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BSG - Entscheidung vom 21.07.2020

B 13 R 57/19 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3

BSG, Beschluss vom 21.07.2020 - Aktenzeichen B 13 R 57/19 B

DRsp Nr. 2020/13230

Anspruch auf höhere Altersrente Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Januar 2019 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ;

Gründe

I

Mit Urteil vom 24.1.2019 hat das LSG Berlin-Brandenburg einen Anspruch des Klägers auf höhere Altersrente verneint.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie - sinngemäß - einen Verfahrensmangel durch die Verletzung des Grundsatzes des gesetzlichen Richters (Zulassungsgründe nach § 160 Abs 2 Nr 1 und 3 SGG ).

II

Die Beschwerde des Klägers ist als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn

die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder

die angefochtene Entscheidung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder

bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).

Dass der Kläger das Berufungsurteil inhaltlich für unrichtig hält, kann dagegen nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; BVerfG Beschluss vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN).

1. Die Beschwerdebegründung vom 30.3.2019 genügt nicht den Anforderungen aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG , soweit sich der Kläger auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache beruft.

Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist. Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (stRspr; zB BSG Beschluss vom 19.10.2011 - B 13 R 241/11 B - SozR 4-4200 § 25 Nr 1 RdNr 9 mwN; vgl auch BVerfG <Kammer> Beschluss vom 18.12.1991 - 1 BvR 1411/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 7; jüngst BSG Beschluss vom 29.6.2018 - B 13 R 9/16 B - juris RdNr 12).

Der Kläger misst den Fragen grundsätzliche Bedeutung zu,

"ob Gerichte der Bundesrepublik Deutschland in der Besetzung mit in der Bundesrepublik Deutschland sozialisierten Richtern unparteiisch Fragen aus dem Einigungsvertrag entscheiden können ohne das Recht der Beteiligten auf ein faires Verfahren zu verletzen oder ob bei der Besetzung der erkennenden Gerichte den Parteien ein Recht auf Auswahl der Richter mit Sozialisation in den Alten Bundesländern oder im Beitrittsgebiet nach Artikel 3 Einigungsvertrag eingeräumt werden muss und wie die Besetzung auszugestalten ist",

"ob das BerRehaG als lex specialis anzusehen ist und Ansprüche vor dem SGB VI gewährt oder ob der Wegfall von Ausbildungszeiten nach dem SGB VI auch zum Wegfall von Anspruchszeiten nach dem BerRehaG führt",

"ob das BerRehaG in Verbindung mit SGB VI eine angemessene Entschädigungsleistung im Sinne des Art. 17 Einigungsvertrages darstellt, insofern sie keine für den Lebensunterhalt ausreichende Rente von zur Zeit etwa 500 Euro netto bereit stellt" sowie

"ob die Auslegung des § 10 BerRehaG unabhängig von den Bestimmungen des SGB VI zur Erlangung der beruflichen Ausbildung absolvierte Hochschulausbildung sowohl vor als auch nach Beendigung der Verfolgungszeit rentenrechtlich rentensteigernd berücksichtigt werden müssen und ob darüber hinaus Ansprüche aus Artikel 17 Einigungsvertrag zu gewähren sind".

Zur Erläuterung führt der Kläger aus, er habe 1970 bis 1972 eine Hochschulausbildung in G. als Lehrer für Physik/Mathematik angefangen und durch eine anerkannte Verfolgungsmaßnahme nicht beenden können. Da die Verfolgungszeit mit dem Verlassen der DDR 1984 geendet habe, habe die Beklagte nachfolgende Zeiten der Hochschulausbildung in W. nicht mehr rentenrechtlich berücksichtigt. Dies habe er als Verstoß gegen Art 17 Einigungsvertrag (EinigVtr) iVm § 40 Rehabilitierungsgesetz der DDR vom 18.9.1990 gerügt. Aufgrund der von der Bundesrepublik erlassenen gesetzlichen Bestimmungen erhalte er ca 400 Euro von der gesetzlichen Rentenversicherung sowie ca 500 Euro aus der berufsständischen Ärzteversorgung, wovon er jedoch 400 Euro für Kranken- und Pflegeversicherung aufwenden müsse, sodass sich eine "Nettorente" von etwa 500 Euro ergebe. Dies verletze sowohl Art 3 Buchst e der Richtlinie 2000/43/EG als auch das Sozialstaatsprinzip aus Art 20 Abs 1 GG sowie das Diskriminierungsverbot des Art 3 GG .

Es kann dahinstehen, ob der Kläger damit eine oder mehrere hinreichend konkrete Rechtsfragen zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer bestimmten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG ) mit höherrangigem Recht aufgeworfen und in den folgenden Ausführungen den vom Revisionsgericht erwarteten klärenden Schritt ausreichend konkret dargelegt hat, oder ob er vielmehr im Kern insgesamt oder zum Teil Fragen zur Rechtsanwendung im Einzelfall gestellt hat. Jedenfalls hat er - die Qualität als Rechtsfrage jeweils unterstellt - die Klärungsbedürftigkeit bzw Klärungsfähigkeit dieser Fragen nicht den nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG diesbezüglich geltenden Anforderungen genügend dargelegt.

Die Klärungsfähigkeit der formulierten Fragen hat der Kläger schon wegen einer fehlenden Darstellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts nicht dargelegt. Selbst durch die Zusammenschau verschiedener Passagen der Beschwerdebegründung wird schon der Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits nicht konkret erkennbar. Insbesondere zeigt der Kläger nicht auf, wie der erkennende Senat des LSG personell tatsächlich besetzt gewesen ist und welche Tatsachen vom LSG im angegriffenen Urteil festgestellt worden sind. Nur letztere können aber einer Entscheidung des BSG in der angestrebten Revision zugrunde gelegt werden. Ohne die Angabe der vom LSG festgestellten Tatsachen sowie vorliegend auch zur Besetzung des LSG bei der angefochtenen Entscheidung ist der Senat jedoch nicht in der Lage, wie erforderlich, allein aufgrund der Beschwerdebegründung die Entscheidungserheblichkeit einer Rechtsfrage zu beurteilen (vgl nur Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 13e mwN). Es ist nicht Aufgabe des erkennenden Senats, sich den maßgeblichen Sachverhalt aus den Akten oder der angegriffenen Entscheidung herauszusuchen (vgl BSG Beschluss vom 31.5.2017 - B 5 R 358/16 B - juris RdNr 8 mwN; BSG Beschluss vom 8.8.2019 - B 13 R 289/18 B - juris RdNr 11).

Im Hinblick auf die Klärungsbedürftigkeit fehlt es in der Beschwerdebegründung bereits an einer schlüssigen Darstellung der einschlägigen Normen sowie einer Auseinandersetzung mit deren Wortlaut und hierzu ergangener höchstrichterlicher Rechtsprechung. Dadurch legt der Kläger - anders als nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG erforderlich - nicht dar, dass sich die Antwort auf die von ihm formulierten Fragen nicht bereits unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder die Fragen bereits höchstrichterlich geklärt sind. Als bereits höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17; BSG Beschluss vom 8.2.2017 - B 13 R 294/16 B - juris RdNr 4). So fehlt insbesondere eine Untersuchung der umfangreichen Rechtsprechung des BVerfG zu Art 101 Abs 1 Satz 2 GG und der darin formulierten Anforderungen an den gesetzlichen Richter auf mögliche Antworten bezüglich eines mit der ersten Frage angesprochenen "Rechts auf Auswahl der Richter". Ebenso wenig wird dargelegt, dass der Rechtsprechung des BSG (zB BSG Urteil vom 14.12.2011 - B 5 R 36/11 R - SozR 4-2600 § 248 Nr 1 RdNr 17 ff bzw 48 ff) keine ausreichenden Hinweise zu Ansprüchen auf die Bewertung von in der DDR zurückgelegten Zeiten nach dem FRG oder zum Zusammenspiel von SGB VI und BerRehaG zu entnehmen wären. Schließlich hätte sich der Kläger im Hinblick auf die dritte und vierte Frage auch mit dem Wortlaut des Art 17 EinigVtr befassen und erörtern müssen, inwiefern dieser geeignet ist, zu seinen Gunsten subjektive Rechte zu begründen.

Soweit der Kläger vermeintliche Verstöße gegen Verfassungs- und Europarecht geltend macht, fehlen der Beschwerdebegründung - anders als erforderlich - konkrete Ausführungen zur Dogmatik der vom Kläger in Bezug genommenen Grundgesetzartikel und der einschlägigen Rechtsprechung. Wird mit der Beschwerde ein Verfassungsverstoß geltend gemacht, darf sich die Beschwerdebegründung aber nicht auf die bloße Behauptung der Verfassungswidrigkeit beschränken, sondern muss unter Berücksichtigung und Auswertung der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG zu der oder den als verletzt erachteten Verfassungsnormen in substanzieller Argumentation darlegen, welche gesetzlichen Regelungen welche Auswirkungen haben und woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergibt ( BSG Beschluss vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; ferner zB BSG Beschluss vom 24.7.2018 - B 13 R 23/18 B - juris RdNr 8 mwN; BSG Beschluss vom 8.8.2019 - B 13 R 289/18 B - juris RdNr 9). Speziell in Bezug auf eine Verletzung des Gleichheitssatzes muss die Beschwerdebegründung unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG und des BVerfG darlegen, worin die für eine Gleich- bzw Ungleichbehandlung wesentlichen Sachverhaltsmerkmale bestehen sollen. Dabei muss sie sich insbesondere auch mit den Gründen für eine Differenzierung zwischen den Vergleichsgruppen auseinandersetzen ( BSG Beschluss vom 25.1.2017 - B 13 R 350/16 B - juris RdNr 8 mwN). Entsprechende Ausführungen fehlen in der Beschwerdebegründung fast vollständig. Soweit sich der Kläger zu Art 20 Abs 1 GG auf eine Kommentarstelle und ein älteres BSG -Urteil bezieht, entnimmt er diesen die Einordnung des Sozialstaatsprinzips als an den Gesetzgeber gerichteten Gestaltungsauftrag und Auslegungsregel. Offen bleibt hingegen, worin genau der Kläger einen dennoch durch ihn rügefähigen Verstoß gegen dieses Prinzip erblickt. Ebenso fehlen jegliche Ausführungen zur Dogmatik und einschlägigen Rechtsprechung zu Art 3 Buchst e der Richtlinie 2000/43/EG . Der Kläger legt schon nicht dar, wieso vorliegend deren Anwendungsbereich eröffnet sein könnte. Allein, dass der Kläger das Berufungsurteil inhaltlich für unrichtig hält, kann nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; BVerfG Beschluss vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN).

2. Soweit der Kläger jedenfalls sinngemäß einen Verfahrensmangel wegen fehlerhafter Besetzung des Berufungssenats geltend macht, genügt die Beschwerdebegründung ebenfalls nicht den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG .

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels 160a Abs 2 Satz 3 SGG ) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht.

Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger in seiner Beschwerdebegründung nicht, weil keine konkreten Tatsachen schlüssig vorgetragen werden, aus denen sich die vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts bei der Entscheidung über das angefochtene Urteil ergeben könnte (vgl zu diesen Anforderungen BSG Beschluss vom 12.10.2015 - B 11 AL 4/15 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 12.4.2017 - B 13 R 289/16 B - SozR 4-1750 § 547 Nr 3 RdNr 7). Sollte der Kläger mit seinem Vortrag zur Sozialisation von Richtern in den alten Bundesländern bzw der DDR auf eine Befangenheit der Richter des LSG zielen, führt dies auch nicht zur Zulässigkeit der Beschwerde, denn eine solche Befangenheit kann mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nicht mehr geltend gemacht werden (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 16g mwN).

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

4. Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Berlin-Brandenburg, vom 24.01.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 33 R 257/18
Vorinstanz: SG Berlin, vom 21.03.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 97 R 1992/17