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BGH - Entscheidung vom 23.04.2020

1 StR 106/20

Normen:
StGB § 63

BGH, Beschluss vom 23.04.2020 - Aktenzeichen 1 StR 106/20

DRsp Nr. 2020/7735

Revision gegen eine Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus im Sicherungsverfahren

Die für die Unterbringung eines Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus erforderliche Gefährlichkeitsprognose ist lückenhaft, wenn das Tatgericht sich, obwohl es sich hierzu angesichts der bisherigen Lebensgeschichte des Beschuldigten hätte veranlasst sehen müssen, nicht ausreichend damit auseinander gesetzt hat, dass der Beschuldigte bislang nicht gegen andere Personen als seine engsten Familienangehörigen gewalttätig geworden ist. Dies gilt auch dann,wenn die Beweiswürdigung zum Fehlen der Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten in das Unrecht der zum Nachteil seines Vaters begangenen Körperverletzung und zum symptomatischen Zusammenhang zwischen seiner psychiatrischen Erkrankung und dieser Tat mit den Feststellungen zur Tatmotivation des Beschuldigten und der diesbezüglichen Beweiswürdigung in offenem Widerspruch steht.

Tenor

1.

Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 5. Dezember 2019 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum Vorleben und zur psychischen Erkrankung des Beschuldigten sowie zum objektiven Tatgeschehen aufrechterhalten.

2.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

3.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

StGB § 63 ;

Gründe

Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge einer Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Beschuldigten. Die unausgeführte Verfahrensrüge entspricht bereits nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO und ist damit unzulässig. Die Sachrüge hat dagegen in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO ); im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO .

I.

Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Beschuldigte seit 1992 an einer paranoiden Schizophrenie. Trotz seiner Erkrankung lebte er jahrelang ganz überwiegend in einer eigenen Wohnung, kehrte aber in Krisensituationen - und im Oktober 2016 dauerhaft bis zum verfahrensgegenständlichen Tatgeschehen - wieder in das elterliche Haus zurück. Nachdem es am 10. April 2018 aufgrund von Manipulationen des Beschuldigten am im Keller des elterlichen Hauses befindlichen Sicherungskasten und/oder von "Messungen" des Beschuldigten am Stromnetz zu einem wiederholten Anschlagen des Fehlschutzschalters und dann zu einem Ausfall der Heizung gekommen war, versuchte der Vater des Beschuldigten, der Geschädigte P. , zunächst mittags und nochmals gegen 15 Uhr vergeblich, den Beschuldigten in seinem Zimmer zur Rede zu stellen. Beim dritten Versuch öffnete der Beschuldigte gegen 17 Uhr auf das Klopfen des Vaters seine Zimmertür. Der Geschädigte fragte den Beschuldigten, ob er im Keller gewesen sei, worauf der Beschuldigte mit den Worten, der Geschädigte solle ihn in Ruhe lassen, bedrohlich nah vor diesen hintrat. Da der Geschädigte aufgrund früherer Gewalttätigkeiten des Beschuldigten einen Angriff befürchtete, schob er den Kopf des Beschuldigten mittels einer mit seinem Handrücken ausgeführten streichenden Bewegung gegen dessen Wange zurück. Der Beschuldigte hatte nur auf diese Gelegenheit gewartet und schlug mit zahlreichen heftigen Faustschlägen gegen den Körper und das Gesicht des Geschädigten ein, der hierdurch zu Boden ging. Da die Mutter des Beschuldigten fürchtete, dieser werde den Geschädigten umbringen, zog sie ihn von dem Geschädigten herunter. Auch der Beschuldigte und seine Mutter gingen im Folgenden zu Boden. Um seiner Ehefrau zu helfen und auch den Angriff auf sich selbst zu beenden, schlug der Geschädigte mit einer umherstehenden leeren Bierflasche auf den Kopf des Beschuldigten, der infolgedessen benommen war. Der Geschädigte erlitt durch die Schläge des Beschuldigten, wie von diesem billigend in Kauf genommen, ein Brillenhämatom, Hämatome am Rücken und eine Rippenserienfraktur links, die über einen Zeitraum von zweieinhalb Monaten andauernde Schmerzen des Geschädigten zur Folge hatte.

Die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten in das Unrecht der Tat war aufgrund eines akuten Schubs seiner paranoiden Schizophrenie zur Tatzeit aufgehoben.

Bei der dem Geschehen noch am selben Tag nachfolgenden Durchsuchung wurde im Zimmer des Beschuldigten ein Nun-Chaku (Würgeholz) aufgefunden, mit dem sich der Beschuldigte notfalls gegen Eindringlinge und Angreifer zur Wehr setzen wollte.

Ein am 10. April 2018 um 20.23 Uhr beim Beschuldigten durchgeführter Atemalkoholtest ergab einen Wert von 0,52 mg/l.

II.

1. Die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB ) weist durchgreifende Rechtsfehler zu dessen Nachteil auf, weil die Feststellungen nicht von einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung getragen sind, sich diese vielmehr als widersprüchlich und zudem als lückenhaft erweist (vgl. insoweit zur st. Rspr. BGH, Urteil vom 9. Januar 2020 - 3 StR 288/19 Rn. 19 mwN).

a) Die Beweiswürdigung des Landgerichts zum Fehlen der Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten in das Unrecht der zum Nachteil seines Vaters begangenen Körperverletzung und zum symptomatischen Zusammenhang zwischen seiner psychiatrischen Erkrankung und dieser Tat steht mit den Feststellungen zur Tatmotivation des Beschuldigten und der diesbezüglichen Beweiswürdigung in offenem Widerspruch. Das Landgericht hat die fehlende Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten in das Unrecht dieser Tat und das Vorliegen eines diesbezüglichen symptomatischen Zusammenhangs - gestützt auf die Ausführungen des von ihm zu Rate gezogenen psychiatrischen Sachverständigen - insbesondere damit begründet, dass sich der Beschuldigte vom Geschädigten angegriffen gefühlt und deshalb zugeschlagen habe; dabei sei er aufgrund des akuten Schubs seiner psychiatrischen Erkrankung derart in seinem Denken eingeengt gewesen, dass er gemeint habe, sich verteidigen zu müssen (UA S. 20). Dies ist indes mit der auf die Einlassung des Beschuldigten gestützten Feststellung, der Beschuldigte habe seinem Vater die Faustschläge nicht zur Abwehr eines vermeintlichen Angriffs und damit mit Verteidigungswillen versetzt, sondern vielmehr, um die Gelegenheit zu nutzen, diesem "eine reinzuhauen" (UA S. 10, 12 und 19), unvereinbar.

b) Zudem ist die Beweiswürdigung des Landgerichts zur Gefährlichkeitsprognose lückenhaft. Denn das Landgericht hat sich, obwohl es sich hierzu angesichts der bisherigen Lebensgeschichte des Beschuldigten hätte veranlasst sehen müssen, nicht ausreichend damit auseinander gesetzt, dass der Beschuldigte bislang nicht gegen andere Personen als seine engsten Familienangehörigen gewalttätig geworden ist. Dass der Beschuldigte nach den Ausführungen des Sachverständigen in der Vergangenheit in Krisensituationen immer ins Elternhaus zurückgekehrt sei, wo es dann eskaliert sei, vermag diesen Umstand nicht ohne Weiteres zu erklären, weil der Beschuldigte nach den getroffenen Feststellungen teilweise so weit von den Eltern entfernt gelebt hat, dass ihm eine zeitnahe Rückkehr ins Elternhaus in akuten Krisensituationen überhaupt nicht möglich gewesen wäre. Warum vor diesem Hintergrund damit zu rechnen sein sollte, dass der Beschuldigte nunmehr - nachdem für ihn wegen des vom Vater ausgesprochenen Hausverbots die Rückzugsmöglichkeit ins Elternhaus verloren gegangen ist - in Krisensituationen gewalttätig gegen beliebige in seiner Nähe befindliche Dritte werde, hat das Landgericht nicht nachvollziehbar ausgeführt. In diesem Zusammenhang hätte es der Erörterung bedurft, dass möglicherweise die Situation in seinem Elternhaus sogar tatbegünstigend gewesen sein könnte. Denn nach der gegenständlichen Tat sind keinerlei Gewalttaten des Beschuldigten festgestellt, der sich längere Zeit weit entfernt von seinem Elternhaus, unter anderem auch auf einer Asienreise, befunden hatte.

Ebenso wenig lässt sich den Urteilsgründen entnehmen, warum zu erwarten sein sollte, dass der nicht vorgeahndete Beschuldigte künftig dem Tatgeschehen ähnliche Verhaltensweisen "sogar noch mit gesteigerter Intensität unter Einsatz von Waffen oder sonstigen gefährlichen Werkzeugen" an den Tag legen sollte (UA S. 21), nachdem nicht festgestellt ist, dass er bereits Gewalttaten unter Einsatz von Waffen oder gefährlichen Werkzeugen gegen Dritte begangen und er insbesondere auch nicht das in seinem Besitz befindliche "Nun-Chaku" im Rahmen der Anlasstat zum Einsatz gebracht hat. Warum der Umstand, dass der Beschuldigte eine "gewisse Affinität" zu Waffen aufweisen mag, vor diesem Hintergrund den Schluss zulassen sollte, er werde künftig Waffen gegen Menschen einsetzen, ist dem Urteil nicht zu entnehmen.

Schließlich fehlt es im Rahmen der Würdigung zum Vorliegen der für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erforderlichen positiven Gefährlichkeitsprognose an einer ausreichenden Auseinandersetzung der Strafkammer mit den Vorwürfen gegen den Beschuldigten, die dem im Jahr 2014 gegen ihn geführten und nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellten Ermittlungsverfahren zugrunde lagen, sowie den - im Urteil nicht mitgeteilten - Gründen für diese Verfahrenseinstellung.

2. Die Feststellungen zum Fehlen der Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten bei der gegen seinen Vater gerichteten Körperverletzung und zum Vorliegen eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen der psychiatrischen Erkrankung des Beschuldigten und diesem Tatgeschehen sind von dem Rechtsfehler betroffen und unterliegen daher der Aufhebung (§ 353 Abs. 2 StPO ). Gleiches gilt für die Feststellungen zum Vorstellungsbild und zur Tatmotivation des Beschuldigten, weil diese mit denjenigen zur Einsichtsfähigkeit in unlösbarem Zusammenhang stehen und unter Berücksichtigung des psychiatrischen Zustands einer besonders sorgfältigen und kritischen Beweiswürdigung bedürfen. Insoweit bedarf es umfassender neuer Feststellungen. Auch zur Frage des Vorliegens oder krankheitsbedingten Fehlens der Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten in das Unrecht des Verstoßes gegen das Waffengesetz wird das neue Tatgericht im Übrigen Feststellungen zu treffen haben, weil für die Gefährlichkeitsprognose nur solche Taten zu berücksichtigen sind, die Symptomcharakter aufweisen (BGH, Beschlüsse vom 13. September 2018 - 4 StR 214/18 Rn. 6 und vom 17. Mai 2018 - 1 StR 33/18 Rn. 12 ff.).

Die Feststellungen zum Vorleben des Beschuldigten, zum objektiven Tatgeschehen und zum Vorliegen einer überdauernden psychiatrischen Erkrankung des Beschuldigten haben dagegen Bestand, weil sie von dem zur Aufhebung führenden Rechtsfehler nicht berührt sind. Das Landgericht kann weitere diesbezügliche Feststellungen treffen, soweit diese nicht mit den bereits getroffenen Feststellungen in Widerspruch stehen.

Vorinstanz: LG Traunstein, vom 05.12.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 370 Js 15178/18