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BGH - Entscheidung vom 28.05.2020

III ZB 57/19

Normen:
ZPO § 574 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 574 Abs. 2

BGH, Beschluss vom 28.05.2020 - Aktenzeichen III ZB 57/19

DRsp Nr. 2020/9008

Verwerfung der Rechtsbeschwerde als unzulässig i.R.e. Zahlungsanspruchs auf rückständige Gebühren aus einem Schulausbildungsvertrag; Bewilligung von Prozesskostenhilfe

Ein PKH-Gesuch unterbricht die Berufungsfrist nur dann, wenn alle Angaben im PKH-Formular innerhalb der Rechtsmittelfrist gemacht und dazu alle Belege beigefügt sind.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Tübingen - 1. Zivilkammer - vom 3. September 2019 - 1 S 74/19 - wird auf ihre Kosten verworfen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 750 € festgesetzt.

Normenkette:

ZPO § 574 Abs. 1 Nr. 1 ; ZPO § 574 Abs. 2 ;

Gründe

I.

Die Parteien streiten über rückständige Gebühren aus einem Schulausbildungsvertrag, der zwischen der Klägerin als Schulträgerin und der 1993 geborenen Beklagten als Schülerin geschlossen worden war. Das Amtsgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 750 € sowie vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten jeweils nebst Zinsen verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Urteil ist der in erster Instanz bevollmächtigten Rechtsanwältin der Beklagten am 28. Mai 2019 zugestellt worden. Mit am 25. Juni 2019 gegen 23.37 Uhr beim Landgericht eingegangenem Schriftsatz vom selben Tage hat die Mutter der Beklagten gegen dieses Urteil "Berufung" eingelegt. Zudem hat sie hilfsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Am Ende des Schriftsatzes heißt es ferner "Prozesskostenhilfeantrag - ergänzende Anlagen". Beigefügt war ein teilweise ausgefülltes Formular der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse.

Mit Verfügung vom 5. Juli 2019 hat das Landgericht auf die Notwendigkeit anwaltlicher Vertretung im Berufungsverfahren sowie den Ablauf der Berufungsfrist hingewiesen und die Rücknahme des Rechtsmittels angeregt. Mit am 31. Juli 2019 bei Gericht eingegangenem Schreiben hat die Mutter der Beklagten jedoch weiter in der Sache vorgetragen.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen und den Prozesskostenhilfeantrag abgelehnt. Zur Verwerfung des Rechtsmittels hat es ausgeführt, es fehle an einer von einem postulationsfähigen Rechtsanwalt eigenhändig unterschriebenen Berufungsschrift (§ 519 Abs. 4 i.V.m. § 78 Abs. 1 Satz 1 ZPO ). Den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den zweiten Rechtszug hat es "daher" mangels hinreichender Erfolgsaussicht zurückgewiesen.

Mit der hiergegen erhobenen Rechtsbeschwerde macht die Beklagte geltend, das Landgericht habe in der falschen Reihenfolge über die Zulässigkeit des von ihrer Mutter für sie eingelegten Rechtsmittels und über den Prozesskostenhilfeantrag entschieden und so in entscheidungserheblicher Weise gegen den ihr verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes verstoßen. Eine dies korrigierende Entscheidung des Bundesgerichtshofs sei daher zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig.

1. Die Rechtsbeschwerde ist, soweit sie sich gegen die Verwerfung der Berufung als unzulässig durch das Landgericht richtet, statthaft (§ 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ). Sie ist insoweit aber deswegen nicht zulässig, weil es an den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs als Rechtsbeschwerdegericht ist insbesondere nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich; denn die Beklagte ist in ihrem verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes nicht verletzt worden.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Rechtsmittelführer, der innerhalb der Rechtsmittelfrist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt hat, allerdings bis zur Entscheidung über seinen Antrag als unverschuldet verhindert anzusehen, das Rechtsmittel wirksam einzulegen, wenn er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste (st. Rspr., zB Senat, Beschlüsse vom 25. April 2019 - III ZB 104/18, juris Rn. 6 und vom 24. Juli 2014 - III ZB 4/14, juris Rn. 3 jew. mwN). Dies gilt auch dann, wenn neben dem Prozesskostenhilfegesuch eine unzulässige Berufung eingelegt worden ist. Da die Prozesskostenhilfe beantragende Partei wegen ihrer Bedürftigkeit gehindert ist, einen Rechtsanwalt mit ihrer Vertretung im Berufungsverfahren zu beauftragen, ist ihr, wenn sie nach den gegebenen Umständen nicht mit der Ablehnung ihres Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste, nach Entscheidung über die Prozesskostenhilfe Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Das Berufungsgericht hat dementsprechend dann zunächst über das Prozesskostenhilfegesuch zu entscheiden, um so der Partei Gelegenheit zu geben, einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu stellen, falls sie beabsichtigt, das Berufungsverfahren - im Falle der Versagung von Prozesskostenhilfe auf eigene Kosten - durchzuführen (BGH, Beschluss vom 14. März 2017 - VI ZB 36/16, NJW-RR 2017, 895 Rn. 6 mwN).

Dass eine um Prozesskostenhilfe nachsuchende Partei vernünftigerweise nicht mit einer Ablehnung ihres Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen muss, setzt allerdings voraus, dass das Prozesskostenhilfegesuch bis zum Ablauf der Frist eingereicht wird und dem Antrag die ordnungsgemäß ausgefüllte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie die insoweit nötigen Belege beigefügt sind (vgl. Senat aaO und Beschluss vom 8. September 2011 - III ZR 89/11, juris Rn. 4); alle notwendigen Angaben müssen grundsätzlich innerhalb der Rechtsmittelfrist gemacht und belegt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 27. August 2019 - VI ZB 32/18, NJW 2019, 3727 Rn. 13).

b) Dem hat die Beklagte nicht genügt.

Vorliegend hat zwar die Mutter der Beklagten für diese einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beifügung der Erklärung über deren persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse auf Formular am 25. Juni 2019 kurz vor Mitternacht und somit innerhalb der bis zum 28. Juni 2019 währenden Berufungsfrist beim Landgericht eingereicht. Die Mutter der Beklagten hat das vorgelegte Formular über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ihrer Tochter jedoch nur lückenhaft ausgefüllt. Soweit Angaben erfolgt sind, hat sie diese zudem in keiner Weise belegt. Darüber hinaus hat sie keinerlei Angaben über ihre eigenen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht, obschon sie bejaht hat, dass die Beklagte ihr gegenüber einen Unterhaltsanspruch hat, und das von ihr benutzte Formular ausdrücklich darüber aufklärt, dass in einem solchen Fall auch Angaben über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Unterhaltsverpflichteten vorzulegen sind. Eine Konstellation, in der ein Rechtsmittelführer vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe gerichteten Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste, hat somit hier nicht vorgelegen, so dass es - entgegen der Rechtsbeschwerde - für das Landgericht nicht geboten war, zunächst über das Prozesskostenhilfegesuch und erst später über das Rechtsmittel der Berufung zu entscheiden.

c) Ein Hinweis auf die Unvollständigkeit des Prozesskostenhilfegesuchs durch das Landgericht ist nicht geboten gewesen, weil bei Bearbeitung der Sache im normalen Geschäftsgang nicht angenommen werden kann, dass hier in Anbetracht der geringen Zeitspanne zwischen der Anbringung des Prozesskostenhilfegesuchs und dem Ablauf der Berufungsfrist ein solcher Hinweis noch zu einer Vervollständigung der Angaben durch die Beklagte und/oder deren Mutter innerhalb der Berufungsfrist hätte führen können; der vom Bundesgerichtshof (BGH aaO Rn. 8 und 16 bis 18 mwN) entschiedene und von der Rechtsbeschwerde herangezogene Fall, in welchem der Prozesskostenhilfeantrag 15 Tage vor Ablauf der Berufungsfrist eingegangen war, ist diesbezüglich anders gelagert.

d) Es kommt hiernach nicht mehr darauf an, dass die Mutter der Beklagten - anders als sie in dem Schreiben vom 31. Juli 2019 geltend zu machen scheint - entgegen § 80 ZPO eine schriftliche Vollmacht ihrer Tochter zur Beantragung der Prozesskostenhilfe nicht vorgelegt hat. Ebenso ist es nicht von Bedeutung, dass in der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse offen geblieben ist, ob eine Rechtsschutzversicherung, die im ersten Rechtszug Deckung gewährt hatte, auch in zweiter Instanz die Kosten übernehmen werde.

2. Soweit sich die Rechtsbeschwerde gegen die Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrags mangels hinreichender Erfolgsaussicht wendet, ist sie schon mangels Statthaftigkeit unzulässig. Nach § 574 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof nur statthaft, wenn dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat. Diese Voraussetzungen liegen insoweit nicht vor.

Vorinstanz: AG Tübingen, vom 24.05.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 2 C 648/18
Vorinstanz: LG Tübingen, vom 03.09.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 1 S 74/19