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BGH - Entscheidung vom 09.03.2020

AnwZ (Brfg) 10/18

Normen:
BRAO § 27 Abs. 3
BRAO § 112c Abs. 1 S. 1
VwGO § 43 Abs. 2 S. 1

BGH, Urteil vom 09.03.2020 - Aktenzeichen AnwZ (Brfg) 10/18

DRsp Nr. 2020/6053

Widerruf der Zulassung eines als europäischer Rechtsanwalt aufgenommenen und zugelassenen deutschen Rechtsanwalts zur Rechtsanwaltschaft; Statthaftigkeit des Antrags auf Feststellung der Nichtigkeit des Beschlusses

Die Aufnahme in die Rechtsanwaltskammer, in deren Bezirk der Rechtsanwalt seine Kanzlei verlegt hat, beinhaltet grundsätzlich nicht zugleich die Erteilung einer erneuten Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, sondern steht unter dem Vorbehalt des Fortbestandes der zuvor erfolgten Zulassung.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des I. Senats des Anwaltsgerichtshofs Berlin vom 18. Mai 2017 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Der Gegenstandswert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.

Normenkette:

BRAO § 27 Abs. 3 ; BRAO § 112c Abs. 1 S. 1; VwGO § 43 Abs. 2 S. 1;

Tatbestand

Der 1967 geborene und später zur Rechtsanwaltschaft zugelassene Kläger wurde von der Beklagten am 9. August 2006 als europäischer Rechtsanwalt aufgenommen und am 8. August 2007 als deutscher Rechtsanwalt zugelassen (vgl. Senatsbeschluss vom 3. Dezember 2008 - AnwZ (B) 64/06 u.a., juris Rn. 2). Mit - auf dem Beschluss der Beklagten vom 13. Oktober 2010 beruhenden Bescheid vom 20. Oktober 2010 widerrief die Beklagte die Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls. Hiergegen hat der Kläger beim Verwaltungsgericht B. Klage erhoben. Das Verwaltungsgericht hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 31. März 2011 gemäß § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG an den Anwaltsgerichtshof B. verwiesen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht B. mit Beschluss vom 11. August 2011 gemäß § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG zurückgewiesen.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 22. August 2011 mitgeteilt, der Kläger sei am 3. August 2011 in die Rechtsanwaltskammer M. , die Beigeladene, aufgenommen worden. Die Beigeladene hat mit Schreiben vom 27. Februar 2017 mitgeteilt, der Kläger sei zur Rechtsanwaltschaft zugelassen und ihr Mitglied.

In dem Verfahren vor dem Anwaltsgerichtshof hat der Kläger beantragt festzustellen, dass der Beschluss der Beklagten vom 13. Oktober 2010 gegen Art. 101 Abs.1 AEUV verstößt und gemäß Art. 101 Abs. 2 AEUV nichtig ist (Antrag zu 1). Er hat hilfsweise beantragt, diesen Beschluss aufzuheben (Hilfsantrag zu 1). Der Kläger hat des Weiteren beantragt festzustellen, dass die Beklagte eine Unternehmensvereinigung im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV ist (Antrag zu 2 bzw. Antrag "F 1") und Art. 101 AEUV i.V.m. Art. 4 Abs. 3 EUV dahin auszulegen ist, dass die Pflicht jedes Mitgliedstaates zur effektiven wettbewerbsrechtlichen Überwachung der nationalstaatlichen Rechtsanwaltskammern darin besteht, dass die Berufsausübenden die Möglichkeit haben müssen, gegen wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen der Rechtsanwaltskammern die "ordentlichen Gerichte, d.h. eine Gerichtsbarkeit außerhalb des Berufsstandes" anzurufen (Antrag zu 3 bzw. Antrag "F 2").

Der Anwaltsgerichtshof hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Er hat ausgeführt, der Antrag zu 1 sei nicht statthaft. Die Feststellungsklage habe subsidiären Charakter. Vorliegend habe die Anfechtungsklage gegen den Widerrufsbescheid der Beklagten Vorrang. Der Hilfsantrag zu 1, der als Anfechtung des Widerrufsbescheids auszulegen sei, sei mittlerweile ebenfalls unzulässig, da insofern ein Rechtsschutzbedürfnis des Klägers nicht mehr gegeben sei. Es sei davon auszugehen, dass die Beigeladene den Kläger mit Aufnahme als ihr Mitglied auch erneut als Rechtsanwalt zugelassen habe. Zwar sei grundsätzlich davon auszugehen, dass die Aufnahme gemäß § 27 Abs. 3 Satz 2 BRAO nicht zugleich die Erteilung einer erneuten Rechtsanwaltszulassung bedeute, sondern unter dem Vorbehalt des Fortbestands der zuvor erfolgten Zulassung stehe. Die Beigeladene habe den Kläger jedoch trotz des Widerrufsbescheids der Beklagten und trotz des vor dem Anwaltsgerichtshof anhängigen Parallelverfahrens - I AGH 22/05 -, in welchem die Beklagte die Aufnahme des Klägers in die Rechtsanwaltskammer B. wegen fehlender Berufshaftpflichtversicherung widerrufen gehabt habe, als Mitglied aufgenommen. Sie habe Auskunft dahingehend erteilt, der Kläger sei zur Rechtsanwaltschaft zugelassen und ihr Mitglied. Der Widerrufsbescheid der Beklagten vom 20. Oktober 2010 habe sich damit in der Hauptsache erledigt.

Der (Haupt-)Antrag zu 1 bleibe auch bei Erledigung der Anfechtung des Widerrufsbescheids unzulässig. Ein für eine Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO erforderliches berechtigtes Interesse liege nicht vor. Eine Wiederholungsgefahr bestehe nicht. Es sei auch kein Schaden ersichtlich, der im Wege eines Amtshaftungs- oder Entschädigungsprozesses in Betracht komme.

Die Anträge zu 2 und 3 seien nicht statthaft, da weder die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses noch die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werde.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner vom Senat wegen eines Verfahrensfehlers zugelassenen Berufung. Er beantragt festzustellen, dass

1.

die Verweisung der Verwaltungskartellsache an den Anwaltsgerichtshof B. in Anwendung des Unionsrechts, insbesondere Art. 101 AEUV i.V.m. Art. 47 Abs. 1 GRC unwirksam ist;

2.

die Verwaltungskartellsache weiterhin beim Verwaltungsgericht B. rechtshängig ist.

Für den Fall, dass die Anträge zu 1 und 2 ohne Erfolg bleiben, stellt der Kläger den Antrag,

unter Aufhebung der berufsinternen Entscheidung I AGH 18/11 festzustellen, dass der Beschluss der beklagten Unternehmensvereinigung vom 13. Oktober 2010, Gz.: , gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV verstößt und gemäß Art. 101 Abs. 2 AEUV nichtig ist.

Hilfsweise, falls dem vorstehenden Antrag nicht stattgegeben wird, erklärt er die Anfechtung des Beschlusses der beklagten Unternehmensvereinigung vom 13. Oktober 2010, Gz. , und beantragt, diesen Beschluss gemäß Art. 49 AEUV aufzuheben.

Höchsthilfsweise, falls den vorstehenden Anträgen nicht stattgegeben wird, beantragt er,

in der Rechtsmittelinstanz unter Beachtung des Grundsatzes des Verschlechterungsverbots (reformatio in peius) zu entscheiden.

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung hat keinen Erfolg.

1. Die Berufungsanträge zu 1 und 2 sind unzulässig. Mit diesen Anträgen wendet sich der Kläger gegen die mit rechtskräftigem Beschluss des Verwaltungsgerichts B. vom 31. März 2011 erfolgte Verweisung des Rechtsstreits an den Anwaltsgerichtshof.

a) Eine - erneute - Überprüfung des vorgenannten Verweisungsbeschlusses ist dem Senat gemäß § 17a Abs. 5 GVG verwehrt. Danach prüft das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, nicht, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist. Eine Hauptsacheentscheidung in diesem Sinne ist auch die - vorliegend erfolgte - Abweisung der Klage als unzulässig wegen Fehlens einer anderen Prozessvoraussetzung (vgl. BGH, Beschluss vom 23. September 1992 - I ZB 3/92, BGHZ 119, 246 , 249 f.; BSG , NVwZ-RR 2004, 463 , 464; Zöller/Lückemann, ZPO , 32. Aufl., § 17a GVG Rn. 18).

Der Senat hat im Übrigen keinen Zweifel daran, dass es sich bei dem Anwaltsgerichtshof B. um ein Gericht im Sinne von § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG handelt (vgl. BVerfG, NJW 2006, 3049 , 3050 mwN; Senat, Beschluss vom 7. Oktober 2003 - AnwZ (B) 38/02, juris Rn. 4, 10; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 21. November 2006 - 1 O 156/06, juris Rn. 2 ff.).

b) Darüber hinaus besteht im Hinblick auf die Berufungsanträge zu 1 und 2 kein Rechtsschutzbedürfnis. Denn die Klage ist, wie der Anwaltsgerichtshof zutreffend erkannt hat, - unabhängig von der Rechtswegfrage und der Zuständigkeit des Anwaltsgerichtshofs - unzulässig. Auch wenn der Rechtsweg zum Anwaltsgerichtshof nicht gegeben, der Verwaltungsrechtsweg eröffnet und dies - wie nicht - durch den Senat überprüfbar wäre, könnte der Kläger sein ursprünglich verfolgtes Ziel, die Feststellung der Nichtigkeit beziehungsweise die Anfechtung des Widerrufsbescheides der Beklagten vom 20. Oktober 2010, nicht mehr erreichen (siehe nachfolgend zu 2; vgl. zu einer ähnlichen Fallkonstellation OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 21. November 2006, aaO Rn. 9).

2. Die mit der Berufung weiterverfolgten Anträge des Klägers festzustellen, dass der Beschluss der Beklagten vom 13. Oktober 2010 gegen Art. 101 Abs.1 AEUV verstößt und gemäß Art. 101 Abs. 2 AEUV nichtig ist, hilfsweise den vorgenannten Beschluss aufzuheben, sind ebenfalls unzulässig.

a) Dabei kann offen bleiben, ob der auf Feststellung der Nichtigkeit des Beschlusses der Beklagten vom 13. Oktober 2010 gerichtete Antrag bereits gemäß § 112c Abs. Satz 1 BRAO i.V.m. § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO unstatthaft ist, weil der Kläger seine Rechte durch eine Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO ) verfolgen kann. Denn jedenfalls hat der Kläger kein berechtigtes Interesse mehr an der begehrten Feststellung (§ 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO i.V.m. § 43 Abs. 1 VwGO ). Nach den - von der Berufung nicht angegriffenen - Feststellungen des Anwaltsgerichtshofs hat die Beigeladene den Kläger erneut zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Damit entfalten der Widerrufsbescheid vom 20. Oktober 2010 und der ihm zugrunde liegende Beschluss der Beklagten vom 13. Oktober 2010 keine Wirkung mehr. Sie sind infolge einer Änderung der Sachund Rechtslage

im Sinne von § 32 Abs. 1 Satz 1 BRAO i.V.m. § 43 Abs. 2 VwVfG erledigt und mithin nicht mehr wirksam.

Der Anwaltsgerichtshof ist zutreffend davon ausgegangen, dass die gemäß § 27 Abs. 3 BRAO erfolgende Aufnahme in die Rechtsanwaltskammer, in deren Bezirk der Rechtsanwalt seine Kanzlei verlegt hat, grundsätzlich nicht zugleich die Erteilung einer erneuten Zulassung zur Rechtsanwaltschaft beinhaltet, sondern unter dem Vorbehalt des Fortbestandes der zuvor erfolgten Zulassung steht (Seite 7 der Gründe unter Hinweis auf AGH Celle, Urteil vom 8. April 2013 - AGH 21/12, juris Rn. 79). Er hat jedoch in Anbetracht der besonderen Umstände des vorliegenden Falls angenommen, dass der Kläger mit der Aufnahme in die beigeladene Rechtsanwaltskammer am 3. August 2011 von letzterer zugleich auch erneut zur Rechtsanwaltschaft zugelassen wurde.

Der Senat sieht keinen Anlass, von dieser nachvollziehbaren, von der Berufung nicht angegriffenen Würdigung abzuweichen. Auf die Anfrage des Anwaltsgerichtshofs vom 10. Februar 2017, ob der Kläger Mitglied der Beigeladenen sei, hat diese mit Schreiben vom 27. Februar 2017 die ihr gestellte Frage nicht nur bejaht, sondern darüber hinaus mitgeteilt, der Kläger sei zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Sie hat erstinstanzlich nicht weiter vorgetragen und in beiden Instanzen keine Anträge gestellt. Der Feststellung des Anwaltsgerichtshofs, es sei davon auszugehen, dass der Kläger mit der Aufnahme in die beigeladene Rechtsanwaltskammer zugleich erneut zur Rechtsanwaltschaft zugelassen worden sei, ist sie auch im Berufungsverfahren nicht entgegengetreten.

Wurde der Kläger aber erneut zur Rechtsanwaltschaft zugelassen, entfalten der Widerrufsbescheid der Beklagten vom 20. Oktober 2010 und der ihm zugrunde liegende Beschluss vom 13. Oktober 2010 keine Wirkung mehr. Der Kläger hat kein berechtigtes Interesse an der Feststellung ihrer Nichtigkeit.

Er kann auch kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse im Sinne von § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO i.V.m. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO geltend machen. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen (Seite 8 der Gründe).

b) Der auf Aufhebung des Beschlusses der Beklagten vom 13. Oktober 2010 gerichtete, als Anfechtungsantrag (§ 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO i.V.m. § 42 Abs. 1 VwGO ) auszulegende Hilfsantrag ist ebenfalls unzulässig. Ein Rechtsschutzbedürfnis des Klägers in Bezug auf diesen Antrag ist nicht mehr gegeben. Denn der Kläger wurde zwischenzeitlich erneut zur Rechtsanwaltschaft zugelassen mit der Folge, dass der Widerrufsbescheid vom 20. Oktober 2010 und der ihm zugrunde liegende Beschluss der Beklagten vom 13. Oktober 2010 keine Wirkung mehr entfalten. Insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen Bezug genommen. Dies gilt auch im Hinblick auf das fehlende Fortsetzungsfeststellungsinteresse des Klägers im Sinne von § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO i.V.m. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO .

3. Dem Antrag des Klägers, das Verfahren im Hinblick auf das Schreiben des Bundeskartellamtes vom 20. Dezember 2018 und die dort angesprochene Beteiligung der Europäischen Kommission auszusetzen oder die Verhandlung zu vertagen, war nicht stattzugeben. Das vorgenannte Schreiben, dessen Erhalt der Kläger bestreitet, ist nicht entscheidungserheblich. Es könnte allein für die kartellrechtlichen Rügen des Klägers von Bedeutung sein, d.h. für die Rüge der Zuständigkeit des Anwaltsgerichtshofs durch den Kläger und für die Rüge eines Verstoßes der Beklagten gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV . Die Überprüfung der Zuständigkeit des Anwaltsgerichtshofs ist dem Senat indes - wie ausgeführt (siehe vorstehend zu 1a) - verwehrt. Soweit der Kläger einen Verstoß der Beklagten gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV rügt, sind die entsprechenden Anträge bereits unzulässig (siehe vorstehend zu 2). Mithin hat der Senat in keinem Fall in der Sache über die vorgenannten, vom Kläger geltend gemachten Verstöße gegen das Kartellrecht zu entscheiden.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO , § 154 Abs. 2 VwGO , die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 2 Satz 2 BRAO . Dabei hat der Senat dem Umstand Rechnung getragen, dass der angefochtene Widerrufsbescheid erledigt ist und durch den Rechtsstreit die gegenwärtige Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft nicht berührt wird.

Verkündet am: 9. März 2020

Vorinstanz: AnwGH Berlin, vom 18.05.2017 - Vorinstanzaktenzeichen I AGH 18/11