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BGH - Entscheidung vom 12.05.2020

XI ZB 19/19

Normen:
ZPO § 574 Abs. 2

BGH, Beschluss vom 12.05.2020 - Aktenzeichen XI ZB 19/19

DRsp Nr. 2020/8148

Klage eines Verbraucherschutzverbandes gegen eine Bank auf Unterlassung der Verwendung von Teilen dessen Allgemeiner Geschäftsbedingungen im Verkehr mit Verbrauchern und der Geltendmachung eines Entgelts aufgrund dieser Klauseln

Ein Rechtsanwalt hat durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Für den Fall eines Fristverlängerungsantrags bestehen zusätzliche Anforderungen an das Fristenwesen. In diesen Fällen muss als zusätzliche Fristensicherung auch das hypothetische Ende der beantragten Fristverlängerung bei oder alsbald nach Einreichung des Verlängerungsantrags im Fristenbuch eingetragen, als vorläufig gekennzeichnet und rechtzeitig, spätestens nach Eingang der gerichtlichen Mitteilung überprüft werden, damit das wirkliche Ende der Frist festgestellt werden kann. Zugleich mit der Eintragung des beantragten (voraussichtlichen) Fristendes ist hierfür auch eine Vorfrist einzutragen.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 30. August 2019 wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert beträgt 7.500 €.

Normenkette:

ZPO § 574 Abs. 2 ;

Gründe

I.

Der Kläger, ein Verbraucherschutzverband, begehrt von der beklagten Bank die Unterlassung der Verwendung von fünf seiner Auffassung nach missbräuchlichen Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Verkehr mit Verbrauchern und der Geltendmachung eines Entgelts aufgrund dieser Klauseln. Das Landgericht hat der Klage mit Urteil vom 20. März 2019 in Bezug auf zwei Klauseln stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Das Urteil ist den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 1. April 2019 zugestellt worden. Hiergegen haben sie fristgerecht Berufung eingelegt. Auf den am 3. Juni 2019 beim Oberlandesgericht eingegangenen Antrag des Klägers hat der Vorsitzende des Berufungssenats die Berufungsbegründungsfrist antragsgemäß bis zum 3. Juli 2019 verlängert, was den Prozessbevollmächtigten des Klägers formlos mitgeteilt worden ist. Nach einem Hinweis des Berufungsgerichts vom 4. Juli 2019 haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers mit am 19. Juli 2019 eingegangenem Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt und zugleich die Berufung begründet.

Die Prozessbevollmächtigten des Klägers haben den Antrag auf Wiedereinsetzung damit begründet, dass ihre erfahrene und stets zuverlässige Rechtsanwaltsfachangestellte B. es versäumt habe, die verlängerte Berufungsbegründungsfrist in den Fristenkalender der Kanzlei einzutragen. Dies habe der sachbearbeitende Rechtsanwalt nicht bemerken können und müssen, weil die Akte ihm wegen Versäumung der Eintragung der Frist nicht vorgelegt worden sei. Frau B. habe weder auf die Bewilligung der vorsorglich beantragten gerichtlichen Fristverlängerung diese in den Fristenkalender eingetragen noch nachträglich die Eintragung der Frist in den Kalender überprüft. Zu diesem Versehen sei es unter anderem wegen eines gelegentlichen, bis dahin noch unbekannten Versagens des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs gekommen. Dieses habe eine Versendung des Fristverlängerungsantrags durch den bearbeitenden Rechtsanwalt am 3. Juni 2019 um 21.54 Uhr per Telefax notwendig gemacht. Aufgrund kanzleiinterner allgemein verbindlicher Anweisung würden die Telefaxsendeberichte auf einer Ablage vor den Telefaxgeräten gesammelt und mehrmals am Tag von dazu eingehend instruierten und eingewiesenen Praktikanten und Auszubildenden eingesammelt und den bearbeitenden Rechtsanwaltsfachangestellten zur Bearbeitung vorgelegt. Entgegen kanzleiinterner Anweisung sei Frau B. der Sendebericht jedoch nicht vorgelegt worden, weshalb sie die kanzleiinterne Anweisung, aufgrund des Sendeberichts die Frist einzutragen, nicht befolgt habe. Da die erste Fristverlängerung regelmäßig bewilligt werde, bestünde die allgemeine kanzleiinterne verbindliche Anweisung, dass diese bereits mit Stellung des Fristverlängerungsantrags in den Fristenkalender eingetragen werde. Lediglich wenn die Fristverlängerung ausnahmsweise versagt werde, werde diese wieder aus dem Fristenkalender herausgenommen. Entsprechend habe Frau B. die Eintragung der Frist in den Fristenkalender auch aufgrund des hohen Arbeitsanfalls nach Eingang der Bewilligung der Fristverlängerung durch das Gericht nicht nochmals überprüft.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Die Fristversäumung durch die Prozessbevollmächtigten des Klägers sei schuldhaft erfolgt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs habe ein Rechtsanwalt durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt werde und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingehe. Dabei dürfe er zwar die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft übertragen. Er habe aber durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert würden. Für den Fall eines Fristverlängerungsantrags bestünden zusätzliche Anforderungen an das Fristenwesen. In diesen Fällen müsse als zusätzliche Sicherung auch das hypothetische Ende der beantragten Fristverlängerung bei oder alsbald nach Einreichung des Verlängerungsantrags im Fristenbuch eingetragen, als vorläufig gekennzeichnet und rechtzeitig, spätestens nach Eingang der gerichtlichen Mitteilung überprüft werden, damit das wirkliche Ende der Frist festgestellt werden könne; zugleich mit der Eintragung des beantragten (voraussichtlichen) Fristendes sei hierfür auch eine Vorfrist einzutragen.

Die Erfüllung dieser Anforderungen sei vorliegend nach der internen Organisation in der Kanzlei der Klägervertreter nicht gewährleistet gewesen. Danach seien die Fristen nicht als vorläufig gekennzeichnet eingetragen worden. Zudem sei eine Überprüfung des Eintrags bei Eingang der Bewilligung der Fristverlängerung nicht vorgesehen, so dass eine zusätzliche Kontrolle der Eintragung der Frist gefehlt habe. Diese Versäumnisse seien kausal für die Fristversäumung. Hätten die Prozessbevollmächtigten des Klägers Vorkehrungen dafür getroffen, dass das Ende der beantragten Fristverlängerung nach Bewilligung im Fristenkalender als endgültig einzutragen gewesen wäre, hätten sie nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge bei ansonsten pflichtgemäßem Verhalten die Berufungsbegründungsfrist gewahrt. Die unerwartete Störung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs entlaste die Klägervertreter nicht. Vielmehr müssten sie sicherstellen, dass ihre Angestellten ihre Aufgaben auch dann zuverlässig erfüllten, wenn das zur Fristenkontrolle eingerichtete System aufgrund eines Computerdefekts vorübergehend nicht zuverlässig funktioniere. Daran fehle es hier.

Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO ), aber unzulässig.

Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO sind nicht erfüllt. Entgegen der Auffassung des Klägers ist insbesondere eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ) nicht erforderlich. Es liegt weder eine Divergenz zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor noch verletzt die Entscheidung des Berufungsgerichts den Anspruch des Klägers auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat das Berufungsgericht bei seiner Beurteilung insbesondere auch nicht die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts überspannt.

2. Das Berufungsgericht hat dem Kläger zu Recht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt und seine Berufung als unzulässig verworfen. Die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung beruht auf einem Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten, das ihm nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat ein Rechtsanwalt durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Hierzu hat er grundsätzlich sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen auszuschließen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 9. Mai 2017 - VIII ZB 5/16, NJW-RR 2017, 953 Rn. 8 und vom 4. September 2018 - VIII ZB 70/17, NJW-RR 2018, 1325 Rn. 13, jeweils mwN). Ein bestimmtes Verfahren ist insoweit zwar weder vorgeschrieben noch allgemein üblich (BGH, Urteil vom 21. Dezember 1988 - VIII ZR 84/88, NJW 1989, 2393 unter II 2; Beschlüsse vom 27. Januar 2015 - II ZB 21/13, NJW 2015, 2038 Rn. 7 und vom 4. September 2018 - VIII ZB 70/17, aaO, jeweils mwN). Auf welche Weise der Rechtsanwalt sicherstellt, dass die Eintragung im Fristenkalender und die Wiedervorlage der Handakten rechtzeitig erfolgen, steht ihm grundsätzlich frei (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 28. Mai 2013 - VI ZB 6/13, NJW 2013, 2821 Rn. 9 und vom 4. September 2018 - VIII ZB 70/17, aaO mwN). Sämtliche organisatorische Maßnahmen müssen aber so beschaffen sein, dass auch bei unerwarteten Störungen des Geschäftsablaufs, etwa durch Überlastung oder Erkrankung der zuständigen Angestellten, Verzögerungen der anwaltlichen Bearbeitung oder ähnliche Umstände, bei Anlegung eines äußersten Sorgfaltsmaßstabes die Einhaltung der anstehenden Frist gewährleistet ist (BGH, Beschluss vom 4. September 2018 - VIII ZB 70/17, aaO mwN).

Hiervon ausgehend darf der Rechtsanwalt zwar die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft übertragen. Jedoch hat er durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 25. September 2014 - III ZR 47/14, NJW 2014, 3452 Rn. 8 und Beschluss vom 4. September 2018 - VIII ZB 70/17, NJW-RR 2018, 1325 Rn. 13 f., jeweils mwN). Weiter hat er seine Tätigkeit für die Partei so einzurichten, dass auch mögliche Unregelmäßigkeiten und Zwischenfälle, sofern sie nicht außerhalb des Bereichs der vernünftigerweise anzustellenden Berechnungen liegen, kein Hindernis für die Wahrung der Frist bilden. Deshalb muss in der Organisation des Fristenwesens einer Anwaltskanzlei gewährleistet sein, dass außer der eigentlichen Rechtsmittelbegründungsfrist auch eine Vorfrist notiert wird, mit der sichergestellt werden soll, dass dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt für die Fertigung der Rechtsmittelschrift oder Rechtsmittelbegründung hinreichend Zeit verbleibt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 4. September 2018 - VIII ZB 70/17, aaO Rn. 14 mwN).

Für den Fall eines Fristverlängerungsantrags bestehen zusätzliche Anforderungen an das Fristenwesen. In diesen Fällen muss als zusätzliche Fristensicherung auch das hypothetische Ende der beantragten Fristverlängerung bei oder alsbald nach Einreichung des Verlängerungsantrags im Fristenbuch eingetragen, als vorläufig gekennzeichnet und rechtzeitig, spätestens nach Eingang der gerichtlichen Mitteilung überprüft werden, damit das wirkliche Ende der Frist festgestellt werden kann (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 22. März 2011 - II ZB 19/09, NJW 2011, 1598 Rn. 12, vom 22. September 2015 - XI ZB 14/14, juris Rn. 14 und vom 4. September 2018 - VIII ZB 70/17, NJW-RR 2018, 1325 Rn. 15, jeweils mwN). Zugleich mit der Eintragung des beantragten (voraussichtlichen) Fristendes ist hierfür auch eine Vorfrist einzutragen (BGH, Beschluss vom 4. September 2018 - VIII ZB 70/17, aaO mwN). Auf diese Weise kann die Fristwahrung in der Regel selbst dann gewährleistet werden, wenn die Eintragung der ursprünglichen Frist versehentlich gelöscht worden oder die Eintragung der verlängerten Frist versehentlich unterblieben ist (BGH, Beschluss vom 4. September 2018 - VIII ZB 70/17, aaO mwN).

b) Die nach dieser - vom Berufungsgericht in zutreffender Weise zugrunde gelegten - Rechtsprechung geforderten Sorgfaltspflichten haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht in vollem Umfang erfüllt. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde besteht weder nach dem Vorbringen des Klägers noch nach den Ausführungen in den eidesstattlichen Versicherungen seiner Prozessbevollmächtigten oder deren Büroangestellten B. in deren Kanzlei eine allgemeine oder eine spezielle Anweisung, dass und wie das - zudem nur als vorläufig zu kennzeichnende - Ende einer Berufungsbegründungsfrist rechtzeitig, d.h. spätestens nach Eingang der gerichtlichen Mitteilung zu überprüfen ist, damit das wirkliche Ende der Frist verlässlich festgestellt werden kann. Nur eine solche kanzleiinterne Anweisung kann die Fristwahrung in der Regel auch dann gewährleisten, wenn die Eintragung der ursprünglichen Frist versehentlich gelöscht worden oder - wie im vorliegenden Fall - die Eintragung der verlängerten Frist versehentlich unterblieben ist. Das Fehlen einer solchen Anweisung stellt ein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten dar.

Nichts anderes gilt im Hinblick darauf, dass die Büroangestellte B. in ihrer eidesstattlichen Versicherung ihre Handlungsweise mit einem extrem hohen Arbeitsaufwand in einer Vielzahl zu bearbeitender Angelegenheiten erklärt hat. Denn insoweit hat sie bekundet, dass sie zwar anhand der bewilligten Fristverlängerung hätte erkennen können, dass in der vorliegenden Sache eine Fristverlängerung erfolgt ist, die in den Fristenkalender einzutragen war, jedoch zugleich davon ausgegangen wäre, dass die verlängerte Frist aufgrund der üblichen Handhabung bereits in den Kalender eingetragen gewesen war. Damit hat sie eingeräumt, dass die Eintragung des Endes einer Fristverlängerung nicht generell spätestens nach Eingang der gerichtlichen Mitteilung zu überprüfen war. Darüber hinaus würde auch ein hoher Arbeitsanfall von Frau B. die Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht entlasten. Denn sämtliche organisatorischen Maßnahmen müssen so beschaffen sein, dass auch bei unerwarteten Störungen des Geschäftsablaufs, etwa durch Überlastung der zuständigen Angestellten, bei Anlegung eines äußersten Sorgfaltsmaßstabes die Einhaltung der anstehenden Fristen gewährleistet ist. Dazu hat die Rechtsbeschwerde nichts vorgetragen.

Vorinstanz: LG Mainz, vom 20.03.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 4 O 148/18
Vorinstanz: OLG Koblenz, vom 30.08.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 2 U 494/19