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BGH - Entscheidung vom 17.03.2020

XI ZR 226/19

Normen:
ZPO § 767 Abs. 1

BGH, Beschluss vom 17.03.2020 - Aktenzeichen XI ZR 226/19

DRsp Nr. 2020/6797

Vollstreckungsabwehrklage gem. § 767 Abs. 1 ZPO gegen die Zwangsvollstreckung aus einem Kostenfestsetzungsbeschluss; Nichtzulassungsbeschwerde wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör

Ein Berufungsurteil muss erkennen lassen, von welchem Sach- und Streitstand das Berufungsgericht ausgegangen ist, und die Anträge, die die Parteien im Berufungsverfahren gestellt haben, müssen zumindest sinngemäß deutlich werden. Das gilt auch für einen Zurückweisungsbeschluss.

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 29. Januar 2019 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde beträgt 39.018 €.

Normenkette:

ZPO § 767 Abs. 1 ;

Gründe

I.

Die Klägerin wendet sich nach teilweiser Klagerücknahme mit der Vollstreckungsabwehrklage entsprechend § 767 Abs. 1 ZPO gegen die Zwangsvollstreckung der Beklagten aus einem Kostenfestsetzungsbeschluss, der sie eine in einer Darlehensvertragsurkunde vom 6. März 2006 enthaltene vollstreckungsbeschränkende Vereinbarung entgegenhält. Die Parteien streiten darum, ob diese vollstreckungsbeschränkende Vereinbarung, die im Wesentlichen Rückgriffsansprüche aus dem Darlehensverhältnis betreffen sollte, auch den Anspruch der Beklagten aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss erfasst.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, da sich die streitige, vollstreckungsbeschränkende Vereinbarung nicht auf den im Kostenfestsetzungsbeschluss titulierten Erstattungsanspruch der Beklagten erstrecke. Die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht mit Beschluss vom 29. Januar 2019 zurückgewiesen, in dem es sich auf den Hinweisbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO vom "18. November 2018" - richtig: 8. November 2018 - bezogen hat.

Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin geltend, der Zurückweisungsbeschluss des Landgerichts genüge nicht den dafür nach § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO geltenden Mindestanforderungen, sei sachlich objektiv willkürlich und verletze den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs.

II.

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Beschlusses und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Denn die Zulassung der Revision ist nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten, weil das Berufungsgericht den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG ) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht in dem Zurückweisungsbeschluss und in dem vorangehenden Hinweisbeschluss weder die Anträge der Klägerin noch deren Angriffe gegen das erstinstanzliche Urteil wiedergegeben und auch von einer Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil des Amtsgerichts unter Mitteilung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen abgesehen hat.

a) Nach § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO können in einem Berufungsurteil tatsächliche Feststellungen durch Bezugnahme auf das Urteil der ersten Instanz, verbunden mit erforderlichen Berichtigungen, Änderungen und Ergänzungen, die sich aus dem Vortrag der Parteien und aus einer etwaigen Bezugnahme auf Schriftsätze vor dem Berufungsgericht ergeben, ersetzt werden. Weiter muss das Berufungsurteil erkennen lassen, von welchem Sach- und Streitstand das Berufungsgericht ausgegangen ist, und die Anträge, die die Parteien im Berufungsverfahren gestellt haben, müssen zumindest sinngemäß deutlich werden (BGH, Urteile vom 18. Oktober 2017 - VIII ZR 242/16, juris Rn. 3 f. und vom 21. September 2016 - VIII ZR 188/15, NJW 2016, 3787 Rn. 4 f. sowie Beschluss vom 19. Juni 2019 - IV ZR 224/18, juris Rn. 12). Das gilt nach § 522 Abs. 2 Satz 4 ZPO auch für einen Zurückweisungsbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO (vgl. BGH, Urteil vom 21. September 2016, aaO, Rn. 6 und Beschluss vom 19. Juni 2019, aaO, Rn. 12).

b) Diesen Anforderungen genügt der Zurückweisungsbeschluss des Berufungsgerichts auch in Verbindung mit dem in Bezug genommenen Hinweisbeschluss nicht. Keiner der nur aus wenigen Zeilen bestehenden Beschlüsse enthält eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils, eine Darstellung etwaiger Änderungen bzw. Ergänzungen gemäß § 522 Abs. 2 Satz 4 ZPO oder die Wiedergabe der Berufungsanträge. Auch aus den insgesamt vier Sätzen der Beschlussgründe lassen sich weder die im Berufungsverfahren gestellten Anträge noch das Berufungsvorbringen der Klägerin und auch nicht die tatsächlichen Feststellungen entnehmen, auf denen die Entscheidung des Berufungsgerichts beruhen soll.

Entgegen der Auffassung der Beschwerdeerwiderung enthält auch die schlichte Erwähnung des erstinstanzlichen Urteils keine Bezugnahme auf die dort getroffenen tatsächlichen Feststellungen sowie die in erster Instanz gestellten Anträge, denn das Berufungsgericht hat vorliegend lediglich die für die Ankündigung und den Ausspruch der Berufungszurückweisung nach § 522 Abs. 2 ZPO zwingend erforderliche Individualisierung der betroffenen erstinstanzlichen Entscheidung nach Datum und Aktenzeichen geleistet.

c) Allerdings rechtfertigt das Fehlen erforderlicher eigener tatbestandlicher Feststellungen oder einer Bezugnahme auf die erstinstanzlichen Feststellungen für sich noch nicht die Zulassung der Revision. Dieses Defizit in den tatsächlichen Feststellungen hat aber zur Folge, dass Vortrag des Beschwerdeführers, soweit diesem keine tatsächlichen Feststellungen in der Entscheidung des Berufungsgerichts entgegenstehen, für die Beschwerdeentscheidung als zutreffend zu unterstellen ist. Insoweit ist nach § 559 Abs. 1 Satz 2, § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO von den tatsächlichen Angaben der Beschwerdebegründung auszugehen (BGH, Beschlüsse vom 16. Mai 2017 - VI ZR 25/16, NJW 2017, 2561 Rn. 10 und vom 19. Juni 2019 - IV ZR 224/18, juris Rn. 14).

2. Auf Grundlage des danach maßgeblichen Beschwerdevorbringens ist die Klägerin in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs dadurch verletzt worden, dass deren in erster Instanz gestellter und in der Berufungsinstanz wiederholter Antrag auf Vernehmung von zwei Zeugen vom Berufungsgericht übergangen worden ist.

a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG setzt eine gewisse Evidenz der Gehörsverletzung voraus. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG , wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerfG, WM 2009, 671 , 672; BGH, Beschlüsse vom 11. Mai 2010 - VIII ZR 212/07, NJW-RR 2010, 1217 Rn. 10, vom 16. November 2010 - VIII ZR 228/08, juris Rn. 14, vom 21. Februar 2017 - VIII ZR 1/16, WuM 2017, 194 Rn. 10 und vom 25. April 2017 - VIII ZR 217/16, juris Rn. 24). Die Nichtberücksichtigung eines solchen Beweisangebots verstößt auch dann gegen Art. 103 Abs. 1 GG , wenn dieser eine vorweggenommene tatrichterliche Beweiswürdigung zugrunde liegt, weil dem unter Beweis gestellten Vorbringen wegen einer bereits gewonnenen Überzeugung kein Gewicht mehr beigemessen wird (BGH, Beschlüsse vom 19. Januar 2012 - V ZR 141/11, WuM 2012, 164 Rn. 8 mwN und vom 27. September 2017 - XII ZR 54/16, NJW-RR 2018, 74 Rn. 7).

b) Nach diesen Maßstäben ist Art. 103 Abs. 1 GG hier verletzt.

Die Klägerin trägt mit der Beschwerde vor, sie habe sowohl in erster Instanz als auch im Berufungsverfahren Beweis durch Zeugeneinvernahme dafür angeboten, dass die streitige vollstreckungsbeschränkende Vereinbarung nach dem gemeinsamen Verständnis der Vertragsparteien bei deren Abschluss sämtliche im Zusammenhang mit dem zugrunde liegenden Darlehensvertrag stehenden Ansprüche erfassen und deswegen jegliche Vollstreckung nur in die dort genannten Vermögensgegenstände und Sicherheiten habe möglich sein sollen. Dieses Beweisangebot der Klägerin auf Vernehmung der beiden Zeugen ist erheblich. Die Klägerin hat damit eine für die Entscheidung des Berufungsgerichts wesentliche Tatsache - ein gemeinsames Verständnis der Parteien zur Reichweite der vollstreckungsbeschränkenden Vereinbarung - unmittelbar zum Gegenstand des Beweisantrags gemacht. Sollte sich dieser Sachvortrag der Klägerin in der Beweisaufnahme als richtig erweisen, könnte die Vollstreckung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss auf die in der Vereinbarung genannten Vermögensobjekte beschränkt sein.

Entgegen der Auffassung der Beschwerdeerwiderung kann mangels Feststellungen des Berufungsgerichts dazu auch nicht angenommen werden, das Beweisangebot der Klägerin sei "aufs Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" erfolgt, sodass der Beweisantritt der Ausforschung von Tatsachen dienen solle. Denn ohne jegliche Darstellung des von der Klägerin gehaltenen Vortrags besitzt die - zudem auch rechtlich nicht weiter eingeordnete - schlichte Annahme, es fehlten erforderliche Tatsachenbehauptungen der Klägerin, in der Entscheidung des Berufungsgerichts keine tatsächliche Grundlage. Insbesondere werden vom Berufungsgericht weder die konkreten Beweisanträge genannt, noch wird ausgeführt, worin das Defizit im Tatsachenvortrag der Klägerin konkret bestehen soll. In den Beschlüssen des Berufungsgerichts wird selbst der Wortlaut der Vereinbarung, auf die sich die Zeugenaussagen beziehen sollen, nicht mitgeteilt.

Zwar hat die Beschwerdeerwiderung zu all dem umfangreiche tatsächliche Behauptungen nachgetragen. Diese Tatsachen sind jedoch im Beschwerdeverfahren nicht zu berücksichtigen, da sie weder vom Berufungsgericht festgestellt noch von der Beschwerdebegründung eingeräumt worden sind.

3. Der angefochtene Beschluss beruht auf dem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG . Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Gericht bei Berücksichtigung des übergangenen Beweisantrags anders entschieden hätte (vgl. BVerfGE 7, 95 , 99; 62, 392, 396; 65, 305, 308), weil es nach Vernehmung der Zeugen zu dem Ergebnis gelangt wäre, dass der streitgegenständliche Kostenfestsetzungsbeschluss von der vollstreckungsbeschränkenden Vereinbarung der Parteien umfasst wird.

Vorinstanz: AG Berlin-Mitte, vom 04.06.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 123 C 105/17
Vorinstanz: LG Berlin, vom 29.01.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 21 S 12/18