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BSG - Entscheidung vom 21.10.2020

B 3 KR 49/19 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3
GG Art. 103 Abs. 1
SGG § 62
SGG § 160a Abs. 2 S. 3

BSG, Beschluss vom 21.10.2020 - Aktenzeichen B 3 KR 49/19 B

DRsp Nr. 2020/18505

Anspruch auf Krankengeld Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29. August 2019 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ; GG Art. 103 Abs. 1 ; SGG § 62 ; SGG § 160a Abs. 2 S. 3;

Gründe

I

Der Kläger begehrt höheres Krankengeld (Krg) für die Zeit vom 1.3.2014 bis 7.5.2015 infolge seiner am 18.10.2013 eingetretenen Arbeitsunfähigkeit (AU). Er ist bei der beklagten Krankenkasse aufgrund einer selbstständigen Tätigkeit ab dem 22. Tag der AU freiwillig versichert mit Anspruch auf Krg. Bei Eintritt der AU lag der nicht beanstandeten Beitragsberechnung der Steuerbescheid des Klägers für das Jahr 2010 zugrunde. Basierend auf dem hierdurch ausgewiesenen monatlichen Arbeitseinkommen von 913,75 Euro setzte die Beklagte unter Berücksichtigung der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage die Beitragspflicht des Klägers fest. Ausgehend hiervon gewährte die Beklagte Krg iHv 70 % des Regelentgelts (kalendertäglich 21,32 Euro), welches Grundlage für die Beitragsbemessung vor Eintritt der AU war. Ein höheres Krg ausgehend von dem der Beklagten im Februar 2014 übersandten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2011 (Jahreseinkommen von 36 849 Euro) lehnte sie ab.

Das SG hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger höheres Krg ab 1.3.2014 auf der Grundlage des ihr im Februar 2014 überreichten Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2011 zu gewähren. Das weitergehende Begehren bezogen auf ein früheres höheres Krg hat das SG abgelehnt. Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die zugrundeliegende Klage insgesamt abgewiesen: Der Kläger habe auch unter Berücksichtigung des Steuerbescheids für das Jahr 2011 keinen Anspruch auf höheres Krg. Das Krg des freiwillig versicherten Klägers bemesse sich (unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG vom 6.11.2008 - B 1 KR 28/07 B - juris) nach dem Arbeitseinkommen aus dem Jahre 2010, weil dies nach § 47 Abs 4 Satz 2 SGB V die Grundlage für die zuletzt vor Eintritt der AU maßgebliche Beitragsbemessungsgrundlage gewesen sei (Urteil vom 29.8.2019 ).

Gegen die Nichtzulassung der Revision durch das LSG im vorgenannten Urteil hat der Kläger Beschwerde eingelegt und beruft sich auf Verfahrensmängel 160 Abs 2 Nr 3 SGG ).

II

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision ist als unzulässig zu verwerfen 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 SGG ), weil der Kläger in der Begründung seiner Beschwerde den vorliegend allein geltend gemachten Zulassungsgrund von Verfahrensmängeln 160 Abs 2 Nr 3 SGG )nicht schlüssig bezeichnet hat 160a Abs 2 Satz 3 SGG ).

1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliegt, müssen die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 16 mwN). Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Der Kläger rügt Mängel des Berufungsverfahrens, und zwar a) eine Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens und eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG , § 62 SGG ) durch einen Verstoß gegen § 128 Abs 2 SGG (unter b) und eine Überraschungsentscheidung (unter c). Das LSG habe ihn über eine gerichtliche Anfrage an die Beklagte vom 22.8.2019, mit der um Übersendung der AU-Bescheinigungen und Krg-Bescheide für den streitigen Zeitraum gebeten worden war, nicht aufgeklärt und ihm in der mündlichen Verhandlung die diesbezüglich übersandten Unterlagen lediglich übergeben, ohne auf die Bedeutung der eingeholten Informationen im Hinblick auf die Ermittlung der Anspruchshöhe hinzuweisen. Damit legt der Kläger die gerügte Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht - unabhängig davon, ob die in der Sitzung überreichten Unterlagen rechtlich Einfluss auf die Entscheidung hatten - hinreichend substantiiert dar.

a) Um den Anspruch auf rechtliches Gehör und damit zugleich das Gebot fairen Verfahrens zu wahren, darf das Gericht seine Entscheidung nicht auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützen, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (vgl BVerfG Beschluss vom 29.5.1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188 , 190). Derartige Gesichtspunkte trägt der Kläger nicht vor. Maßgebender Anknüpfungspunkt des LSG für die Bewertung der Rechtslage war die Kopplung der Höhe des Krg an die Beitragsfestsetzung. Dies entspricht der langjährigen, umfangreichen Rechtsprechung des BSG (vgl beispielhaft BSG Urteil vom 6.11.2008 - B 1 KR 28/07 R - SozR 4-2500 § 47 Nr 10), auf die im Urteil des LSG Bezug genommen wird. Für hauptberuflich selbstständig Versicherte gilt nach § 47 Abs 4 Satz 2 SGB V als Regelentgelt der kalendertägliche Betrag, der zuletzt vor Beginn der AU für die Beitragsbemessung aus Arbeitseinkommen maßgebend war. Nur wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass das Einkommen nicht der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation des Versicherten vor Eintritt der AU entspricht, ist das konkrete Arbeitseinkommen zu ermitteln (vgl BSG Urteil vom 14.12.2006 - B 1 KR 11/06 R - BSGE 98, 43 , 47 = SozR 4-2500 § 47 Nr 7, RdNr 9 mwN). Dies führt grundsätzlich dazu, dass für die Berechnung des Krg die Einkünfte zugrunde zu legen sind, die nach dem Inhalt des letzten erlassenen Einkommensteuerbescheides tatsächlich erzielt wurden (vgl BSG Urteil vom 6.11.2008 aaO RdNr 12 ff). Liegt der Beitragsbemessung ein vom Finanzamt erlassener Einkommensteuerbescheid zugrunde, ist die konkrete Höhe des Arbeitseinkommens grundsätzlich diesem Bescheid zu entnehmen(aaO RdNr 16). Genau zu dieser Frage ist eine Erklärung des Prozessbevollmächtigten des Beklagten in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll genommen worden, wonach die Krankenversicherungsbeiträge des Klägers jedenfalls bis Mai 2015 auf der Grundlage des Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2010 berechnet worden waren. Dies ist die entscheidungserhebliche Tatsache. Die vom Gericht erst in der mündlichen Verhandlung überreichten Unterlagen waren für die zu entscheidende Rechtsfrage daher nicht erkennbar maßgebend, sondern einzig die erfolgte Beitragsberechnung auf der Basis des Einkommensteuerbescheides aus dem Jahre 2010. Aus diesem Grund kann die Entscheidung nicht auf dem gerügten Verstoß beruhen.

Der Kläger verkennt auch, dass ein Hinweis des Gerichts nicht deshalb erforderlich gewesen wäre, weil zuvor in einem Erörterungstermin der Anschein vermittelt worden wäre, dem Begehren des Klägers nachzukommen. Denn es gibt keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichtet, vor einer Entscheidung die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern (stRspr, BSG Beschluss vom 9.2.2011 - B 11 AL 71/10 B - RdNr 6 mwN; BVerfG 86, 133, 145). Die Pflicht zur Gehörsgewährung bedeutet nur, dass den Beteiligten die vom Gericht eingeholten Tatsachen und Beweisergebnisse bekannt sein müssen; nicht aber muss das Gericht ihnen auch mitteilen, welche Schlussfolgerungen es aus den Tatsachen oder Beweisergebnissen zieht bzw ziehen wird ( BSG Beschluss vom 17.7.2007 - B 6 KA 14/07 B - juris = BeckRS 2007, 46399 RdNr 7 mwN).

b) Auch mit dem Vortrag eines etwaig verhinderten Vorbringens legt der Kläger schon deswegen keinen Verfahrensmangel ausreichend dar, weil er nicht vorträgt, was er ohne die vermeintliche Gehörsverletzung noch zur Sache hätte ausführen wollen und wie sich dadurch die vom LSG verkündete Urteilsformel zu seinen Gunsten verändern hätte können(vgl hierzu allgemein Keller in Meyer-Ladewig ua, aaO, § 62 RdNr 11a ff mwN). Soweit der Kläger geltend machen will, er habe keine ausreichende Gelegenheit gehabt, zu den in der mündlichen Verhandlung überreichten Unterlagen - die AU-Bescheinigungen und Krg-Bescheide dürften ihm ohnehin bekannt gewesen sein - Stellung zu nehmen, so gilt Folgendes: Nach der Rechtsprechung des BSG wird ein Verfahrensmangel einer Verletzung des rechtlichen Gehörs nur dann hinreichend bezeichnet iS von § 160 Abs 2 Nr 3 iVm § 160a Abs 2 Satz 3 SGG , wenn angegeben wird, welches Vorbringen verhindert worden ist und inwiefern die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann(vgl grundlegend BSG Beschluss vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § Nr 36). Hieran fehlt es. Es hätte dem anwaltlich vertretenen Kläger insoweit oblegen, einen Vertagungsantrag 202 Satz 1 SGG iVm § 227 Abs 1 ZPO ) zu stellen. Dies hätte nahegelegen, wenn er eine Beeinträchtigung seines Rechts, sich zu Tatsachen und Beweisergebnissen äußern zu können 128 Abs 2 SGG ), gesehen hätte. Der Kläger hat aber weder vorgetragen, einen solchen Antrag gestellt zu haben, noch dass das LSG ihn bzw seinen Prozessbevollmächtigten an der Wahrnehmung prozessualer Rechte gehindert hätte. Hierzu hätte es Ausführungen bedurft, denn mit einer Gehörsrüge ist darzulegen, dass vom Rügenden selbst alle zumutbaren Möglichkeiten genutzt worden seien, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen(vgl dazu nur Leitherer in Meyer-Ladewig ua, aaO, § 160a RdNr 16d).

c) Der Kläger hat auch einen Verstoß gegen seinen Anspruch auf rechtliches Gehör 62 SGG , Art 103 Abs 1 GG ) im Hinblick auf eine Überraschungsentscheidung nicht hinreichend aufgezeigt. Wenn er vorträgt, das LSG habe überraschend durch die Annahme einer Dauer-Krg-Bewilligung entschieden, so wendet sich der Kläger letztlich - unabhängig davon, dass das LSG gestützt auf die Rechtsprechung des BSG zur abschnittsweisen Krg-Bewilligung und zur hiervon getrennten Krg-Berechnung entschieden hat - mit diesem Vorbringen gegen die inhaltliche Richtigkeit des Berufungsurteils. Dass ein Beteiligter das angegriffene Urteil für inhaltlich falsch hält, kann indes nicht zur Revisionszulassung führen (stRspr; vgl etwa BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; BSG Beschluss vom 21.4.2020 - B 13 R 44/19 B - juris RdNr 8; BVerfG Beschluss vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN). Eine Verfahrensrüge wegen unterbliebener Sachverhaltsermittlung103 SGG ) zur Berücksichtigung eines Vorbringens des Klägers bezüglich der Festsetzung der Beitragshöhe (s § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG ), ist nicht erhoben worden, sodass der Senat ohnehin von einem bindenden Sachverhalt auszugehen hat (vgl § 163 SGG ).

2. Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt in entsprechender Anwendung des § 169 Satz 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Nordrhein-Westfalen, vom 29.08.2019 - Vorinstanzaktenzeichen L 5 KR 12/18
Vorinstanz: SG Dortmund, vom 17.11.2017 - Vorinstanzaktenzeichen S 8 KR 974/15