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BSG - Entscheidung vom 02.07.2020

B 3 KR 42/19 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1

BSG, Beschluss vom 02.07.2020 - Aktenzeichen B 3 KR 42/19 B

DRsp Nr. 2020/12286

Anspruch auf Krankengeld Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren Hypothetische Rechtsfragen im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 6. August 2019 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe

I

Der als Arbeitspädagoge beschäftigte Kläger ist mit seinem Begehren, von der beklagten Krankenkasse (KK) über den 31.8.2015 hinaus Krankengeld (Krg) zu erhalten, bei der Beklagten und in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Nachdem die Beklagte zunächst die Zahlung von Krg aufgrund von nach Aktenlage erstellten Stellungnahmen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) zum 11.5.2015 eingestellt hatte, holte sie im Widerspruchsverfahren eine weitere, nun auf persönlicher Untersuchung des Klägers beruhende MDK-Stellungnahme ein. Aufgrund der darin bestätigten Arbeitsunfähigkeit (AU) bis Ende August 2015 gewährte die Beklagte Krg bis einschließlich 31.8.2015.

Das SG hat die auf darüber hinausgehende Krg-Zahlungen (bis 8.9.2016) gerichtete Klage gestützt auf ein im Gerichtsverfahren eingeholtes Gutachten abgewiesen. Das LSG hat - im Wesentlichen auf die Entscheidungsgründe des SG -Urteils nach § 153 Abs 2 SGG verweisend - die Berufung aus gleichem Grund zurückgewiesen: Die Beklagte habe zutreffend lediglich bis 31.8.2015 AU bejaht. Der abweichenden Beurteilung des behandelnden Arztes könne auch unter Berücksichtigung eines beigezogenen Gutachtens aus einem Schwerbehindertenverfahren nicht gefolgt werden. Für von den behandelnden Ärzten zugrunde gelegte höhergradige schmerzhafte Beeinträchtigungen habe der gerichtlich bestellte Sachverständige einen hinreichenden objektiven Untersuchungsbefund nicht erheben können (Beschluss vom 6.8.2019).

Mit der Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im vorgenannten Beschluss. Er beruft sich auf das Vorliegen aller Zulassungsgründe nach § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG .

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist trotz des umfänglichen Vorbringens unzulässig, weil der Kläger keinen der in § 160 Abs 2 SGG aufgeführten Zulassungsgründe den gesetzlichen Anforderungen entsprechend dargetan hat . Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, Abs 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat 160 Abs 2 Nr 1 SGG ),

das Urteil von einer Entscheidung des BSG , des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder

ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).

Vorstehendes gilt auch für Beschlüsse des LSG nach § 153 Abs 4 Satz 1 SGG oder § 158 Satz 2 SGG (vgl § 153 Abs 4 Satz 3, § 158 Satz 3 SGG ).

Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargelegt. Eine allgemeine Überprüfung der Richtigkeit der Entscheidung des LSG erfolgt im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht (stRspr, vgl zB BSG Beschluss vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § Nr 7). Dieses verkennt der Kläger.

1. Der Kläger legt die Voraussetzungen für die geltend gemachte Abweichung des LSG vom Urteil des BSG vom 16.12.2014 - B 1 KR 25/14 R - nicht dar.

Eine Divergenz 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz ua des BSG aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruht 160 Abs 2 Nr 2 SGG ). Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet dies: Die Beschwerdebegründung muss erkennen lassen, welcher abstrakte Rechtssatz in der in Bezug genommenen höchstrichterlichen Entscheidung enthalten ist und welcher in der Entscheidung des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht. Ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das BSG die oberstgerichtliche Rechtsprechung im Revisionsverfahren seiner Entscheidung zugrunde zu legen haben wird (stRspr, vgl zum Ganzen zB BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 17).

Dem entspricht die Beschwerdebegründung nicht, weil darin Rechtssätze des LSG, mit denen es "eigene" rechtliche Maßstäbe entwickelt hat, schon nicht bezeichnet werden. Das LSG ist unter Bezugnahme auf das Urteil des SG und den dortigen Ermittlungen beweiswürdigend zu einer Zurückweisung der Berufung gelangt, ohne zweifelsfrei explizit oder (zumindest) sinngemäß selbst einen eigenen abstrakten Rechtssatz aufzustellen oder sich einen solchen Rechtssatz des SG zu eigen zu machen. Insofern ist das Vorbringen des Klägers im Hinblick auf die Darlegung einer Divergenz teilweise nur schwer verständlich, zum Teil sogar auf offensichtlich gar nicht divergenzfähige Rechtsprechung eines anderen LSG gestützt. Nach dem Vorbringen des Klägers ist bereits nicht erkennbar, an welcher konkreten Stelle der Entscheidungsgründe des SG -Urteils oder der Gründe des LSG-Beschlusses der in der Beschwerdebegründung formulierte abstrakte Rechtssatz aufgestellt worden sein sollte, "dass für die Feststellung durch den MDK, dass eine Arbeitsunfähigkeit nicht oder nicht mehr vorliegt, es keiner persönlichen Untersuchung des Versicherten bedürfe".

Gleichermaßen liegt es fern, dem Urteil des BSG vom 16.12.2014 - B 1 KR 25/14 R - zu entnehmen, darin sei der Rechtssatz aufgestellt worden, die Grundsätze des notwendigen Arzt-Patienten-Kontaktes für die Feststellung der AU seien auf die - im vorliegenden Beschwerdeverfahren maßgebend angegriffene - Überprüfung der AU durch den MDK nach § 275 SGB V zu übertragen: Dieses Urteil zitiert diese Norm überhaupt nicht. Ebenso ist nicht erkennbar, dass das LSG - unterstellt diese Annahme wäre zutreffend - im Grundsätzlichen und "bewusst" andere Obersätze anwendend davon abgewichen wäre (und nicht nur "einfach" rechtsfehlerhaft und daher nicht mit einer Nichtzulassungsbeschwerde anfechtbar).

2. An der hinreichenden Darlegung der grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG fehlt es ebenfalls.

Diese Bedeutung ist nur dann zu bejahen, wenn die Beschwerde eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzeigen, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine solche Klärung erwarten lässt (vgl zB BVerfG Beschluss vom 18.12.1991 - 1 BvR 1411/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 7; BSG Beschluss vom 13.12.2005 - B 4 RA 220/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 11).

Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (vgl BSG zB Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Es werden sowohl bei Frage 1.,

"Ist eine Äußerung des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung als gutachterliche Stellungnahme nach § 275 SGB V anzusehen, wenn sie ohne Beiziehung aktueller medizinischer Unterlagen und ohne persönliche Untersuchung erfolgt?", als auch bei Frage 2.,

"Kann eine solche Äußerung Auswirkung auf die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit eines Versicherten durch den Vertragsarzt haben, wenn die Äußerung des MDK ohne persönliche Untersuchung des Versicherten vorgenommen wurde und die beigezogenen medizinischen Unterlagen älter als eine Woche sind?",

keine entscheidungserheblichen abstrakt-generellen Rechtsfragen zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkret revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG ) mit höherrangigem Recht aufgezeigt. Es liegt fern, dass hier - wie es auf Seite 16 der Beschwerdebegründung heißt - "vom Landessozialgericht aufgeworfene Rechtsfragen" im Raum stehen. Der Kläger legt vielmehr schon nicht dar, dass das LSG - selbst oder Bezug nehmend auf das SG - allgemein geltende entscheidungserhebliche Ausführungen zu den Voraussetzungen, den Anforderungen, die Art und Weise und der Bindungswirkung gutachterlicher Stellungnahmen des MDK gemacht und dass es sich für seinen Entscheidungsausspruch maßgebend darauf gestützt habe. Hypothetische Rechtsfragen sind im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht zu klären.

Selbst wenn man aber annehmen wollte, dies sei hier von rechtlicher Relevanz, fehlt in Bezug auf die Klärungsbedürftigkeit der Fragen im konkreten Rechtsstreit des Klägers eine hinreichend substantiierte Auseinandersetzung mit den gesetzlichen Vorgaben und der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 46 SGB V einerseits und zu § 275 SGB V andererseits, um darzulegen, dass insoweit noch Klärungsbedarf bestehe. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage nämlich nicht (mehr), wenn über sie schon höchstrichterlich entschieden worden ist oder wenn sie durch Auslegung des Gesetzes zweifelsfrei beantwortet werden kann . Gleiches gilt, wenn zur Auslegung vergleichbarer Regelungen schon höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte dafür bieten, wie die konkret aufgeworfene Frage zu beantworten ist (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 12. Aufl 2017, § 160 RdNr 7, 8 mwN). Insoweit drängt es sich hier auf, die ständige Rechtsprechung des BSG in den Blick zu nehmen, dass im Streitfall sowohl der ärztlichen Feststellung der AU als auch der Stellungnahme des MDK lediglich die Bedeutung einer gutachtlichen Stellungnahme zukommt, ohne dass KKn und Gerichte an den Inhalt der ärztlichen Bescheinigung gebunden sind, sondern nach den Umständen und eigenen Ermittlungen ggf zu anderen Ergebnissen kommen können ( stRspr, vgl zB BSG Urteil vom 10.5.2012 - B 1 KR 20/11 R - BSGE 111, 18 = SozR 4-2500 § 46 Nr 4, RdNr 14 mwN; BSG Urteil vom 16.12.2014 - B 1 KR 37/14 R - BSGE 118, 52 = SozR 4-2500 § 192 Nr 7, RdNr 16). Der Kläger berücksichtigt diese Rechtsprechung nicht hinreichend und legt auch nicht dar, dass erneuter Klärungsbedarf entstanden sei. Ob der Kläger bei alledem die Klärungsfähigkeit aufgezeigt hat, kann offenbleiben.

3. Schließlich bezeichnet der Kläger auch keine entscheidungserheblichen Verfahrensfehler.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels 160a Abs 2 Satz 3 SGG ) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings ua nicht auf eine Verletzung von § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (= Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) gestützt werden.

a) Der Kläger greift mit seiner Rüge, es liege ein "Mangel der fehlerhaften Beweiswürdigung" und mit seinem Vorbringen, die Berufungsentscheidung sei nur deshalb zu seinen Ungunsten ausgefallen, weil das LSG den vorliegenden Beweismitteln nicht die richtige Wertigkeit zugemessen habe, lediglich die vermeintliche Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung und die richterliche Beweiswürdigung an. Er verkennt damit, dass nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 iVm § 128 Abs 1 Satz 1 SGG eine Beschwerde hierauf von vornherein nicht gestützt werden kann.

b) Die Nichtzulassungsbeschwerde kann auch nicht mit Erfolg auf den Verfahrensfehler eines fehlenden Vorverfahrens gestützt werden. Der maßgebende, auf das Krg-Begehren hin ergangene, vom Kläger angegriffene Verwaltungsakt lag zunächst in der Entscheidung der Beklagten, der Anspruch des Klägers auf Krg ende mit Ablauf des 11.5.2015 (Bescheid vom 7.5.2015). Auf den Widerspruch des Klägers hin folgte der Teilabhilfebescheid vom 28.1.2016 (vgl § 86 SGG ), mit dem die Beklagte Krg bis zum 31.8.2015 gewährte. Den aufrechterhaltenen, auf darüber hinausgehende Zahlung gerichteten Widerspruch gegen beide genannten Bescheide wies die Beklagte sodann mit Widerspruchsbescheid vom 3.5.2016 zurück. Dass es bei alledem gleichwohl an einem Vorverfahren für das Klagebegehren fehlen sollte, welches dann die Verfahrensfehlerhaftigkeit des LSG-Beschlusses bewirken könnte, ist nicht hinreichend plausibel dargetan.

4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 Abs 1 SGG .

Vorinstanz: LSG Rheinland-Pfalz, vom 06.08.2019 - Vorinstanzaktenzeichen L 5 KR 2/19
Vorinstanz: SG Koblenz, vom 07.08.2018 - Vorinstanzaktenzeichen S 8 KR 556/16