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BGH - Entscheidung vom 12.02.2020

XIII ZB 38/19

Normen:
AufenthG § 15 Abs. 5 S. 1
AufenthG § 62 Abs. 1 S. 2
AufenthG § 106 Abs. 2
FamFG § 417 Abs. 2 S. 2

BGH, Beschluss vom 12.02.2020 - Aktenzeichen XIII ZB 38/19

DRsp Nr. 2020/3999

Rechtmäßigkeit einer Haftanordnung zur Abschiebung eines Asylsuchenden nach Italien; Fehlen eines zulässigen Haftantrags; Gesamtdauer der Haft von insgesamt 25 Wochen

Die Anordnung von Zurückweisungshaft ist nur zulässig, wenn der Haftantrag der beteiligten Behörde den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Dies erfordert Darlegungen dazu, dass dem Betroffenen die Einreise verweigert worden ist, und dass und aus welchen Gründen er nicht unmittelbar an der Grenze zurückgewiesen werden kann, sowie Darlegungen zur Durchführbarkeit der Zurückweisung in den beabsichtigten Zielstaat und zur notwendigen Haftdauer. Besteht mit dem Zielstaat, in den der Betroffene abgeschoben werden soll, ein Rückübernahmeabkommen, sind die nach diesem durchzuführenden entscheidenden Schritte im Haftantrag darzustellen.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Ingolstadt vom 14. August 2018 - 21 T 1158/18 - aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Ingolstadt vom 16. Juli 2018 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Bundesrepublik Deutschland auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Normenkette:

AufenthG § 15 Abs. 5 S. 1; AufenthG § 62 Abs. 1 S. 2; AufenthG § 106 Abs. 2 ; FamFG § 417 Abs. 2 S. 2;

Gründe

I. Dem Betroffenen, einem pakistanischen Staatsangehörigen, wurde nach einem erfolglosen Asylverfahren am 14. Juni 2017 die Abschiebung angedroht. Nach der Ablehnung des Asylantrags reiste der Betroffene nach Italien. Die italienischen Behörden stellten an Deutschland einen Antrag auf Übernahme des Betroffenen, dem entsprochen wurde. Der Betroffene reiste - ohne Information der italienischen und deutschen Ausländerbehörden - daraufhin wieder nach Deutschland. Im Rahmen einer Einreisekontrolle wurde er durch Beamte der Bundespolizei am Hauptbahnhof Salzburg im Zug Richtung München am 18. Februar 2018 in Gewahrsam genommen. Der Betroffene konnte keine Ausweisdokumente vorweisen.

Auf Antrag der Bundespolizeiinspektion F. ordnete das Amtsgericht Laufen am 19. Februar 2018 eine Freiheitsentziehung zur Sicherung der Zurückweisung bis längstens 14. Mai 2018 an. Auf entsprechende Anträge ordnete das Amtsgericht Ingolstadt mit Beschlüssen vom 14. Mai 2018 und 11. Juni 2018 die weitere Haft zur Sicherung der Zurückweisung bis einschließlich 11. Juni 2018 bzw. 16. Juli 2018 an. Am 16. Juli 2018 hat das Amtsgericht Ingolstadt aufgrund des Antrags vom 12. Juli 2018 die Sicherungshaft bis zum 13. August 2018 verlängert. Am 2. August 2018 wurde der Betroffene nach Pakistan zurückgeführt.

Das Landgericht hat die gegen den Beschluss vom 16. Juli 2018 auf die Feststellung seiner Rechtsverletzung gerichtete Beschwerde mit Beschluss vom 14. August 2018 zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde will der Betroffene die Feststellung erreichen, dass er durch die Haftanordnung in seinen Rechten verletzt worden ist.

II. Nach Auffassung des Beschwerdegerichts liegt der Haftanordnung ein zulässiger Haftantrag zugrunde. Die Behörde habe insbesondere im Haftantrag nachvollziehbar und schlüssig begründet, warum ein Zeitansatz von insgesamt 25 Wochen zur Organisation der Zurückweisung erforderlich sei.

III. Die mit dem Feststellungsantrag analog § 62 FamFG statthafte (§ 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG ) und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.

1. Der Betroffene ist durch den die Haft anordnenden Beschluss des Amtsgerichts in seinen Rechten verletzt, weil es an einem zulässigen Haftantrag fehlte.

a) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist - wovon auch das Beschwerdegericht ausgeht - eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Auch die Anordnung von Zurückweisungshaft ist nach § 15 Abs. 5 Satz 1, § 106 Abs. 2 AufenthG nur zulässig, wenn der Haftantrag der beteiligten Behörde den in § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG bestimmten gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht (BGH, Beschluss vom 20. September 2017 - V ZB 118/17, NVwZ 2018, 349 Rn. 6; Beschluss vom 12. April 2018 - V ZB 162/17, juris Rn. 6). Erforderlich sind bei der Zurückweisungshaft Darlegungen dazu, dass dem Betroffenen die Einreise verweigert worden ist, und dass und aus welchen Gründen er nicht unmittelbar an der Grenze zurückgewiesen werden kann, sowie Darlegungen zur Durchführbarkeit der Zurückweisung in den beabsichtigten Zielstaat und zur notwendigen Haftdauer. Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein. Sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falles wesentlichen Gesichtspunkte ansprechen. Fehlt es daran, darf die beantragte Zurückweisungshaft nicht angeordnet werden (BGH, Beschluss vom 20. September 2017 - V ZB 118/17, InfAuslR 2018, 96 Rn. 6 mwN).

b) Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts genügte der Antrag auf Verlängerung der Haft vom 12. Juli 2018 diesen Anforderungen nicht.

aa) Die Verlängerung der Haft um vier Wochen, welche zu einer Gesamtdauer der Haft von insgesamt 25 Wochen führt, wird im Antrag damit begründet, dass die Zurückweisung nach dem Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Islamischen Republik Pakistan über die Rückübernahme von Personen ohne Aufenthaltsgenehmigung (vgl. Beschluss 2010/649/EU, Abl. L 287 vom 4. November 2015, 50, nachfolgend: europäischpakistanisches Rückführungsübereinkommen) durchgeführt werde. Der Zeitansatz von 25 Wochen setze sich zusammen aus einer Woche Bearbeitungszeit für das Erstellen und Versenden der Unterlagen zur Passbeschaffung, einer Woche Bearbeitungszeit für die Überprüfung der Unterlagen auf Vollständigkeit und Übergabe des Antrags auf Passbeschaffung an die Botschaft sowie zwölf Wochen Bearbeitungszeit durch die pakistanischen Behörden für Prüfung und Passersatzausstellung sowie neun Wochen für die Identifizierung der Person durch die zuständige pakistanische Botschaft in Berlin sowie zwei Wochen Bearbeitungszeit nach Eingang der Mitteilung, dass ein Passersatz ausgestellt werde, für die Organisation einer unbegleiteten Rückführung, Flugbuchung und tatsächlicher Rückführung.

bb) Diese Angaben sind vor dem Hintergrund, dass die Haft auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist, unzureichend (§ 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG , näher BGH, Beschluss vom 10. Mai 2012 - V ZB 246/11, FGPrax 2012, 225 Rn. 10). Besteht mit dem Zielstaat, in den der Betroffene abgeschoben werden soll, ein Rückübernahmeabkommen, sind die nach diesem durchzuführenden entscheidenden Schritte im Haftantrag darzustellen (BGH, Beschluss vom 27. September 2017 - V ZB 29/17, juris Rn. 6). Zu berücksichtigen und darzustellen ist auch die Verwaltungspraxis der Behörden des um die Aufnahme- oder Wiederaufnahme ersuchten Mitgliedstaats, selbst wenn diese den Vorgaben des Rückübernahmeabkommens widerspricht, weil der ersuchende Staat keine Möglichkeit hat, die für die Überstellung des Betroffenen erforderliche Mitwirkung des ersuchten Staates zu erzwingen (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Januar 2013 - V ZB 20/12, juris Rn. 21). Art. 6 Abs. 4 des europäisch-pakistanischen Rückübernahmeübereinkommens sieht vor, dass für den Fall, dass - wie hier - keines der in Anhang I oder Anhang II aufgeführten Dokumente vorgelegt werden kann, die zuständigen Behörden des ersuchenden Staates und die diplomatischen und konsularischen Vertretungen des ersuchten Staates auf Ersuchen Vorkehrungen treffen, um die Person, um deren Rückübername ersucht wird, unverzüglich zu befragen. Zu diesem möglichen Verfahrensschritt verhält sich der Haftantrag jedoch nicht. Selbst wenn die Behörde nicht vorhatte, ein entsprechendes Ersuchen zu stellen, weil dieses Vorgehen nicht der Verwaltungspraxis des ersuchten Staates entsprach oder ein solches Vorgehen nicht erfolgsversprechend war, wäre jedenfalls dies darzulegen und zu erläutern gewesen. Ohne solche Angaben ist es dem Richter und dem Betroffenen nicht möglich, die Rechtmäßigkeit der beantragten Haft, insbesondere die notwendige Haftdauer (§ 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ), zu prüfen (BGH, Beschluss vom 27. September 2017 - V ZB 29/17 Rn. 8, juris).

cc) Den sich aus dem Vorstehenden ergebenden Begründungsanforderungen entsprach der Haftantrag auch deshalb nicht, da er keine Angabe dazu enthielt, wann das Rückübernahmeersuchen bei der Botschaft Pakistans in Berlin tatsächlich eingegangen war. Denn erst die Kenntnis des Zugangsdatums versetzte den Haftrichter in die Lage, den Beginn der mit insgesamt 21 Wochen angegebenen benötigten Bearbeitungszeit durch die pakistanischen Behörden zu bestimmen. Zwar wurde im Haftantrag die für die Prüfung und Übergabe der Unterlagen für das Rückübernahmeersuchen erforderliche Zeit mit insgesamt 2 Wochen angegeben. Während dies im ersten Haftantrag vom 19. Februar 2018 im Rahmen einer notwendigerweise anzustellenden Prognose nicht zu beanstanden war, da der genaue Zeitpunkt des Zugangs des Rückübernahmeersuchens zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt war (vgl. BGH, Beschluss vom 12. April 2018 - V ZB 162/17, juris Rn. 7 f.), konnte und musste für den Antrag auf Verlängerung der Haft der tatsächliche Zugang des Übernahmeersuchens angegeben werden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier sich bereits aus dem Haftantrag ergibt, dass das Übernahmeersuchen bereits zugegangen ist. Dass die Abweichung zwischen dem prognostizierten und tatsächlichen Zugangsdatum beträchtlich sein kann, zeigt sich darin, dass hier das Übernahmeersuchen nach den Angaben in der Rechtsbeschwerdeerwiderung bereits am 21. Februar 2018 und damit zwei Tage nach Haftantragstellung vorlag.

2. Die Fehler sind nicht geheilt worden.

a) Mängel des Haftantrags können behoben werden, indem die Behörde von sich aus oder auf richterlichen Hinweis ihre Darlegungen ergänzt und dadurch die Lücken in ihrem Haftantrag schließt oder indem der Haftrichter selbst die Voraussetzungen zur Durchführbarkeit der Zurückweisung des Ausländers und zu der dafür erforderlichen Haftdauer in seiner Entscheidung feststellt (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juli 2014 - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rn. 21 ff.; Beschluss vom 7. März 2019 - V ZB 130/17, juris Rn. 9). Zwingende weitere Voraussetzung für eine Heilung ist in einem solchen Fall, dass der Betroffene zu den ergänzenden Angaben persönlich angehört wird (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 20. September 2018 - V ZB 4/17, InfAuslR 2019, 23 Rn. 14; Beschluss vom 7. März 2019 - V ZB 130/17, juris Rn. 9).

b) Im Beschwerdeverfahren wurden weder die Angaben im Haftantrag ergänzt noch wurde der Betroffene persönlich angehört.

c) Die Haftanordnung stellt sich schließlich auch nicht deshalb im Nachhinein als rechtmäßig dar, weil die Zurückweisung des Betroffenen innerhalb der von der beteiligten Behörde beantragten Frist durchgeführt wurde. Zwar wirken sich Prognosefehler des Gerichts nicht aus, wenn es in der angeordneten Haftzeit zu der Zurückweisung kommt (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Januar 2011 - V ZB 226/10, FGPrax 2011, 144 Rn. 19; BGH, Beschluss vom 16. Juli 2014 - V ZB 8/13, juris Rn. 26). Diese Rechtsprechung kann aber nicht auf Mängel des Haftantrags übertragen werden (BGH, Beschluss vom 16. Juli 2014 - V ZB 8/13, juris Rn. 26). Die Ordnungsmäßigkeit des Haftantrags ist eine Verfahrensgarantie, deren Beachtung von Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG gefordert ist (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Oktober 2011 - V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82 Rn. 11; Beschluss vom 19. Januar 2012 - V ZB 70/11, juris Rn. 8; Beschluss vom 17. Oktober 2013 - V ZB 162/12, InfAuslR 2014, 51 Rn. 9).

Vorinstanz: AG Ingolstadt, vom 16.07.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 7 XIV 186/18
Vorinstanz: LG Ingolstadt, vom 14.08.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 21 T 1158/18