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BGH - Entscheidung vom 18.03.2020

1 StR 67/20

Normen:
StPO § 349 Abs. 4

BGH, Beschluss vom 18.03.2020 - Aktenzeichen 1 StR 67/20

DRsp Nr. 2020/7493

Revisionsrechtliche Überprüfung einer Verurteilung wegen Vergewaltigung in zwei Fällen; Bewertung einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation

Bei einer Beweiswürdigung in einem Verfahren wegen Vergewaltigung sind in einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation besondere Anforderungen an die Belastbarkeit der Angaben der einzigen Tatzeugin zu stellen. Das Tatgericht hat sich im Rahmen der Konstanzanalyse mit allen Widersprüchen in den Aussagen der Nebenklägerin bei den verschiedenen Vernehmungen im Ermittlungsverfahren auseinanderzusetzen.

Tenor

1.

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 26. September 2019 mit den Feststellungen aufgehoben.

2.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

StPO § 349 Abs. 4 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt.

Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision hat Erfolg.

I.

1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen zog der Angeklagte die Nebenklägerin, seine Ehefrau, am Abend des 15. August 2018 im Wohnzimmer der gemeinsamen Wohnung an der Hand in Richtung Sofa und äußerte, dass er mit ihr schlafen wolle. Da die Nebenklägerin müde war, wollte diese keinen Geschlechtsverkehr mit dem Angeklagten, und sagte ihm das wiederholt deutlich hörbar. Der Angeklagte packte die Nebenklägerin an den Schultern und schubste sie so auf das Sofa, dass sie auf dem Rücken zum Liegen kam. Er zog sich aus und der Nebenklägerin die Schlafanzughose und Unterhose herunter und drückte mit seinen beiden Händen die Beine der Nebenklägerin gewaltsam auseinander. Dann legte er sich auf die Nebenklägerin und drang gegen deren erkennbaren Willen ohne Kondom vaginal in diese ein. Um dem Angeklagten zu verdeutlichen, dass sie keinen Geschlechtsverkehr will, boxte die Nebenklägerin dem Angeklagten zwei Mal mit der Faust gegen die Brust und schrie einmal auf - allerdings nur kurz, um die schlafende Tochter nicht zu wecken. Auch hierdurch ließ sich der Angeklagte nicht beirren, sondern vollzog weiter den Geschlechtsverkehr, bis er seinen Penis kurz vor dem Samenerguss aus der Scheide der Nebenklägerin zog (Tat C)1. der Urteilsgründe). Anschließend sagte die Nebenklägerin dem Angeklagten, dass dies nicht in Ordnung gewesen sei und nicht mehr vorkommen dürfe, worauf der Angeklagte erwiderte, dass dies ganz normal sei und er das Recht dazu habe, weil sie seine Frau sei.

Am Folgetag hielt sich die Nebenklägerin mit der gemeinsamen Tochter nachmittags bei einer Nachbarin auf, als der Angeklagte ihr per WhatsAppNachricht mitteilte, dass es ihm nicht gut gehe und sie mit der gemeinsamen Tochter nach Hause kommen solle. Die Nebenklägerin ließ die Tochter bei der Nachbarin und ging allein in die gemeinsame Wohnung. Als sie dem Angeklagten in der Küche etwas zu trinken holen wollte, kam dieser - die Situation ausnutzend - hinzu, packte die Nebenklägerin am Handgelenk und zog sie in Richtung des Schlafzimmers. Die Nebenklägerin sagte dem Angeklagten, dass sie die Tochter abholen wolle, und versuchte zur Verdeutlichung, dass sie jetzt keinen Geschlechtsverkehr wolle, sich von diesem loszureißen. Im Schlafzimmer stieß der Angeklagte die Nebenklägerin gegen die Schultern, so dass sie auf das Bett fiel und auf dem Rücken zum Liegen kam. Sie sagte zum Angeklagten in Kenntnis seines Vorhabens deutlich hörbar "Nein, das möchte ich nicht!", woraufhin dieser erwiderte: "Doch, Du bist meine Frau!". Dann zog der Angeklagte der Nebenklägerin mit einem Ruck Hose und Unterhose bis zu den Knien herunter und zog sich selbst bis auf das Unterhemd aus. Er legte sich auf sie, was die Nebenklägerin mit Faustschlägen gegen die Schultern des Angeklagten zu verhindern versuchte. Dessen ungeachtet drang der Angeklagte ohne Kondom vaginal in die Nebenklägerin ein, hielt diese mit beiden Händen auf das Bett gedrückt und vollzog den Geschlechtsverkehr bis kurz vor dem Samenerguss, den er außerhalb der Scheide der Nebenklägerin vollzog (Tat C)2. der Urteilsgründe).

2. Der Angeklagte hat eingeräumt, dass es jeweils zu dem Geschlechtsverkehr gekommen ist, hat sich aber dahin eingelassen, dass dieser einvernehmlich gewesen sei.

Ihre Überzeugung davon, dass der Angeklagte den Geschlechtsverkehr jeweils gegen den erkennbar entgegenstehenden Willen der Nebenklägerin unter gewaltsamer Überwindung des von ihr geleisteten Widerstandes vollzogen hat, hat die Strafkammer auf die über die jeweiligen Vernehmungsbeamten und den Ermittlungsrichter eingeführten Aussagen der Nebenklägerin im Ermittlungsverfahren gestützt; in der Hauptverhandlung hat die Nebenklägerin von ihrem Aussageverweigerungsrecht (§ 52 StPO ) Gebrauch gemacht, aber sich mit einer Verwertung ihrer früheren Aussagen einverstanden erklärt.

II.

1. Der Schuldspruch hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil die Feststellungen nicht von einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung getragen sind, sich diese vielmehr als lückenhaft erweist (vgl. insoweit zum Prüfungsmaßstab nur BGH, Urteil vom 9. Januar 2020 - 3 StR 288/19 Rn. 19 mwN), zumal in einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation besondere Anforderungen an die Belastbarkeit der Angaben der einzigen Tatzeugin zu stellen sind (dazu im Einzelnen BGH, Beschlüsse vom 5. April 2016 - 1 StR 53/16 Rn. 3 und vom 20. April 2017 - 2 StR 346/16 Rn. 6).

a) Das Landgericht hat seine Würdigung, die Angaben der Nebenklägerin zum Tatgeschehen seien glaubhaft, insbesondere damit begründet, dass deren durch die jeweiligen Vernehmungspersonen eingeführten Aussagen im Ermittlungsverfahren im Wesentlichen konstant und widerspruchsfrei gewesen seien (UA S. 25). Dabei hat sich die Strafkammer im Rahmen der Konstanzanalyse allerdings nur mit einzelnen Widersprüchen in den Aussagen der Nebenklägerin bei den verschiedenen Vernehmungen im Ermittlungsverfahren auseinandergesetzt und zahlreiche weitere - teilweise auch das Kerngeschehen betreffende - Widersprüche nicht erkennbar in seine Betrachtung einbezogen. Die Vielzahl der Widersprüche in den Aussagen der Nebenklägerin im Ermittlungsverfahren hat das Landgericht auch nicht in seiner Gesamtwürdigung berücksichtigt.

(1) So hat sich das Landgericht beispielsweise nicht damit auseinandergesetzt, dass die Nebenklägerin gegenüber dem Kriminalbeamten K. mitgeteilt hat, dass der Angeklagte ihr gedroht habe, sie und die Tochter nach Syrien zu schicken (UA S. 14), während sie zuvor gegenüber den Polizisten S. und F. von der Drohung des Angeklagten, das Kind nach Syrien zu entführen (UA S. 12) beziehungsweise ihr das Kind zu entziehen (UA S. 14), gesprochen haben soll. F. (UA S. 13 f.) und K. (UA S. 15) zur ersten Tat (Fall C)1. der Urteilsgründe) nicht mitgeteilt hat, dass sie sich gegen den Übergriff des Angeklagten mit Faustschlägen oder -stößen gegen dessen Brust zu wehren versucht habe, während sie entsprechendes gegenüber dem Ermittlungsrichter (UA S. 17) angegeben hat.

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(2) Ebenso wenig hat sich die Strafkammer damit befasst, dass die Nebenklägerin bei ihren ersten polizeilichen Aussagen gegenüber den Zeugen

(3) Auch hinsichtlich der Behauptungen, sie habe im Fall C)1. der Urteilsgründe dem Angeklagten wiederholt gesagt, dass sie keinen Geschlechtsverkehr wolle (UA S. 14 und 15 einerseits und S. 17 andererseits), und auch kurz geschrien (vgl. UA S. 14 f. einerseits sowie S. 13 f., 17 andererseits), erweisen sich die Angaben der Nebenklägerin im Ermittlungsverfahren ausweislich der Angaben der jeweiligen Vernehmungspersonen nicht als konstant, ohne dass sich das Landgericht hiermit auseinandergesetzt hätte.

(4) Weitere Widersprüche in den Aussagen der Nebenklägerin, mit denen sich das Landgericht nicht befasst hat, liegen unter anderem darin, dass die Nebenklägerin ausweislich der Aussage des Ermittlungsrichters zu Fall C)2. der Urteilsgründe geschildert hat, dass sie vergeblich versucht habe, sich vom Angeklagten loszureißen (UA S. 17), sowie dass der Angeklagte ihr die Hose und Unterhose bis zu den Füßen hinuntergezogen habe (Ermittlungsrichter, UA S. 17), während die Nebenklägerin bei der Vernehmung durch den Kriminalbeamten K. diesbezüglich gesagt haben soll, der Angeklagte habe ihre Hose und Unterhose bis zu den Knien heruntergezogen, und sich aus dessen Aussage auch nichts für eine Behauptung der Nebenklägerin ergibt, sie habe im Fall C)2. der Urteilsgründe versucht, sich vom Angeklagten loszureißen (UA S. 15).

(5) Schließlich hat sich die Strafkammer auch nicht mit dem Widerspruch auseinandergesetzt, dass der Zeuge N. angegeben hat, die Nebenklägerin

habe ihm vor der Anzeigeerstattung nur davon berichtet, dass ihr Ehemann sie belästige (UA S. 27), wohingegen der Vernehmungsbeamte S. bekundet hat, der Zeuge N. habe bei der Anzeigeerstattung erklärt, die Nebenklägerin sei in den letzten Wochen bzw. Monaten von ihrem Ehemann zum Sex gezwungen worden (UA S. 13).

b) Soweit das Landgericht seine Beweiswürdigung maßgeblich darauf gestützt hat, dass ein Motiv der Nebenklägerin für eine Falschbelastung des Angeklagten nicht erkennbar sei (UA S. 24, 28), bestehen auch insoweit durchgreifende Bedenken, als die Strafkammer die Möglichkeit, dass die Nebenklägerin den Angeklagten zu Unrecht belastet haben könnte, um dessen Drohung, er werde die gemeinsame Tochter entführen beziehungsweise sie und/oder die Tochter zurück nach Syrien schicken, zu begegnen, oder aber ihren Scheidungswunsch effektiv durchzusetzen, nicht erkennbar in Erwägung gezogen hat. Diese Überlegungen hätten auch deshalb nahegelegen, weil die Nebenklägerin, so die Aussage des Vernehmungsbeamten S. , bei Erscheinen auf der Wache zur Erstattung einer Anzeige anfangs etwas seltsam gewirkt, nämlich den Eindruck gemacht habe, als würde sie mit dem Zeugen N. , ihrem Begleiter, scherzen. Ob die für dieses Verhalten von der Nebenklägerin gegenüber dem Zeugen S. gelieferte Erklärung, sie stehe unter Schock und wisse nicht, wie sie reagieren solle, in Ansehung des eigentlichen Anlasses der Anzeigeerstattung - der Sorge wegen der Drohung des Angeklagten, die gemeinsame Tochter zu entziehen beziehungsweise die Nebenklägerin und die gemeinsame Tochter nach Syrien zurückzuschicken, und der heimlichen Aufnahme eines Gesprächs der Nebenklägerin durch den Angeklagten - nachvollziehbar ist, hat das Landgericht nicht näher thematisiert. Gleiches gilt für die Eindrücke des Vernehmungsbeamten K. und die diesem gegenüber von der Nebenklägerin abgegebene Erklärung für das ihm zunächst als entspannt und gelöst erscheinende Auftreten der Nebenklägerin (UA S. 16). Auch in Anbetracht der Aussage des Vernehmungsbeamten F. , er habe den Eindruck gehabt, die Nebenklägerin habe mit der Anzeige des Angeklagten verhindern wollen, dass dieser ihr das Kind entziehe (UA S. 14), hätte sich eine nähere Auseinandersetzung mit dieser möglichen Motivlage der Nebenklägerin aufgedrängt.

2. Die aufgezeigten Würdigungsfehler machen eine umfassende Aufhebung des angefochtenen Urteils einschließlich sämtlicher dort getroffener Feststellungen erforderlich; die Sache bedarf insgesamt neuer tatrichterlicher Prüfung.

Vorinstanz: LG Augsburg, vom 26.09.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 407 Js 130556/18