Aussage ("in jedem Fall") hieraus ergeben soll, begründet die Klägerin jedoch nicht. Zum anderen zeigt sie auch keinen Widerspruch zu einem Rechtssatz des BVerfG oder des BSG auf. Zu der Entscheidung des BVerfG führt sie lediglich aus, unter RdNr 17 dieses Beschlusses sei festgehalten, für die Annahme einer nichtanwaltlichen Tätigkeit müsse zu besorgen sein, dass die Weisungs- und Richtlinienkompetenz des Arbeitgebers in die ausgeübte juristische Tätigkeit hineinwirke. Die Klägerin erläutert jedoch nicht, inwiefern diese Aussage dem von ihr angeführten Rechtssatz aus der Entscheidung des LSG widerspricht. Das wäre jedoch erforderlich gewesen, zumal der genannte Rechtssatz aus der Entscheidung des BVerfG sich nicht ausdrücklich zu dem Aspekt der allgemeinen arbeitsvertraglichen Verpflichtung zur Befolgung von Anweisungen des Arbeitgebers verhält und offen lässt, wann eine Einflussnahme des Arbeitgebers auf die anwaltliche Tätigkeit zu besorgen ist.

Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang auch eine Divergenz gegenüber dem Senatsurteil vom 15.12.2016 geltend macht, trägt sie vor, dort sei in RdNr 42 der Rechtssatz aufgestellt, dass das allgemeine Weisungsrecht des Arbeitgebers "nicht ohne Weiteres" eine richtunggebende Einflussnahme auf den Inhalt der vom angestellten Rechtsanwalt zu erbringenden Dienstleistungen ermögliche sowie hiermit korrespondierend eine entsprechende Rechenschaftsverpflichtung begründe. Indes stellt sie nicht dar, woraus sich ergibt, dass den Ausführungen unter RdNr 42 des Urteils vom 15.12.2016 (B 5 RE 7/16 R - BSGE 122, 204 = SozR 4-2600 § 6 Nr 13) der genannte Rechtssatz zugrunde liegt. Vom "allgemeinen Weisungsrecht des Arbeitgebers" oder der "allgemeinen arbeitsvertraglichen Verpflichtung (…), die Anweisungen der Geschäftsführung oder dessen Beauftragten zu befolgen", ist dort nämlich nicht die Rede. Vielmehr hat der Senat an der genannten Stelle ausgeführt, dass die Einbindung eines Rechtsanwalts in die Organisation des Unternehmens, dessen Kunden er im Auftrag des Unternehmens berät und vertritt, von der Eingliederung eines Syndikusanwalts in die Arbeitsorganisation seines Arbeitgebers zu unterscheiden sei. Weil die Beratung und Vertretung von Rechtsuchenden durch einen bei einem Unternehmen angestellten oder von diesem beauftragten Rechtsanwalt aus Sicht der Rechtsuchenden dem Berufsbild des Rechtsanwalts entspreche, müsse in diesem Fall in einem weiteren Schritt geprüft werden, "ob der Rechtsanwalt entsprechend dem vermittelten Bild auch tatsächlich als unabhängiges Organ der Rechtspflege fungiert, was sich nach dem Inhalt des zwischen ihm und dem Unternehmen geschlossenen Vertrages entscheidet".

Eine Abweichung im Rechtsgrundsätzlichen von den Vorgaben in RdNr 42 des BSG -Urteils vom 15.12.2016 kann nicht allein unter Bezugnahme auf Ausführungen dargelegt werden, in denen das LSG nach konkreter Prüfung der arbeitsvertraglichen Regelungen unter Abwägung verschiedener Gesichtspunkte ("Zwar arbeitete die Klägerin <…> danach insofern selbständig und unabhängig <…>. Auch führte sie nach Maßgabe dessen als Rechtsanwältin für die Mitglieder der Gewerkschaft G. Prozessvertretungen in eigener, unabhängiger Alleinentscheidungskompetenz. Im Gegensatz dazu weist jedoch der Arbeitsvertrag <…>") zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die spezifische Tätigkeit der Klägerin als Rechtssekretärin bei der Gewerkschaft G. nicht als die eines unabhängigen Organs der Rechtspflege anzusehen ist. Ob das vom LSG gefundene Subsumtionsergebnis richtig oder überzeugend begründet ist, muss an dieser Stelle offenbleiben. Jedenfalls geht das Vorbringen der Klägerin zum Vorliegen einer Rechtsprechungsabweichung nicht über die Rüge einer fehlerhaften Rechtsanwendung im Einzelfall hinaus und vermag deshalb eine Revisionszulassung wegen Divergenz im Rechtsgrundsätzlichen nicht zu eröffnen.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG .

Vorinstanz: LSG Niedersachsen-Bremen, vom 24.10.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 1 R 592/15
Vorinstanz: SG Hannover, vom 11.11.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 14 R 1158/13