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BGH - Entscheidung vom 09.03.2020

AnwZ (B) 1/18

Normen:
BRAO § 14 Abs. 2 Nr. 9
BRAO a.F. § 207 Abs. 2

BGH, Beschluss vom 09.03.2020 - Aktenzeichen AnwZ (B) 1/18

DRsp Nr. 2020/6081

Widerruf der Aufnahme eines europäischen Rechtsanwalts in die Rechtsanwaltskammer wegen fehlender Berufshaftpflichtversicherung

Die Aufnahme eines europäischen Rechtsanwalts in die Rechtsanwaltskammer ist zu widerrufen, wenn dieser nicht nachweisen kann, eine Berufshaftpflichtversicherung abgeschlossen zu haben.

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des I. Senats des Anwaltsgerichtshofs Berlin vom 21. August 2017 wird als unzulässig verworfen, soweit der Antragsteller die Feststellung beantragt, dass die Verweisung der Verwaltungskartellsache an den Anwaltsgerichtshof B. unwirksam ist, die Verwaltungskartellsache weiterhin beim Verwaltungsgericht B. rechtshängig ist, der Beschluss der Antragsgegnerin vom 29. April 2004 nichtig ist.

Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des I. Senats des Anwaltsgerichtshofs Berlin vom 21. August 2017 zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen und der Antragsgegnerin die ihr im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.

Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.

Normenkette:

BRAO § 14 Abs. 2 Nr. 9 ; BRAO a.F. § 207 Abs. 2 ;

Gründe

I.

Der Antragsteller war von der Antragsgegnerin gemäß § 206 BRAO in die Rechtsanwaltskammer B. aufgenommen worden. Die Antragsgegnerin widerrief mit - auf einem Beschluss vom selben Tage beruhenden - Bescheid vom 29. April 2004 die Aufnahme des Antragstellers in die Rechtsanwaltskammer B. wegen fehlender Berufshaftpflichtversicherung gemäß §§ 206 , 207 Abs. 2 BRAO i.V.m. § 14 Abs. 2 Nr. 9 BRAO und ordnete die sofortige Vollziehung an. Der Antragsteller hat sich mit einem ursprünglich an das Verwaltungsgericht B. gerichteten Antrag gegen den vorgenannten Bescheid gewandt. Mit Beschluss vom 23. August 2005 hat das Verwaltungsgericht B. den Rechtsstreit an den Anwaltsgerichtshof verwiesen. Die hiergegen eingelegte Beschwerde hat das Oberverwaltungsgericht B. mit Beschluss vom 10. November 2005 zurückgewiesen.

Mit Schriftsatz vom 26. Oktober 2006 hat die Antragsgegnerin mitgeteilt, der Antragsteller sei erneut als Attorney at Law und Solicitor gemäß dem Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland ( EuRAG ) in die Rechtsanwaltskammer B. aufgenommen worden, so dass sich das Verfahren insgesamt erledigt habe. Der Antragsteller ist dieser Mitteilung der Antragsgegnerin nicht entgegengetreten. Er hat sich jedoch ihrer Auffassung zur Erledigung des Verfahrens nicht angeschlossen, sondern mit Schriftsätzen vom 25. Januar 2007 und 12. Juli 2007 die von ihm gestellten Anträge aufrechterhalten.

Der Anwaltsgerichtshof hat die Anträge des Antragstellers als unzulässigverworfen.

Hiergegen hat der Antragsteller sofortige Beschwerde eingelegt. Er beantragt festzustellen, dass

1.

die Verweisung der Verwaltungskartellsache an den Anwaltsgerichtshof B. in Anwendung des Unionsrechts, insbesondere Art. 101 AEUV i.V.m. Art. 47 Abs. 1 GRC unwirksam ist;

2.

die Verwaltungskartellsache weiterhin beim Verwaltungsgericht B. rechtshängig ist.

Für den Fall, dass die Anträge zu 1 und 2 ohne Erfolg bleiben, stellt der Antragsteller den Antrag festzustellen,

der Beschluss der Rechtsanwaltskammer B. gegen Herrn Attorney at Law C. R. vom 29. April 2004, Az. , zugestellt am 18. August 2004, verstößt gegen Art. 101 AEUV und ist nichtig.

Hilfsweise, falls dem vorstehenden Antrag nicht stattgegeben wird, beantragt er,

den Bescheid der beklagten Unternehmensvereinigung vom 29. April 2004, Gz. , gemäß Art. 49 AEUV aufzuheben.

II.

Die Beschwerdeanträge zu 1 und 2 sind unzulässig. Mit diesen Anträgen wendet sich der Kläger gegen die mit rechtskräftigem Beschluss des Verwaltungsgerichts B. vom 23. August 2005 erfolgte Verweisung des Rechtsstreits an den Anwaltsgerichtshof.

a) Eine - erneute - Überprüfung des vorgenannten Verweisungsbeschlusses ist dem Senat gemäß § 17a Abs. 5 GVG verwehrt. Danach prüft das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, nicht, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist. Eine Hauptsacheentscheidung in diesem Sinne ist auch die - vorliegend erfolgte - Verwerfung der Anträge als unzulässig wegen Fehlens einer anderen Prozessvoraussetzung (vgl. BGH, Beschluss vom 23. September 1992 - I ZB 3/92, BGHZ 119, 246 , 249 f.; BSG , NVwZ-RR 2004, 463 , 464; Zöller/Lückemann, ZPO , 32. Aufl., § 17a GVG Rn. 18).

Der Senat hat im Übrigen keinen Zweifel daran, dass es sich bei dem Anwaltsgerichtshof B. um ein Gericht im Sinne von § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG handelt (vgl. BVerfG, NJW 2006, 3049 , 3050 mwN; Senat, Beschluss vom 7. Oktober 2003 - AnwZ (B) 38/02, juris Rn. 4, 10; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 21. November 2006 - 1 O 156/06, juris Rn. 2 ff.).

b) Darüber hinaus besteht im Hinblick auf die Beschwerdeanträge zu 1 und 2 kein Rechtsschutzbedürfnis. Denn die weiteren Beschwerdeanträge sind, wie der Anwaltsgerichtshof zutreffend erkannt hat, - unabhängig von der Rechtswegfrage und der Zuständigkeit des Anwaltsgerichtshofs - unzulässig. Auch wenn der Rechtsweg zum Anwaltsgerichtshof nicht gegeben, der Verwaltungsrechtsweg eröffnet und dies - wie nicht - durch den Senat überprüfbar wäre, könnte der Kläger sein ursprünglich verfolgtes Ziel, die Feststellung der Nichtigkeit beziehungsweise die Anfechtung des Widerrufsbescheides der Beklagten vom 29. April 2004, nicht mehr erreichen.

III.

Die sofortige Beschwerde ist nicht statthaft, soweit der Antragsteller mit ihr die Feststellung der Nichtigkeit des Beschlusses der Antragsgegnerin vom 29. April 2004 beantragt.

1. Maßgeblich für die Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde ist entsprechend § 215 Abs. 3 BRAO a.F. vorliegend § 42 Abs. 1 BRAO in der bis zum 31. August 2009 geltenden Fassung. Zwar wurden die Übergangsregelungen in § 215 BRAO mit Wirkung vom 18. Mai 2017 aufgehoben. Grund hierfür war die Vorstellung des Gesetzgebers, die betroffenen, vor dem 1. September 2009 anhängigen Verfahren seien zwischenzeitlich erledigt (vgl. Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Berufsanerkennungsrichtlinie und zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe, BT-Drucks. 18/9521, S. 139). Dies trifft indes, wie das vorliegende Verfahren zeigt, nicht zu. Die durch die Aufhebung von § 215 BRAO im Hinblick auf die noch anhängigen Altverfahren entstandene planwidrige Regelungslücke des Gesetzes ist durch eine entsprechende Anwendung von § 215 Abs. 3 BRAO a.F. zu schließen. Es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber, wäre ihm bekannt gewesen, dass noch Altverfahren anhängig sind, § 215 BRAO nicht aufgehoben hätte (zu den Voraussetzungen einer analogen Gesetzesanwendung vgl. BGH, Urteil vom 16. Juli 2003 - VIII ZR 274/02, BGHZ 155, 380 , 389 f. mwN). Mithin sind vorliegend die bis zum 31. August 2009 geltenden Vorschriften der Bundesrechtsanwaltsordnung weiter anzuwenden.

2. Nach § 215 Abs. 3 BRAO a.F. i.V.m. § 42 Abs. 1 BRAO a.F. ist die sofortige Beschwerde gegen die Zurückweisung eines Antrags auf gerichtliche Entscheidung nur statthaft, wenn die Entscheidung die Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft oder den Widerruf einer solchen Zulassung zum Gegenstand hat. Die sofortige Beschwerde gegen die einen Feststellungsantrag zurückweisenden Entscheidungen der Anwaltsgerichtshöfe ist dagegen nicht vorgesehen. Für sie ist nach der Rechtsprechung des Senats zu dem bis zum 31. August 2009 geltenden Verfahrensrecht jedenfalls dann kein Raum, wenn - wie hier im Falle des Hilfsantrages des Antragstellers - dem Rechtsschutzbedürfnis des Betroffenen schon dadurch genügt wird, dass ihm die sofortige Beschwerde im Rahmen der in der Bundesrechtsanwaltsordnung vorgesehenen Anfechtungsbeschwerde offen steht (Senat, Beschluss vom 3. Dezember 2008 - AnwZ (B) 64/06 u.a., juris Rn. 8 mwN).

3. Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist in Bezug auf die Zulässigkeit des von ihm gestellten Nichtigkeitsfeststellungsantrages eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft gemäß § 267 Abs. 3 AEUV mangels Entscheidungserheblichkeit nicht veranlasst. Denn selbst wenn das Gemeinschaftsrecht die Zulässigkeit einer Nichtigkeitsfeststellungsklage gebieten würde, wäre diese vorliegend jedenfalls unbegründet. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des Anwaltsgerichtshofs Bezug genommen (Seite 14 f. der Gründe).

Insbesondere ist der Beschluss der Antragsgegnerin vom 29. April 2004 nicht wettbewerbswidrig im Sinne von Art. 101 Abs. 1 und 2 AEUV (= Art. 81 Abs. 1 und 2 EGV a.F.). Zwar kann eine Rechtsanwaltskammer unter Umständen als Unternehmensvereinigung i.S.v. Art. 101 Abs. 1 AEUV anzusehen sein (Senat, Beschluss vom 7. Oktober 2003 - AnwZ (B) 38/02, juris Rn. 9 unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 19. Februar 2002 - C-309/99 - Wouters, NJW 2002, 877 Rn. 64; AGH Naumburg, Beschluss vom 19. Mai 2006 - 1 AGH 1/06, juris Rn. 35 ff.; vgl. auch BVerfG, NJW 2006, 3049 , 3050; Lauda in Gaier/Wolf/ Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl., § 62 BRAO Rn. 20; Kilian, WRP 2002, 802 , 803 f.). Art. 101 AEUV gilt indes nur für wettbewerbswidrige Verhaltensweisen, die die Unternehmen aus eigener Initiative an den Tag legen (EUGH, Urteil vom 11. November 1997, C-359/95 - Ladbroke Racing, juris Rn. 33; EuG, Urteil vom 28. Juni 2016 - T-216/13 - Vivo Brasilien, juris Rn. 114 mwN; AGH Naumburg, Beschluss vom 19. Mai 2006, aaO Rn. 38 [zu Art. 81 EGV]). Wird den Unternehmen ein (wettbewerbswidriges) Verhalten durch nationale Rechtsvorschriften vorgeschrieben, so ist Art. 101 AEUV nicht anwendbar. In einem solchen Fall findet die Wettbewerbsbeschränkung nicht, wie diese Vorschriften voraussetzen, in selbständigen Verhaltensweisen der Unternehmen ihre Ursache (AGH Naumburg aaO [zu Art. 81 EGV]).

So liegt der Fall hier. Nach § 207 Abs. 2 BRAO a.F. i.V.m. § 14 Abs. 2 Nr. 9 BRAO war die Aufnahme des Antragstellers in die Rechtsanwaltskammer zu widerrufen, wenn die dort genannten Voraussetzungen vorlagen. Die Antragsgegnerin war mithin nach nationalem Recht verpflichtet, die Aufnahme des Antragstellers in die Rechtsanwaltskammer wegen Fehlens einer Berufshaftpflichtversicherung zu widerrufen. Bei dem Widerruf handelte es sich daher nicht um eine "selbständige Verhaltensweise" der Beklagten als Unternehmensvereinigung, wie dies indes für eine Nichtigkeit i.S.v. § 101 Abs. 2 AEUV erforderlich ist, sondern um den schlichten - für die Beklagte verpflichtenden Vollzug nationalen Rechts.

IV.

Im Übrigen ist die sofortige Beschwerde zulässig (§ 215 Abs. 3 BRAO a.F., § 207 Abs. 2 Satz 1, § 42 Abs. 1 Nr. 2 , Abs. 4 BRAO a.F.). Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Der auf Aufhebung des Beschlusses der Antragsgegnerin vom 29. April 2004 gerichtete (Hilfs-)Antrag ist unzulässig. Insoweit ist, wie der Anwaltsgerichtshof zutreffend erkannt hat (Seite 9 der Gründe), ein Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers nicht zu erkennen.

1. Nach den von der Beschwerde nicht angegriffenen Feststellungen des Anwaltsgerichtshofs hat die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 26. Oktober 2006 mitgeteilt, der Antragsteller sei von ihr erneut als Attorney at Law und Solicitor gemäß dem Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland ( EuRAG ) in die Rechtsanwaltskammer B. aufgenommen worden. Ab dem Zeitpunkt der erneuten Aufnahme in die Rechtsanwaltskammer entfalteten der Bescheid vom 29. April 2004 und der ihm zugrunde liegende Beschluss der Antragsgegnerin vom selben Tage, mit denen die Aufnahme des Antragstellers in die Rechtsanwaltskammer B. widerrufen worden war, keine Wirkung mehr. Sie sind erledigt. Dem auf Aufhebung des Beschlusses und des Bescheides vom 29. April 2004 gerichteten Antrag fehlt daher das Rechtsschutzbedürfnis.

2. Soweit der Antragsteller im Hinblick auf die von ihm gestellten Anträge ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse geltend macht, ist ein entsprechender Antrag nicht zulässig (zur ausnahmsweisen Zulässigkeit eines Fortsetzungsfeststellungsantrages nach dem bis zum 31. August 2009 geltenden Recht vergleiche Senat, Beschluss vom 21. Februar 2007 - AnwZ (B) 86/06, NJW-RR 2007, 1071 Rn. 6 mwN). Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen (Seite 11 f. der Gründe).

V.

Dem Antrag des Antragstellers, das Verfahren im Hinblick auf das Schreiben des Bundeskartellamtes vom 20. Dezember 2018 und die dort angesprochene Beteiligung der Europäischen Kommission auszusetzen oder die Verhandlung zu vertagen, war nicht stattzugeben. Das vorgenannte Schreiben, dessen Erhalt der Antragsteller bestreitet, ist nicht entscheidungserheblich. Es könnte allein für die kartellrechtlichen Rügen des Antragstellers von Bedeutung sein, d.h. für die Rüge der Zuständigkeit des Anwaltsgerichtshofs durch den Antragsteller und für die Rüge eines Verstoßes der Beklagten gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV . Die Überprüfung der Zuständigkeit des Anwaltsgerichtshofs ist dem Senat indes - wie ausgeführt (siehe vorstehend zu I.) - verwehrt. Soweit der Antragsteller einen Verstoß der Beklagten gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV rügt, ist der entsprechende Antrag bereits unstatthaft (siehe vorstehend zu III.). Mithin hat der Senat in keinem Fall in der Sache über die vorgenannten, vom Antragsteller geltend gemachten Verstöße gegen das Kartellrecht zu entscheiden.

VI.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 201 Abs. 1 BRAO a.F. i.V.m. § 13a Abs. 1 FGG a.F., die Streitwertfestsetzung auf § 202 Abs. 2 Satz 1 BRAO a.F. i.V.m. § 30 Abs. 2 Satz 2 KostO a.F. Dabei hat der Senat dem Umstand Rechnung getragen, dass der angefochtene Bescheid erledigt ist.

Vorinstanz: AnwGH Berlin, vom 21.08.2017 - Vorinstanzaktenzeichen I AGH 22/05