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BGH - Entscheidung vom 12.03.2020

X ZR 30/18

Normen:
PatG § 1
PatG § 3

BGH, Urteil vom 12.03.2020 - Aktenzeichen X ZR 30/18

DRsp Nr. 2020/7483

Patentfähigkeit einer Anlage zur Übertragung von Hochspannungs-Gleichstrom (HGÜ) zwischen Wechselstromnetzen; Offenbarung einer Erfindung

Bei einem Verfahren bezüglich der Patentfähigkeit einer Anlage zur Übertragung von Hochspannungs-Gleichstrom (HGÜ) zwischen Wechselstromnetzen kann es dahingestellt bleiben, ob der Umstand, dass der Einsatz von spannungs- anstelle von stromstabilen Stromrichtern zugleich den Einsatz von Kabeln mit einer Isolierung auf Polymerbasis erleichtert, als synergistischer Effekt bezeichnet werden kann. Selbst wenn diese Frage zu bejahen wäre, würde dieser Effekt nicht zur Bejahung der erfinderischen Tätigkeit führen, wenn der Fachmann Anlass hat, zum Gegenstand des Streitpatents zu gelangen, und es deshalb der Erkenntnis eines solchen Effekts nicht bedurfte.

Tenor

Die Berufung gegen das Urteil des 6. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 14. November 2017 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Normenkette:

PatG § 1 ; PatG § 3 ;

Tatbestand

Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 868 002 (Streitpatent), das am 5. März 1998 unter Inanspruchnahme der Priorität einer schwedischen Anmeldung vom 24. März 1997 angemeldet wurde und die Übertragung von Hochspannungsgleichstrom (HGÜ) betrifft. Patentanspruch 1, auf den vier weitere Ansprüche zurückbezogen sind, sowie Patentanspruch 6 lauten in der Verfahrenssprache:

"1. A plant for transmitting electric power between a direct voltage network (1) for High Voltage Direct Current (HVDC) included therein and at least two alternating voltage networks (6, 7) connected thereto through a station (4, 5) each, said stations being adapted to perform transmitting of electric power between the direct voltage network and the respective alternating voltage network, said plant being of the type with possibility to feed electric power through the direct voltage network in both directions between the stations, characterized by the combination of on one hand the arrangement of at least one voltage-stiff converter, i.e. a VSCconverter (8, 9), in each station for converting direct voltage to alternating voltage and conversely, and on the other the arrangement of at least one cable (2, 3) with an insulating layer (12) of polymer base surrounding the conductor (11) thereof for forming the direct voltage network interconnecting the stations, in which said at least one VSCconverter is adapted to control changes of said feeding direction of electric power through the direct voltage network without polarity change of said conductor by changing the direction of the current through said cable. ...

6. A use of a cable (2, 3) having an inner conductor (11) for electricity and an insulating layer (12) of polymer base surrounding the conductor for forming the direct voltage network interconnecting the stations (4, 5) in transmitting of electric power through High Voltage Direct Current (HVDC), in which each station has at least one voltage-stiff converter, i.e. a VSC-converter (8, 9), for converting direct voltage to alternating voltage and conversely, in which the stations are included in a plant of the type with possibility to feed electric power through the direct voltage network in both directions between the stations, and which said at least one VSC-converter is adapted to control changes of said feeding direction of electric power through the direct voltage network without polarity change of said conductor by changing the direction of the current through said cable."

Die Klägerin, die von der Beklagten wegen Verletzung des Streitpatents (gerichtlich) in Anspruch genommen wird, hat geltend gemacht, die Erfindung sei nicht so offenbart, dass der Fachmann sie ausführen könne, und der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig. Die Beklagte hat das Streitpatent in der erteilten Fassung verteidigt.

Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die an ihrem erstinstanzlichen Antrag festhält. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

I. Das Streitpatent betrifft eine Anlage zur Übertragung von Hochspannungs-Gleichstrom (HGÜ) zwischen Wechselstromnetzen.

1. Nach den Ausführungen in der Streitpatentschrift (K3 Abs. 2) wurden für die Übertragung von Gleichstrom hoher Spannung über große Entfernungen über Land im Stand der Technik häufig nicht isolierte Freileitungen eingesetzt. Von solchen Leitungen gingen vergleichsweise große Störungen für Umwelt und Lebewesen aus. Als Alternative seien Kabel mit einer Isolierung aus ölgetränktem Papier eingesetzt worden. Diese seien aber sehr teuer. Stattdessen habe man Versuche mit Kabeln unternommen, die mit einer Isolierschicht auf Polymerbasis versehen gewesen seien. Die Versuche hätten jedoch insofern große Probleme aufgezeigt, als sich in den Isolierschichten der Kabel Raumladungen gebildet hätten, die bei Wechseln der Polarität der Leiter Durchbrüche und Durchschläge zur Folge gehabt hätten. Deshalb seien Kabel bisher vor allem für die Übertragung von Hochspannungsgleichstrom unter Wasser eingesetzt worden. Dafür seien wiederum die oben erwähnten, teuren Kabel mit Isolierungen aus ölgetränktem Papier verwendet worden.

2. Dem Streitpatent liegt vor diesem Hintergrund das technische Problem zugrunde, ein System zur Verfügung zu stellen, welches die Übertragung von Gleichstrom mit möglichst hoher Spannung in einem Kabel über möglichst weite Strecken hinweg auf möglichst kostengünstige Weise erlaubt (K3 Abs. 3).

3. Zur Lösung dieses Problems schlägt das Streitpatent in Patentanspruch 1 eine Anlage vor, deren Merkmale sich wie folgt gliedern lassen:

1.1

Die Anlage dient der Übertragung von elektrischer Energie zwischen einem darin enthaltenen Gleichspannungsnetz (1) für Hochspannungsgleichstrom (HVDC) und wenigstens zwei Wechselspannungsnetzen (6, 7), welche mit diesem jeweils durch eine Station (4, 5) verbunden sind.

1.2

Die Stationen sind angepasst, um die Übertragung von elektrischer Energie zwischen dem Gleichspannungsnetz und dem jeweiligen Wechselspannungsnetz durchzuführen.

1.3

Die Anlage ist so beschaffen, dass sie das Zuführen von elektrischer Energie durch das Gleichspannungsnetz in beide Richtungen zwischen den Stationen ermöglicht.

1.4

In jeder Station ist zum Umwandeln von Gleichspannung in Wechselspannung und umgekehrt wenigstens ein spannungsstabiler Stromrichter, d.h. ein VSC-Stromrichter (8, 9) angeordnet.

1.5

Zum Bilden des Gleichspannungsnetzes, welches die Stationen miteinander verbindet, ist wenigstens ein Kabel (2, 3) mit einer isolierenden Schicht (12) auf Polymerbasis, welche den Leiter (11) desselben umgibt, angeordnet.

1.6

Der wenigstens eine VSC-Stromrichter ist angepasst, um Änderungen der Zufuhrrichtung elektrischer Energie durch das Gleichspannungsnetz ohne Polaritätsänderung des Leiters durch Ändern der Richtung des Stroms durch das Kabel zu steuern.

In Patentanspruch 6 wird sinngemäß die Verwendung eines Kabels mit den in Merkmal 1.5 vorgesehenen Eigenschaften zur Verbindung von zwei Stationen mit den Eigenschaften gemäß den Merkmalen 1.1 bis 1.4 sowie 1.6 vorgeschlagen.

Der Gegenstand des Streitpatents hat in der Streitpatentschrift beispielhaft die folgende grafische Darstellung gefunden (K3, S. 7, Fig. 1-3):

Dabei zeigen die Figuren 1 und 2 Blockdiagramme zweier bevorzugter Ausführungsformen, während Figur 3 einen vereinfachten Querschnitt des für das Gleichstromnetz verwendeten Kabels zeigt (K3 Abs. 15). Die in den Figuren verwendeten Ziffern entsprechen denjenigen in den Patentansprüchen und in der Merkmalsgliederung.

4. Die Merkmale der Patentansprüche bedürfen (in verschiedener Hinsicht) der näheren Erläuterung:

a) Die Patentansprüche legen nicht näher fest, was unter Hochspannungsgleichstrom zu verstehen ist. Den Ausführungen in der Beschreibung, nach denen es regelmäßig um Spannungen zwischen 50 und 500 Kilovolt geht (K3, Abs. 16, Z. 22 f.), ist zu entnehmen, dass der Begriff jedenfalls diesen Bereich umfasst.

b) Das Streitpatent enthält keine Vorgaben hinsichtlich der Länge des Kabels. Deren Bemessung bleibt dem Fachmann überlassen.

c) Bei den in den Merkmalen 1.4 und 1.6 vorgesehenen spannungsstabilen Stromrichtern (Voltage Source Converter, VSC) handelt es sich um Vorrichtungen zur Umwandlung von Gleichstrom in Wechselstrom und umgekehrt. Aufgrund ihrer Bauart haben sie die Eigenschaft, dass die Spannung unabhängig von der Belastung im Wesentlichen konstant bleibt und dass die Energieübertragung zwischen zwei angeschlossenen Wechselspannungsnetzen in beide Richtungen erfolgen kann, ohne dass die Polarität des Gleichspannungsnetzes geändert werden muss. Letzteres ist in Merkmal 1.6 nochmals ausdrücklich hervorgehoben.

Dieses Merkmal unterscheidet spannungsstabile Stromrichter von den im Bereich der Hochspannungsgleichstromübertragung schon länger eingesetzten stromstabilen Stromrichtern (Current Source Converter, CSC). Bei diesen ist ein Wechsel der Übertragungsrichtung nur möglich, wenn die Polarität des Gleichspannungsnetzes geändert wird. Ein solcher Polaritätswechsel führt beim Einsatz von Kabeln mit einer Isolierung auf Polymerbasis zu den bereits erwähnten Problemen.

d) Spannungsstabile Stromrichter haben den bauartbedingten Nachteil, dass bei einem Kurzschluss besonders hohe Ströme auftreten, die zu einer Beschädigung der gesamten Vorrichtung führen können. Eine Möglichkeit, diese Gefahr sicher auszuschließen, besteht im Einsatz von Leistungstrennschaltern, d.h. von Schaltern, die auch bei voller Last eine zuverlässige Trennung ermöglichen. Die Konstruktion solcher Schalter ist für den Einsatz in Gleichstromanlagen sehr schwierig, weil es wegen der konstanten Stromrichtung keine Nulldurchgänge gibt.

Das Streitpatent adressiert dieses Problem nicht. Folglich ist es dem Fachmann freigestellt, ob er Leistungstrennschalter einsetzt oder das mit dem Verzicht auf solche Einrichtungen verbundene Risiko eingeht.

e) Die genaue Zusammensetzung und Ausgestaltung der Isolierung überlässt das Streitpatent ebenfalls dem Fachmann.

II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Der Gegenstand des Streitpatents sei dem Fachmann, einem Ingenieur der Elektrotechnik mit Universitätsabschluss, der über mehrjährige Erfahrung im Bereich der Konzeption von Hochspannungsgleichstromübertragungsanlagen verfüge, aufgrund einer Zusammenschau des US-Patents 4 941 079 (D2) und der Veröffentlichungen von Maekawa et al. (Research and Development of DC XLPE cables, in: Troisième conférence internationale sur les câbles d'énergie à isolant synthétique, Jicable 91, 24-28 Juin 1991, S. 562-569, D5) oder Bourgeat/Luton (Results of tests using continuous high voltage on low density polyethylene insulation, Jicable 95, 25-29 Juin 1995, S. 694-696, D6) nahegelegt gewesen.

In D2 sei eine Anlage zur Übertragung von Hochspannungsgleichstrom zwischen mindestens zwei Wechselspannungsnetzen unter Einsatz von spannungsstabilen Umrichtern offenbart. Die Ausgestaltung des Gleichspannungsnetzes sei allerdings nicht näher dargestellt. Der Einsatz von Kabeln mit einer Isolation auf Polymerbasis sei durch diese Entgegenhaltung auch nicht nahegelegt gewesen, weil der Fachmann mangels anderer Angaben bei Hochspannungsgleichstromübertragung ausschließlich an Freileitungen oder an die bisher gebräuchlichen Kabel mit Papierisolation denke. Diesbezügliche Anregungen ergäben sich aber aus D5 und D6.

In D5 werde über die Entwicklung von Kabeln mit einer Isolation auf Polymerbasis referiert und auf deren Eignung für lange Strecken hingewiesen. Damit assoziiere der Fachmann nichts Anderes als Hochspannungsgleichstromübertragung, zumal explizit eine Gleichspannung von 250 Kilovolt genannt werde. D6 habe die Eignung von Kabeln für Gleichspannungen bis zu 400 Kilovolt zum Gegenstand.

Der von der Beklagten erhobene Einwand, die Entwicklung von Kabeln mit einer Isolation auf Polymerbasis, die sich für Hochspannungsgleichstromübertragung eignen, sei am Prioritätstag noch nicht hinreichend weit gediehen gewesen, führe nicht zu einer abweichenden Beurteilung, zumal auch die Streitpatentschrift keine Angaben dazu mache, welche Maßnahmen zu ergreifen seien, um einen solchen Einsatz zu ermöglichen. Die Erkenntnis, dass beim Einsatz von spannungsgeführten Stromrichtern ein Wechsel der Polarität nicht erfolge und deshalb auf für andere Bereiche als HGÜ gängige Kabel zurückgegriffen werden könne, sei allenfalls für einen ausschließlich mit der Entwicklung von verbesserten Werkstoffen zur Kabelisolierung befassten Fachmann überraschend gewesen, nicht aber für einen Planer von Anlagen zur Hochspannungsgleichstromübertragung.

III. Diese Ausführungen halten der Überprüfung im Berufungsverfahren stand.

1. Wie das Patentgericht zutreffend dargelegt hat, ist der Gegenstand des Streitpatents in D2 nicht vollständig offenbart oder nahegelegt. Dort ist zwar eine Anlage zur Übertragung von Gleichstrom hoher Spannung unter Einsatz von spannungsstabilen Stromrichtern gezeigt, die einen Wechsel der Energieübertragungsrichtung ohne Polaritätsänderung ermöglichen, nicht aber der Einsatz von Kabeln mit einer Isolierung auf Polymerbasis.

a) Die Möglichkeit der bidirektionalen Übertragung von Energie ohne Änderung der Polarität des Gleichspannungsnetzes wird in D2 mehrfach ausdrücklich als besonderer Vorteil des dort offenbarten und in Figur 30 schematisch dargestellten Systems hervorgehoben (D2 Sp. 13, Z. 1 und 50-56, Sp. 16 Z. 21-24).

Entgegen der Auffassung der Berufung ist der Einsatz eines solchen Systems in D2 nicht nur als Kurzkupplung zur Verbindung von zwei Wechselstromnetzen innerhalb derselben Anlage offenbart, sondern auch für die Übertragung über weite Strecken. Dieser Anwendungsfall wird, wie auch die Berufung im Ansatz nicht verkennt, in der Beschreibung von D2 ausdrücklich geschildert (D2 Sp. 40 Z. 60-65) und in Figur 31 dargestellt.

In den auf Figur 31 bezogenen Passagen der Beschreibung wird zwar ausgeführt, das Wechselstromnetz 1 bestehe ausschließlich aus Generatoren (D2 Sp. 40 Z. 60-63), und wegen des nur in eine Richtung verlaufenden Leistungsflusses seien die Konverter in System Nr. 1 Gleichrichter und die Konverter in System Nr. 2 Inverter (D2 Sp. 41 Z. 1-6). Aus der Angabe, dass Figur 31 nur ein besonderes Anwendungsbeispiel des in Figur 30 dargestellten allgemeinen Funktionsprinzips darstelle, geht aber hinreichend deutlich hervor, dass auch die Angaben zur Richtung des Leistungsflusses nur ein mögliches Beispiel schildern, also eine Umkehrung der Flussrichtung und damit die bidirektionale Übertragung von Strom auch bei Fernübertragung in Betracht kommt.

b) Dass Figur 31 ebenso wie Figur 30 zum Schutz vor Kurzschlüssen an jedem Anschlusspunkt des Gleichstromnetzes einen Trennschalter (circuit breaker) vorsieht und diese Ausgestaltung in der Beschreibung von D2 wegen der zentralen Bedeutung der Spannung im Gleichstrom-Zwischenkreis als unerlässlich bezeichnet wird (D2 Sp. 40 Z. 12-14), führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung.

Dabei kann dahingestellt bleiben, in welchem Umfang und für welche Einsatzszenarien Trennschalter für Gleichstrom im Prioritätszeitpunkt bereits zum praktischen Einsatz zur Verfügung standen. Dem Vorbringen der Berufung, wonach solche Systeme damals noch am Anfang ihrer Entwicklung standen und nicht verlässlich eingesetzt werden konnten, ist nicht zu entnehmen, dass solche Systeme aus der Sicht des Fachmanns schlechterdings (noch) nicht verfügbar gewesen wären und die in D2 offenbarte Lösung für die Übertragung über weite Strecken hinweg deshalb (noch) nicht ausführbar war.

Wie auch die Beklagte nicht in Zweifel zieht, war dem Fachmann bekannt, dass Trennschalter in Anlagen zur Übertragung von Gleichstrom hoher Spannung schon seit langem entwickelt und zumindest für bestimmte Einsatzzwecke als tauglich befunden wurden. Dass solche Schalter nicht für sämtliche denkbaren Einsatzbereiche der in D2 dargestellten Anlage geeignet waren, ist für die rechtliche Beurteilung unerheblich, weil das Streitpatent keine näheren Vorgaben zum Einsatzbereich macht.

c) Richtig hat das Patentgericht ferner entschieden, dass sich nicht bereits D2 selbst die darüber hinausreichende Anregung entnehmen ließ, für die Übertragung von Gleichstrom hoher Spannung Kabel mit einer Isolierung auf der Basis von Polymeren einzusetzen.

D2 befasst sich weder mit Einzelheiten der Wechselstromnetze noch mit der hier interessierenden Ausgestaltung des Gleichstromnetzes. Sofern der Fachmann ausgehend von D2 den Einsatz von Kabeln in Erwägung gezogen hat, ergab sich daraus zwar die Veranlassung, nach geeigneten Kabeltypen zu suchen. Dass hierzu auch Kabel mit einer Isolierung auf Polymerbasis gehören, ergab sich aber weder aus D2 noch aus dem allgemeinen Fachwissen.

2. Wie das Patentgericht ebenfalls zu Recht entschieden hat, ergab sich ausgehend von D2 eine Anregung zum Einsatz solcher Kabel aus D5 und D6.

a) In D5 und in D6 wird über zwei unabhängig voneinander durchgeführte Untersuchungen zur Entwicklung von Kabeln mit verbesserten Isolierungen zur Übertragung von Gleichstrom mit hoher Spannung berichtet.

In beiden Entgegenhaltungen wird mehrfach ausdrücklich hervorgehoben, dass bei der Übertragung von Gleichstrom die Ausbildung von Raumladungen und deren negative Auswirkungen im Falle eines Polaritätswechsels ein Problem darstellten (D5 S. 563 unter 2.1, S. 566 unter 3.2.2; D6 S. 694 unter 1; S. 695 unter 4).

In D5 wird eine Isolierung aus vernetztem Polyethylen (VPE, cross-linked polyethylene, XLPE) vorgeschlagen, die für Spannungen bis zu 250 Kilovolt als geeignet bezeichnet wird (D5 S. 569 unter 6). In D6 wird ausgeführt, das dort offenbarte Kabel mit einer Isolation aus Weich-Polyethylen (low density polyethylene, LDPE) sei für die Spannungsebene von 300 Kilovolt geeignet und dürfte ohne größere Schwierigkeiten auch in der Ebene von 400 Kilovolt einsetzbar sein (D6 S. 694, Abstract).

b) Diese Veröffentlichungen gaben dem aufgrund von D2 die Möglichkeiten von Kabelverbindungen prüfenden Fachmann Anlass, den Einsatz von Kabeln mit einer Isolierung aus weichem oder vernetztem Polyethylen auch für die Verbindung von Konverterstationen mit spannungsstabilen Stromrichtern in Betracht zu ziehen.

aa) Entgegen der Auffassung der Berufung hatte der Fachmann Anlass, auch für solche Anlagen nach Möglichkeiten für eine Kabelverbindung über weitere Strecken zu suchen.

Wie bereits oben dargelegt wurde, wird in D2 eine Verbindung über weite Entfernungen offenbart.

Der in D2 geäußerte Vorbehalt, die Verbindungen müssten auf Gleichstromseite mittels eines Leistungsschalters abgesichert werden, führte den Fachmann nicht dahin, von dem dort ausdrücklich vorgeschlagenen Weg Abstand zu nehmen. Dabei kann dahingestellt bleiben, welchen Entwicklungsstand Leistungsschalter für den Betrieb unter Gleichspannung im Prioritätstag erreicht hatten. Wie bereits oben dargelegt wurde, war die Heranziehung solcher Schalter jedenfalls nicht für jeden Einsatzzweck ausgeschlossen.

bb) Mangels näherer Ausführungen in D2 hatte der Fachmann Anlass, zur Übertragung über weite Strecken nicht nur Freileitungen, sondern auch Kabel in Erwägung zu ziehen.

Wie dies auch in der Beschreibung des Streitpatents ausgeführt wird, kann der Wunsch nach einer Kabelverbindung nicht nur auf technischen Gesichtspunkten beruhen, sondern auch auf Gründen des Umwelt- oder Anwohnerschutzes. Diesbezügliche Bedürfnisse hängen nicht von der eingesetzten Stromrichter-Technologie ab. Hinzu kommt, dass auch nach den Ausführungen in der Streitpatentschrift Kabel bei Verbindungen über See ohnehin in der Regel das Mittel der Wahl sind (K3 Abs. 2).

cc) Bei der Suche nach geeigneten Kabeln hatte der Fachmann Veranlassung, auch D5 und D6 in den Blick zu nehmen.

Beide Veröffentlichungen betreffen zwar Produkte, die noch in der Entwicklung waren. Die erfolgreichen Ergebnisse, über die in den Entgegenhaltungen berichtet wird, und die darin geäußerte positive Einschätzung begründeten aber die hinreichende Erwartung, dass sich dieser Ansatz als erfolgreich erweisen konnte. Dass sich diese Erwartungen später eventuell nicht in vollem Umfang bestätigt haben, ist für die Frage, welche Veranlassung für den Fachmann am Prioritätstag bestand, grundsätzlich unerheblich.

dd) Zusätzliche Veranlassung, Kabel der in D5 und D6 offenbarten Art in Betracht zu ziehen, ergab sich für den Fachmann aus dem Umstand, dass die bekannten, sowohl in D2 als auch in D5 und D6 hervorgehobenen Schwierigkeiten im Falle eines Polaritätswechsels bei spannungsstabilen Stromrichtern nicht auftreten können, weil bei deren Einsatz ein Polaritätswechsel zur Umkehr des Leistungsflusses nicht erforderlich ist.

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob ein mit der Entwicklung von Kabeln befasster Fachmann Anlass hatte, die Frage aufzuwerfen, ob der Einsatz von spannungs- anstelle von stromstabilen Stromrichtern zu einer grundlegenden Änderung der für eine zuverlässige Isolation maßgeblichen Parametern führt. Für einen Fachmann, der sich mit geeigneten Mitteln zur Verbindung von zwei oder mehreren spannungsstabilen Stromrichtern befasste, war ohne weiteres ersichtlich, dass bei deren Betrieb ein Polaritätswechsel nicht erforderlich ist. Hierbei handelte es sich nicht um eine Erkenntnis, die sich der Fachmann aufgrund seines allgemeinen Wissens erst erarbeiten musste. Vielmehr hebt D2 diesen Umstand ausdrücklich als besonderen Vorteil von spannungsstabilen Stromrichtern hervor. Damit korrespondierend wird der Polaritätswechsel in D5 und D6 jeweils als besonders problematisch bezeichnet.

Vor diesem Hintergrund lag für den Fachmann auf der Hand, dass die ermutigenden Ergebnisse aus D5 und D6 für die Verbindung von Stationen mit spannungsstabilen Stromrichtern eine noch weitaus höhere Erfolgserwartung begründeten, weil die Anforderungen an die Isolierung zumindest in diesem Punkt weitaus weniger anspruchsvoll sind. Angesichts der zentralen Bedeutung, die dem Polaritätswechsel sowohl im einen als auch im anderen Zusammenhang beigemessen wurde, bedurfte es weder einer nennenswerten Anstrengung noch tiefergehender Überlegungen, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen. Deshalb hat das Patentgericht die Kombination der Entgegenhaltungen zu Recht als nahegelegt angesehen.

ee) Der von der Berufung angeführte Aspekt der Synergieeffekte führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung.

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Umstand, dass der Einsatz von spannungs- anstelle von stromstabilen Stromrichtern zugleich den Einsatz von Kabeln mit einer Isolierung auf Polymerbasis erleichtert, als synergistischer Effekt bezeichnet werden kann. Selbst wenn diese Frage zu bejahen wäre, würde dieser Effekt im Streitfall nicht zur Bejahung der erfinderischen Tätigkeit führen, weil der Fachmann jedenfalls von dem oben aufgezeigten Ausgangspunkt aus, Anlass hatte, zum Gegenstand des Streitpatents zu gelangen, und es deshalb der Erkenntnis eines solchen Effekts nicht bedurfte.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG und § 97 Abs. 1 ZPO .

Von Rechts wegen

Verkündet am: 12. März 2020

Vorinstanz: BPatG, vom 14.11.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 6 Ni 71/16 (EP)