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BGH - Entscheidung vom 09.03.2020

AnwZ (Brfg) 1/18

Normen:
BRAO § 46 Abs. 2 S. 1
BRAO § 46 Abs. 5 S. 1-2
BRAO § 46a Abs. 1 S. 1

BGH, Urteil vom 09.03.2020 - Aktenzeichen AnwZ (Brfg) 1/18

DRsp Nr. 2020/6456

Merkmal der anwaltlichen Tätigkeit in Rechtsangelegenheiten des Arbeitgebers als eine tatbestandliche Voraussetzung für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft als Syndikusrechtsanwalt

Für die Zulassung eines Anwalts als Syndikusrechtsanwalt ist eine Prägung der Tätigkeit durch anwaltliche Tätigkeiten für den Arbeitgeber festzustellen. Ein Anteil von 65 % anwaltlicher Tätigkeit liegt am unteren Rand des für eine anwaltliche Prägung des Arbeitsverhältnisses Erforderlichen.

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des II. Senats des Anwaltsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 10. November 2017 aufgehoben.

Der Bescheid der Rechtsanwaltskammer Stuttgart vom 10. Oktober 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Februar 2017 wird aufgehoben.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt. Die Beigeladene trägt ihre Kosten selbst.

Normenkette:

BRAO § 46 Abs. 2 S. 1; BRAO § 46 Abs. 5 S. 1-2; BRAO § 46a Abs. 1 S. 1;

Tatbestand

Die Beigeladene ist seit dem 23. Oktober 2007 im Bezirk der Beklagten zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Im Jahre 2016 nahm sie eine zunächst befristete Tätigkeit bei der K. GmbH (fortan: Arbeitgeberin) als "Rechtsanwalt (Projektanwalt, Document Reviewer)" auf. In der "Präambel" des befristeten Arbeitsvertrages vom 8. Februar 2016 werden das Projekt und die Tätigkeit der Beigeladenen wie folgt beschrieben:

"K. xxx stellt ihrem Vertragspartner, der D. xxx GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, im Rahmen eines zeitlich begrenzten Projekts für den Endkunden, die V. xxx AG, Dienstleistungen im Bereich Dokumentenprüfung zur Verfügung. M. xxx W. xxx soll zum Zwecke der Durchführung dieses Projekts "V. xxx Document review" befristet bei K. xxx beschäftigt werden."

Am 8. Februar 2016 beantragte die Beigeladene die Zulassung als Syndikusrechtsanwältin. Die Klägerin wurde angehört und widersprach. Mit Bescheid vom 10. Oktober 2016 ließ die Beklagte die Beigeladene als Syndikusrechtsanwältin zu. Den Widerspruch der Klägerin wies sie mit Bescheid vom 15. Februar 2017 zurück. Während des Widerspruchsverfahrens, am 8. November 2016, schloss die Beigeladene mit ihrer Arbeitgeberin einen neuen Arbeitsvertrag, nach welchem sie nunmehr unbefristet als "Syndikusrechtsanwalt (Review Manager)" eingestellt wurde. Der neue Arbeitsvertrag lag der Beklagten vor Erlass des Widerspruchsbescheides vor. Im Widerspruchsbescheid heißt es dazu, an der Tätigkeit der Beigeladenen habe sich durch ihn nichts geändert; sie sei nunmehr im Rahmen verschiedener Projekte tätig statt nur im Rahmen eines einzigen Projektes.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, eine Zulassung sei nur für den ersten Arbeitsvertrag beantragt und erteilt worden. Sie hat gemeint, die Tätigkeit der Beigeladenen sei nicht auf die Gestaltung von Rechtsverhältnissen ausgerichtet und werde nicht vorgabenfrei und damit fachlich unabhängig ausgeübt. Zudem handele es sich um eine Rechtsdienstleistung für Kunden der Arbeitgeberin der Beigeladenen, nicht um eine rechtliche Beratung und Vertretung des Arbeitgebers in dessen eigenen Rechtsangelegenheiten. Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 10. Oktober 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Februar 2017 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat den Arbeitsvertrag vom 8. November 2016 für maßgeblich gehalten, der vor Erlass des Widerspruchsbescheides vorgelegen und im Übrigen an der Tätigkeit der Beigeladenen nichts geändert habe. Die Beigeladene sei danach nicht nur im Rahmen eines einzigen Projektes für ihre Arbeitgeberin tätig.

Der Anwaltsgerichtshof hat die Klage abgewiesen.

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Berufung will die Klägerin weiterhin die Aufhebung des Zulassungsbescheides erreichen. Sie wiederholt und vertieft ihr bisheriges Vorbringen und beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Anwaltsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 10.11.2017 - AGH 14/2017 II - den Bescheid der Rechtsanwaltskammer S. vom 10.10.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.02.2017 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Ihrer Ansicht nach ist es einem Syndikusrechtsanwalt erlaubt, Sachverhalte und Rechtsfragen im Zusammenhang mit fremden Rechtsangelegenheiten aufzuklären und zu prüfen und seinen Arbeitgeber diesbezüglich zu beraten, wenn dies zur Mandatsbearbeitung notwendig ist. Die Vorschrift des § 46 Abs. 5 BRAO solle lediglich die unmittelbare Beratung des Kunden verhindern. Der Tätigkeitsschwerpunkt der Beigeladenen habe in der Prüfung, Auswertung und Würdigung der vorgelegten Unterlagen und Dokumente gelegen. Bei dieser Tätigkeit bestehe in der Regel kein unmittelbarer Kontakt zum Endkunden. Die Beigeladene bereite die Dokumente auf und ermögliche so ihrer Arbeitgeberin, die beauftragte Dienstleistung zu erbringen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, auf das angefochtene Urteil und auf die vom Anwaltsgerichtshof beigezogenen Akten und Unterlagen Bezug genommen. Das Arbeitsverhältnis der Beigeladenen wurde zwischenzeitlich beendet.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist nach § 112e Satz 1 BRAO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 112e Satz 2 BRAO , § 124a Abs. 5 , 6 VwGO ). Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und des angefochtenen Bescheids. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO , § 113 VwGO ). Die Beigeladene kann nicht als Syndikusrechtsanwältin zugelassen werden, weil sie entgegen § 46 Abs. 2 Satz 1, Abs. 5 BRAO nicht in Rechtsangelegenheiten ihrer Arbeitgeberin tätig ist.

I.

Gegenstand der Anfechtungsklage der Klägerin ist der Zulassungsbescheid vom 10. Oktober 2016 in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 15. Februar 2017 gefunden hat (vgl. § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ). Der Widerspruchsbescheid bezieht sich ausdrücklich auf den Arbeitsvertrag der Beigeladenen vom 8. November 2017.

II.

Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft als Syndikusrechtsanwalt ist gemäß § 46a Abs. 1 Satz 1 BRAO auf Antrag zu erteilen, wenn die allgemeinen Zulassungsvoraussetzungen zum Beruf des Rechtsanwalts gemäß § 4 BRAO erfüllt sind, kein Zulassungsversagungsgrund nach § 7 BRAO vorliegt und die Tätigkeit den Anforderungen des § 46 Abs. 2 bis 5 BRAO entspricht. § 46 Abs. 2 Satz 1 BRAO verlangt für Angestellte nichtanwaltlicher Arbeitgeber eine anwaltliche Tätigkeit gerade für den Arbeitgeber. Gemäß § 46 Abs. 5 Satz 1 BRAO beschränkt sich die Befugnis des Syndikusrechtsanwalts zur Beratung und Vertretung auf die Rechtsangelegenheiten des Arbeitgebers.

1. Nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung des Senats für Anwaltssachen handelt es sich bei dem Merkmal der anwaltlichen Tätigkeit in Rechtsangelegenheiten des Arbeitgebers in § 46 Abs. 2 Satz 1, Abs. 5 BRAO um eine tatbestandliche Voraussetzung für die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt, nicht nur um eine Beschränkung des zulässigen Tätigkeitsfeldes nach erteilter Zulassung (vgl. BGH, Urteil vom 2. Juli 2018 - AnwZ (Brfg) 49/17, WM 2018, 2001 Rn. 37 ff.; vom 6. Mai 2019 - AnwZ (Brfg) 38/17, NJW-RR 2019, 946 Rn. 12; Beschluss vom 16. August 2019 - AnwZ (Brfg) 58/18, NJW 2019, 3453 Rn. 24; vom 30. September 2019 - AnwZ (Brfg) 38/19, juris Rn. 5).

2. Die Dokumentenprüfung, welche den Schwerpunkt der Tätigkeit der Beigeladenen bildete, betraf die Rechtsangelegenheiten Dritter, nicht die Rechtsangelegenheiten der Arbeitgeberin der Beigeladenen.

a) Die Beklagte hat auch in der Berufungsinstanz vorgetragen, dass der Schwerpunkt der Tätigkeit der Beigeladenen, wie aus den Arbeitsverträgen und den von der Beigeladenen im Zulassungsverfahren eingereichten Tätigkeitsbeschreibungen ersichtlich, im Bereich der Dokumentenprüfung lag. Das Muster der danach von der Beigeladenen arbeitsvertraglich geschuldeten und tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten ergibt sich bereits aus der Projektbeschreibung im befristeten Arbeitsvertrag vom 8. Februar 2016. Die Arbeitgeberin der Beigeladenen stellte ihrem Vertragspartner Dienstleistungen im Bereich der Dokumentenprüfung zur Verfügung, welche sogar noch - ohne dass es darauf ankäme - die Angelegenheiten eines Endkunden, eines Kunden des Vertragspartners der Arbeitgeberin also, zum Gegenstand hatten. Die Dokumentenprüfung betraf damit keine eigenen Rechtsangelegenheiten der Arbeitgeberin. Der zweite Arbeitsvertrag hat an diesem Muster nichts geändert. Den eigenen Angaben der Beklagten zufolge wurden die Arbeitsergebnisse der Beigeladenen den Kunden der Arbeitgeberin zur Verfügung gestellt. Sie wurden von der Rechtsabteilung des Endkunden oder von der Kanzlei, welche der Endkunde beauftragt hat, im Rahmen der Beratung verwandt.

b) Die Beigeladene hat bei ihrer Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat allerdings erklärt, die von ihr tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten seien in den Arbeitsverträgen und Tätigkeitsbeschreibungen unvollständig wiedergegeben worden. Zu ihren Aufgaben habe auch die Beratung ihrer Arbeitgeberin bei Abschluss der Projektverträge, in Haftungsfragen, in arbeitsrechtlichen Fragen und in Fragen des Datenschutzes gehört. Die Dokumentenprüfung habe weniger als die Hälfte ihrer tatsächlichen Tätigkeit ausgemacht.

Dieser Vortrag erlaubt dem Senat nicht, eine Prägung der Tätigkeit der Beigeladenen durch anwaltliche Tätigkeiten für ihre Arbeitgeberin gemäß § 46 Abs. 3 , Abs. 5 BRAO festzustellen. Wie der Senat zwischenzeitlich entschieden hat (BGH, Urteil vom 30. September 2019 - AnwZ (Brfg) 63/17, NJW 2019, 3649 Rn. 18; Beschluss vom 9. Januar 2020 - AnwZ (Brfg) 11/19, juris Rn. 6), liegt ein Anteil von 65 % anwaltlicher Tätigkeit am unteren Rand des für eine anwaltliche Prägung des Arbeitsverhältnisses Erforderlichen. Ob es für die Annahme einer Prägung des Arbeitsverhältnisses ausreicht, dass die anwaltlichen Tätigkeiten für den Arbeitgeber mehr als die Hälfte der insgesamt geleisteten Arbeit ausmachen, konnte der Senat bisher zwar offenlassen. Die allgemein gehaltenen Angaben der Beigeladenen erlauben dem Senat jedoch nicht einmal zu prüfen, ob der von der Beigeladenen behauptete Anteil von mehr als 50 % an anwaltlicher Tätigkeit für ihre Arbeitgeberin erreicht ist. Eines erneuten Hinweises bedurfte es nicht, nachdem der Senat die Zulassung der Berufung im Beschluss vom 9. Mai 2019 (AnwZ (Brfg) 1/18, juris Rn. 5) ausdrücklich auf die fehlenden ausreichenden Feststellungen zu den das Arbeitsverhältnis prägenden Tätigkeiten in Rechtsangelegenheiten der Arbeitgeberin der Beigeladenen gestützt hat.

3. Dass die Arbeitgeberin der Beigeladenen mit Hilfe der von der Beigeladenen erbrachten Arbeitsleistungen ihre vertraglichen Verpflichtungen gegenüber ihren Kunden erfüllt, ändert an diesem Ergebnis nichts. Nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung des Senats für Anwaltssachen wird eine Angelegenheit nicht dadurch zu einer Rechtsangelegenheit des Arbeitgebers, dass dieser sich schuldrechtlich zur Erbringung einer Dienstleistung verpflichtet hat (BGH, Beschluss vom 16. August 2019 - AnwZ (Brfg) 58/18, aaO Rn. 30 mwN; Urteil vom 3. Februar 2020 - AnwZ (Brfg) 71/18, juris Rn. 12). Ebenso wenig kommt es darauf an, ob die Beigeladene unmittelbar mit den Kunden ihrer Arbeitgeberin oder mit deren Endkunden in Kontakt tritt oder nicht. Maßgeblich ist allein die Tätigkeit in Angelegenheiten der Kunden der Arbeitgeberin.

4. Die Tätigkeit der Beigeladenen fällt schließlich auch nicht unter eine der Ausnahmen in § 46 Abs. 5 Satz 2 BRAO . Diese Ausnahmetatbestände sind eng auszulegen. Sie sind nicht analogiefähig (BGH, Urteil vom 2. Juli 2018 - AnwZ (Brfg) 49/17, aaO Rn. 58 ff.; vom 6. Mai 2019 - AnwZ (Brfg) 38/17, aaO Rn. 16; Beschluss vom 16. August 2019 - AnwZ (Brfg) 58/18, aaO Rn. 41; vom 30. September 2019 - AnwZ (Brfg) 38/19, aaO Rn. 7). Es fehlt an einer planwidrigen Regelungslücke. Weder aus der Bundesrechtsanwaltsordnung noch aus den Gesetzesmaterialien zu den §§ 46 ff. BRAO (BT-Drucks. 18/5201, S. 30 f. zu § 46 Abs. 5 BRAO -E) ergibt sich ein Regelungsplan des Gesetzgebers, nach welchem eine Drittberatung auch in anderen als den in § 46 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 bis 3 BRAO genannten Fällen eine Rechtsangelegenheit des Arbeitgebers darstellen soll. Der Gesetzgeber wollte ausschließlich in den in § 46 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 bis 3 BRAO genannten besonderen Fällen der Drittberatung eine Tätigkeit in Rechtsangelegenheiten des Arbeitgebers sehen (BGH, Urteil vom 6. Mai 2019 - AnwZ (Brfg) 38/17, aaO).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO , § 154 Abs. 1 , § 162 Abs. 3 VwGO .

Verkündet am: 9. März 2020

Vorinstanz: AnwGH Baden-Württemberg, vom 10.11.2017 - Vorinstanzaktenzeichen AGH 14/17 II