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BGH - Entscheidung vom 14.01.2020

II ZB 7/19

Normen:
ZPO § 574 Abs. 2
ZPO § 233 S. 1

BGH, Beschluss vom 14.01.2020 - Aktenzeichen II ZB 7/19

DRsp Nr. 2020/3728

Statthaftigkeit eines Antrags auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist; Prüfung des Vorliegens eines Verschuldens bzgl. der Fristversäumung durch den Prozessbevollmächtigten

Ein Rechtsanwalt hat durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Eine Wiedereinsetzung kommt nicht in Betracht, wenn sich aus dem klägerischen Vorbringen ergibt, dass an der Fristversäumung ein Verschulden ihres zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten ursächlich mitgewirkt hat. Ein soches Verschulden muss sich die Partei zurechnen lassen.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des 27. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 14. März 2019 wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.

Beschwerdewert: 100.000 €

Normenkette:

ZPO § 574 Abs. 2 ; ZPO § 233 S. 1;

Gründe

I. Die Klägerin verlangt von dem Beklagten Zahlung einer Vertragsstrafe von 100.000 €. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 20. Dezember 2018 zugestellte Urteil hat die Klägerin fristgerecht Berufung eingelegt.

Mit bei dem Berufungsgericht am 27. Februar 2019 eingegangenem Schriftsatz hat die Klägerin die Berufung begründet und beantragt, ihr gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Zur Begründung hat die Klägerin unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung ihres Prozessbevollmächtigten ausgeführt, dass dieser am 4. Februar 2019 einen Schriftsatz verfasst habe, mit dem er um Akteneinsicht gebeten und zugleich beantragt habe, die Frist für die Begründung der Berufung um einen Monat zu verlängern. Tatsächlich sei dieser Schriftsatz allerdings nicht versandt worden. Am 20. Februar 2019 sei ihrem Prozessbevollmächtigten die Akte dann wegen der an diesem Tag ablaufenden Berufungsbegründungsfrist vorgelegt worden. Daraufhin habe dieser festgestellt, dass in der Akte eine Ablichtung des Fristverlängerungsantrags abgeheftet gewesen sei. Aufgrund dessen sei er irrtümlich davon ausgegangen, dass der Fristverlängerungsantrag "so auch und damit ausreichende Zeit vor dem Fristablauf hinausgegangen" sei. Er habe darauf vertrauen können, dass ein in der Akte abgehefteter Verlängerungsantrag auch tatsächlich hinausgegeben worden sei. Dafür sei seine Mitarbeiterin L. zuständig gewesen. Frau L. sei eine ausgebildete Rechtsanwalts- und Notargehilfin, die seit 1989 für ihn tätig sei, und habe ihre Aufgaben in der Vergangenheit immer pflichtbewusst und fehlerlos ausgeführt. Dass der Schriftsatz tatsächlich nicht versandt worden sei, habe er erst am 23. Februar 2019 bemerkt.

Das Berufungsgericht hat mit Beschluss vom 14. März 2019 den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Die Fristversäumung beruhe auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Klägerin. Werde die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt, sei in jedem Fall durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass vor dem Ablauf der Frist, deren Verlängerung beantragt worden sei, das wirkliche Ende der Frist, ggf. durch Rückfrage bei Gericht, festgestellt werde. Die Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs verhalte sich nicht zu den hierfür vorgesehenen organisatorischen Maßnahmen in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Klägerin. Hinzu komme, dass die Handakte dem Prozessbevollmächtigten am Tag des Fristablaufs gerade mit Blick auf die an diesem Tag ablaufende Frist vorgelegt worden sei. Spätestens zu diesem Zeitpunkt habe diesem auffallen müssen, dass sich keine die Fristverlängerung bestätigende Nachricht bei der Akte befunden habe. Ein Rechtsanwalt dürfe auf die Gewährung einer vermeintlich beantragten Fristverlängerung nicht solange vertrauen, wie er keine anderslautende Nachricht vom Gericht erhalte, sondern müsse sich, ggf. durch Rückfrage bei Gericht, Gewissheit über das wirkliche Ende der Frist verschaffen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin, mit der sie unter Vorlage eidesstattlicher Versicherungen ihres Prozessbevollmächtigten und dessen Mitarbeiterin ergänzend ausgeführt hat:

Der Fristverlängerungsantrag sei von ihrem Prozessbevollmächtigten am 4. Februar 2019 unterschrieben und in das Sekretariat zurückgegeben worden. Die Kopie für die Handakte werde bereits mit der Ausfertigung erstellt und abgeheftet. Aus unerklärlichen Gründen sei der Fristverlängerungsantrag danach vom Sekretariat nicht "hinausgegeben" worden. Der Postversand sei in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Klägerin so organisiert, dass unterschriebene Schriftsätze und Schreiben sofort postfertig zu machen seien. Dafür erfolge eine Eintragung ins Postausgangsbuch, wodurch der Postversand auch später nachvollzogen werden könne. Die Post werde sodann am Feierabend mitgenommen und in den nächsten Briefkasten eingeworfen. Bei Wiedervorlage der Handakte zur Fertigung der Berufungsbegründung am 23. Februar 2019 sei ihrem Prozessbevollmächtigten aufgefallen, dass in ihr noch keine Bestätigung der Fristverlängerung enthalten gewesen sei. Er habe daraufhin die Versendung anhand des Postausgangsbuchs überprüft, in dem weder für den 4. Februar 2019 noch zeitnah danach ein Ausgang an das Berufungsgericht vermerkt gewesen sei.

II. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft, aber unzulässig. Es fehlt an dem nach § 574 Abs. 2 ZPO erforderlichen Zulassungsgrund.

Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ) erforderlich; insbesondere verletzt der angefochtene Beschluss nicht den Anspruch der Klägerin auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip; vgl. BVerfG, NJW 2003, 281 mwN). Das Berufungsgericht hat die von der Klägerin beantragte Wiedereinsetzung im Ergebnis zu Recht versagt und ihre Berufung zutreffend als unzulässig verworfen.

1. Die Klägerin hat die Frist zur Berufungsbegründung nach § 520 Abs. 2 ZPO versäumt. Die zweimonatige Berufungsbegründungsfrist begann gemäß § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO mit der Zustellung des Urteils des Landgerichts am 20. Dezember 2018. Sie ist gemäß § 222 Abs. 1 und 2 ZPO , § 188 Abs. 2 BGB am 20. Februar 2019 abgelaufen. Innerhalb dieser Frist ist weder eine Berufungsbegründung noch ein Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist beim Berufungsgericht eingegangen.

2. Den wirksam gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist hat das Berufungsgericht im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Die Wiedereinsetzung setzt nach § 233 Satz 1 ZPO voraus, dass die Partei ohne ihr Verschulden gehindert war, die versäumte Frist einzuhalten. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt, weil sich aus dem Vorbringen der Klägerin ergibt, dass an der Fristversäumung ein Verschulden ihres zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten ursächlich mitgewirkt hat; dieses muss sich die Klägerin nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.

a) Ein Rechtsanwalt hat durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Hierzu hat er grundsätzlich sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von Rechtsmittelfristen auszuschließen (BGH, Beschluss vom 2. Februar 2010 - XI ZB 23/08, XI ZB 24/08, NJW 2010, 1363 Rn. 11; Beschluss vom 4. November 2014 - VIII ZB 38/14, NJW 2015, 253 Rn. 8; Beschluss vom 29. Oktober 2019 - VIII ZB 103/18, juris Rn. 11).

Zu diesem Zweck hat er seine Ausgangskontrolle so zu organisieren, dass sie einen gestuften Schutz gegen Fristversäumungen bietet.

Zum einen dürfen die im Fristenkalender vermerkten Fristen erst dann gestrichen oder anderweitig als erledigt gekennzeichnet werden, wenn die fristwahrende Maßnahme tatsächlich durchgeführt, der Schriftsatz also gefertigt und abgesandt oder zumindest postfertig gemacht, die weitere Beförderung der ausgehenden Post also organisatorisch zuverlässig vorbereitet worden ist. Dabei sind die für die Kontrolle zuständigen Mitarbeiter anzuweisen, Fristen im Kalender grundsätzlich erst zu streichen oder als erledigt zu kennzeichnen, nachdem sie sich anhand der Akte vergewissert haben, dass zweifelsfrei nichts mehr zu veranlassen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Januar 2013 - VI ZB 78/11, NJW-RR 2013, 506 Rn. 10; Beschluss vom 9. Dezember 2014 - VI ZB 42/13, NJW-RR 2015, 442 Rn. 8; Beschluss vom 29. Oktober 2019 - VIII ZB 103/18, juris Rn. 12).

Zum anderen gehört hierzu aber auch die Anordnung des Rechtsanwalts, dass die Erledigung von fristwahrenden Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders durch eine dazu beauftragte Bürokraft überprüft wird. Diese nochmalige, selbständige und abschließende Kontrolle muss gewährleisten, dass geprüft wird, welche fristwahrenden Schriftsätze hergestellt, abgesandt oder zumindest versandfertig gemacht worden sind und ob diese mit den im Fristenkalender vermerkten Sachen übereinstimmen. Die allabendliche Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze mittels Abgleichs mit dem Fristenkalender dient dabei nicht allein dazu, zu überprüfen, ob sich aus den Eintragungen noch unerledigt gebliebene Fristsachen ergeben. Ihr Sinn und Zweck liegt auch darin - etwa anhand der in der Ausgangspost befindlichen Schriftstücke, der Akten oder eines zu dieser Kontrolle geführten Postausgangsbuchs - festzustellen, ob möglicherweise in einer bereits als erledigt vermerkten Fristsache die fristwahrende Handlung noch aussteht (BGH, Beschluss vom 4. November 2014 - VIII ZB 38/14, NJW 2015, 253 Rn. 10, 13 ; Beschluss vom 15. Dezember 2015 - VI ZB 15/15, NJW 2016, 873 Rn. 8; Beschluss vom 23. Februar 2016 - II ZB 9/15, NJW 2016, 1664 Rn. 17; Beschluss vom 25. April 2017 - XI ZB 18/16, juris Rn. 10 f.; Beschluss vom 11. Juli 2017 - VIII ZB 20/17, juris Rn. 7). Daher ist ein Fristenkalender so zu führen, dass auch eine gestrichene Frist noch erkennbar und bei der Endkontrolle überprüfbar ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 2000 - V ZB 1/00, NJW 2000, 1957 unter II; Beschluss vom 16. Dezember 2013 - II ZB 23/12, juris Rn. 9; Beschluss vom 11. März 2014 - VIII ZB 52/13, juris Rn. 5; Beschluss vom 4. November 2014 - VIII ZB 38/14, NJW 2015, 253 Rn. 10; Beschluss vom 15. Dezember 2015 - VI ZB 15/15, NJW 2016, 873 Rn. 8; Beschluss vom 16. April 2019 - VI ZB 33/17, NJW-RR 2019, 950 Rn. 8; Beschluss vom 29. Oktober 2019 - VIII ZB 103/18, juris Rn. 13). Eine solche zusätzliche Kontrolle ist bereits deswegen notwendig, da selbst bei sachgerechten Organisationsabläufen individuelle Bearbeitungsfehler auftreten können, die es nach Möglichkeit aufzufinden und zu beheben gilt (vgl. BGH, Beschluss vom 4. November 2014 - VIII ZB 38/14, NJW 2015, 253 Rn. 8; Beschluss vom 29. Oktober 2019 - VIII ZB 103/18, juris Rn. 13).

b) Die Klägerin hat nicht vorgetragen, dass eine diesen Anforderungen genügende Postausgangskontrolle in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten vorhanden war. Insbesondere hat sie nicht dargelegt, dass eine nochmalige, selbständige und abschließende allabendliche Ausgangskontrolle durch eine dazu beauftragte Bürokraft angeordnet war, wodurch hier mittels Einsicht in das Postausgangsbuch offenbar geworden wäre, dass der Fristverlängerungsantrag noch nicht postfertig gemacht worden war. Vielmehr hat ihr Prozessbevollmächtigter persönlich die Verantwortung für die Kontrolle des Postausgangs übernommen, indem er sich die Handakte am Tag des Ablaufs der Frist zur Begründung der Berufung vorlegen ließ. Dabei hätte er sich aber nicht damit zufriedengeben dürfen, dass in der Akte eine Abschrift des Fristverlängerungsantrags abgeheftet war, sondern er hätte die bislang unterbliebene Postausgangskontrolle entweder persönlich vornehmen oder mittels konkreter Einzelanweisung an eine bewährte Kanzleikraft (vgl. BGH, Beschluss vom 4. September 2018 - VIII ZB 70/17, MDR 2018, 1331 Rn. 22 mwN) veranlassen müssen. Die Einsicht in das Postausgangsbuch hätte sodann gezeigt, dass der Fristverlängerungsantrag nicht schon am 4. Februar 2019 oder den Folgetagen zur Post aufgegeben wurde. Die Berufungsbegründungsfrist hätte hiernach durch Übersendung des Antrags per Telefax oder Einwurf in den Gerichtsbriefkasten noch gewahrt werden können.

Vorinstanz: LG Bochum, vom 19.12.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 5 O 195/17
Vorinstanz: OLG Hamm, vom 14.03.2019 - Vorinstanzaktenzeichen I-27 U 11/19