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BGH - Entscheidung vom 20.05.2020

XIII ZB 51/19

Normen:
FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 3-5

BGH, Beschluss vom 20.05.2020 - Aktenzeichen XIII ZB 51/19

DRsp Nr. 2020/10848

Vorliegen eines zulässigen Haftantrags als eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung; Anordnung der Haft zur Sicherung der Abschiebung eines Betroffenen

Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer. Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falles wesentlichen Punkte ansprechen. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Verden vom 20. September 2018 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Normenkette:

FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 -5;

Gründe

I. Der Betroffene, ein sudanesischer Staatsangehöriger, reiste im September 2017 in das Bundesgebiet ein. Mit Bescheid vom 20. Oktober 2017 wies das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seinen Asylantrag als unzulässig ab, weil der Betroffene bereits ein Asylverfahren in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union eingeleitet habe. Zugleich wurde die Überstellung des Betroffenen nach Frankreich angeordnet.

Ein Überstellungsversuch am 1. März 2018 scheiterte, da sich der Betroffene nicht in der ihm zugewiesenen Unterkunft aufhielt. Ein neuer Überstellungstermin wurde für den 3. April 2018 festgelegt. Am 27. März 2018 konnte der Betroffene entgegen einer ihm erteilten Auflage erneut nicht in seiner Unterkunft angetroffen werden. Am 28. März 2018 beantragte die beteiligte Behörde gegen den Betroffenen die Anordnung einer vorläufigen Freiheitsentziehung sowie die Anordnung von Haft zur Sicherung der Überstellung bis zum 3. April 2018. Ein Schreiben, in dem das Bundesamt bereits am 20. März 2018 mitgeteilt hatte, dass eine Überstellung am 3. April nicht möglich sei, wurde "aufgrund eines Hindernisses bei der Postverarbeitung" erst am 29. März durch den zuständigen Sachbearbeiter der Behörde gesichtet. An diesem Tag wurde der Betroffene bei der Auszahlung der Asylbewerberleistungen festgenommen.

Im Anhörungstermin beim Amtsgericht erklärte der Vertreter der beteiligten Behörde, eine Rücküberstellung nach Frankreich könne nicht mehr am 3. April 2018, sicher aber am 18. April 2018 erfolgen. Zum Protokoll der Anhörung wurde ein Vermerk der beteiligten Behörde genommen, wonach laut Angaben des Landeskriminalamts Niedersachsen (LKA) eine Rücküberstellung nach Frankreich erfahrungsgemäß innerhalb von drei Wochen möglich sei und spätestens in der "10. KW" erfolgen könne. Regelmäßig werde eine Vorlauffrist von zehn Tagen benötigt, um den Termin mit den französischen Behörden abzusprechen und weitere entsprechende Maßnahmen zu treffen; zudem müssten auch entsprechende Flüge zur Verfügung stehen. Mit Beschluss vom 29. März 2018 ordnete das Amtsgericht Haft zur Sicherung der Überstellung nach Frankreich bis einschließlich 18. April 2018 an.

Der Betroffene wurde am 18. April 2018 nach Frankreich überstellt. Seine auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung gerichtete Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.

II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.

1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, es liege ein zulässiger, ausreichend begründeter Haftantrag gemäß § 417 Abs. 2 FamFG vor. Unschädlich sei, dass darin zunächst der 3. April 2018 als geplanter Abschiebungstermin genannt worden sei. Bei der Anhörung des Betroffenen sei erörtert worden, dass die Abschiebung erst am 18. April 2018 erfolgen könne. Dazu enthalte der als Anlage zum Anhörungsprotokoll genommene Vermerk konkrete Angaben.

2. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Rechtsbeschwerde stand. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde fehlt es weder an einem zulässigen Haftantrag noch beruht die Haftanordnung auf einer Verletzung von Anhörungsrechten des Betroffenen.

a) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG ). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (BGH, Beschluss vom 12. Februar 2020 - XIII ZB 49/19, juris Rn. 8 mwN).

b) Diesen Anforderungen wird der Haftantrag gerecht. Zum dafür maßgeblichen Zeitpunkt der Haftanordnung durch das Amtsgericht lag ein zulässiger Haftantrag vor. Zwar hatte die beteiligte Behörde in ihrem schriftlichen Haftantrag vom 28. März 2018 die Anordnung von Überstellungshaft zunächst nur bis zum 3. April 2018 beantragt. Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts hat sie aber ihre Ausführungen zur Haftdauer im Anhörungstermin vor dem Amtsgericht ergänzt und in diesem Termin Haft bis zum 18. April 2018 beantragt.

aa) Diese Änderung des Haftantrags im Hinblick auf die Dauer der Haft konnte im Anhörungstermin beim Amtsgericht mündlich erfolgen. Gemäß § 25 Abs. 1 FamFG kann ein Antrag auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle gestellt werden. Dieses Formerfordernis ist ohne Weiteres erfüllt, wenn ein Antrag oder eine Antragsänderung in das Anhörungsprotokoll aufgenommen worden ist, das von dem Richter und dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle unterzeichnet worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 28. April 2011 - V ZB 118/10, juris Rn. 10; Beschluss vom 13. September 2018 - V ZB 145/17, juris Rn. 12). Aus der protokollierten Erklärung des Vertreters der beteiligten Behörde ergibt sich, dass innerhalb der ursprünglich beantragten Haftdauer bis zum 3. April 2018 eine Überstellung nach Frankreich nicht möglich war, die französischen Behörden jedoch zugesagt hätten, den Betroffenen auf jeden Fall am 18. April 2018 zu übernehmen, sodass dieser Termin sicher eingehalten werden könne. Danach hielt die Behörde eindeutig nicht mehr an der ursprünglich nur bis zum 3. April 2018 beantragten Haftdauer fest. Die protokollierte Erklärung des Vertreters der beteiligten Behörde konnte vielmehr nur dahin verstanden werden, dass zur Erreichung des Zwecks der Haft, die Überstellung abzusichern, nunmehr eine Haftdauer bis zum 18. April 2018 beantragt werden müsse.

bb) Die beteiligte Behörde hat den neuen Zeitbedarf nach Maßgabe von § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 FamFG ausreichend erläutert. Laut Protokoll hat ihr Vertreter angegeben, nach Auskunft des LKA erfordere die Rücküberstellung nach Frankreich erfahrungsgemäß drei Wochen, wovon regelmäßig zehn Tage auf die Abstimmung mit den französischen Behörden entfielen. Angesichts des Umstands, dass der Anhörungstermin beim Amtsgericht am Gründonnerstag, dem 29. März 2018 stattfand, konnte dieser Abstimmungsprozess erkennbar im Hinblick auf die bevorstehenden Feiertage voraussichtlich nicht vor Dienstag, dem 3. April 2018, in Gang gesetzt werden. Bis zu der von den französischen Behörden zugesagten Übernahme des Betroffenen am 18. April 2018 verblieben somit nur fünf weitere, ein Wochenende einschließende Tage, die als notwendiger Vorlauf nach erfolgter Abstimmung ohne Weiteres plausibel sind.

c) Ausweislich des Protokolls wurde die Anhörung im Anschluss an die Erklärung des Vertreters der beteiligten Behörde und nach einer kurzen Unterbrechung fortgesetzt. Danach hatte der Betroffene die Möglichkeit, sich zu der Erklärung zu äußern. Das reicht zur Wahrung seines Anspruchs auf effektives rechtliches Gehör aus. Die hier in Rede stehende Dauer eines Überstellungsverfahrens von Deutschland nach Frankreich ist ein außerhalb der Sphäre des Betroffenen liegender Umstand des zwischenstaatlichen Behördenverkehrs, bei dem der Betroffene von vornherein nicht zur Sachaufklärung beitragen kann. Bei dem für die Überstellung nach Frankreich benötigten Zeitraum handelt es sich außerdem um einen einfachen, überschaubaren Sachverhalt, zu dem sich der Betroffene selbst bei einer etwaigen Überraschung ohne Weiteres äußern konnte. Unter diesen Umständen ist unschädlich, dass sich aus dem Protokoll der Anhörung nicht ergibt, ob dem Betroffenen der zum Protokoll gereichte und der Begründung der längeren Haftdauer dienende Behördenvermerk vom 29. März 2018 übersetzt und übergeben worden ist.

3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.

Vorinstanz: AG Verden, vom 29.03.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 9a XIV 1065 B
Vorinstanz: LG Verden, vom 20.09.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 6 T 51/18
Vorinstanz: LG Verden, vom 20.09.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 6 T 52/18