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BSG - Entscheidung vom 08.04.2020

B 13 R 337/18 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1
ZPO §§ 66 ff.
ZPO §§ 72 ff.

BSG, Beschluss vom 08.04.2020 - Aktenzeichen B 13 R 337/18 B

DRsp Nr. 2020/6502

Anspruch auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Im sozialgerichtlichen Verfahren gibt es keine speziellen Prozessrechtsinstitute, die - wie im Zivilprozess die Nebenintervention (§§ 66 ff. ZPO ) oder die Streitverkündung (§§ 72 ff. ZPO ) - eine über die Rechtskraftwirkung eines Urteils hinausgehende Bindung der Beteiligten zur Folge haben.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. September 2018 (L 13 R 869/16) wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ; ZPO §§ 66 ff.; ZPO §§ 72 ff.;

Gründe

I

Mit Urteil vom 26.9.2018 hat das Bayerische LSG einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente verneint.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung, die ihr am 13.11.2018 zugestellt worden ist, hat die Klägerin am 10.12.2018 Beschwerde zum BSG eingelegt, die sie mit Schriftsatz vom 11.2.2019, der hier am Folgetag eingegangen ist, begründet hat.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig.

Die Beschwerdebegründung vom 11.2.2019 genügt nicht der gesetzlichen Form. Die Klägerin hat darin den allein geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise dargelegt.

Wird mit der Nichtzulassungsbeschwerde die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG geltend gemacht, muss der Beschwerdeführer in der Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten ist (Klärungsfähigkeit). In der Beschwerdebegründung ist deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und der Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (stRspr; zB BSG Beschluss vom 19.10.2011 - B 13 R 241/11 B - SozR 4-4200 § 25 Nr 1 RdNr 9 mwN; jüngst BSG Beschluss vom 8.8.2019 - B 13 R 289/18 B - juris RdNr 9; vgl auch BVerfG <Kammer> Beschluss vom 18.12.1991 - 1 BvR 1411/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 7 RdNr 8; ferner Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 12. Aufl 2017, § 160a RdNr 14 ff mwN).

Hinsichtlich der Fragen,

"ob und inwieweit die Vorschriften nach §§ 66 bis 74 ZPO (Nebenintervention und Streitverkündung) in einem sozialgerichtlichen Verfahren anwendbar sind" und

"ob zumindest die Voraussetzungen einer Beiladung gegeben sind"

verfehlt die Beschwerdebegründung vom 11.2.2019 die Darlegungsanforderungen schon deshalb, weil die Klägerin darin den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht genügend darstellt. Die Fragen, denen die Klägerin grundsätzliche Bedeutung beimisst, betreffen offensichtlich die Beteiligung Dritter am sozialgerichtlichen Verfahren. Ihre Angaben dazu beschränken sich auf die Widergabe der Entscheidungsgründe des LSG, wonach die gesetzlichen Voraussetzungen für die beantragte Drittbeteiligung des Sozialverbandes VdK als früherem Prozessbevollmächtigten zur Vorbereitung eines möglichen Haftungsanspruchs nicht vorliegen würden; die §§ 66 bis 74 ZPO im sozialgerichtlichen Verfahren nicht anwendbar seien und die Voraussetzungen einer notwendigen Beiladung nach § 75 Abs 2 SGG offensichtlich nicht vorliegen würden. Damit zeigt die Klägerin nicht auf, aufgrund welchen Lebenssachverhalts sie eine Beteiligung des früheren Bevollmächtigten am Prozess für geboten hält und welche (Prozess-)Tatsachen das LSG dazu im angegriffenen Urteil festgestellt hat. Nur letztere können aber einer Entscheidung des BSG in der angestrebten Revision zugrunde gelegt werden. Ohne die Angabe der vom LSG festgestellten Tatsachen ist der Senat nicht in der Lage, wie erforderlich allein aufgrund der Beschwerdebegründung die Entscheidungserheblichkeit einer Rechtsfrage zu beurteilen (vgl nur Leitherer in Meyer- Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 12. Aufl 2017, § 160a RdNr 13e mwN). Es ist auch nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, sich den maßgeblichen Sachverhalt aus den Akten oder der angegriffenen Entscheidung herauszusuchen ( BSG Beschluss vom 31.5.2017 - B 5 R 358/16 B - juris RdNr 8 mwN; BSG Beschluss vom 26.1.2018 - B 13 R 309/14 B - juris RdNr 3 f).

Der zweiten Frage, ob die Voraussetzungen einer Beiladung gegeben seien, lässt sich aufgrund der allein auf den vorliegenden Einzelfall bezogenen Formulierung zudem keine hinreichend bestimmte Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit von § 75 SGG oder einer anderen konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG ) mit höherrangigem Recht entnehmen. Die Bezeichnung einer aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (vgl Becker, SGb 2007, 261 , 265; Krasney/Udsching/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 181).

Unabhängig davon wird in der Beschwerdebegründung die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen - hinsichtlich der zweiten Frage allenfalls angedeuteten - Fragen nicht in der gebotenen Weise dargelegt. In der Rechtsprechung des BSG ist geklärt, dass es im sozialgerichtlichen Verfahren keine speziellen Prozessrechtsinstitute gibt, die wie im Zivilprozess die Nebenintervention (§§ 66 ff ZPO ) oder die Streitverkündung (§§ 72 ff ZPO ) eine über die Rechtskraftwirkung eines Urteils hinausgehende Bindung der Beteiligten bewirken (vgl BSG Urteil vom 24.11.2011 - B 14 AS 15/11 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 53 RdNr 21 mwN; BSG Urteil vom 2.7.2013 - B 1 KR 18/12 R - BSGE 114, 36 = SozR 4-2500 § 130a Nr 9, RdNr 19). Weiterhin ist geklärt, dass sich mittels Beiladung eine funktional gleichwertige Bindungswirkung erreichen lässt (vgl BSG Urteil vom 8.8.1975 - 6 RKA 9/74 - BSGE 40, 130 , 132 = SozR 1750 § 41 Nr 1 S 2 f; BSG Urteil vom 3.7.2012 - B 1 KR 6/11 R - BSGE 111, 137 = SozR 4-2500 § 13 Nr 25, RdNr 20 mwN) und wann eine Beiladung notwendig iS von § 75 Abs 2 Alt 1 SGG ist (vgl zB BSG Urteil vom 9.10.2007 - B 5b/8 Kn 2/06 R - BSGE 99, 122 = SozR 4-2600 § 201 Nr 1, RdNr 11 mwN; BSG Urteil vom 16.12.2014 - B 1 KR 31/13 R - BSGE 118, 40 = SozR 4-2500 § 51 Nr 3, RdNr 13 mwN; BSG Urteil vom 20.5.2014 - B 1 KR 5/14 R - BSGE 120, 289 = SozR 4-2500 § 268 Nr 1, RdNr 23 mwN). Zumindest eine BSG -Entscheidung befasst sich ausführlich mit der notwendigen Beiladung von Dritten, die als Haftungsschuldner eines Hauptbeteiligten in Betracht kommen ( BSG Urteil vom 2.7.2013 - B 1 KR 18/12 R - BSGE 114, 36 = SozR 4-2500 § 130a Nr 9, RdNr 15 ff). Der Klägerin hätte daher die Darlegung oblegen, dass und aus welchen Gründen die bereits ergangene Rechtsprechung die von ihr in den Raum gestellten Fragen nicht ausreichend beantwortet. Ausführungen zur Rechtsprechung des BSG fehlen in der Beschwerdebegründung aber vollständig.

Soweit die Klägerin in der Beschwerdebegründung darüber hinaus die Frage formuliert, ob

"eine Beweiserleichterung für einen zurückliegenden Zeitraum (dh für einen Zeitraum vor dem 31.12.2013) anzunehmen ist, sofern - wie hier - zur Überzeugung des Gerichts feststeht…, dass Ende 2013 die Leistungsfähigkeit der Klägerin qualitativ hinsichtlich der Art noch möglichen Tätigkeit gemindert war"; bzw

"welche Maßstäbe und Anforderungen an die Beweislast der Klägerin hinsichtlich des Nachweises einer in der Vergangenheit eingetretenen Leistungsminderung ua bei einer psychischen Erkrankung zu stellen sind",

bleibt - wiederum aufgrund der einzelfallbezogenen Formulierung - unklar, zu welcher konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG ) sich welche abstrakt-generelle Auslegungsfrage aus ihrer Sicht stellt. Wie ausgeführt, ist die Bezeichnung einer aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage jedoch nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG erforderlich.

Indem die Klägerin in diesem Zusammenhang die Beweislastverteilung als unzutreffend bezeichnet, von der das LSG nach der Darstellung in der Beschwerdebegründung bei Prüfung der klägerseits geltend gemachten Erwerbsminderung ausgegangen ist, wendet sie sich gegen dessen Beweiswürdigung. Damit macht sie letztlich einen Verfahrensmangel geltend, ohne diesen allerdings als solchen zu bezeichnen, wie es nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG erforderlich wäre. Im Übrigen kann eine Verfahrensrüge nicht auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG gestützt werden 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG ). Indem die Klägerin sinngemäß vorbringt, mit der nach ihrer Auffassung zu gewährenden Beweiserleichterung sei ein Leistungsfall spätestens am 31.12.2013 - als die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der begehrten Rente vorlagen - anzunehmen, wendet sie sich gegen die inhaltliche Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Auch hierauf kann die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nicht gestützt werden (stRspr; zB BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; jüngst BSG Beschluss vom 2.9.2019 - B 13 R 354/18 B - juris RdNr 9).

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen, da diese nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Bayern, vom 26.09.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 13 R 869/16
Vorinstanz: SG München, vom 01.12.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 4 R 661/14