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BGH - Entscheidung vom 19.05.2020

XIII ZB 36/19

Normen:
FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 3-5

BGH, Beschluss vom 19.05.2020 - Aktenzeichen XIII ZB 36/19

DRsp Nr. 2020/9747

Vorliegen eines zulässigen Haftantrags für die Anordnung der Haft zur Sicherung der Abschiebung eines Betroffenen in den Libanon

1. Ein zulässiger Haftantrag erfordert Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung und zur notwendigen Haftdauer. Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein; sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen und zu diesen konkreten Sachverhalt vortragen. Fehlt es an solchen Darlegungen, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden. 2. Insbesondere muss die Durchführbarkeit der Abschiebung mit konkretem Bezug auf das Land, in das der Betroffene abgeschoben werden soll, dargelegt werden. Anzugeben ist, ob und innerhalb welchen Zeitraums Abschiebungen in das betreffende Land üblicherweise möglich sind, von welchen Voraussetzungen dies abhängt und ob diese Voraussetzungen im konkreten Fall vorliegen. Soll die Abschiebung mittels eines Fluges mit Sicherheitsbegleitung erfolgen und ist ein längerer Zeitraum für die Organisation der Rückführung des Betroffenen erforderlich, bedarf es konkreter Ausführungen zur Art des Fluges, Buchungslage der in Betracht kommenden Fluggesellschaften, Anzahl der Begleitpersonen und zur Personalsituation.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 17. Mai 2018 und der Beschluss der Zivilkammer 84 des Landgerichts Berlin vom 2. August 2018 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Land Berlin auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Normenkette:

FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 -5;

Gründe

I. Der im Libanon geborene Betroffene, dessen Staatsangehörigkeit ungeklärt ist, reiste am 1. Juli 1992 in das Bundesgebiet ein. Sein Asylantrag wurde mit Bescheid vom 17. Dezember 1993 bestandskräftig abgewiesen. Mit ebenfalls bestandskräftigem Bescheid vom 21. Februar 2000 wurde der Betroffene aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Da er nicht über einen gültigen Pass verfügte, wurde er in der Folgezeit geduldet. Am 1. Oktober 2009 leitete die Ausländerbehörde von Amts wegen bei den libanesischen Behörden die Beschaffung eines Passersatzes ein und mahnte später die Ausstellung des Passersatzpapiers bei der libanesischen Botschaft zweimal an. Während seines Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland trat der Betroffene mehrfach strafrechtlich in Erscheinung und wurde insbesondere wegen Gewaltdelikten zu zahlreichen, teils mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Die Vollstreckung der zuletzt von ihm zu verbüßenden Haftstrafe endetet am 22. Mai 2018.

Auf Antrag der beteiligten Behörde vom 16. Mai 2018 hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 17. Mai 2018 gegen den Betroffenen Abschiebungshaft vom 22. Mai bis zum Ablauf des 21. August 2018 angeordnet. Seine Beschwerde hat das Landgericht mit Beschluss vom 2. August 2018 zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde will der Betroffene, der am 20. November 2018 aus der Haft entlassen worden ist, weil die Beschaffung von Passersatzpapieren gescheitert war, die Feststellung erreichen, dass er durch die Anordnung der Haft für die Zeit vom 22. Mai bis 21. August 2018 in seinen Rechten verletzt worden ist. Die beteiligte Behörde beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.

II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

1. Nach Ansicht des Beschwerdegerichts lagen die Voraussetzungen für die Anordnung der Haft vor. Der Haftantrag genüge den Anforderungen des § 417 FamFG . Er enthalte insbesondere hinreichende Angaben zur Identität und Ausreisepflicht des Betroffenen, zur Durchführung der Abschiebung sowie zur Erforderlichkeit und Dauer der Freiheitsentziehung. Die erforderlichen Angaben, ob und innerhalb welchen Zeitraums Abschiebungen in das betreffende Land üblicherweise möglich sind, von welchen Voraussetzungen sie abhängen und ob diese im konkreten Fall vorliegen, seien im Haftantrag in Bezug auf den Libanon enthalten und in der Stellungnahme zur Beschwerde im Hinblick auf die zuletzt erfolgte Passausstellung bei einem anderen staatenlosen Palästinenser ergänzt worden. Zwar enthalte der Antrag keine genauen Angaben dazu, wann mit einer Passausstellung im Fall des Betroffenen zu rechnen sei. Das liege aber in der Natur der Sache, da dies allein von der Entscheidung der libanesischen Behörden abhänge und die Behörde insoweit lediglich, wie geschehen, nachfragen könne. Ob angesichts dieser Unsicherheit im Hinblick auf die Passausstellung die Anordnung von Sicherheitshaft gerechtfertigt sei, sei eine Frage der Begründetheit des Antrags.

Der Haftantrag sei auch materiell begründet. Der Betroffene sei vollziehbar ausreisepflichtig. Der Haftgrund des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AufenthG aF in Verbindung mit § 2 Abs. 14 Nr. 5a AufenthG aF liege vor. Die Fluchtgefahr ergebe sich zudem aus dem Umstand, dass der Betroffene bislang an der Passbeschaffung nicht mitgewirkt und gefälschte Papiere sowie Aliaspersonalien verwendet habe. Die Haftanordnung bis zum Ablauf des 21. August 2018 sei auch verhältnismäßig. Zwar müsse in der Regel feststehen, dass eine Abschiebung in den nächsten 6 Monaten durchgeführt werden könne. § 62 Abs. 3 Satz 4 AufenthG sehe jedoch eine hier anwendbare Ausnahme von der Begrenzung dieses Zeitraums vor, wenn von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit ausgehe. In diesem Fall gehe die Ungewissheit der Dauer der Haft während der gesamten Haftzeit zu seinen Lasten. Voraussetzung sei, dass eine Prognose die Möglichkeit der Beseitigung oder des Wegfalls des Abschiebungshindernisses ergibt, wobei lediglich zu prüfen sei, ob innerhalb der Hafthöchstdauer die Möglichkeit der Beseitigung bestehe, dies sei hier der Fall.

2. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand. Für die Haftanordnung fehlte es an einem zulässigen Haftantrag der beteiligten Behörde. Dieser Mangel ist in der Beschwerdeinstanz nicht geheilt worden.

a) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung und zur notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG ). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein; sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen und zu diesen konkreten Sachverhalt vortragen. Fehlt es an solchen Darlegungen, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr. des BGH, vgl. zuletzt Beschlüsse vom 4. Juli 2019 - V ZB 173/18, juris Rn. 7; vom 25. Januar 2018 - V ZB 107/17, Asylmagazin 2018, 224 Rn. 3; vom 21. August 2019 - V ZB 97/17, juris Rn. 5, und vom 12. November 2019 - XIII ZB 5/19, juris Rn. 8, jeweils mwN).

Die Durchführbarkeit der Abschiebung muss mit konkretem Bezug auf das Land, in das der Betroffene abgeschoben werden soll, dargelegt werden. Anzugeben ist insbesondere, ob und innerhalb welchen Zeitraums Abschiebungen in das betreffende Land üblicherweise möglich sind, von welchen Voraussetzungen dies abhängt und ob diese Voraussetzungen im konkreten Fall vorliegen (BGH, Beschlüsse vom 25. Januar 2018 - V ZB 107/17, Asylmagazin 2018, 224 Rn. 3; vom 21. August 2019 - V ZB 97/17, juris Rn. 5 und vom 12. November 2019 - XIII ZB 5/19, juris Rn. 8). Soll die Abschiebung mittels eines Fluges mit Sicherheitsbegleitung erfolgen, ist zwar eine nähere Erläuterung des erforderlichen Zeitaufwands in aller Regel dann nicht geboten, wenn sich die Behörde auf eine Auskunft der zuständigen Stelle beruft, wonach dieser Zeitraum bis zu sechs Wochen beträgt. Ist ein längerer Zeitraum für die Organisation der Rückführung des Betroffenen erforderlich, bedarf es jedoch einer auf den konkreten Fall bezogenen Begründung, die dies nachvollziehbar erklärt und Ausführungen etwa zur Art des Fluges, Buchungslage der in Betracht kommenden Fluggesellschaften, Anzahl der Begleitpersonen und zur Personalsituation enthält (BGH, Beschlüsse vom 20. September 2018 - V ZB 4/17, InfAuslR 2019, 23 Rn. 11; vom 4. Juli 2019 - V ZB 173/18, juris Rn. 8 und vom 12. November 2019 - XIII ZB 5/19, juris Rn. 12).

b) Diesen Anforderungen genügt der Haftantrag vom 16. Mai 2018 nicht.

aa) Die Dauer der beantragten Haft von drei Monaten wird in dem Antrag damit begründet, dass am 1. Oktober 2009 von Amts wegen die Ausstellung eines Passersatzpapiers bei der Libanesischen Botschaft beantragt worden und am 24. Mai 2017 als auch am 8. Februar 2017 - gemeint war der 8. Februar 2018 - angemahnt worden sei. Da der Betroffene als gefährliche Person anzusehen sei, sei die Bundespolizei um Unterstützung bei der Passbeschaffung gebeten und Kontakt zur Deutschen Botschaft in Beirut aufgenommen worden. Mit der Ausstellung eines zur Rückkehr berechtigenden Dokuments werde nun zeitnah gerechnet. Nach positiver Identifizierung und Vorliegen der Zusage zur Passersatzpapierausstellung werde unverzüglich die Buchung eines Fluges eingeleitet, wobei hier eine Sicherheitsbegleitung eingeplant sei. Da Rückführungen in den Libanon nur mit zwei Fluggesellschaften möglich seien und diese aus Sicherheitsgründen in der Regel maximal zwei Abzuschiebende mitnähmen, werde der nächstmögliche Flugtermin in Betracht gezogen.

bb) Diese Ausführungen sind vor dem Hintergrund, dass die Haft auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist, unzureichend (§ 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ; vgl. dazu BGH, Beschluss vom 10. Mai 2012 - V ZB 246/11, FGPrax 2012, 225 Rn. 10). Die Aussage, eine Abschiebung des Betroffenen könne binnen der beantragten Haftzeit von drei Monaten erfolgen, wird nicht durch konkrete Angaben untermauert. So lässt sich der Antragsbegründung bereits nicht entnehmen, in welchem konkreten Zeitraum eine Reaktion der libanesischen Behörden auf den Antrag auf Ausstellung eines Passersatzpapiers von der beteiligten Behörde erwartet wird und objektiv zu erwarten ist. Der von der Behörde angeführte mehr als acht Jahre zurückliegende Antrag und die Anmahnungen, die ebenfalls ein Jahr beziehungsweise über drei Monate zurückliegen und auf die offenbar keine Reaktion erfolgt ist, liefern keine Sachgrundlage für eine zeitliche Einschätzung, sondern machen im Gegenteil Ausführungen dazu erforderlich, aus welchen Gründen in absehbarer Zeit mit der Erstellung des Passersatzpapiers zu rechnen und die Abschiebung somit innerhalb des beantragten Haftzeitraums möglich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Juni 2016 - V ZB 143/14, FGPrax 2016, 277 Rn. 7 ff.).

Darüber hinaus fehlt es in dem Antrag an einer auf den konkreten Fall bezogenen Angabe dazu, innerhalb welchen Zeitraums nach dem Vorliegen eines Passersatzpapiers für den Betroffenen die beabsichtigte Abschiebung tatsächlich durchgeführt werden könnte. Die Beschreibungen der Flugmodalitäten ist allgemein gehalten und enthält weder Informationen zu konkret buchbaren Flügen noch zur Anzahl der notwenigen Begleitpersonen und zur Verfügbarkeit geeigneter Begleitpersonen an den in Betracht kommenden Daten.

c) Dieser Mangel ist in der Beschwerdeinstanz nicht - was mit Wirkung für die Zukunft möglich gewesen wäre (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 21. März 2019 - V ZB 171/18, juris Rn. 8) - geheilt worden. Die beteiligte Behörde hat auch im Beschwerdeverfahren keine konkreten, eine zeitliche Abschätzung erlaubenden Angaben zum Stand der Bemühungen um ein Passersatzpapier für den Betroffenen und zum zeitlichen Umfang der nach Zusage eines Passersatzes für die Durchführung der Abschiebung im Einzelnen vorzunehmenden organisatorischen Schritte gemacht. Der Aussage in der Stellungnahme vom 3. Juli 2018, es könne zeitnah mit konkreten Ergebnissen bei der Passbeschaffung gerechnet werden, da die Bemühungen auf höchster politischer Ebene beim Besuch der Bundeskanzlerin im Libanon im Juni hätten fortgesetzt werden können, lässt sich nicht entnehmen, ob und inwiefern die diplomatischen Bemühungen erfolgreich waren und welches Ergebnis in Aussicht gestellt worden ist oder danach zumindest erwartet werden konnte. Der Hinweis auf den erfolgreichen Abschluss eines Verfahrens zur Beschaffung von Passersatzpapieren für eine andere aus dem Libanon stammende Person erlaubt mangels näherer Angaben zu den dort unternommenen Bemühungen und deren zeitlichen Rahmen sowie zur Vergleichbarkeit der Fälle keine Rückschlüsse auf den weiteren Verlauf des den Betroffenen betreffenden Verfahrens. Schließlich erlaubt auch die in der Stellungnahme der Behörde vom 6. August 2018 übermittelte Information betreffend die Übermittlung der Identitätsnachweise der Schwester keine konkrete zeitliche Abschätzung des für die Vorbereitung der Abschiebung des Betroffenen erforderlichen Zeitraums.

d) Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 , § 83 Abs. 2 FamFG . Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG .

Vorinstanz: AG Berlin-Tiergarten, vom 17.05.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 382 XIV 51/18
Vorinstanz: LG Berlin, vom 02.08.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 84 T 160/18