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BGH - Entscheidung vom 19.05.2020

XIII ZB 17/19

Normen:
FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 3-5

BGH, Beschluss vom 19.05.2020 - Aktenzeichen XIII ZB 17/19

DRsp Nr. 2020/9745

Vorliegen eines zulässigen Haftantrags für die Anordnung der Haft zur Sicherung der Abschiebung eines Betroffenen nach Marokko

1. Ein zulässiger Haftantrag erfordert Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung und zur notwendigen Haftdauer. Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein; sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen und zu diesen konkreten Sachverhalt vortragen. Fehlt es an solchen Darlegungen, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden. 2. Diesen Anforderungen genügt ein Haftantrag nicht, wenn zwar Verfahrensschritte wie die Passersatzpapierbeschaffung und die Flugbuchung genannt genannt werden, die zur Vorbereitung der Abschiebung erforderlich sind, es aber an einer nachvollziehbaren Begründung, welcher Zeitraum für welchen Verfahrensschritt angesetzt wird und weshalb eine Haftdauer von insgesamt drei Monaten für erforderlich gehalten wird, fehlt.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Solingen vom 17. November 2017 und der Beschluss der 9. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal vom 2. Februar 2018 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Stadt Solingen auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Normenkette:

FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 -5;

Gründe

I. Der Betroffene, ein marokkanischer Staatsangehöriger, reiste im Jahr 2006 ohne Papiere und ohne Visum in das Bundesgebiet ein. Am 23. Juni 2006 stellte er unter Verwendung falscher Personalien einen Asylantrag, der mit Bescheid vom 27. Juli 2006 als offensichtlich unbegründet abgelehnt und mit einer Ausreiseverfügung und einer Abschiebungsandrohung verbunden wurde. Die in den Folgejahren gestellten Asylfolgeanträge des Betroffenen hatten keinen Erfolg. Nachdem der Betroffene durch die marokkanischen Behörden identifiziert und am 30. November 2017 für ihn ein Passersatzpapier für den Zeitraum 16. November bis 16. Dezember 2017 ausgestellt worden war, wurde ein Termin zur Abschiebung nach Marokko für den 16. November 2017 bestimmt. Die Durchführung der Abschiebung scheiterte jedoch an der Weigerung des Betroffenen, den für ihn gebuchten Flug anzutreten.

Auf Antrag der beteiligten Behörde vom 17. November 2017 hat das Amtsgericht Solingen mit Beschluss vom selben Tag Haft zur Sicherung der Abschiebung gegen den Betroffenen bis zum 16. Februar 2018 angeordnet. Die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht nach zweimaliger Rückverweisung der Sache an das Amtsgericht mit Beschluss vom 2. Februar 2018 zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt der Betroffene, der am 13. Februar 2018 nach Marokko abgeschoben wurde, die Aufhebung des Beschlusses des Landgerichts und die Feststellung, dass ihn der Beschluss des Amtsgerichts sowie der Beschluss des Landgerichts in seinen Rechten verletzt haben. Die beteiligte Behörde beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.

II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

1. Nach Ansicht des Beschwerdegerichts lagen die Voraussetzungen für die Anordnung der Haft vor. Der Haftantrag genüge den Anforderungen des § 417 FamFG . Er enthalte insbesondere hinreichende Angaben zum Haftgrund, zur Durchführung der Abschiebung sowie zur Erforderlichkeit und Dauer der Freiheitsentziehung. Dass sich die Behörde bei der Angabe, für die Durchführung der begleiteten Abschiebung sei ein Zeitraum von drei Monaten erforderlich, gegebenenfalls stillschweigend auf Erfahrungswerte stütze, sei zulässig und bedürfe nicht einer Darlegung im Detail.

2. Diese Begründung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Für die Haftanordnung fehlte es an einem zulässigen Haftantrag der beteiligten Behörde. Dieser Mangel ist in der Beschwerdeinstanz nicht geheilt worden.

a) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung und zur notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG ). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein; sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen und zu diesen konkreten Sachverhalt vortragen. Fehlt es an solchen Darlegungen, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr. des BGH, vgl. zuletzt Beschlüsse vom 4. Juli 2019 - V ZB 173/18, juris Rn. 7; vom 25. Januar 2018 - V ZB 107/17, Asylmagazin 2018, 224 Rn. 3; vom 21. August 2019 - V ZB 97/17, juris Rn. 5, und vom 12. November 2019 - XIII ZB 5/19, juris Rn. 8, jew. mwN).

Die Durchführbarkeit der Abschiebung muss mit konkretem Bezug auf das Land, in das der Betroffene abgeschoben werden soll, dargelegt werden. Anzugeben ist insbesondere, ob und innerhalb welchen Zeitraums Abschiebungen in das betreffende Land üblicherweise möglich sind, von welchen Voraussetzungen dies abhängt und ob diese Voraussetzungen im konkreten Fall vorliegen (BGH, Beschlüsse vom 25. Januar 2018 - V ZB 107/17, Asylmagazin 2018, 224 Rn. 3; vom 21. August 2019 - V ZB 97/17, juris Rn. 5, und vom 12. November 2019 - XIII ZB 5/19, juris Rn. 8). Da die Haft auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist (§ 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ; vgl. dazu BGH, Beschluss vom 10. Mai 2012 - V ZB 246/11, FGPrax 2012, 225 Rn. 10), bedarf es im Hinblick auf die Erforderlichkeit der Haftdauer einer konkreten Darlegung der für die Abschiebung voraussichtlich erforderlichen Zeitspanne. Dazu sind die einzelnen erforderlichen Schritte unter Angabe ihrer jeweiligen Dauer im Haftantrag zu erläutern, damit das Gericht in die Lage versetzt wird zu prüfen, wie lange die Freiheitsentziehung des Betroffenen zur Sicherung der Abschiebung notwendig ist (BGH, Beschluss vom 13. September 2018 - V ZB 57/18, juris Rn. 8 mwN). Die pauschale Angabe einer Höchst- oder Gesamtdauer reicht dafür nicht aus (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juni 2017 - V ZB 8/17, juris Rn. 8).

b) Diesen Anforderungen genügt der Haftantrag vom 17. November 2017 nicht.

aa) Die Dauer der beantragten Haft von drei Monaten wird in dem Antrag damit begründet, dass die Abschiebung des Betroffenen in den nächsten Wochen durchgeführt werden könne, zuvor jedoch koordiniert und gebucht werden müsse. Nach dem Scheitern des Abschiebungsversuchs müsse die Rückführung begleitet erfolgen. Hierzu sei laut Bundespolizei eine Vorlaufzeit von etwa sechs Wochen erforderlich. Zu diesem Zeitpunkt sei das bislang ausgestellte Passersatzpapier abgelaufen, so dass zusätzlich ein neues Passersatzpapier beschafft werden müsse. Insgesamt sei daher mit einem Vorlauf von circa drei Monaten zu rechnen.

bb) Diese Ausführungen sind unzureichend. Zwar ist die Aussage zur Vorlaufzeit der begleiteten Rückführung nicht zu beanstanden, da nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei einer Abschiebung mittels eines Fluges mit Sicherheitsbegleitung eine nähere Erläuterung des erforderlichen Zeitaufwands in aller Regel dann nicht geboten ist, wenn sich die Behörde auf eine Auskunft der zuständigen Stelle beruft, wonach dieser Zeitraum bis zu sechs Wochen beträgt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. September 2018 - V ZB 4/17, InfAuslR 2019, 23 Rn. 11; vom 4. Juli 2019 - V ZB 173/18, juris Rn. 8, und vom 12. November 2019 - XIII ZB 5/19, juris Rn. 12). Doch ist anhand der Ausführungen zu den weiteren für den Vollzug der Abschiebung erforderlichen Schritten die Notwendigkeit einer Haftdauer von drei Monaten nicht nachzuvollziehen. Denn es fehlt an auf den konkreten Fall bezogenen Angaben dazu, wieviel Zeit die Beschaffung des neuen Passersatzpapiers für den Betroffenen voraussichtlich in Anspruch nehmen wird. Darüber hinaus wird nicht erläutert, ob die Organisation des begleiteten Fluges und die Beschaffung des Passersatzpapiers zeitlich parallel laufen oder hintereinandergeschaltet werden müssen.

c) Dieser Mangel ist im Beschwerdeverfahren nicht geheilt worden.

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können Mängel des Haftantrags behoben werden, indem die Behörde von sich aus oder auf richterlichen Hinweis ihre Darlegungen ergänzt und dadurch die Lücken in ihrem Haftantrag schließt, oder indem der Haftrichter selbst die Voraussetzungen zur Durchführbarkeit der Ab- oder Zurückschiebung des Ausländers und zu der dafür erforderlichen Haftdauer in seiner Entscheidung feststellt (§ 26 FamFG ; vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juli 2014 - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rn. 21 ff.). Zwingende weitere Voraussetzung für eine rechtmäßige Haftanordnung ist in einem solchen Fall aber, dass der Betroffene zu den ergänzenden Angaben persönlich angehört wird (BGH, Beschlüsse vom 25. Januar 2018 - V ZB 201/17, juris Rn. 8, und vom 15. September 2016 - V ZB 30/16, juris Rn. 10, jew. mwN).

bb) Diesen Anforderungen ist nicht genügt. Die beteiligte Behörde hat in dem Beschwerdeverfahren zwar ergänzende Angaben zu der notwendigen Zeitdauer für die Durchführung der Abschiebung des Betroffenen gemacht und am 11. Januar 2018 einen konkreten Termin für die Abschiebung mitgeteilt. Hierzu ist der Betroffene jedoch weder im Abhilfeverfahren durch das Amtsgericht noch im weiteren Beschwerdeverfahren durch das Beschwerdegericht persönlich angehört worden.

d) Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 , § 83 Abs. 2 FamFG . Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG .

Vorinstanz: AG Solingen, vom 17.11.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 8 XIV (B) 12/17
Vorinstanz: LG Wuppertal, vom 02.02.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 9 T 16/18