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BGH - Entscheidung vom 28.05.2020

I ZR 214/19

Normen:
ZPO § 522 Abs. 2

BGH, Beschluss vom 28.05.2020 - Aktenzeichen I ZR 214/19

DRsp Nr. 2020/12169

Geltendmachung von Patentverletzungsansprüchern Verletzung des Unternehmenskennzeichens "AERO"; Anspruch auf Einwilligung in die Teillöschung der Wortmarke "AERO" und Freigabe des Domainnamens "aero.de"; Zeitliche und örtliche Reichweite eines Schutzrechts

Nimmt ein Berufungsgericht die Stellungnahme einer Partei zu seinem Hinweisbeschluss überhaupt nicht zur Kenntnis, ist eine entscheidungserhebliche Gehörsrechtsverletzung jedenfalls dann anzunehmen, wenn die Stellungnahme nicht allein auf den bisherigen Vortrag verweist, sondern sich argumentativ mit dem Hinweisbeschluss auseinandersetzt und darauf angelegt ist, das Berufungsgericht davon zu überzeugen, dass der dort vertretene Rechtsstandpunkt fehlerhaft ist.

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 16. Oktober 2019 aufgehoben.

Die Sache wird zur Verhandlung und neuen Entscheidung, auch über die Kosten der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf 110.000 € festgesetzt.

Normenkette:

ZPO § 522 Abs. 2 ;

Gründe

I. Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen Verletzung ihres Unternehmenskennzeichens "AERO" auf Unterlassung, Auskunft, Feststellung der Schadensersatzpflicht und Erstattung von Abmahnkosten sowie den Beklagten zu 2 darüber hinaus auf Einwilligung in die Teillöschung seiner Wortmarke "AERO" und Freigabe des Domainnamens "aero.de" in Anspruch.

Die Klägerin wurde mit Gesellschaftsvertrag vom 21. Juni 2010 gegründet und am 28. Juli 2010 unter der Firma "A. C. GmbH" ins Handelsregister eingetragen. Ihr Unternehmensgegenstand ist unter anderem der Erwerb, die Verwaltung und die Veräußerung von Beteiligungen an Immobilien und Objektgesellschaften. Die mit Gesellschaftsvertrag vom 12. Dezember 2012 gegründete und am 24. April 2013 unter der Firma "M." ins Handelsregister eingetragene Beklagte zu 1 firmierte am 21. Juni 2013 in "A. GmbH" um. Eingetragener Unternehmensgegenstand ist unter anderem die Vorbereitung und Durchführung von Bauvorhaben für eigene und fremde Rechnung. Der Beklagte zu 2 ist Geschäftsführer der Beklagten zu 1 und Inhaber des am 30. Januar 2008 registrierten Domainnamens "aero.de" sowie der am 6. März 2014 unter anderem für "Immobilienwesen" (Klasse 36) eingetragenen Wortmarkt "AERO".

Das Landgericht hat der Klage mit Ausnahme der begehrten Freigabe des Domainnamens und eines Teils der geltend gemachten außergerichtlichen Kosten im Wesentlichen stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht nach vorangegangenem Hinweisbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Gegen die Nichtzulassung der Revision wenden sich die Beklagten mit ihrer Beschwerde.

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Recht, dass das Berufungsgericht das Verfahrensgrundrecht der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt habe.

1. Das Berufungsgericht hat in seinem Hinweisbeschluss vom 21. August 2019 ausgeführt, das Landgericht habe richtigerweise einen Anspruch der Klägerin gegen die Beklagten auf Unterlassung der Verwendung des Zeichens "AERO" im Zusammenhang mit Immobiliengeschäften sowie gegen den Beklagten zu 2 auf teilweise Löschung von dessen Marke bejaht. Das Schutzrecht der Klägerin reiche bis ins Jahr 2010 zurück und wirke bundesweit. Ein prioritätsälteres Recht der Beklagten sei nicht durch Verlinkung der am 30. Januar 2008 registrierten Domain "aero.de" auf die Domain "i .de" entstanden. Ein Unternehmenskennzeichen entstehe durch Ingebrauchnahme und Benutzung zugunsten des Trägers des Unternehmens, zu dessen Bezeichnung es von diesem Unternehmen in Gebrauch genommen worden sei. Das sei hier nicht der Beklagte zu 2, sondern die m. GmbH, die unter der Domain "i .de" ihre Dienstleistungen angeboten habe. Die Ansprüche der Klägerin seien auch nicht verjährt oder verwirkt.

Mit Zurückweisungsbeschluss vom 16. Oktober 2019 hat das Berufungsgericht auf diese Ausführungen vollumfänglich Bezug genommen; eine Stellungnahme der Beklagten sei trotz mehrfach verlängerter Frist nicht eingegangen.

2. Tatsächlich haben die Beklagten allerdings zu dem gerichtlichen Hinweisbeschluss vom 21. August 2019 am letzten Tag der von dem Berufungsgericht hierfür gesetzten Frist, nämlich am 11. Oktober 2019, Stellung genommen. Diese Stellungnahme hat das Berufungsgericht bis zum Erlass des Zurückweisungsbeschlusses und der Veranlassung von dessen Zustellung an die Prozessbevollmächtigten der Parteien mit Verfügung vom 17. Oktober 2019 nicht zur Kenntnis genommen. Dies beruht ausweislich des Aktenvermerks des Vorsitzenden des zuständigen Berufungssenats vom 18. Oktober 2019 darauf, dass der im elektronischen Rechtsverkehr übermittelte Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 11. Oktober 2019 dem in einem Nebengebäude ansässigen Senat wegen eines Druckerausfalls in der Wachtmeisterei im Hauptgebäude des Oberlandesgerichts erst am 18. Oktober 2019 vorgelegt wurde.

a) Zu Recht macht die Nichtzulassungsbeschwerde geltend, dass in der Nichtberücksichtigung der Stellungnahme der Beklagten vom 11. Oktober 2019 eine Verletzung ihres Grundrechts auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG zu sehen ist. Dies gilt ungeachtet dessen, dass die Stellungnahme aufgrund eines gerichtsinternen organisatorischen Problems erst am 18. Oktober 2019 zu den Akten gelangt ist. Eine Gehörsrechtsverletzung ist auch dann gegeben, wenn ein fristgerecht eingereichter Schriftsatz lediglich versehentlich unberücksichtigt bleibt (BVerfGE 62, 347 , 352 [juris Rn. 19], mwN; BGH, Beschluss vom 19. August 2010 - VII ZB 2/09, NJW-RR 2011, 424 Rn. 14).

b) Der angefochtene Zurückweisungsbeschluss beruht auf der Gehörsrechtsverletzung. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei einer Berücksichtigung der Stellungnahme zu seinem Hinweisbeschluss zu einer anderen Beurteilung des Falls gekommen wäre.

aa) Nimmt ein Berufungsgericht die Stellungnahme einer Partei zu seinem Hinweisbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO überhaupt nicht zur Kenntnis, ist eine entscheidungserhebliche Gehörsrechtsverletzung jedenfalls dann anzunehmen, wenn die Stellungnahme nicht allein auf den bisherigen Vortrag verweist, sondern sich argumentativ mit dem Hinweisbeschluss auseinandersetzt und darauf angelegt ist, das Berufungsgericht davon zu überzeugen, dass der dort vertretene Rechtsstandpunkt fehlerhaft ist (vgl. BGH, Beschluss vom 19. November 2019 - VI ZR 215/19, NJW-RR 2020, 248 Rn. 6; zur Rechtsbeschwerde vgl. BGH, Beschluss vom 30. April 2020 - I ZB 61/19, juris Rn. 18; BGH, NJW-RR 2011, 424 Rn. 17).

bb) So liegt der Fall hier.

(1) Um ihren von der in dem Hinweisbeschluss geäußerten Rechtsauffassung des Berufungsgerichts abweichenden Standpunkt darzutun, haben die Beklagten ergänzend zu ihrem bisherigen Vorbringen unter anderem geltend gemacht, der Beklagte zu 2 sei ausweislich des nunmehr vorgelegten Handelsregisterauszugs Geschäftsführer der ihm gehörenden m. GmbH, welche die Domain "aero.de" genutzt habe und zeitlich vor der Klägerin gegründet und ins Handelsregister eingetragen worden sei. Damit habe der Beklagte zu 2 ein prioritätsälteres Recht erworben. Diesen Vortrag, welcher sich nicht lediglich in einer Inbezugnahme oder Wiederholung bisherigen Vorbringens erschöpft, konnte das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigen.

(2) Darüber hinaus haben die Beklagten darauf hingewiesen, dass gegen mehrere Markenanmeldungen mit dem Bestandteil "AERO" durch die A. GmbH, deren Gesellschafterin Frau S. auch Gesellschafterin der Klägerin sei, Widerspruchsverfahren anhängig seien, welche Auswirkungen auf den Unternehmensgegenstand der hiesigen Klägerin haben könnten. Vor diesem Hintergrund haben die Beklagten einen Antrag auf Aussetzung des Berufungsverfahrens bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Widersprüche gestellt. Auch dieser zuvor nicht gehaltene Vortrag blieb unberücksichtigt. Der Aussetzungsantrag ging wegen des bei Kenntnisnahme des Schriftsatzes bereits erfolgten Erlasses des Zurückweisungsbeschlusses ins Leere.

Vorinstanz: LG Braunschweig, vom 27.03.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 9 O 486/18
Vorinstanz: OLG Braunschweig, vom 16.10.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 2 U 31/19