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BGH - Entscheidung vom 10.03.2020

X ZR 44/18

Normen:
PatG § 3

BGH, Urteil vom 10.03.2020 - Aktenzeichen X ZR 44/18

DRsp Nr. 2020/7548

Klage auf Nichtigerklärung eines Patents für eine Mobilstation für ein digitales Mobilkommunikationssystem; Einwand der fehlenden Patentfähigkeit; Ablauf der gesetzlichen Höchstschutzfrist

Tenor

Die Berufung gegen das Urteil des 6. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 6. Oktober 2017 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Kostenentscheidung wie nachfolgend ersichtlich geändert wird.

Von den erstinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerinnen zu 1 und 2 je 15%, die Klägerin zu 3 60% und die Beklagte 10%.

Von den Kosten des Berufungsrechtszugs tragen die Klägerinnen zu 1 und 2 je 20% und die Klägerin zu 3 60%.

Normenkette:

PatG § 3 ;

Tatbestand

Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 852 885 (Streitpatents), das am 25. September 1996 unter Inanspruchnahme der Priorität einer finnischen Anmeldung vom 25. September 1995 angemeldet wurde. Das Streitpatent umfasst in der erteilten Fassung 21 Ansprüche und wurde von den Klägerinnen zunächst in vollem Umfang angegriffen. Nach Ablauf der gesetzlichen Höchstschutzfrist haben die Parteien im Hinblick darauf, dass die Beklagte ihre Verletzungsklagen gegen die Klägerinnen auf die Patentansprüche 12 bis 16 stützt, den Rechtsstreit im Umfang der übrigen Patentansprüche übereinstimmend für erledigt erklärt.

Die Klägerinnen haben geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig, nicht ausführbar offenbart und gehe über die ursprüngliche Anmeldung hinaus. Die Beklagte hat das Streitpatent in der erteilten Fassung und hilfsweise in drei geänderten Fassungen verteidigt.

Das Patentgericht hat das Streitpatent hinsichtlich der Patentansprüche 12 bis 16 für nichtig erklärt, soweit diese über folgende Fassung hinausgehen (Änderungen gegenüber der erteilten Fassung sind hervorgehoben):

12. A mobile station (MS) for a digital mobile communication system, characterized by comprising

at least one data call bearer service which covers several user data rates and which is determined for the mobile subscriber at the subscriber data-base of the mobile communication network,

means for carrying out a user data rate negotiation during call set-up for setting the user data rate to be used in a data transfer with the mobile communication network (BTS, BSC, MSC) and for establishing the data call with radio channel resources allocated according to the user data rate negotiated.

13. A mobile station as claimed in claim 12, characterized by comprising means for changing, at a subsequent phase of a setup of a transparent data call, the negotiated data rate between the mobile station (MS) and the mobile communication network (BTS, BSC, MSC) to match a user rate of a second party of the data call in case the user rate of the second party is lower than said negotiated user rate.

14 16. A mobile station as claimed in claim 12, characterized [by] comprising means for negotiating with the mobile communication network (BTS, BSC, MSC) whether the data call will be transparent or non-transparent.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerinnen, die ihren zuletzt gestellten erstinstanzlichen Antrag, das Streitpatent im Umfang der Ansprüche 12 bis 16 insgesamt für nichtig zu erklären, weiterverfolgen. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung bleibt erfolglos.

I. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zum Aufbau eines Datenanrufs in einem Mobilkommunikationssystem und eine Mobilstation für ein solches System.

1. Nach den Ausführungen im Streitpatent ermöglichen moderne Mobilkommunikationssysteme neben Sprachanrufen auch Datenanrufe (data calls). Dabei könne die Datenübertragungsrate (data rate), also die Datenmenge, die pro Zeiteinheit übertragen werde, unterschiedlich sein. Zur Abwicklung solcher Anrufe bedürfe es bestimmter Telekommunikationsdienste, wobei man Teledienste (tele services) und Trägerdienste (bearer services) unterscheide. Unter einem Trägerdienst sei ein Telekommunikationsdienst zur Übertragung von Signalen zwischen den Nutzer-Netzwerk-Schnittstellen zu verstehen. Ein Beispiel hierfür seien Modemdienste.

Trägerdienste würden herkömmlich in Gruppen unterteilt, etwa in asynchrone und synchrone und in transparente und nicht-transparente Dienste. Im Stand der Technik bedürfe es für jede Datenrate eines eigenständigen Trägerdienstes.

Ein Mobilfunkteilnehmer (mobile subscriber) könne in unterschiedlichem Umfang zur Nutzung von Tele- oder Trägerdiensten berechtigt sein. So könne er beispielsweise Zugang zu unterschiedlichen Datendiensten haben, zu deren Nutzung es unterschiedlicher Trägerdienste bedürfe. Dies erfordere es, dass dem Netzwerk mitgeteilt werde, welcher konkrete Trägerdienst für einen Datenanruf benötigt werde. So enthalte beispielsweise nach dem Mobilfunkstandard GSM das Signal einer Mobilstation an das Mobilkommunikationsnetzwerk zum Aufbau des Anrufs Informationen über den benötigten Trägerdienst in einem Trägerkapazitätsinformationselement (Bearer Capability Information Element, BCIE).

An einer solchen Information über den für den Anruf benötigten Dienst fehle es aber, wenn der Anruf vom öffentlichen Telefonnetz (Public Switched Telephone Network, PSTN) ausgehe oder über dieses geroutet werde. In diesem Fall müsse das Mobilkommunikationsnetz auf andere Weise über den für den Anruf benötigten Dienst informiert werden.

Im Stand der Technik sei es hierzu bekannt gewesen, dem Mobilteilnehmer eine Mehrzahl von Verzeichnisnummern (directory numbers) zuzuweisen, die der Anzahl der Dienste entspreche, zu deren Nutzung er berechtigt sei. Die Verzeichnisnummern für jeden Mobilteilnehmer seien in einer Teilnehmerdatenbank gespeichert. Im GSM diene dazu das Standortregister (Home Location Register, HLR), in dem auch die Zuordnung der Verzeichnisnummern zu den Diensten gespeichert sei, zu denen der Teilnehmer Zugang habe. Im HLR sei ferner die Verknüpfung zwischen einer Verzeichnisnummer und einem BCIE gespeichert, mit dem Informationen über die Anforderungen für den betreffenden Dienst, etwa bezüglich der Datenrate, übermittelt würden.

Die Streitpatentschrift führt aus, wegen der zunehmenden Zahl von Datenübertragungsdiensten und der damit einhergehenden großen Zahl von Verzeichnisnummern sei diese Lösung aus der Sicht des Nutzers problematisch. Aus der Sicht des Netzwerkbetreibers sei es nachteilig, dass in erheblichem Umfang Nummernraum und Datenbankkapazitäten verbraucht würden.

2. Das Patentgericht hat in Anlehnung an Absatz 8 der Beschreibung angenommen, dem Streitpatent liege das technische Problem zugrunde, ein digitales Mobilkommunikationsnetz bereitzustellen, in dem ein festgelegter Trägerdienst so viele Datenraten wie möglich handhaben könne.

Dem kann nicht beigetreten werden.

Die Bestimmung des technischen Problems dient dazu, den Ausgangspunkt der fachmännischen Bemühungen um eine Bereicherung des Stands der Technik ohne Kenntnis der Erfindung zu bestimmen, um bei der anschließenden und davon zu trennenden Prüfung auf Patentfähigkeit zu bewerten, ob die vorgeschlagene Lösung durch den Stand der Technik vorweggenommen oder nahegelegt war. Mit Rücksicht hierauf dürfen Elemente, die zur patentgemäßen Lösung gehören, bei der Bestimmung des technischen Problems nicht berücksichtigt werden (BGH, Urteil vom 11. November 2014 - X ZR 128/09, GRUR 2015, 356 Rn. 9 - Repaglinid).

Dem Streitpatent liegt hiernach das technische Problem zugrunde, eine Mobilstation für ein digitales Mobilkommunikationssystem bereitzustellen, in dem die Nutzung verschiedener Datenübertragungsdienste, die unterschiedliche Datenraten erfordern, auf einfache und effektive Weise ermöglicht wird.

3. Dieses Problem soll erfindungsgemäß durch eine Vorrichtung gelöst werden, deren Merkmale sich wie folgt gliedern lassen (Merkmalsgliederung des Patentgerichts in eckigen Klammern):

[O0]  Eine Mobilstation (MS) für ein digitales Mobilkommunikationssystem, umfassend  A mobile station (MS) for a digital mobile communication system, comprising 
1. [O1]  mindestens einen Datenanruf-Trägerdienst, der  at least one data call bearer service, which 
a) [O1.1]  mehrere Benutzerdatenraten umfasst und  covers several user data rates and 
b) [O1.2]  für den Mobilteilnehmer in der Teilnehmerdatenbank des Mobilkommunikationsnetzwerks bestimmt ist;  is determined for the mobile subscriber at the subscriber data base of the mobile communication network; 
2.  Mittel,  means 
a) [O2] [O2.1] [O2.2]  um während des Verbindungsaufbaus eine Verhandlung über die Benutzerdatenrate durchzuführen, um die Benutzerdatenrate einzustellen, die in einer Datenübertragung mit dem Mobilkommunikationsnetzwerk (BTS, BSC, MSC) verwendet werden soll, und  for carrying out a user data rate negotiation during call setup for setting the user data rate to be used in a data transfer with the mobile communication network (BTS, BSC, MSC) and 
b)  um den Datenanruf mit Funkkanalressourcen aufzubauen, die entsprechend der ausgehandelten Benutzerdatenrate zugewiesen sind.  for establishing the data call with radio channel resources allocated according to the user data rate negotiated. 

4. Im Hinblick auf einige Merkmale bedarf der Patentanspruch der Erläuterung:

a) Anspruch 12 betrifft eine Mobilstation, also eine Vorrichtung, die für eine mobile Nutzung geeignet ist.

b) Unter einem Trägerdienst im Sinne von Merkmal 1 [O1] ist aus Sicht des Fachmanns, der nach den unbeanstandeten Feststellungen des Patentgerichts über eine abgeschlossene Hochschulausbildung auf dem Gebiet der Elektrotechnik mit dem Schwerpunkt Nachrichtentechnik verfügt, Erfahrung auf dem Gebiet der Datenübertragung in Telekommunikationsnetzen hat und mit den Standardisierungsbemühungen im Mobilfunkbereich vertraut ist, in Übereinstimmung mit Absatz 2 der Streitpatentschrift ein Telekommunikationsdienst zu verstehen, der die Datenübertragung an den Nutzer-Netzwerk-Schnittstellen eines Telekommunikationssystems bewirkt.

Als Beispiel werden in der Beschreibung Modemdienste angeführt, also Dienste, die ein Signal auf eine Trägerfrequenz modulieren, um eine Übertragung zu ermöglichen.

Nach der Beschreibung sind Trägerdienste zu unterscheiden von so genannten Telediensten, zu denen sie Sprache, Telefax und Videotextdienste zählt. Diese Dienste sind auf einer höheren logischen Ebene angesiedelt. Um einen Teledienst betreiben zu können, muss ein Trägerdienst zur Verfügung stehen.

Anspruch 12 bezieht sich auf Trägerdienste, die Datenanrufe ermöglichen. Ausgeschlossen sind damit Trägerdienste, die ausschließlich für Sprachanrufe geeignet sind.

c) Mehrere Benutzerdatenraten im Sinne von Merkmal 1 a [O1.1] umfasst ein Trägerdienst, wenn sich aus seiner Auswahl noch keine eindeutige Festlegung zur Datenrate ergibt.

Das Streitpatent grenzt sich damit von der bereits erwähnten und in der Beschreibung des Streitpatents eingehend geschilderten Vorgehensweise im Stand der Technik ab, bei dem mit der Auswahl eines Trägerdienstes zugleich die Auswahl einer bestimmten Datenrate verbunden war. So wurden in dem in der Beschreibung angeführten Standard GSM für die asynchrone Übertragung von Daten sechs verschiedene Trägerdienste definiert, die sich ausschließlich durch die Datenrate (300, 1200, 1200/75, 2400, 4800 und 9600 bit/s) unterscheiden. Soweit ein Teilnehmer über die technische Möglichkeit und die Berechtigung zur Nutzung eines solchen Dienstes verfügte, wurde für ihn in der Teilnehmerdatenbank für jeden davon ein gesonderter Eintrag mit einer gesonderten Teilnehmernummer angelegt.

Das Streitpatent knüpft an diese Vorgehensweise an, indem es in Merkmal 1 b [O1.2] vorsieht, dass für den Mobilteilnehmer ein Trägerdienst durch einen Eintrag in der Teilnehmerdatenbank des Mobilkommunikationsnetzwerks bestimmt wird. In Abkehr vom Stand der Technik sieht Merkmal 1.1 [O1.1] jedoch vor, dass mit dieser Bestimmung noch keine abschließende Festlegung der Datenrate verbunden ist. Dies schließt nicht aus, dass es daneben Trägerdienste gibt, für die nur bestimmte Datenraten zur Verfügung stehen. Ein erfindungsgemäßer Trägerdienst muss aber mindestens zwei unterschiedliche Datenraten ermöglichen.

Die Auflösung des bisher bestehenden eindeutigen Zusammenhangs zwischen einem Trägerdienst und einer bestimmten Datenrate hat zur Folge, dass der Auswahl eines den Anforderungen von Merkmal 1 a [O1.1] genügenden Trägerdienstes eine Bestimmung der für die Übertragung zu nutzenden Datenrate nachfolgen muss. Hierzu sieht Merkmal 2 a [O2] Mittel vor, die eine Verhandlung über die Benutzerdatenrate ermöglichen.

Entgegen der Auffassung der Klägerinnen genügt es für eine Verhandlung über die Datenrate nicht, dass nach der Mitteilung einer gewünschten Datenrate durch eine Seite die Gegenseite nur die Möglichkeit hat, diesen Vorschlag anzunehmen, und anderenfalls die Verbindung nicht zustande kommt. Wie sich aus den insoweit übereinstimmenden Ausführungsbeispielen (Absätze 28 bis 44) ergibt, die nach Absatz 27 den Verbindungsaufbau nach der Lehre der Erfindung beschreiben, setzt eine Verhandlung im Sinne von Merkmal 2 a [O2] vielmehr voraus, dass ein von einer Seite unterbreiteter Vorschlag für eine bestimmte Datenrate von der Gegenseite mit einem abweichenden Vorschlag beantwortet werden kann. Ein Abbruch des Verbindungsaufbaus kommt erst dann in Betracht, wenn auch dieser Gegenvorschlag keine Annahme findet.

d) Zu Recht ist das Patentgericht vor diesem Hintergrund nicht der Argumentation der Klägerinnen zu 1 und 2 beigetreten, wonach die Mobilstation nicht mit einem Trägerdienst im Sinne der Merkmale 1 und 1 a [O1 und O1.1] in Berührung komme.

Dabei kann zugunsten der Klägerinnen unterstellt werden, dass die Nutzung eines Trägerdienstes zur Datenübertragung erst dann beginnt, wenn die Datenrate festgelegt ist. Auch unter dieser Prämisse kommt die Mobilstation nach Patentanspruch 12 jedenfalls durch die in Merkmal 2 a [O2] vorgesehenen Mittel zum Aushandeln der Datenrate mit einem erfindungsgemäßen Trägerdienst in Berührung.

Eine erfindungsgemäße Mobilstation muss danach in der Lage sein, mit anderen Stellen des digitalen Mobilkommunikationssystems Informationen darüber austauschen, mit welcher Rate Daten mittels des ausgewählten Trägerdienstes übertragen werden sollen, und zwar im Wege einer Verhandlung im oben beschriebenen Sinne.

Dies kann nach dem in der Beschreibung geschilderten Ausführungsbeispiel bei einem von der Mobilstation ausgehenden Anruf dadurch erfolgen, dass die Mobilstation mittels eines BCIE den gewünschten Trägerdienst und die gewünschte Datenrate angibt und gegebenenfalls eine andere Rate wählt, wenn das Netzwerk signalisiert, dass die angeforderte Rate nicht unterstützt wird (Abs. 28 f.). Bei einem von der Gegenseite ausgehenden Anruf kann das Aushandeln in entsprechender Weise dadurch geschehen, dass die Mobilstation überprüft, ob sie die angeforderte Datenrate unterstützt, und eine andere Datenrate vorschlägt, wenn dies nicht der Fall ist (Abs. 34).

II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Berufungsverfahren von Interesse, im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die Verteidigung des Streitpatents in der Fassung nach Hilfsantrag II sei erfolgreich.

Die Erfindung sei so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne. In der Fassung von Hilfsantrag II gehe der Gegenstand von Patentanspruch 12 auch nicht über den Inhalt der Anmeldung hinaus. Ferner sei dieser Gegenstand patentfähig.

Der Entwurf für den Standard ETS 300 022, GSM 04.08 vom Februar 1992 (NK11) nehme nicht sämtliche Merkmale von Anspruch 12 vorweg. Ein Datenanruf-Trägerdienst, der mehrere Benutzerdatenraten abdecke, und eine Mobilstation, die einen solchen Trägerdienst unterstütze, seien dort weder offenbart noch nahegelegt. Eine diesbezügliche Anregung ergebe sich auch nicht aus dem Standard ETS 300 852, GSM 07.01 vom Juli 1995 (NK12), der ETSI-Empfehlung GSM 03.02, Version 3.1.4 vom Januar 1990 (NK13) oder dem ETSI-Entwurf ETS 300 604, GSM 09.07, Version 4.7.0 (NK16).

Auch dem Entwurf ETS 300 500 zum Abschnitt GSM 02.01, Version 4.6.0 vom August 1995 (VP1) sei kein Datenanruf-Trägerdienst zu entnehmen, der mehrere Datenraten abdecke. Die Zusammenschau dieses Dokuments mit dem Entwurf ETS 300 582 GSM 07.01 Version 4.9.0 vom September 1995 (VP11) oder der NK11 führe zu keinem anderen Ergebnis.

Das europäische Patent 845 186 (dessen internationale Anmeldung ist als NK1-E vorgelegt) sowie die Veröffentlichungen der internationalen Patentanmeldungen WO 95/35002 (NK2/VP2) und 96/27975 (NK3/VP3) offenbarten jeweils keinen Datenanruf-Trägerdienst, der mehrere Benutzerdatenraten umfasse. Nichts anderes gelte für die europäische Patentanmeldung 668 669 (NK7/VP8), den Standard ETS 300 501, GSM 02.02 Version 4.2.2 (NK8/VP6), die Veröffentlichung der internationalen Patentanmeldung WO 95/15644 (NK9/VP4), den Auszug aus dem Buch von Bocker (ISDN - Digitale Netze für Sprach-, Text-, Daten, Video und Multimediakommunikation, 1997, NK10), den Auszug aus dem Buch von Mouly und Pautet (The GSM System for Mobile Communications, 1992, VP5), die europäische Patentanmeldung 255 306 (VP7) sowie die Veröffentlichungen der internationalen Patentanmeldungen WO 92/09157 (NK14) und WO 97/10684 (NK15).

Der Gegenstand von Patentanspruch 12 sei schließlich nicht durch eine Kombination der genannten Entgegenhaltungen nahegelegt gewesen.

III. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsverfahren stand.

1. Entgegen der Auffassung der Klägerinnen zu 1 und 2 geht der Gegenstand von Patentanspruch 12 in der vom Patentgericht aufrechterhaltenen Fassung nicht über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus.

Zwar trifft es zu, dass die ursprüngliche Anmeldung, die der Veröffentlichung der internationalen Anmeldung WO 97/12490 (NK0-A) entspricht, keinen Anspruch umfasst, der auf eine Mobilstation gerichtet ist. Dies ist jedoch nicht entscheidend, da die relevanten Absätze der Streitpatentschrift, die die Mobilstation betreffen, insbesondere die Absätze 11 und 26-34 bereits in der ursprünglichen Anmeldung enthalten sind. Wie sich aus den Ausführungen zur Auslegung von Patentanspruch 12 ergibt, beschreiben danach bereits die ursprünglichen Anmeldeunterlagen eine Mobilstation, die einen Datenanruf-Trägerdienst unterstützt, der mehrere Benutzerdatenraten umfasst und Mittel zur Durchführung einer Verhandlung über die Benutzerdatenrate während des Verbindungsaufbaus und zur Umsetzung des Ergebnisses dieser Verhandlung aufweist.

Eine unzulässige Erweiterung ergibt sich auch nicht aus dem in Merkmal 2 a [O2] normierten Erfordernis, dass die Mobilstation in der Lage sein muss, sich in der oben beschriebenen Weise am Aushandeln der Datenrate zu beteiligen. Wie bereits oben dargelegt wurde, ist dieser Mechanismus in der Beschreibung des Streitpatents offenbart. Dieselben Ausführungen finden sich bereits in der Anmeldung (NK0-A S. 13 und S. 17 f.).

2. Das Patentgericht hat zutreffend angenommen, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 durch den Stand der Technik nicht vorweggenommen ist.

a) Ohne Erfolg wendet sich die Berufung gegen die Beurteilung des Patentgerichts, VP1 nehme nicht sämtliche Merkmale von Patentanspruch 12 vorweg.

aa) Bei VP1 handelt es sich um einen Entwurf für den Standard ETS 300 500, in dem Telekommunikationsdienste beschrieben sind, die durch ein öffentliches terrestrisches Mobilfunknetz (Public Land Mobile Network = PLMN) unterstützt werden.

In Abschnitt 6, der sich mit der Bereitstellung von Telekommunikationsdiensten befasst, wird auf Abschnitt GSM 02.02 (NK8 = VP6, Stand: September 1994) Bezug genommen. Dort werden auf Seite 12 folgende Trägerdienste aufgeführt:

In VP1 werden als Beispiele die Trägerdienste Nr. 21, 22 und 61 herangezogen. Zu Nr. 61 heißt es, dieser könne für Sprachen oder Daten, für asynchrone oder synchrone Übertragung und mit Datenraten von 300 bis 9.600 bit/s genutzt werden (VP1 S. 18). Die Berufung verweist ergänzend auf die Abbildung auf Seite 45 der VP11, in der der Trägerdienst Nr. 61 näher spezifiziert ist, und macht geltend, daraus ergebe sich, dass er eine variable Datenrate umfasse.

In Anhang D zu VP1 wird ergänzend das Verfahren beim Rufaufbau spezifiziert. Zu den hierbei übersandten Informationen gehören Angaben zur Trägerfähigkeit (Bearer Capability). In diesem Zusammenhang teilt die Mobilstation dem Netzwerk mit dem BCIE u.a. mit, ob sie nur die Verwendung eines Vollratenkanals (Full Rate) oder auch die Verwendung eines Halbratenkanals (Dual Rate) unterstützt. Das Netz entscheidet auf Basis des geforderten Bearers oder Teleservice und der verfügbaren Netzressourcen, welche Rate verwendet wird (VP1 S. 28).

bb) Entgegen der Auffassung der Berufung ist damit das Merkmal 1 a [O1.1] nicht offenbart.

Aus den von der Klägerin zu 3 aufgezeigten Ausführungen in VP1 geht nicht hervor, in welcher Weise die Datenrate bei der Auswahl des Trägerdienstes Nr. 61 festgelegt wird. Der Umstand, dass dieser Dienst verschiedene Raten unterstützt, mag zwar die Möglichkeit eröffnen, die konkrete Rate im Einzelfall auszuhandeln. Wie die Beklagte unwidersprochen aufgezeigt hat, besteht aber auch die Möglichkeit, die Datenrate in jedem einzelnen Netzwerk fest auf einen bestimmten Wert einzustellen. Im zuletzt genannten Fall ist mit der Auswahl des Trägerdienstes bei jedem Verbindungsaufbau auch die Datenrate bestimmt. Diese kann zwar von Netzwerk zu Netzwerk unterschiedlich sein. Bei einer festen Voreinstellung bedarf es im Stadium des Verbindungsaufbaus aber keines zusätzlichen Schrittes, um die Rate festzulegen.

Vor diesem Hintergrund lassen sich VP1 keine eindeutigen Hinweise darauf entnehmen, welche der aufgezeigten Möglichkeiten zur Bestimmung der Datenrate für den Trägerdienst Nr. 61 genutzt wird. Damit fehlt es an einer unmittelbaren und eindeutigen Offenbarung von Merkmal 1 a [O1.1].

cc) Entgegen der Auffassung der Berufung fehlt es auch an einer Offenbarung von Merkmal 2 a [O2].

Den Ausführungen zum Trägerdienst Nr. 61 lässt sich ein Aushandeln schon deshalb nicht entnehmen, weil diese aus den oben genannten Gründen nicht erkennen lassen, dass es einer Festlegung der Datenrate beim Verbindungsaufbau bedarf.

Den Ausführungen in Anhang D ist allerdings zu entnehmen, dass die Mobilstation mit dem Netzwerk einen bestimmten Übertragungsmodus aushandelt, indem sie die von ihr unterstützten Modi mitteilt und das Netzwerk ihr entsprechend den mitgeteilten Fähigkeiten und den verfügbaren Kapazitäten einen von zwei in Betracht kommenden Modi zuteilt. Ob sich diese Ausführungen auch auf den für Daten- und Sprachübertragung vorgesehenen Trägerdienst Nr. 61 beziehen, obwohl die Unterscheidung zwischen Voll- und Halbratenmodus aus den Festlegungen des GSM-Standards für Sprachverbindungen stammt, kann dahingestellt bleiben. Selbst wenn die Frage zu bejahen wäre, ergäbe sich aus den Ausführungen in VP1 und VP11 jedenfalls nicht, dass die Auswahl zwischen Voll- und Halbratenmodus beim Trägerdienst Nr. 61 zugleich zu einer Änderung der Datenrate führt. Die tabellarische Darstellung in VP11 (S. 45) spricht sogar eher gegen ein solches Verständnis, weil die Festlegung der Datenrate dort in einem gesonderten Schritt vorgesehen ist.

Der Hinweis der Berufung auf die allgemeinen Erwägungen zum BCIE in VP11 (S. 25) rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Danach dient die Aufnahme des BCIE in eine Bestätigungsnachricht (call proceeding message) dazu, das Aushandeln der Werte bestimmter Parameter zu ermöglichen. Weder dieser Passage noch der in VP11 (S. 27) enthaltenen Tabellen zu Parametern, die einer Verhandlung zugänglich sind, ist zu entnehmen, dass die Datenrate Gegenstand solcher Verhandlungen ist.

b) Zu Recht hat das Patentgericht eine Vorwegnahme des Gegenstands von Patentanspruch 12 durch NK2 (VP2) ebenfalls verneint.

Die Patentanmeldung NK2 befasst sich mit Verfahren zur Verhandlung von Diensten und Raten in einem digitalen Mobilkommunikationssystem. Mit der zunehmenden Zahl von Anwendungen steige die Wahrscheinlichkeit, dass die Kapazitäten der beteiligten Endgeräte voneinander abwichen. Dies könne dazu führen, dass zu Beginn der Verbindung oder während deren Bestehen zwischen der Mobilstation und der Basisstation Verhandlungen über die Dienste oder Raten erforderlich würden. Gegenstand der Verhandlungen können nach NK2 u.a. die Übertragungsraten (transmission rates) der Hin- und Rück-Verkehrskanäle (forward and reverse traffic channels) sein (NK2 S. 6 f.).

Verkehrskanäle im Sinne dieser Offenbarung sind nach den Feststellungen des Patentgerichts keine Trägerdienste im Sinne des Streitpatents, sondern Funkkanäle, die auf einer anderen logischen Ebene der Kommunikation angesiedelt sind. Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Vollständigkeit und Richtigkeit dieser Feststellung begründen, zeigt die Berufung nicht auf.

Entgegen der Auffassung der Berufung kann eine Verhandlung über die Übertragungsrate eines Verkehrskanals auch nicht deshalb funktional mit einer Verhandlung über die Benutzerdatenrate eines Trägerdienstes gleichgesetzt werden, weil letztere durch erstere begrenzt wird. In NK2 wird gerade nicht offenbart, dass eine Änderung der Übertragungsrate eine Änderung der Benutzerdatenrate zur Folge hat. Angesichts dessen ist der Entgegenhaltung eine solche Änderung auch nicht implizit zu entnehmen.

c) Das Patentgericht hat weiter zu Recht angenommen, dass der verteidigte Gegenstand auch in NK3 (VP3) nicht vollständig offenbart ist.

Die Patentanmeldung NK3 befasst sich mit einer Methode zur Faxübertragung in einem digitalen Mobilkommunikationsnetzwerk. Dabei wird zugrunde gelegt, dass die Datenrate bei einer Faxübertragung unterschiedlich sein kann und die beteiligten Faxgeräte in der Lage sind, beim Verbindungsaufbau Verhandlungen über die Datenrate durchzuführen. Während Faxgeräte bislang auf drahtgebundene Modem-Verbindungen ausgelegt gewesen seien, erfordere es die Entwicklung zellularer Funknetzwerke, dass die Verbindung auch über eine Funkverbindung zwischen einer Mobilstation und dem Netzwerk aufgebaut und mit möglichst hoher Datenrate aufrechterhalten werden könne.

NK3 verweist in diesem Zusammenhang auf das GSM-System, nach welchem ein Vollraten-Verkehrskanal (full-rate traffic channel) verschiedene Faxdatenraten von 2.400 bis 9.600 bit/s unterstütze. Im GSM-System könne die Datenrate durch die Wahl eines Faltungscodeverhältnisses (convolutional code ratio) beeinflusst werden (NK3 S. 3 Z. 20-27). Bekannt sei es inzwischen auch, höhere Faxdatenraten zu ermöglichen, indem mehrere Kanäle parallel genutzt würden (NK3 S. 3 Z. 30 bis S. 4 Z. 15).

Diese Ausführungen betreffen nach den Feststellungen des Patentgerichts lediglich die Datenrate eines Verkehrskanals, nicht aber die Datenrate eines - wiederum auf einer anderen logischen Ebene angeordneten - Trägerdienstes.

Entgegen der Auffassung der Klägerinnen zu 1 und 2 führt der Umstand, dass die Datenrate eines Verkehrskanals von derjenigen des zugehörigen Trägers abhängt, nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Aus diesem Zusammenhang ergibt sich nicht, dass die Änderung einer Datenrate zwingend zu einer Änderung der anderen Datenrate führt. Vor diesem Hintergrund können aus den auf eine einzelne Übertragungsebene bezogenen Ausführungen in NK3 keine Schlussfolgerungen auf andere Übertragungsebenen gezogen werden.

d) Auch NK11 nimmt nicht sämtliche Merkmale von Patentanspruch 12 vorweg.

aa) NK11 enthält einen Entwurf für den Standard ETS 300 022, GSM 04.08.

Nach dem Entwurf wird ein Anruf durch die Anrufkontrolleinheit der Mobilstation eingeleitet, indem eine Setup-Nachricht über die Funkschnittstelle an das Netzwerk übermittelt wird (NK11 S. 104). Diese Setup-Nachricht enthält ein BCIE, das u.a. einen Code für die Datenrate umfasst, die für den Anruf gewünscht wird (NK11 S. 372 und S. 366 f.). Das Netzwerk reagiert darauf mit einer Bestätigungsnachricht (call proceeding message, NK11 S. 106). Wenn die Setup-Nachricht der Mobilstation Optionen anbietet, kann die Bestätigungsnachricht hieraus eine Auswahl treffen (NK11 S. 106).

bb) Damit fehlt es an einer Offenbarung der Merkmale 1 a und 2 a [O1.1 und O2].

Die in NK11 definierte Struktur für das BCIE sieht nicht vor, dass die Mobilstation bezüglich der Datenrate (user rate) mehrere Optionen anbietet. Vielmehr ist nur ein einzelner Wert vorgesehen, der eine bestimmte Datenrate anzeigt (NK11 S. 367 und S. 372).

cc) Ob die in NK11 offenbarte Mobilstation, wie die Klägerin zu 3 geltend macht, für den Betrieb mit einem Trägerdienst geeignet ist, der mehrere Datenraten unterstützt, ist für die Entscheidung des Rechtsstreits unerheblich.

Wie bereits oben ausgeführt wurde, erfordert der Patentanspruch nicht nur eine Eignung in diesem Sinne, sondern auch die Fähigkeit, eine andere Datenrate festzulegen, wenn eine zunächst angeforderte Datenrate nicht verfügbar ist. Eine diesbezügliche Eignung der Mobilstation ist in NK11 nicht offenbart.

e) Der Gegenstand von Patentanspruch 12 wird auch durch NK1-E nicht vorweggenommen.

aa) NK1-E befasst sich mit den Anforderungen, die sich daraus ergeben, dass Büros, aber auch Privatwohnungen zunehmend nicht nur ein Telefon, sondern auch andere Kommunikationsgeräte, etwa Faxgeräte oder Computer, aufweisen, die mit dem Sammelbegriff CPE (Customer Premise Equipment) bezeichnet werden. Solche Teilnehmerendgeräte in Kundenräumlichkeiten seien auf den Zugang zu Telekommunikationsnetzwerken angewiesen. Dabei könnten die Anforderungen je nach der Art der Geräte und über sie bereitgestellten Dienste unterschiedlich sein. Da der dem Teilnehmer zur Verfügung stehende Netzzugang eine feste Bandbreite aufweise, könnten sich Probleme ergeben, wenn mehrere Dienste gleichzeitig in Anspruch genommen werden sollen.

NK1-E schlägt zur Bewältigung dieser Probleme ein Verfahren und ein Zugangsmodul (access module) vor. Das Zugangsmodul kann mit der CPE-Anschlussstelle (CPE connector) ein angemessenes Übertragungsmuster aushandeln, mit dem die Bandbreite des lokalen Zugangs effizient genutzt werden kann (NK1-E S. 18 Z. 6 ff.). Stehen beispielsweise insgesamt 144 kb/s zur Verfügung, können für einen Sprachanruf 64 kb/s reserviert werden, so dass 80 kb/s für Datenverkehr verbleiben. Geht ein zweiter Anruf ein, kann vereinbart werden, dass auch für diesen 64 kb/s bereitstehen, mit der Folge, dass für den Datenverkehr nur 16 kb/s verbleiben. Als weitere Möglichkeit wird aufgezeigt, einen Kompressionsalgorithmus einzuschalten, so dass für jeden der beiden Sprachanrufe nur 32 kb/s benötigt werden, während weiterhin 80 kb/s für den Datenverkehr zur Verfügung stehen (NK1-E S. 18 Z. 35 bis S. 19 Z. 17).

bb) Damit fehlt es schon an einer Offenbarung des einleitenden Merkmals [O0].

NK1-E befasst sich lediglich mit Geräten, die an ein Festnetz angeschlossen sind, nicht aber mit Mobilstationen, die für ein digitales Mobilkommunikationssystem geeignet sind.

cc) Darüber hinaus ist auch Merkmal 1 a [O1.1] nicht offenbart.

NK1-E offenbart lediglich die Einstellung der Datenrate für Dienste wie Telefonie oder Datenübertragung. Im Sinne des Streitpatents sind dies keine Trägerdienste, sondern Teledienste.

dd) NK1-E nimmt auch Merkmal 1 b [O1.2] nicht vorweg.

Von einer Teilnehmerdatenbank, in der vermerkt ist, welche Trägerdienste welchem Teilnehmer zur Verfügung stehen, ist in NK1-E nicht die Rede. Aus der von den Klägerinnen hierfür angeführten Passage (NK1-E S. 12 Z. 36 bis S. 13 Z. 4) ergibt sich lediglich, dass die Funktionalität des Zugangsmoduls in der Lage ist, die Fähigkeiten der Kunden-Modems in Übereinstimmung mit den angeforderten Diensten zu emulieren.

3. Die Beurteilung des Patentgerichts, der Gegenstand von Patentanspruch 12 sei durch den Stand der Technik nicht nahegelegt worden, trifft ebenfalls zu.

a) Für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit sind die Entgegenhaltungen NK1-E, NK2 und NK3 nicht zu berücksichtigen. Denn dabei handelt es sich um die Veröffentlichungen internationaler Patentanmeldungen, die auf die Erteilung eines europäischen oder deutschen Patents zielen, im Zeitrang vor dem Streitpatent liegen, aber erst danach veröffentlicht wurden. Da der Gegenstand von Patentanspruch 12 nicht über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldeunterlagen hinausreicht und dieser mit dem Inhalt der finnischen Patentanmeldung 954 545 übereinstimmt, hat das Patentgericht die Inanspruchnahme der Priorität dieser Anmeldung durch das Streitpatent zu Recht bejaht.

b) Eine Mobilstation mit Merkmal 1 a [O1.1] ist durch NK11 nicht nahegelegt.

aa) Nach NK11 kann das in der Setup-Nachricht enthaltene BCIE in Bezug auf bestimmte Modalitäten des Anrufs Optionen enthalten. In diesem Fall hat das Netzwerk die Möglichkeit, sich für eine der vorgeschlagenen Möglichkeiten zu entscheiden und eine entsprechende Information in das BCIE aufzunehmen, das mit der Bestätigungsnachricht übermittelt wird (NK11 S. 106).

Eine solche Vorgehensweise ist in NK11 etwa für die Wahl eines transparenten oder nicht-transparenten Dienstes vorgesehen. Wie aus der oben wiedergegebenen Tabelle aus NK8 ersichtlich ist, unterstützen die Trägerdienste 21 bis 26 die Datenübertragung im transparenten oder im nicht-transparenten Modus. Während des Verbindungsaufbaus muss festgelegt werden, in welchem Modus die Datenübertragung erfolgen soll.

Im BCIE kann danach angegeben werden, dass beide Dienste möglich sind, einer der beiden jedoch bevorzugt wird. In diesem Fall soll die Gegenseite zwischen den beiden Dienstarten wählen (NK11 S. 374).

In einer solchen Vorgehensweise mag zwar ein Verhandeln im Sinne von Merkmal 2 a zu sehen sein. NK11 vermittelt dem Fachmann jedoch keine Anregung, diese Vorgehensweise auf die Datenrate zu übertragen. Für diese ist eine entsprechende Option gerade nicht vorgesehen.

bb) Vor diesem Hintergrund ergab sich aus dem Umstand, dass die in NK11 und anderen Entgegenhaltungen offenbarte Vorgehensweise, einzelne Übertragungsparameter auszuhandeln, auch zum Festlegen der Datenrate des Trägerkanals geeignet ist, für den Fachmann keine hinreichende Anregung, diesen Weg zu beschreiten.

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob es sich bei dem Aushandeln eines Parameters um ein allgemeines Lösungsmittel handelt, das dem Fachmann im Umfeld der mobilen Datenübertragung generell zur Verfügung stand. Angesichts des Umstandes, dass der am Prioritätstag geltende GSM-Standard dieses Mittel nur für einzelne Parameter vorgesehen, für die Festlegung der Datenrate eines Trägerdienstes aber einen anderen Lösungsweg aufgezeigt hat, musste der Fachmann jedenfalls von gängigen Vorstellungen Abstand nehmen, um zur Lehre des Streitpatents zu gelangen. Hierfür ergab sich aus der bloßen Eignung des vom Streitpatent vorgesehenen Lösungsmittels keine hinreichende Veranlassung.

Der Hinweis der Berufung, NK11 lasse sich hinsichtlich des Übertragungsmodus bereits eine Reduzierung der Trägerdienste entnehmen, wie sie das Klagepatent anstrebe, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Anhaltspunkte dafür, dass es anstelle der in der Tabelle aus NK8 aufgeführten sechs Trägerdienste Nr. 21 bis 26 zuvor zwölf Trägerdienste gegeben hätte, die jeweils nur den transparenten oder den nicht-transparenten Modus unterstützt hätten, zeigt die Berufung nicht auf.

cc) Der Hinweis der Klägerinnen zu 1 und 2 auf Abschnitt B.3.2 der NK11 (S. 415) führt nicht zu einer anderen Beurteilung.

In diesem Abschnitt wird allgemein beschrieben, dass die beteiligten Netzwerkkomponenten beim Anrufaufbau prüfen, ob die wechselseitigen Anforderungen kompatibel sind. Stellt das Netzwerk einen Trägerdienst bereit, prüft danach die Mobilstation, ob sie diesen unterstützt. Ist dies nicht der Fall, wird der Anruf von der Mobilstation ignoriert oder zurückgewiesen. Zwar erwähnt NK11 an dieser Stelle auch die Möglichkeit einer Verhandlung nach Abschnitt GSM 07.01. Nach der als Anlage NK12 vorgelegten Version dieses Abschnitts auf dem Stand vom Juli 1995 wird dort eine Verhandlung zwischen Mobilstation und Netzwerk für verschiedene Parameter, etwa die Intermediate Rate beschrieben. Eine Verhandlung über die Datenrate (user rate) offenbart NK12 indessen nicht. Auch dieses Dokument gab dem Fachmann mithin keinen Hinweis auf einen Trägerdienst, der mehrere Benutzerdatenraten umfasst, und auf eine Verhandlung der Benutzerdatenrate während des Verbindungsaufbaus.

c) Eine Mobilstation nach Anspruch 12 ist auch durch NK16 weder vorweggenommen noch nahegelegt.

aa) NK16 enthält einen Entwurf für den Standard ETS 300 604, GSM 09.07.

Abschnitt c.9.2.2 befasst sich mit dem Verbindungsaufbau in den Fällen eines vom PSTN ausgehenden Anrufs, bei dem der Anrufende keine ausreichenden Informationen über die Parameter für die beabsichtigte Verbindung generieren oder übermitteln kann. Für diesen Fall sieht NK16 entweder die Möglichkeit vor, für jeden Dienst eine eigene Verzeichnisnummer vorzusehen, die jeweils mit bestimmten Informationen verknüpft sei. Diese Lösung entspricht im Wesentlichen dem im Streitpatent als Stand der Technik beschriebenen Multi Numbering Scheme.

Alternativ kommt laut NK16 in Betracht, nur eine Nummer, die für alle Dienste anwendbar ist, für sämtliche eingehenden Anrufe vorzusehen. Da eine Festlegung bestimmter Parameter, zu denen die Datenrate zählt, erforderlich ist, die Anfrage des Anrufenden aber keine entsprechenden Informationen enthält, ist für diesen Fall vorgesehen (Abschnitt c.9.2.2 b), dass die Mobilstation die für den betreffenden Dienst vorgesehenen Parameter dem Netzwerk mitteilt. Stellt das Netzwerk fest, dass diese Parameter unterstützt werden können, wird der Anruf aufgebaut, anderenfalls wird der Verbindungsaufbau beendet.

bb) Damit offenbart NK16 keine Verhandlung über die Benutzerdatenrate im oben erläuterten Sinne, da nicht vorgesehen ist, dass das Netzwerk auf einen Vorschlag der Mobilstation mit einem Gegenvorschlag reagieren kann. Anders als die Berufung meint, kann darin, dass eine Anfrage des Anrufenden ohne Angaben zu der für die beabsichtigte Verbindung vorgesehenen Datenrate erfolgt, kein Vorschlag gesehen werden. Ein solcher bleibt nach NK16 vielmehr der Mobilstation überlassen. Für den Fall, dass das Netzwerk die entsprechenden Parameter nicht unterstützt, sieht NK16 nur vor, dass der Anruf nicht zustande kommt ("If the requested GSM BC can be supported the call is established, otherwise the call will be released.").

NK16 gibt dem Fachmann auch ansonsten keinen Hinweis darauf, eine Verhandlung der Datenrate zwischen der Mobilstation und dem Netzwerk vorzusehen. Soweit im Zusammenhang mit einer Vorgehensweise nach dem Multi Numbering Scheme in NK16 bestimmte Parameter als verhandelbar angegeben werden (Abschnitt c.9.2.2 a), ist die Datenrate dort nicht aufgeführt.

Anhaltspunkte dafür, dass sich für den Fachmann aus der NK11 eine Anregung ergab, die in NK16 beschriebene Vorgehensweise dahin abzuwandeln, dass während des Verbindungsaufbaus eine Verhandlung über die Datenrate durchgeführt wird, zeigt die Berufung nicht auf.

d) Aus VP1 und anderen Entgegenhaltungen ergeben sich keine weitergehenden Anregungen.

Zwar findet sich das Aushandeln einzelner Parameter neben NK11 auch in VP1 und anderen Entgegenhaltungen. Vor dem aufgezeigten Hintergrund reicht dies aber nicht aus, um den Fachmann am Prioritätstag zu veranlassen, diesen Mechanismus auch für die Festlegung der Datenrate eines Trägerdienstes in Betracht zu ziehen.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG und § 92 Abs. 1 ZPO .

1. Ohne Erfolg wenden sich die Klägerinnen zu 1 und 2 dagegen, dass das Patentgericht der Beklagten nur 1/10 der Kosten des Rechtsstreits auferlegt hat.

Die vom Patentgericht aufrechterhaltene Fassung von Patentanspruch 12 bleibt hinter der erteilten Fassung nur insoweit zurück, als die in Merkmal 2 a [O2] vorgesehenen Mittel eine Verhandlung über die Benutzerdatenrate "während des Verbindungsaufbaus" ermöglichen müssen. Eine entsprechende Einschränkung haben die Ansprüche 13 und 14 erfahren. Anhaltspunkte dafür, dass dieser Einschränkung eine wirtschaftliche Bedeutung zukommt, die es rechtfertigte, der Beklagten eine höhere Kostenquote aufzuerlegen, zeigt die Berufung nicht auf.

Eine weitergehende Kostenlast der Beklagten ist auch im Hinblick auf die Ansprüche, hinsichtlich derer die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, nicht gerechtfertigt. Der Umstand, dass sich Patentanspruch 12 in der Fassung von Hilfsantrag II als rechtsbeständig erwiesen hat, spricht dafür, dass die Nichtigkeitsklage auch gegenüber einer entsprechend beschränkten Fassung der nebengeordneten Ansprüche 1, 7 und 17 erfolglos geblieben wäre.

2. Zu Recht wenden sich die Klägerinnen zu 1 und 2 jedoch dagegen, dass das Patentgericht nicht berücksichtigt hat, dass ihr Interesse an der Vernichtung des Streitpatents deutlich hinter demjenigen der Klägerin zu 3 zurückbleibt, wie die Unterschiede in den Streitwerten deutlich machen, die in den Verletzungsverfahren festgesetzt wurden.

a) § 100 Abs. 2 ZPO stellt eine Abweichung von der in § 100 Abs. 1 ZPO als Grundregel vorgesehenen Verteilung nach Kopfteilen zwar in das Ermessen des Gerichts. Die Entscheidung des Patentgerichts erweist sich aber schon deshalb als fehlerhaft, weil es von diesem Ermessen keinen Gebrauch gemacht hat.

b) Der Senat hält eine Kostenverteilung entsprechend der unterschiedlichen wirtschaftlichen Beteiligung im Streitfall für angemessen, weil der Streitwert der Verletzungsverfahren gegen die Klägerin zu 3 (vor dem Erlöschen des Patents 1 Million Euro, danach 250.000 Euro) deutlich höher ist als derjenige der Verletzungsverfahren gegen die Klägerinnen zu 1 und 2 (vor Erlöschen 500.000 Euro, danach 166.666 Euro).

Dass ein weiteres Verletzungsverfahren gegen ein mit der Klägerin zu 3 verbundenes Unternehmen anhängig ist, hat auf die Verteilung hingegen keinen Einfluss, weil dieses dieselben Ausführungsformen betrifft wie das Verfahren gegen die Klägerin zu 3 und es ungereimt erschiene, die Kostenverteilung davon abhängig zu machen, ob die Beklagte mehrere verbundene Unternehmen einzeln oder gemeinsam in Anspruch genommen hat.

c) Danach hat die Klägerin zu 3 von den auf die Klägerseite entfallenden Kosten der ersten Instanz zwei Drittel zu tragen, die Klägerinnen zu 1 und 2 tragen davon jeweils ein Sechstel. Bezogen auf die Gesamtkosten, von denen die Beklagte 10% zu tragen hat, ergibt sich für die Klägerin zu 3 damit ein Anteil von 60% und für die Klägerinnen zu 1 und 2 ein Anteil von jeweils 15%.

3. Die Kosten des Berufungsverfahrens entfallen vollständig auf die Klägerseite, weil die Beklagte die teilweise Nichtigerklärung nicht angefochten hat. Entsprechend den oben aufgezeigten Grundsätzen entfallen auf die Klägerin zu 3 wiederum 60% auf die Klägerinnen zu 1 und 2 jeweils 20%.

Von Rechts wegen

Verkündet am: 10. März 2020

Vorinstanz: BPatG, vom 06.10.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 6 Ni 10/15 (EP)
Vorinstanz: BPatG, vom 06.10.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 6 Ni 57/16 (EP)