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BGH - Entscheidung vom 30.04.2020

StB 27/18

Normen:
FamFG § 70 Abs. 1
HmbSOG § 13a Abs. 1 S. 1

BGH, Beschluss vom 30.04.2020 - Aktenzeichen StB 27/18

DRsp Nr. 2020/9577

Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde der beteiligten Behörde trotz Zulassung i.R.e. behördlich angeordneten Freiheitsentziehung zum Zweck der Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung über den Gewahrsam (hier: G20-Gipfel); Rechtsverletzung durch die Art und Weise des Gewahrsamsvollzugs eines Betroffenen eines sog. Schwarzen Blocks wegen Verstoßes gegen das Unverzüglichkeitsgebot

Tenor

1.

Die Rechtsbeschwerde der beteiligten Behörde gegen den Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 25. Mai 2018 wird verworfen.

2.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Der Freien und Hansestadt Hamburg werden die der Betroffenen in der Rechtsbeschwerdeinstanz entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten auferlegt.

3.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 2.500 €.

Normenkette:

FamFG § 70 Abs. 1 ; HmbSOG § 13a Abs. 1 S. 1;

Gründe

I.

1. Am 7. und 8. Juli 2017 fand in Hamburg ein Treffen der Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20-Gipfel) statt. Insbesondere an diesen beiden Tagen, aber auch schon im Vorfeld des Gipfeltreffens führten dessen Gegner in der Stadt zahlreiche Demonstrationen und Protestaktionen durch, die teilweise mit schwerwiegenden Ausschreitungen einhergingen.

Die Betroffene war Teil einer Gruppe überwiegend schwarz gekleideter und vermummter Personen (sog. Schwarzer Block), aus der heraus am frühen Morgen des 7. Juli 2017 Flaschen, Steine und pyrotechnische Gegenstände auf Einsatzkräfte der Polizei geworfen wurden. Die Betroffene wurde um 06:28 Uhr vorläufig festgenommen und in die eigens für die Dauer des G20-Gipfels eingerichtete und durchgängig mit einem Bereitschaftsdienst von Gericht, Staatsanwaltschaft und Polizei besetzte Gefangenensammelstelle (GESA) verbracht, um dort eine richterliche Entscheidung über die vorübergehende Entziehung ihrer Freiheit herbeizuführen.

2. Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht Hamburg am 8. Juli 2017 um 05:35 Uhr die Ingewahrsamnahme der Betroffenen und die Fortdauer der Freiheitsentziehung gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 2 des Hamburgischen Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (HmbSOG) bis zum 9. Juli 2017 um 18 Uhr für "zulässig" erklärt.

Mit Beschluss vom 25. Mai 2018 hat das Landgericht auf die Beschwerde der - nach dem festgelegten Endzeitpunkt in die Freiheit entlassenen - Betroffenen festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts sie in ihren Rechten verletzt hat, soweit darin die Freiheitsentziehung in der Zeit von der Festnahme der Betroffenen bis zur Bekanntgabe des Beschlusses (mithin der behördliche Gewahrsam) für zulässig erklärt worden ist; die richterliche Entscheidung sei nicht unverzüglich im Sinne des § 13a Abs. 1 Satz 1 HmbSOG herbeigeführt worden. Darüber hinaus hat das Landgericht die Feststellung getroffen, dass die Betroffene auch durch die Art und Weise des Gewahrsamsvollzugs in ihren Rechten verletzt wurde, indem sie sich im Rahmen einer Durchsuchung in der GESA vollständig entkleiden musste. Im Übrigen hat es die Beschwerde zurückgewiesen, weil es die vom Amtsgericht angeordnete Freiheitsentziehung für den Zeitraum ab und aufgrund dieses Beschlusses bis zu dem darin festgelegten Endzeitpunkt (mithin den richterlichen Gewahrsam) als rechtmäßig beurteilt hat. Das Landgericht hat die Rechtsbeschwerde zugelassen.

3. Gegen den Beschluss des Landgerichts wendet sich die beteiligte Behörde mit ihrer Rechtsbeschwerde. Sie begehrt die Aufhebung des Beschlusses, soweit das Landgericht die Entscheidung des Amtsgerichts wegen Verstoßes gegen das Unverzüglichkeitsgebot aufgehoben und festgestellt hat, dass die Freiheitsentziehung in der Zeit von der vorläufigen Festnahme bis zur Bekanntgabe der Entscheidung des Amtsgerichts die Betroffene in ihren Rechten verletzt hat.

II.

Die Rechtsbeschwerde der beteiligten Behörde ist unzulässig. Das Rechtsmittel ist nicht statthaft.

1. Das Hamburgische Sicherheits- und Ordnungsrecht sieht als Rechtsmittel gegen die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts die Rechtsbeschwerde gemäß §§ 70 ff. FamFG vor. Nach der im Sinne des § 40 Abs. 2 Satz 2 VwGO abdrängenden Sonderzuweisung des § 13a Abs. 2 Satz 2 HmbSOG ist für das Verfahren über den Gewahrsam gemäß § 13 HmbSOG das Buch 7 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit ( FamFG ) in der jeweils geltenden Fassung heranzuziehen. In diesem Buch, welches das Verfahren in bundesrechtlich angeordneten Freiheitsentziehungen zum Gegenstand hat, sind zwar die Rechtsmittel - mit Ausnahme der ergänzenden Vorschrift des § 429 FamFG - nicht gesondert geregelt. Indes finden die §§ 70 ff. FamFG als im Buch 1 enthaltene allgemeine Vorschriften Anwendung auf die in den weiteren Büchern normierten Verfahren (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. September 2016 - StB 26/16, NStZ-RR 2017, 24 ; vom 19. April 2018 - StB 5/18, NStZ-RR 2018, 262 f.; Drews in Prütting/Helms, FamFG , 4. Aufl., § 429 Rn. 1; Grotkopp in Bahrenfuss, FamFG , 3. Aufl., § 429 Rn. 16).

Die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde richtet sich nach § 70 FamFG . Nach dieser Bestimmung ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn das Beschwerdegericht sie aus einem der in § 70 Abs. 2 FamFG genannten Gründe zugelassen hat (§ 70 Abs. 1 FamFG ), sowie darüber hinaus in Freiheitsentziehungssachen ohne Zulassung, wenn sie sich gegen den die Freiheitsentziehung anordnenden oder in den in § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG genannten Verfahren gegen den eine freiheitsentziehende Maßnahme ablehnenden oder zurückweisenden Beschluss richtet (§ 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 , Satz 2, 3 FamFG ). Demgegenüber findet nach § 70 Abs. 4 FamFG gegen einen Beschluss im Verfahren über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung oder eines Arrests die Rechtsbeschwerde nicht statt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gilt für das Aufenthaltsrecht Folgendes: Der Regelung des § 70 Abs. 4 FamFG unterfällt die vorläufige richterliche Anordnung von Haft zur Sicherung der Abschiebung nach § 427 FamFG i.V.m. § 62 AufenthG . Dem gleich steht die einer richterlichen Beschlussfassung vorgelagerte Möglichkeit der Behörde, einen Ausländer unter strengen Voraussetzungen für einen kurzen Zeitraum vorläufig in Gewahrsam zu nehmen, um diesen unverzüglich dem Richter vorzuführen (§ 428 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 62 Abs. 5 nF bzw. Abs. 4 aF AufenthG ). Denn nach § 428 Abs. 2 FamFG ist auch über die Anfechtung behördlich angeordneter Freiheitsentziehungen im Sinne von § 428 Abs. 1 Satz 1 FamFG "nach den Vorschriften dieses Buches" zu entscheiden. Daraus wird deutlich, dass der gerichtliche Rechtsschutz gegen solche Maßnahmen den Regelungen folgen soll, die auf die Anfechtung gerichtlich angeordneter Freiheitsentziehungen Anwendung finden. Hierzu zählt § 70 Abs. 4 FamFG . Dabei ist ohne Bedeutung, ob das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde zugelassen hat; eine solche Zulassung ist verfahrensfehlerhaft und bindet das Rechtsbeschwerdegericht nicht (vgl. zum Ganzen BGH, Beschlüsse vom 12. Mai 2011 - V ZB 135/10, juris Rn. 5; vom 23. Mai 2011 - V ZA 29/10, juris; vom 9. März 2017 - V ZB 119/16, juris Rn. 5, 9).

Für die behördlich angeordnete Freiheitsentziehung zum Zweck der Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung über den Gewahrsam nach den Vorschriften des Polizei- und Ordnungsrechts gilt nichts anderes. Es ist kein sachlicher Grund ersichtlich, der es insoweit rechtfertigen würde, im Hinblick auf das Rechtsmittelrecht zwischen den beiden Rechtsgebieten zu differenzieren. Vielmehr ist in der jeweils zu beurteilenden Verfahrenskonstellation der maßgebliche sachliche Grund für den Ausschluss der Rechtsbeschwerde, dass der behördliche Gewahrsam im Vorfeld der richterlichen Entscheidung generell nur vorläufigen Charakter hat. Folgerichtig behandelt die Kommentarliteratur zum FamFG die Rechtsprechung zur Anwendbarkeit des § 70 Abs. 4 FamFG in diesen Fällen ohne Bezug auf eine bestimmte Kategorie von Freiheitsentziehungssachen (s. Drews in Prütting/Helms, FamFG , 4. Aufl., § 428 Rn. 11; Keidel/Göbel, FamFG , 20. Aufl., § 428 Rn. 12; MüKoFamFG/Wendtland, 3. Aufl., § 428 Rn. 10).

2. Nach den aufgezeigten Maßstäben ist die Rechtsbeschwerde der beteiligten Behörde - trotz ihrer Zulassung durch das Landgericht - nicht statthaft.

Hinsichtlich der angegriffenen Feststellung des Landgerichts, die Freiheitsentziehung in der Zeit von der vorläufigen Festnahme bis zur Bekanntgabe der Entscheidung des Amtsgerichts habe die Betroffene wegen Verstoßes gegen das Unverzüglichkeitsgebot (§ 13a Abs. 1 Satz 1 HmbSOG) in ihren Rechten verletzt, ist die Rechtsbeschwerde analog § 70 Abs. 4 FamFG nicht eröffnet. Denn der betreffende Verfahrensgegenstand bezieht sich auf den behördlichen Gewahrsam zum Zweck der Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung und damit denjenigen Zeitraum, für den sich der Rechtsschutz nach § 428 Abs. 2 FamFG richtet.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 2, §§ 84 , 430 FamFG , Art. 5 Abs. 5 MRK analog.

Die Festsetzung des Gegenstandswerts des Verfahrens in der Rechtsbeschwerdeinstanz folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 , § 62 analog GNotKG .

Vorinstanz: LG Hamburg, vom 25.05.2018