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BGH - Entscheidung vom 21.01.2020

X ZR 65/18

Normen:
EPÜ Art. 56
EPÜ Art. 56
EPÜ Art. 56

Fundstellen:
GRUR 2020, 603
MDR 2020, 681

BGH, Urteil vom 21.01.2020 - Aktenzeichen X ZR 65/18

DRsp Nr. 2020/5375

Patentfähigkeit eines Inhibitors für cyclische Guanosin-3',5'-monophosphat-spezifische Phosphodiesterase Typ 5 (PDE5) sowie seine Verwendung in einer pharmazeutischen Einheitsdosisform; Prüfung des Beruhen des Gegenstands auf einer erfinderischen Tätigkeit

Hatte der Fachmann am Prioritätstag Anlass, zu irgendeinem, gegebenenfalls auch späteren Zeitpunkt vollständige Studien zur Dosis-Wirkungs-Beziehung eines bestimmten Wirkstoffs anzustellen, ist eine Dosierung, die sich aufgrund einer solchen Studie als vorteilhaft erweist, durch den Stand der Technik nahegelegt.

Tenor

Die Berufung gegen das Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 24. Oktober 2017 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Normenkette:

EPÜ Art. 56 ;

Tatbestand

Die Beklagte ist Inhaberin des unter Inanspruchnahme der Priorität einer US-amerikanischen Anmeldung vom 30. April 1999 am 26. April 2000 angemeldeten und mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 173 181 (Streitpatents), das einen Inhibitor von cyclischer Guanosin-3',5'-monophosphat-spezifischer Phosphodiesterase Typ 5 (PDE5-Inhibitor) und seine Verwendung in einer pharmazeutischen Einheitsdosisform betrifft.

Patentanspruch 1, auf den die Patentansprüche 2 bis 9 zurückbezogen sind, und Patentanspruch 10, auf den die Patentansprüche 11 bis 17 zurückbezogen sind, haben nach Durchführung eines Beschränkungsverfahrens vor dem Europäischen Patentamt in der Verfahrenssprache folgende Fassung erhalten [Änderungen gegenüber der erteilten Fassung sind hervorgehoben]:

"1. A pharmaceutical unit dosage composition comprising 1 to 20 5 mg of a compound having the structural formula:

said unit dosage form suitable for oral administration up to a maximum total dose of 20 5 mg per day.

1310. Use of a unit dose containing 1 to 20 5 mg of a compound having the structure

for the manufacture of a medicament for administration up to a maximum total dose of 20 5 mg of said compound per day in a method of

treating sexual dysfunction in a patient in need thereof."

Die Klägerinnen haben geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig. Zudem sehen sie die Verwendungsansprüche hinsichtlich der Behandlung einer Störung der sexuellen Erregung bei Frauen als nicht ausführbar an. Die Klägerin zu 1 hat darüber hinaus angeführt, der Gegenstand des Streitpatents gehe über den Inhalt der Ursprungsanmeldung hinaus und dessen Schutzbereich sei erweitert worden. Die Beklagte hat das Streitpatent in der erteilten Fassung und mit vier Hilfsanträgen verteidigt. Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt.

Mit ihrer Berufung verteidigt die Beklagte das Streitpatent zuletzt in erster Linie in der Fassung des erstinstanzlichen Hilfsantrags 2 (zweitinstanzlicher Hauptantrag) sowie hilfsweise mit dem erstinstanzlichen Hauptantrag (zweitinstanzlicher Hilfsantrag I), mit den Patentansprüchen 3 und 7 und den darauf bezogenen Unteransprüchen in der Fassung des zweitinstanzlichen Hauptantrags (zweitinstanzliche Hilfsanträge I a und I b) sowie den erstinstanzlichen Hilfsanträgen 3 und 4 (zweitinstanzliche Hilfsanträge II und III). Die Klägerinnen treten dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg.

I. Das Streitpatent betrifft einen Inhibitor für cyclische Guanosin-3',5'-monophosphat-spezifische Phosphodiesterase Typ 5 (PDE5) und seine Verwendung in einer pharmazeutischen Einheitsdosisform.

1. Nach den Ausführungen in der Streitpatentschrift können PDE-Inhibitoren aufgrund ihrer biochemischen, physiologischen und klinischen Wirkungen zur Behandlung von Krankheitszuständen eingesetzt werden, bei denen die Modulation der Glattmuskel-, Nieren-, Hämostase-, entzündlichen oder endokrinen Funktion erwünscht sei. Aufgrund seines Vorkommens im Gefäßglattmuskel und im Penisschwellkörper sei PDE5 ein attraktives Ziel (Target) bei der Behandlung sexueller Dysfunktion (Abs. 3).

Ein bekannter PDE5-Inhibitor sei der Wirkstoff Sildenafil, der in Tablettenform mit Dosiseinheiten von 25, 50 und 100 mg unter dem Handelsnamen Viagra vertrieben werde. Dessen IC50 (Konzentration, bei der in vitro eine Hemmung von 50 % der vorhandenen Enzymmenge beobachtet wird, vgl. Abs. 18) werde in Vorveröffentlichungen mit 3 oder 3,9 nM angegeben (Abs. 4).

Sildenafil habe jedoch einen relativen Mangel an Selektivität für PDE5, worauf Beeinträchtigungen des Farbsehvermögens zurückzuführen seien. Zudem könne es zu Gesichtsröte kommen. Bei Patienten mit solchen Beeinträchtigungen sei die Verwendung von Sildenafil beschränkt. Bei Patienten, die organische Nitrate nähmen, sei sie sogar streng kontraindiziert. Ungeachtet der Verfügbarkeit von Sildenafil bestehe daher ein Bedürfnis, verbesserte pharmazeutische Produkte zu finden, die zur Behandlung sexueller Dysfunktion nützlich seien (Abs. 5 und 6).

In der US-Patentschrift 5 859 006 (Daugan) seien bestimmte tetracyclische Derivate offenbart, die potente Inhibitoren von PDE oder PDE5 seien. Die IC50 dieser Verbindungen liege im Bereich von 1nM bis 10 µM. Die Einheitsdosisformen enthielten 0,2 bis 400 mg aktive Verbindung. Signifikante Nebenwirkungen seien nicht offenbart. Die internationale Anmeldung WO 97/03675 (Daugan [NIK5/NiK4]) offenbare die Verwendung tetracyclischer Derivate bei der Behandlung von Impotenz (Abs. 7).

2. Vor diesem Hintergrund betrifft das Streitpatent das technische Problem, einen weiteren PDE5-Inhibitor zur wirksamen Behandlung sexueller Dysfunktion zur Verfügung zu stellen, der möglichst geringe Nebenwirkungen hat.

Nach der Rechtsprechung des Senats haben Vorteile, die sich erst durch die Erfindung als erreichbar herausgestellt haben, bei der Bestimmung des der Erfindung zugrundeliegenden Problems ebenso außer Betracht zu bleiben wie Elemente, die zur technischen Lösung gehören (BGH, Urteil vom 11. November 2014 - X ZR 128/09, GRUR 2015, 356 Rn. 9 - Repaglinid). Das der Erfindung zugrundeliegende technische Problem ist vielmehr so allgemein und neutral zu formulieren, dass sich die Frage, welche Anregungen der Fachmann durch den Stand der Technik erhielt, allein bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit stellt (BGH, Urteil vom 13. Januar 2015 - X ZR 41/13, GRUR 2015, 352 Rn. 17 Quetiapin).

Von daher liegt das der Erfindung des Streitpatents zugrundeliegende Problem entgegen der Ansicht der Beklagten nicht darin, einen Wirkstoff für die Behandlung sexueller Dysfunktion bereitzustellen, der wie Sildenafil oral wirksam ist, jedoch nicht dessen störende Nebenwirkungen hat, da damit Vorteile der patentgemäßen Lösung berücksichtigt werden.

Aber auch dem Patentgericht, das das der Erfindung zugrundeliegende Problem in der Bereitstellung von Dosierungen von Tadalafil für eine effektive Therapie bei sexueller Dysfunktion gesehen hat, kann nicht beigetreten werden, da die Wahl von Tadalafil ebenfalls bereits ein Element der technischen Lösung ist und daher bei der Aufgabenstellung außer Betracht bleiben muss.

3. Das technische Problem soll nach Patentanspruch 1 in der Fassung des zuletzt gestellten Hauptantrags durch eine pharmazeutische Einheitsdosiszusammensetzung erreicht werden, deren Merkmale sich wie folgt gliedern lassen (Änderungen gegenüber Fassung nach dem Beschränkungsverfahren vor dem Europäischen Patentamt sind hervorgehoben):

1.

Pharmazeutische Einheitsdosiszusammensetzung (Pharmaceutical unit dosage composition),

2.

die eine Verbindung umfasst mit der Strukturformel (comprising a compound having the structural formula),

3.

die 1 bis 5 mg dieser Verbindung umfasst (comprising 1 to 5 mg of this compound),

4.

wobei die Einheitsdosisform geeignet ist zur täglichen oralen Verabreichung (said unit dosage form suitable for daily oral administration)

5.

von bis zu einer maximalen Gesamtdosis von 5 mg pro Tag (up to a maximum total dose of 5 mg per day).

4. Wie das Patentgericht von den Parteien unbeanstandet und zutreffend entschieden hat, handelt es sich bei dem Fachmann um ein Team, dem ein Pharmakologe, ein Mediziner mit mehrjähriger Berufserfahrung auf dem Gebiet der Therapie sexueller Funktionsstörungen und ein pharmazeutischer Technologe angehören.

5. Aus Sicht eines solchen Fachmanns wird durch Patentanspruch 1 in der Fassung des zuletzt gestellten Hauptantrags eine pharmazeutische Einheitsdosiszusammensetzung, die 1 bis 5 mg Tadalafil umfasst, zur täglichen oralen Verabreichung von bis zu einer maximalen Gesamtdosis von 5 mg pro Tag geschützt.

Dabei ist mit dem Patentgericht die tägliche orale Verabreichung von einer Verabreichung bei Bedarf ("on demand") zu unterscheiden.

Während die Dosierung bei Bedarf in der Beschreibung als intermittierende Verabreichung der Verbindung (I) vor erwarteter sexueller Aktivität definiert wird (Abs. 74), ist unter einer täglichen oralen Verabreichung eine von erwarteter sexueller Aktivität unabhängig erfolgende orale Verabreichung in Tagesabständen zu verstehen.

II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Ob der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der Fassung des erstinstanzlichen Hauptantrags unzulässig erweitert sei, ob die Beschränkung im Verfahren vor dem Europäischen Patentamt zu einer unzulässigen Erweiterung des Schutzbereichs geführt habe und ob die Erfindung so offenbart sei, dass der Fachmann sie ausführen könne, bedürfe keiner Entscheidung. Der geschützte Gegenstand beruhe jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

NIK5/NiK4 und die Anmeldung WO 95/19978 (NIK4) beträfen eine Tadalafil umfassende pharmazeutische Zusammensetzung zur Behandlung sexueller Dysfunktion, die oral in Form von Tabletten oder Kapseln mit einem Wirkstoffgehalt von 0,2 bis 400 mg für eine tägliche Maximaldosis von 0,5 bis 800 mg verabreicht werde. Diese breiten Dosisbereiche ließen erkennen, dass sie das Ergebnis von Sicherheits- und Verträglichkeitsprüfungen seien, die typischerweise im Rahmen der Untersuchungen zur Pharmakodynamik während der klinischen Prüfungen der Phase I durchgeführt würden. Die therapeutisch wirksame tägliche orale Maximaldosis von Tadalafil sowie Angaben zur Dosierung in der Zusammensetzung seien diesen Entgegenhaltungen daher nicht zu entnehmen. Angesichts dessen werde der Fachmann gezielte Dosisfindungsstudien durchführen. Er werde versuchen, die angestrebte Wirkung zu erreichen und Nebenwirkungen möglichst zu vermeiden. Dabei sei es fachüblich, mit sehr niedrig gewählten Anfangsdosen zu beginnen und bei Verträglichkeit die Dosis zu steigern.

Bezogen auf Tadalafil werde sich der Fachmann ausgehend von NIK5/NiK4 auch an Sildenafil orientieren. Aus der Veröffentlichung von Goldstein et al (British Journal of Urology, 1997, 80, Suppl. 2, Abstract 356, Tabelle [NiK6]) seien klinische Tests mit Sildenafil bekannt gewesen, die bereits bei einer täglichen oralen Dosierung von 5 mg eine gute Wirkung gezeigt hätten. Danach stelle das Auffinden einer täglichen maximalen Gesamtdosis von 5 mg Tadalafil eine dem Aufgabenbereich des Fachmanns zuzurechnende, übliche Maßnahme dar.

Für den Fachmann habe auch eine angemessene Erfolgserwartung hinsichtlich der streitpatentgemäßen Dosierung bestanden. Der Umstand, dass für Sildenafil bereits eine gute Wirkung bei einer Dosierung von 5 mg beschrieben worden sei, habe den Fachmann dazu motiviert, Dosierungen in diesem Bereich zu berücksichtigen. Darin sei er durch den IC50-Wert bestärkt worden, der ein wichtiger Hinweis auf die Wirksamkeit eines Wirkstoffs sei und bei Sildenafil um mindestens 33 % über dem von Tadalafil liege.

Zwar sei der IC50-Wert bei Tadalafil nur in vitro gemessen worden. Dennoch handle es sich dabei um einen in der Fachwelt anerkannten Wert zur Beurteilung der therapeutischen Wirksamkeit. Zudem sei es bekannt gewesen, dass die PDE5-Hemmung die biochemische Grundlage für die therapeutische Behandlung von sexueller Dysfunktion darstelle.

In NIK5/NiK4 seien demgegenüber zwar nur Beispiele mit 50 mg Tadalafil offenbart. Das habe aber aus fachlicher Sicht nicht dagegen gesprochen, niedrigere Konzentrationen zu berücksichtigen. Bei den Beispielen handle es sich lediglich um prinzipielle Formulierungsbeispiele und nicht um das Ergebnis von Dosisfindungsversuchen, die erst Gegenstand der klinischen Prüfung in Phase II seien. Zudem nähmen die Beispiele nicht für sich in Anspruch, eine besonders geeignete Dosierung für den Wirkstoff anzugeben.

Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der Fassung des erstinstanzlichen Hilfsantrags 2 gehe über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinaus. Dort sei die tägliche Verabreichung von Tadalafil allein in den Beispielen 5 und 6 erwähnt. Diese beträfen lediglich eine Dosis von 10 mg und 5 bis 20 mg. Die tägliche Verabreichung einer Dosis von 1 bis 5 mg werde demgegenüber nicht offenbart. Soweit in Beispiel 7 eine Dosis von 2 mg Tadalafil beschrieben sei, erfolge diese nur bei Bedarf, also in Erwartung einer sexuellen Aktivität.

III. Diese Beurteilung hält den Angriffen der Berufung jedenfalls im Ergebnis stand.

1. Entgegen der von Klägerseite geäußerten Auffassung fehlt es für die zuletzt angegebene Reihenfolge der Anträge, mit denen die Beklagte das Streitpatent verteidigt, nicht an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse. Die Änderung der Antragsreihenfolge ist auch nicht wegen Verspätung unzulässig.

a) Im Patentnichtigkeitsverfahren steht es dem Beklagten grundsätzlich frei, das Patent in geänderter Fassung zu verteidigen.

Unter dem Gesichtspunkt des Rechtsschutzinteresses obliegt es hierbei grundsätzlich der Entscheidung der Beklagten, welche Änderungen sie vornehmen will und in welcher Reihenfolge sie mehrere Hilfsanträge stellen will. Im Allgemeinen wird sie zwar an einem möglichst weiten Gegenstand interessiert sein. Je nach der Konstellation des Einzelfalls mag aus ihrer Sicht aber eine engere Fassung attraktiver sein, deren Zulässigkeit aber nicht sicher ist. Vor diesem Hintergrund ist nicht zu beanstanden, wenn die Beklagte in erster Linie eine engere und nur hilfsweise eine im Vergleich dazu weitere Fassung verteidigt.

b) § 117 PatG und § 531 Abs. 2 ZPO stehen der Umstellung der Antragsreihenfolge schon deshalb nicht entgegen, weil die Beklagte alle zweitinstanzlich gestellten Anträge bereits in erster Instanz gestellt und das Patentgericht die Klage abgewiesen hat.

Das Patentgericht hat über alle erstinstanzlich gestellten Anträge entschieden. Angesichts dessen stellen diese Anträge in zweiter Instanz auch dann keine neuen Verteidigungsmittel dar, wenn sie in geänderter Reihenfolge gestellt werden.

2. Ob der mit dem zweitinstanzlichen Hauptantrag verteidigte Gegenstand über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinausgeht, wie vom Patentgericht im Hinblick auf den Gegenstand des erstinstanzlichen Hilfsantrags 2 entschieden, bedarf ebenso wenig einer Entscheidung wie die Frage, ob darin eine unzulässige Schutzbereichserweiterung liegt.

3. Der mit dem zweitinstanzlichen Hauptantrag verteidigte Gegenstand beruht jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit und ist damit nicht patentfähig.

a) Für den Fachmann, der mit der Aufgabe befasst war, einen weiteren PDE5-Inhibitor zur wirksamen Behandlung sexueller Dysfunktion mit möglichst geringen Nebenwirkungen zur Verfügung zu stellen, war NIK5/NiK4 als Ausgangspunkt seiner Überlegungen von großem Interesse, da sich diese mit der Verwendung tetracyclischer Derivate als selektive Inhibitoren von PDE bzw. PDE5 zur Behandlung erektiler Dysfunktion befasst.

aa) Die Entgegenhaltung schlägt insoweit eine Vielzahl von Verbindungen vor, wobei jedoch zwei spezifische Verbindungen (Compounds A and B) als besonders geeignet hervorgehoben werden (NIK5/NiK4 S. 5 Z. 23 ff.). Allein diese beiden Verbindungen sind auch Gegenstand der Ausführungsbeispiele und des Anspruchs 2 der Entgegenhaltung. Eine davon (Compound A) ist Tadalafil (6R,12aR)-2,3,6,7,12,12a-Hexahydro-2-methyl-6-(3,4-methylendioxyphenyl)-pyrazino[2',1':6,1]pyrido[3,4-b]indol-1,4-dion).

Vor diesem Hintergrund hatte der Fachmann Anlass, Tadalafil als mögliche Alternative zu Sildenafil für die Behandlung sexueller Dysfunktion in Erwägung zu ziehen.

bb) Dass NIK5/NiK4 keine Präferenz für eine der beiden als besonders geeignet hervorgehobenen Verbindungen erkennen lässt, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Angesichts der begrenzten Anzahl der damit aufgezeigten Möglichkeiten hatte der Fachmann einen Grund, beide einer näheren Betrachtung zu unterziehen.

Dies gilt selbst dann, wenn es Anhaltspunkte dafür gegeben haben sollte, die in NIK5/NiK4 offenbarte Verbindung B als erste heranzuziehen. Kommen für den Fachmann mehrere Alternativen in Betracht, können mehrere von ihnen naheliegend sein. Hierbei ist unerheblich, welche dieser Lösungsalternativen der Fachmann als erste in Betracht gezogen hätte (BGH, Urteil vom 16. Februar 2016 - X ZR 5/14, GRUR 2016, 1023 Rn. 36 - Anrufroutingverfahren; Urteil vom 16. September 2019 - X ZR 106/17, BeckRS 2019, 27168 Rn. 44 - Kathetervorrichtung).

b) Entgegen der Auffassung der Berufung bestand für den Fachmann auf Grundlage der NIK5/NiK4 hinreichende Erfolgsaussicht, klinische Studien mit Tadalafil durchzuführen.

aa) Dabei kann dahinstehen, ob der in NIK5/NiK4 für die orale Verabreichung von Tadalafil angegebene breite Dosierungsbereich von 0,5 bis 800 mg (NIK5/NiK4 S. 5 Abs. 1) die vom Patentgericht gezogene Schlussfolgerung zulässt, dass diese Angaben auf Sicherheits- und Verträglichkeitsprüfungen beruhen, wie sie typischerweise während der klinischen Prüfungen der Phase I erfolgen. Selbst wenn dies zu verneinen wäre, wurde der Fachmann durch die NIK5/NiK4 jedenfalls dazu angeregt, Tadalafil zunächst für klinische Studien dieser Phase in Betracht zu ziehen, in der regelmäßig vor allem die Sicherheit und Verträglichkeit des Medikaments untersucht werden. Die positiven Ergebnisse einer solchen Studie gaben ihm anschließend Anlass für klinische Studien der Phasen II und III, in denen regelmäßig auch die Wirksamkeit und die Dosis-Wirkungs-Beziehung getestet werden (vgl. Jaehde, u.a., Lehrbuch der Klinischen Pharmazie, 1988 S. 104 ff. [NiK21 und NiK21a]; Karzel/Liedtke, Einführung in die Arzneimitteltherapie, 2. Aufl., 1985 S. 242 f. [NiK30]; Leitlinie für die klinische Prüfung der International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use (ICH) von 1997 "General Considerations for Clinical Trials - E8", unter 3.1.3 [HLNK18]).

bb) Die für die Durchführung klinischer Studien der Phase I erforderliche angemessene Erfolgserwartung (vgl. dazu allgemein BGH, Urteil vom 16. April 2019 - X ZR 59/17, GRUR 2019, 1032 - Fulvestrant) ergab sich zum einen aus dem für Tadalafil durch in-vitro-Versuche nachgewiesenen IC50-Wert von 2 nM (NIK5/NiK4 S. 17 Z. 5 ff., Tabelle 1).

In der NIK5/NiK4 wird ausdrücklich ausgeführt, dass dieser Wert die Erwartung begründet, dass Tadalafil als PDE5-Inhibitor effektiv zur Behandlung erektiler Dysfunktion geeignet sein könnte (NIK5/NiK4 S. 17 Z. 25 ff.: "The above data demonstrates the ability of the subject compounds of the invention to inhibit cGMP PDE, and hence their utility in the treatment of erectile dysfunction substantially as hereinbefore described.").

Das gilt erst Recht vor dem Hintergrund, dass der IC50-Wert für Sildenafil als einzigem bis dahin bekannten PDE5-Inhibitor mit 3,9 +/- 0,9 nM bzw. 3,0 bis 3,6 nM angegeben wurde (Boolell et al., Sildenafil: An orally active type 5 cyclic GMP-specific phosphodiesterase inhibitor for the treatment of penile erectile dysfunction, International Journal of Impotence Research 1996, 47, 50, l. Spalte, Tabelle 2: "0,0039 µM" = 3,9 nM [NiK5]; Terret et al., Sildenafil (ViagraTM), a potent and selective of type 5 CGMP phosphodiesterase with utility for the treatment of male erectile dysfunction, Bioorganic & Medical Chemistry Letters, 1996, 1819, 1822, Figur 5: "IC50 (nM), PDE5 ... 3,6 [platelet] - 3,0 [corpus cavernosum]" [HLNK8]), und damit mindestens 33 % über dem IC50-Wert von Tadalafil liegt.

Der sich daraus ergebenden Erfolgserwartung steht nicht entgegen, dass der in der NIK5/NiK4 angegebene IC50-Wert auf in-vitro-Versuchen beruht. Es ist zwar grundsätzlich nicht auszuschließen, dass spätere in-vivo-Untersuchungen andere IC50-Werte ergeben (vgl. die sachverständigen Äußerungen im Nichtigkeitsverfahren vor dem High Court of Justice of England and Wales: Dr. J. B. Saoud vom 16. Mai 2016 Rn. 4.1.2 [HLNK16]; Dr. G. B. Brock vom 14. April 2017 Rn. 5.28 [HLNK17]. Die Frage, ob sich solche Abweichungen ergeben, kann aber nur nach Durchführung von in-vivo-Untersuchungen beantwortet werden. Für die Auswahl von dafür geeigneten Kandidaten bilden die Ergebnisse von in-vitro-Untersuchungen einen geeigneten Anhaltspunkt. Von daher kommt es auch nicht darauf an, dass die in der NIK5/NiK4 angegebenen, auf in-vitro-Versuchen beruhenden IC50-Werte für Tadalafil nicht unter identischen analytischen Bedingungen gemessen wurden wie die auf in-vivo-Untersuchungen zurückzuführenden IC50-Werte für Sildenafil (vgl. Bischoff, Potency, selectivity and consequences of nonselectivity of PDE inhibition, International Journal of Impotence Research 2004, 11, r. Sp., letzter Abs., letzter vollständiger Satz [HLNK55]).

cc) Zur angemessenen Erfolgserwartung trug weiterhin bei, dass in der NIK5/NiK4 auf die hohe Selektivität der darin offenbarten Verbindungen und damit auch von Tadalafil - für PDE5-Enzyme hingewiesen wird, wie sich aus Standard-Untersuchungen ergeben habe (NIK5/NiK4, S. 16, Z. 24 übergehend auf S. 17 Z. 1f.).

dd) Dies wurde, wie das Patentgericht zu Recht ausgeführt hat, durch den Umstand verstärkt, dass NIK5/NiK4 für den Fachmann bereits verschiedene Formulierungsbeispiele bereithielt, also bereits konkrete Wege zur möglichen Verabreichung aufzeigte.

ee) Zur angemessenen Erfolgserwartung trug schließlich auch der erhebliche finanzielle Erfolg von Sildenafil bei (vgl. Keith, The Economics of Viagra, Health Affairs 2000, 147, 148 [NiK29]), der es unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten als sehr attraktiv erscheinen ließ, einen weiteren PDE5-Inhibitor mit möglichst verbesserten Eigenschaften zur Verfügung zu stellen.

c) Nach Durchführung von klinischen Prüfungen zur Verträglichkeit von Tadalafil in Phase I der klinischen Prüfungen musste sich der Fachmann mit der Konzeptionierung der klinischen Prüfungen zur Wirksamkeit und DosisWirkungsbeziehungen in Phase II befassen. Entgegen der Auffassung der Berufung hatte der Fachmann ausgehend von NIK5/NiK4 insoweit Anlass, neben der oralen Verabreichung nach Bedarf ("on demand") auch die bedarfsunabhängige tägliche orale Verabreichung von Tadalafil in Betracht zu ziehen.

aa) Die Beklagte weist zwar zutreffend darauf hin, dass Sildenafil als seinerzeit einzig verfügbarer PDE5-Inhibitor in den klinischen Prüfungen der Phase II allein nach Bedarf verabreicht wurde (NiK6, Abs. 1; NIK9, Goldstein et al., Oral Sildenafil in the Treatment of Erectile Dysfunction, The New England Journal of Medicine 1998, 1397, l. Sp., Abs. 1: "... adminstered as needed ..."; NiK5, 47, 49, l. Sp., letzter Abs.). Entgegen der Beklagten führte dies den Fachmann aber nicht dazu, auch bei Tadalafil für die klinischen Prüfungen der Phase II allein eine bedarfsabhängige Verabreichung in Erwägung zu ziehen.

Denn dem Fachmann war zugleich bekannt, dass die bedarfsabhängige Verabreichung ihren Grund darin hat, dass Sildenafil nicht nur sehr schnell vom menschlichen Organismus aufgenommen wird und seine höchste Konzentration im Plasma etwa eine Stunde nach der Verabreichung erreicht, sondern auch darin, dass die Halbwertzeit nur bei 3 bis 5 Stunden liegt (NiK5, 47, 50, Abs. 3).

Bestimmte der Fachmann vor diesem Hintergrund zu Beginn der Phase II routinemäßig die Halbwertzeit von Tadalafil, stellte er fest, dass diese bei ca. 17,5 Stunden liegt und damit die Wirkung von Tadalafil wesentlich länger beim Patienten andauert als die von Sildenafil (vgl. Birss, J. in [2017] EWHC 1955 Rn. 289 (Pat) - Actavis Group PTC EHF/TEVA UK Limited [HLNK26]; Kitchin, LJ. in [2017] EWCA Civ 1671 Rn. 113 - Actavis Group PTC EHF/TEVA UK Limited; sachverständige Stellungnahme G.J. Muirhead vom 9. Januar 2020, S. 2 letzter Abs. [NiK12]). Das gab dem Fachmann Anlass, neben einer oralen Verabreichung nach Bedarf in den klinischen Untersuchungen der Phase II (ggfls. unter Berücksichtigung von Schlafzeiten) auch die bedarfsunabhängige tägliche orale Verabreichung von Tadalafil in Betracht zu ziehen.

bb) In diesem Ansatz wurde er dadurch bestärkt, dass der aus der NIK5/NiK4 bekannte niedrige IC50-Wert von Tadalafil, den der Fachmann ggfls. noch einmal durch eigene in-vitro-Untersuchungen vor Durchführung der vergleichsweise aufwändigen klinischen Untersuchungen in Phase II überprüft hätte (vgl. Birss, J. und Kitchin, LJ., a.a.O.), es als möglich erscheinen ließ, dass bei einer bedarfsunabhängigen Verabreichung auch eine niedrige Dosierung von Tadalafil bei geringen Nebenwirkungen noch hinreichend wirksam ist.

cc) Gegen die Einbeziehung auch der bedarfsunabhängigen Verabreichung von Tadalafil sprach nicht entscheidend, dass die klinischen Untersuchungen der Phase II dadurch umfangreicher und damit auch kostenintensiver wurden. Dem stand auf der anderen Seite die hinsichtlich der vorgenannten Gesichtspunkten begründete Aussicht auf einen PDE5-Inhibitor als Alternative zu dem wirtschaftlich sehr erfolgreichen Sildenafil entgegen.

d) Ausgehend von NIK5/NiK4 war der Fachmann zudem veranlasst, in den durchzuführenden klinischen Untersuchungen auch die Wirksamkeit und Verträglichkeit einer bedarfsunabhängigen täglichen oralen Verabreichung von Tadalafil in einer Dosierung von 5 mg zu testen, womit für ihn der Gegenstand von Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag naheliegend war.

aa) Ein Grund zur Durchführung solcher klinischer Untersuchungen ergab sich allerdings noch nicht aus dem in NIK5/NiK4 als allgemein in Betracht kommend offenbarten Dosierungsbereich von 0,5 bis 800 mg.

Wie bereits das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, ist dieser Dosierungsbereich so weit, dass er aus fachlicher Sicht kein therapeutisch wirksames Dosierungsregime beschreiben kann. Diese Beurteilung deckt sich mit derjenigen der Sachverständigen Dr. Brock und Dr. Saoud in dem Verfahren vor dem High Court of England and Wales (HLNK17 Rn. 10.2 und HLNK16 Rn. 4.2). Sie steht ferner in Einklang mit den weiteren Ausführungen in NIK5/NiK4, wonach in der Praxis der Arzt das tatsächliche Dosierungsregime entsprechend dem Alter, dem Gewicht und der Reaktion des individuellen Patienten bestimmen werde (NIK5/NiK4 S. 5 Abs. 1).

bb) Für den Fachmann ergab sich aus der NIK5/NiK4 andererseits auch nicht die Anregung, sich allein an dem in Zusammenhang mit allen Formulierungsbeispielen genannten Wert von 50 mg zu orientieren.

Wie bereits das Patentgericht ausgeführt hat, handelt es sich insoweit lediglich um Beispiele dafür, wie der Wirkstoff Tadalafil prinzipiell formuliert werden kann. Demgegenüber deutet nichts darauf hin, dass der angegebene Wert bereits das Ergebnis von Dosisfindungsversuchen mit mehreren unterschiedlichen Dosierungen ist, wie sie in Phase II üblicherweise stattfinden.

Gerade weil keine konkreten Angaben über Unterschiede zwischen verschiedenen Dosierungen verfügbar waren, hatte der Fachmann Anlass, die für Phase II und in modifizierter Form auch für Phase III typischen Studien zu Dosis-Wirkungs- und Nebenwirkungs-Beziehungen durchzuführen.

cc) Ob der Fachmann hierbei, wie das Patentgericht ausgeführt hat, Anlass hatte, auf Dosierungsansätze zurückzugreifen, die bei klinischen Untersuchungen von Sildenafil zur Anwendung gekommen waren, kann dahingestellt bleiben.

Gegen die Auswahl der Dosierungen von 5, 25, 50 und 100 mg, wie sie in der in NiK6 offenbarten frühen klinischen Studie zu Sildenafil genannt werden (NiK6, Abstract 356; vgl. auch die Auswahl der Dosierungen von 10, 25 und 50 mg in einer weiteren frühen Studie in NiK5, S. 51, unter "Clinical efficacy" und Figur 4), könnte sprechen, dass Sildenafil in späteren klinischen Studien nur noch in den drei höheren Dosierungen untersucht wurde und mit diesen höheren Dosierungen eine deutlich höhere Wirksamkeit einherging (Goldstein et al., Oral Sildenafil in the Treatment of Erectile Dysfunction, The New England Journal of Medicine 1998, 1397, 1399 l. Sp. unter "Efficacy" und Tabelle 2; sachverständige Stellungnahme Prof. Goldstein, HLNK22, 4. und 5.). Der in in-vitro-Versuchen ermittelte höhere IC50-Wert von Tadalafil begründete zwar eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass dieser Wirkstoff auch in geringerer Dosierung das angestrebte Maß an Wirkung zeigt. Dennoch ergab sich daraus nicht ohne weiteres, dass die Abweichung von dem für Sildenafil festgestellten IC50-Wert von rund 33 % hinreichenden Anlass dazu gab, die niedrigste Dosierung für Tadalafil um 80 % niedriger anzusetzen als die in den späteren Versuchen herangezogenen niedrigste Dosierung von Sildenafil.

dd) Anlass, eine Dosierung von 5 mg in Betracht zu ziehen, ergab sich für den Fachmann jedoch jedenfalls aus dem Umstand, dass Tadalafil bei täglicher Verabreichung ein Wirkungsplateau ausweist, das mindestens bis zu einem Bereich von 10 mg reicht (ebenso: Birss, J., aaO Rn. 343 iv; Kitchin, LJ., aaO Rn. 140 f., Floyd, LJ., aaO Rn. 169 f.; Lord Hodge in UK Supreme Court ([2019] UKSC 15 Rn. 84 ff. - Actavis Group PTC EHF v ICOS Corporation [HLNK41 = NIK10]).

(1) Wird unter Berücksichtigung auch der Dosierungsauswahl in den späteren klinischen Studien zu Sildenafil (NIK9, 1397 l. Sp.; 199 l. Sp., Tabelle 1) davon ausgegangen, dass der Fachmann zur Ermittlung des DosisWirkungsverhältnis von Tadalafil eine erste klinische Untersuchung in Phase II mit Dosierungen von 25, 50 und 100 mg des Wirkstoffs durchgeführt hätte oder damit jedenfalls in einer zweiten klinischen Untersuchung fortgefahren wäre, hätte sich daraus die Erkenntnis ergeben, dass ein Wirkplateau im Bereich zwischen 25 und 100 mg besteht und zwar unabhängig davon, ob die Verabreichung nach Bedarf oder bedarfsunabhängig erfolgt war.

(2) Dies hätte den Fachmann nach guter fachlicher Übung dazu veranlasst, in weiteren klinischen Untersuchungen herauszufinden, wo der Beginn des Wirkplateaus und damit ein günstiges Verhältnis zwischen der verabreichten Menge an Tadalafil und seiner Wirkung als PDE5-Inhibitor unter Berücksichtigung von unerwünschten Nebenwirkungen liegt.

Nach den ICH-Richtlinie E4 ist die Bewertung der Dosiswirkung nicht nur ein integraler Bestandteil der Arzneimittelwirkung. Vielmehr wird auch empfohlen, weitere Studien durchzuführen, um die niedrigste wirksame Dosierung zu ermitteln (ICH Harmonised Tripartite Guideline "Dose-Response Information to Support Drug Registration - E4", S. 3 Abs. 4 unter "Dose-Response Assessment Should Be an Integral Part of Drug Development"; S. 4, Abs. 3 unter "Regulatory Considerations when Dose-Response Data are imperfect"; S. 6, Abs. 6 [HLNK19]). Entsprechend führt der Sachverständige der Beklagten Prof. F. aus, dass die vollständige Charakterisierung der Dosis-Wirkungs-Beziehungen und die Ermittlung der minimalen wirksamen Dosis oft sinnvolle Bestandteile des erforderlichen klinischen Prüfprogramms zur Erlangung der Arzneimittelzulassung seien (HLNK49, S. 3 Abs. 4 unter Zusammenfassende Schlussfolgerung).

(3) Es mag zwar sein, dass der Fachmann nach den klinischen Untersuchungen zu 25, 50 und 100 mg zunächst lediglich eine weitere Dosierung von 10 mg Tadalafil in die weiteren Untersuchungen einbezogen und sich daraus für ihn ergeben hätte, dass bei Verabreichung von Tadalafil nach Bedarf ein erheblicher Wirkungsabfall zwischen Dosierungen von 10 und 25 mg besteht. Insoweit wird auf ein Diagramm in der Replik der Beklagten verwiesen, in dem der Verlauf der Wirkungskurven in Abhängigkeit der Dosierungen basierend auf entsprechenden Angaben in der Streitpatentschrift (Abs. 81 f.) wiedergegeben wird (Replik, S. 37).

Es bedarf auch keiner abschließenden Entscheidung, ob der Fachmann ungeachtet dieses Wirkungsabfalls (etwa sahen bei der IIEF-Frage 3 von den Patienten, die Dosierungen von 25 mg Tadalafil genommen hatten, noch 83,7 % die Penetrationsfähigkeit als fast immer oder immer für gegeben an, während dies bei den Patienten, die Dosierungen von 10 mg genommen hatten, nur noch bei 48,8 % der Fall war, vgl. Streitpatentschrift Rn. 81) die absoluten Wirkungswerte bei den Patienten, die nur 10 mg Tadalafil genommen hatten, als immer noch interessant angesehen hat und bereits deshalb motiviert war, die klinischen Untersuchungen auch mit einer Verabreichung nach Bedarf von 5 mg des Wirkstoffs fortzusetzen, wie von den Klägerinnen geltend gemacht wird.

Denn unabhängig von der Beantwortung dieser Frage hätte der genannte Wirkungsabfall bei Verabreichung von Tadalafil nach Bedarf den Fachmann jedenfalls nicht von weiteren Untersuchungen zur Dosis-Wirkungsbeziehung bei bedarfsunabhängiger Verabreichung von Tadalafil von weniger als 10 mg abgehalten. Denn zumindest bei dieser Art der Verabreichung ist ein Wirkungsabfall zwischen Dosierungen von 10 und 25 mg nicht festzustellen (vgl. gutachterliche Stellungnahme Prof. Dr. Porst, S. 2, Abs. 6 [HLNK45]), weshalb der Fachmann - den Empfehlungen der ICH-Richtlinie E4 folgend - weiterhin gehalten war, Tadalafil bei bedarfsunabhängiger Verabreichung in einer Dosierung von 5 mg zu testen, um die untere Grenze des Wirkungsplateaus zu ermitteln.

(4) Für die Entscheidung des Streitfalls ist es nicht erheblich, ob die vollständige Charakterisierung der Dosis-Wirkungs-Beziehungen zwingend bereits im klinischen Prüfprogramm zur Erlangung der Arzneimittelzulassung geboten war (verneinend insoweit Prof. Fuhr, HLNK 49, S. 3 Abs. 4) oder ob der Fachmann angesichts des großen wirtschaftlichen Anreizes Anlass hatte, solche Studien erst nach Markteinführung durchzuführen (vgl. die sachverständige Äußerung von Dr. J. B. Saoud vom 16. Mai 2016 Rn. 3.19; ICH Harmonised Tripartite Guideline "General Considerations for Clinical Trials - E8" Rn. 3.1.3.2 Abs. 3 [HLNK18]).

Selbst wenn letzteres zu bejahen wäre, kommt es für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit allein darauf an, ob es für den Fachmann bereits am Prioritätstag einen Anlass gab, zu irgendeinem, gegebenenfalls auch späteren Zeitpunkt vollständige Studien zu Dosis-Wirkungs-Beziehung anzustellen. Ein solcher folgt im Streitfall, wie ausgeführt, aus dem Umstand, dass solche Studien - gegebenenfalls auch erst nach Markteinführung - entsprechend den Empfehlungen der ICH-Richtlinie E4 guter Übung entsprechen.

(5) Dass eine Wirksamkeit mit geringeren Nebenwirkungen als Sildenafil schon bei einer täglichen oralen Verabreichung von 5 mg für den Fachmann möglicherweise überraschend war, führt, wie das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, vor dem aufgezeigten Hintergrund ebenfalls nicht zu einer abweichenden Beurteilung.

Nach der Rechtsprechung des Senats ist eine technische Lehre, die eine von einem bestimmten Ausgangspunkt aus eher nicht zu erwartende Wirkung zeitigt, dem Fachmann dennoch nahegelegt, wenn sie sich aus einer anderen Perspektive als naheliegende Lösung ergibt. Die überraschende Wirkung ist in solchen Konstellationen als bloßer Bonuseffekt anzusehen, der nicht zur Bejahung der erfinderischen Tätigkeit führen kann (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BGH, Urteil vom 15. April 2010 - Xa ZR 26/08, GRUR 2010, 607 Rn. 80 Fettsäurezusammensetzung; Urteil vom 17. September 2019 - X ZR 71/17 Rn. 68 - Dexmedetomidin).

Von daher kommt es auch nicht darauf an, ob die tägliche bedarfsunabhängige orale Verabreichung von Tadalafil in einer geringen Dosierung von 5 mg aus ärztlicher Sicht einen erheblichen Wechsel ("einen klaren Paradigmenwechsel") im Vergleich zu der seinerzeit etablierten Bedarfsmedikation mit Sildenafil in höheren Dosierungen von 25, 50 oder 100 mg darstellte (vgl. sachverständige Stellungnahme Prof. Dr. Kliesch vom 5. November 2019, S. 10, Abs. 2 [HLNK42]).

Zu einer insoweit im Wesentlichen gleichen Beurteilung sind der Court of Appeal of England and Wales und der UK Supreme Court (Lord Hodge Rn. 84 ff.; Kitchin, LJ. Rn. 146 ff.; Floyd, LJ. Rn. 169 ff.; Lewison, LJ. Rn. 180) sowie der Gerechtshof Den Haag gekommen (Urteil vom 27. August 2019 200.244.921/01 Rn. 4.16 f. [NiK11]).

Den abweichenden Auffassungen des finnischen Marktgerichts (Urteil vom 15. Juni 2018 - A-49-17 [HLNK53]), des dänischen See- und Handelsgerichts (Urteil vom 25. März 2019 - 131/19 [HLNK50]) und des Präsidenten des tschechischen Amts für gewerblichen Rechtsschutz (Beschluss vom 26. Juli 2018 - PV 2001-3879 [HLNK52]) vermag der Senat nicht beizutreten. In diesen Entscheidungen wird die erfinderische Tätigkeit im Wesentlichen mit der Erwägung bejaht, für den Fachmann habe sich nicht die Erwartung ergeben, dass Tadalafil bereits bei einer Dosierung von 5 mg die in Rede stehenden günstigen Eigenschaften aufweist. Dieser Gesichtspunkt ist aus den oben genannten Gründen für die rechtliche Bewertung gerade nicht ausschlaggebend.

e) Die mit Patentanspruch 10 geschützte Verwendung einer Einheitsdosis mit 1 bis 5 mg Tadalafil war für den Fachmann aus den genannten Gründen ebenfalls naheliegend. Dies gilt unabhängig davon, ob sich für Sildenafil allein eine bedarfsorientierte Verabreichung anbot.

f) Ein eigenständiger erfinderischer Gehalt der auf die Ansprüche 1 und 10 zurückbezogenen Patentansprüche ist, mit Ausnahme der Patentansprüche 3 und 7, auf die nachfolgend noch gesondert eingegangen wird, weder geltend gemacht worden, noch sonst ersichtlich.

4. Der mit Hilfsantrag I verteidigte Gegenstand ist weiter als der mit dem Hauptantrag verteidigte und deshalb erst recht nicht patentfähig.

5. Soweit die Beklagten weiterhin hilfsweise die Patentansprüche 3 und 7 in der Fassung des Hauptantrags (Hilfsanträge I a und I b) verteidigt, fehlt es ebenfalls an der Patentfähigkeit.

a) Patentanspruch 3 unterscheidet sich von Patentanspruch 1 in der Fassung des Hauptantrags dadurch, dass dieser ausschließlich 5 mg der Verbindung in Einheitsdosisform umfasst. Wie sich aus den Ausführungen zum Hauptantrag ergibt, erschloss sich dem Fachmann auch ein derart beschränkter Gegenstand in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik.

b) Gleiches gilt im Hinblick auf Patentanspruch 7, der gegenüber Patentanspruch 1 in der Fassung des Hauptantrags das weitere Merkmal aufweist, dass die Dosisform zur Verwendung beim Behandeln einer sexuellen Dysfunktion dient. Eine solche Verwendung wurde dem Fachmann in der NIK5/NiK4 offenbart.

6. Der mit Hilfsantrag II verteidigte Gegenstand ergab sich für den Fachmann ebenfalls in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik.

a) Er unterscheidet sich von Hilfsantrag I dadurch, dass Merkmal 4 wie folgt geändert wird und Merkmal 6 hinzutritt:

4.

Die Einheitsdosisform ist geeignet zur oralen Verabreichung (said unit dosage form is suitable for oral administration).

6.

zur Verwendung bei der Behandlung sexueller Dysfunktion (for use in treating a sexual dysfunction).

b) Wie das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, führt die Weglassung der Formulierung "die Einheitsform ist geeignet" in Merkmal 4 nicht zu einer relevanten Änderung des Gegenstands. Merkmal 6 ist aus NIK5/NiK4 bekannt, so dass der mit Hilfsantrag II beanspruchte Gegenstand aus den im Zusammenhang mit dem Hauptantrag genannten Gründen ebenfalls nahegelegt war.

7. Auch die Beurteilung des mit Hilfsantrag III verteidigten Gegenstands führt zum gleichen Ergebnis.

a) Er unterscheidet sich von Hilfsantrag II dadurch, dass Merkmal 4 wie folgt lautet:

4.

zur täglichen oralen Verabreichung

for daily oral administration.

b) Das damit zusätzlich vorgesehene Merkmal der täglichen Verabreichung war dem Fachmann aus den bereits im Zusammenhang mit dem Hauptantrag dargelegten Gründen nahegelegt.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG sowie § 97 Abs. 1 ZPO .

Von Rechts wegen

Verkündet am: 21. Januar 2020

Vorinstanz: BPatG, vom 24.10.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 3 Ni 22/15 (EP) verbunden mit 3 Ni 27/15 (EP)
Fundstellen
GRUR 2020, 603
MDR 2020, 681